Eine Krönung von Volkes Gnaden

Textdaten
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Autor: H. v. C.
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Titel: Eine Krönung von Volkes Gnaden
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aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 476–479
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Krönung Franz Joseph I. mit der Stephanskrone

in Budapest am 8. Juni 1867

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Die vier Schwerthiebe auf dem Krönungshügel in Ofen.
Nach der Natur aufgenommen von J. W. Frey

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Eine Krönung von Volkes Gnaden.

Der große Festtag zu Ofen-Pest, der achte Juni 1867, an welchem vor dem Hochaltare im Dom zu Ofen der Kaiser Oesterreichs sein Haupt beugte, um auf dasselbe die Königskrone der Ungarn setzen zu lassen, war keine gewöhnliche Königskrönung. Nicht nach dem gewohnten Verlauf menschlichen Geschicks und monarchischer Ordnung war hier ein Fürst in’s Grab und ist sein Erbe auf den Thron gestiegen: eine Revolution hatte den rechtmäßigen König bewogen, seine ungarische Krone zugleich mit der Oesterreichs niederzulegen, in blutigem Kampf stand die Nation seinem Nachfolger gegenüber, bewältigt durch fremde Hülfe lag sie am Boden, das Recht ihrer Selbstständigkeit war vernichtet vom Kriegsrecht. Und nicht eine neue Revolution, nicht das Schwert hat der ungarischen Nation wieder zum Sieg ihres Rechts verholfen, sondern das beharrliche Festhalten an ihrem Recht in gesetzmäßigem politischem Kampf; nicht Waffengewalt im Innern hat den Beherrscher Oesterreichs zur Anerkennung dieses Rechts gezwungen, sondern nach furchtbaren äußeren Schicksalsschlägen auf sein Reich die Einsicht und Ueberzeugung, daß nur die Wiederaufrichtung des ungarischen Königthums den Frieden mit dieser Nation und daß nur dieser Friede die Neuerkräftigung des österreichischen Staatswesens herbeiführe. Die Ungarn sahen am achten Juni in Ofen ihr zertrümmert gewesenes Königthum glorreich wieder aufrichten, und darum bedeutet diese große Feier in der That zugleich eine Königs- und Volkskrönung.

Neben dem englischen giebt es in Europa kein für die Monarchie und für seine Krone begeisterteres Volk, als die Ungarn, und zwar zeichnen sich hierin die letzteren noch ganz besonders dadurch aus, daß der alte Goldreif der sogenannten Stephanskrone selbst es ist, mit dem sie den Begriff der königlichen Legitimität unzertrennlich verbinden. Keine Krone der Welt hat eine solche Bedeutung. „Nur der ist König von Ungarn, welcher mit dieser Krone gekrönt ist,“ steht ausdrücklich in den Grundgesetzen des Krönungsdiploms; ja, Kaiser Joseph der Zweite wird von den Ungarn nicht in der Reihe ihrer legitimen Könige mit gezählt, weil der seltene Mann, in seiner Scheu vor öffentlichem Pomp, die formelle Krönung in Preßburg verabsäumt hatte. Denn auch am uralten Krönungsceremoniel halten die Ungarn unerbittlich fest und bewahren deshalb mit der Krone die sämmtlichen übrigen Reichskleinodien – Schwert, Reichsapfel, Scepter, Mantel, Schuhe und Strümpfe – in einem eisernen Kasten als Nationalheiligthümer in der Burg von Ofen unter der Wacht besonderer „Kronhüter“.

Dennoch, oder vielmehr gerade wegen der Wichtigkeit, welche die Ungarn ihrer Krone beilegen, indem sie in ihr das äußere Zeichen ihrer Selbstständigkeit erkennen, hat dieselbe eine so abenteuerreiche Vergangenheit, daß eine kurze Schilderung derselben den sicherlich nicht wenigen unserer Leser, welchen sie bis jetzt unbekannt geblieben, willkommen sein wird.

Die Krone der Ungarn besteht aus zwei Theilen. Als Stephan, der als erster christlicher König des Landes später Heiliggesprochene, sich krönen lassen wollte, ließ er den Papst Sylvester den Zweiten in Rom um eine Krone und den Titel eines apostolischen Königs bitten. Beides wurde ihm, und zwar mit Genehmigung des römischen Kaisers deutscher Nation, Otto’s des Dritten, im Jahre 1000 gewährt; die Krönung erfolgte am fünfzehnten August des folgenden Jahres. Diese Krone bestand aus einem Goldreif mit den Schilden und den zwei gekreuzten Bogen sammt dem Reichsapfel darauf. Unter Stephan’s Nachkommen brach Unfrieden im Königshause aus, so daß Salomon dreimal gekrönt werden mußte und endlich doch das Reich an den Herzog Geysa verlor. Diesem hatte der byzantinische Kaiser Michael Dukas einen reich mit Edelsteinen besetzten und einer griechischen Inschrift gezierten Goldreif geschenkt, welcher nun mit der alten Krone verbunden wurde, so daß die Ungarn sich eigentlich einer Doppelkrone erfreuen. Dieselbe hatte auf dreiundzwanzig gesalbten Häuptern des arpadischen Stammes geruht, als dieser 1301 ausstarb. Ungarns Unglückswort heißt „Königswahl“. Die Eifersucht der heimischen Geschlechter, nicht die Armuth des Volkes an eigenen tüchtigen Männern, ließ stets fremde Häupter für die Ungarnkrone vorziehen. Diesmal gewann den Vorzug der zwölfjährige Sohn des Böhmenkönigs Wenzel, Wenzel der Jüngere, gegen Karl Robert Anjou von Neapel. Schon nach drei Jahren sah Wenzel der Aeltere sich genöthigt, mit Heeresmacht nach Ofen zu ziehen und seinen Sohn sammt der Ungarnkrone mit gen Prag zu führen. Die Ungarn wählten nun den Herzog Otto von Baiern zum König, und diesem antwortete Wenzel gern die Krone aus.

Um das Reichskleinod glücklich durch das eifersüchtige Oesterreich zu bringen, verkleideten der Herzog und sein Knappe sich als Kaufleute und der Letztere trug die Krone in einem Fäßchen am Sattelknopf. Nach einem scharfen nächtlichen Ritt, als am Morgen Herzog Otto in der Gegend von Fischament, unterhalb Wien, über die Donau wollte, fanden sie den Sattelknopf leer, das Fäßchen war verloren. Da galt’s ein Reiten! Aber schon nach einer Stunde sahen sie den Schatz wieder, noch unberührt in seinem Fäßchen, an einem Sumpf liegen. Das Gefäß war zu klein für die Krone gewesen und darum hatte das Kreuz des Reichsapfels auf derselben ein wenig umgebogen werden müssen; auch dieses historische Wahrzeichen ist der Krone bewahrt worden, kein Ungarnkönig hat seitdem eine andere Krone getragen, als die mit dem schiefstehenden Kreuze, und als am achten Juni Franz Joseph das Schwert nach den vier Seiten der Welt auf dem Krönungshügel schwang, konnte jeder Ungar dort an dem schiefen Kreuze sich überzeugen, daß sein König die wahre ungarische Krone trage.

Um sein sinkendes Ansehen zu heben, warb Otto 1307 persönlich bei dem Woiwoden von Siebenbürgen, Ladislaus, um dessen Tochter. Wir erfahren nun, daß der König die Krone stets bei [479] sich trug – so sehr war sie es allein, die ihn zum König machte! – denn Ladislaus nahm ihn sammt der Krone fest und behielt letztere, als er jenen aus der Gefangenschaft entließ. Der Nachfolger desselben, der oben genannte Gegenkönig des jungen Wenzel, Karl Robert Anjou, hatte sich zwar einstweilen mit einer andern Krone, also unecht, krönen lassen, rief aber sein Heer gegen Siebenbürgen zusammen, worauf Ladislaus das Kleinod auslieferte und die Krönung mit der „heiligen Krone“ geschehen konnte. In der bald darauf hereinbrechenden Türkennoth wurde sie nach dem hohen Schlosse Vissegrad geflüchtet.

In noch größere Gefahr kam die Krone bei der nächsten „Königswahl“, nach dem Tode des edlen deutschen Kaisers und Ungarnkönigs Albrecht’s des Zweiten (1439). Er hinterließ seine Gattin Elisabeth gesegneten Leibes, und sie gebar 1440 einen Sohn. Während nun eine andere Partei Wladislaw von Polen zum König und zugleich zum zweiten Gatten der Elisabeth bestimmte, ließ diese durch ihre treue muthige Kammerfrau, die Kottanerin[WS 1] wird sie genannt, die Krone von Vissegrad heimlich wegbringen. Mitten im Winter, im Schlitten, ging die Fahrt über die Donau, die Krone war in die Kleider der Kammerfrau gehüllt. Da fiel der Schlitten um und das Eis brach. Nur mit knapper Noth wurden Frau und Krone gerettet. Elisabeth krönte mit ihr ihr Kind und verbarg sie in dessen Wiege.

Später kam die Stephanskrone als Pfandstück nach Wien und erst nach dem Siege des Matthias Corvinus über Kaiser Friedrich den Dritten, gemäß dem Friedensvertrage und allerdings gegen eine Abfindung von sechzigtausend Ducaten, nach Vissegrad, das nun durch Reichstagsbeschluß zu deren Verwahrungsort erhoben wurde, zurück. Um so wichtiger erwies sich fortan das hohe Amt der beiden „Kronhüter“. Denn Johann Zapolya nahm als solcher die Krone in Besitz und verlor sie durch seinen Collegen Perenyi, der sich ihrer bemächtigte, um sie an Kaiser Ferdinand den Ersten auszuliefern.

Nun begann ein neuer wunderbarer Schicksalswandel mit ihr. Perenyi blieb Kronhüter für Ferdinand, verlor aber die Krone auf einer Reise – er trug sie demnach auch da bei sich! – an die Rebellen, die sie Zapolya zurückgaben. Zapolya hatte indeß bei Sultan Soliman Schutz gesucht und dieser kam mit seinem Heer im Sommer 1529 über Ungarn gegen Ofen und Wien herangezogen. Auf dem Mohacser Felde, wo Zapolya mit seinen wenigen Truppen zu ihm stieß, zwang er ihn, Ungarns Reichsinsignien sammt der heiligen Stephanskrone ihm auszuliefern. Das hat den Fluch der Ungarn auf Zapolya’s Haupt geladen bis diesen Tag. Nach dem Abzug von Wien gab Soliman die Kleinodien zwar zurück, aber indem er Zapolya als König von Ungarn seinen „Freund, Bruder und Lehnsmann“ nannte. Zapolya’s Wittwe stellte die Krone Ferdinand dem Ersten wieder zu.

Nachdem sie ein halb Jahrhundert, bis zum Beginn des dreißigjährigen Krieges, in Prag ausgeruht, kam sie nach Ungarn zurück, um sofort von dem Siebenbürgener Fürsten und Rebellen Bethlen Gabor gepackt zu werden, der sie erst drei Jahre später, in Folge des Nikolsburger Friedens, wieder herausgab. Fortan war erst Preßburg, dann, unter Kaiser Joseph dem Zweiten, von 1784 bis 1790 Wien, und von da an Ofen ihr ungestörter Aufenthaltsort, bis die Revolution von 1848 sie zu neuen Irrfahrten herausriß. Ganz im ungarischen Nationalgeist legte auch Kossuth das höchste Gewicht auf die Reichskleinodien, die er sofort in seine Gewalt nahm. Er behielt sie stets bei sich, sie wanderten mit ihm von einem Regierungssitz zum andern und – „als Ungarn zu den Füßen Sr. Majestät von Rußland lag“ – auf einem Bauernwagen der türkischen Grenze zu. Mit dem „Gouverneur“ war auch die heilige Krone Stephans verschwunden. Wir haben’s ja Alle erlebt, wie das Schicksal dieser Schätze damals die Tagespresse beschäftigte. Nur Eines vermuthete man mit Recht: daß Kossuth mit der eisernen Kiste sich schwerlich über die türkische Grenze gewagt haben werde. Und so fand es sich später. Im dritten Jahr des Geheimnisses kam der Schatz wieder an’s Tageslicht. Kossuth hatte die Kiste im Walde unweit Orsova, am Einfluß der Czerna in die Donau, Neu-Orsova gegenüber, vergraben. Da jene Stelle den Ueberschwemmungen sehr ausgesetzt ist, so scheint Kossuth an eine Wiederausgrabung der Kiste gedacht und darüber Mittheilungen gemacht zu haben, die nach Wien verrathen worden sind, denn es begannen seitdem unter der Leitung eines österreichischen Auditors, Titus Karger, Nachgrabungen in der richtigen Gegend, die am achten September, genau dem Tage der Geburt Mariä, der Schutzpatronin Ungarns, zur Entdeckung der Nationalheiligthümer führten. Seit zehn Jahren verewigt eine byzantinisch-maurische Capelle die denkwürdige Stätte.

Hüten wir uns, den Ungarn diesen politischen Aberglauben hinsichtlich ihrer Reichskleinodien zu verargen; wo er, mit solchem Ernst und solcher Energie verbunden, solche Ziele erreicht, werden wir ihn hoch über seinen religiösen Bruder zu stellen haben, der in seinen Reliquiencapellen zu Aachen und Trier für uns Deutsche so niederdrückende Triumphe feiert. Ueber dem Aberglauben thront der Glaube der Nation, daß Ungarn einer besseren Zeit entgegen gehe, und wenn die Stephanskrone auf des neuen Königs Haupt mehr solche Gedanken erzeugt, wie die allumfassende Amnestie und das noch weit herrlichere Zeugniß wahrer Versöhnung: die Spendung der Krönungsgeschenke für die Nachkommen der Honveds – dann wollen auch wir sie mit Ehrfurcht betrachten, denn sie leistete mehr, als alle kirchlichen Wunder je vermocht. Die Monarchengeschichte verzeichnet’s zum ersten Mal: daß ein Fürst den Kindern, deren Väter das Schwert gegen ihn geführt, die Hand zum Wohlthun gereicht.

Da die Gartenlaube in zeitgeschichtlichen Mittheilungen mit der Tagespresse unmöglich gleichen Schritt halten kann, die Schilderungen des Krönungsfestes zu Ofen-Pest folglich längst in den Händen ihrer Leser waren, so können wir von diesen absehen, glaubten aber, den höchsten Augenblick der Feier und den zugleich einzigen in seiner Art, durch tüchtige Künstlerhand dargestellt, in der Gartenlaube bildlich wiedergeben zu müssen; Bekanntlich bestimmt das Krönungsceremoniel, daß der König, nachdem ihm im Dome der gesammte Krönungsornat angelegt und die Krone des heiligen Stephan auf das Haupt gesetzt ist, auf einer Bühne unter freiem Himmel vor allem Volke den Decretaleid zu leisten hat, worauf er das Roß besteigt und auf den sogenannten Krönungshügel reitet, um dort das Schwert des heiligen Stephan nach den vier Himmelsgegenden zu schwingen, zum Zeichen, daß er bereit sei, das Ungarland gegen jeden Feind zu vertheidigen, er komme von wannen er wolle. – Es muß in der That für ein monarchisches Herz etwas Entzückendes in dem Schauspiel liegen, einen Herrscher mit der Krone auf dem Haupte und unter freiem Himmel hoch zu Roß – ein Bild, wie nur der kindlichen Phantasie es vorschwebt – hier im Lichte des Tages und in solcher Bedeutung für Volk und Reich zu sehen; aber nicht deshalb, sondern weil in ihm diese Krönung von Volkes Gnaden gipfelte, haben wir diesen Moment auch in der Gartenlaube der Verherrlichung werth gehalten.
H. v. C.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Koltanerin