Textdaten
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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Eine Frauen-Universität
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 732–734
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Vassar College in den USA
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Eine Frauen-Universität.


Nach der Stellung der Frauen im häuslichen und öffentlichen Leben schätzt man am richtigsten den geistigen und sittlichen Bildungsgrad eines Volkes. Nicht die wenn auch noch so hohe Entwickelung der männlichen Kraft allein, sondern das harmonische Zusammengehen und gegenseitige Beleben und Erheben der männlichen und weiblichen Geister führt zur höchsten Bildung und zum reinsten Menschenglück. Es ist kein geringes Zeichen für den ursprünglichen sittlichen Gehalt des Germanenthums, daß es von je durch die Würdigung der Frauen sich vor allen Nationen der alten und neuen Zeit hervorthat; betrug doch schon bei den Alemanen das Wehrgeld bei dem Mord einer Frau doppelt so viel, als bei einem Mannesmord. Mit der Würdigung muß stets die Bildung des weiblichen Geschlechts gleichen Schritt halten, damit die Frauenverehrung eine wohlbegründete bleibe, nicht zu romantischer Spielerei ausarte. Dies ist vor Allem eine Forderung unserer Zeit, die überall auf der Basis des Rechts neu bauen und auch dem weiblichen Geschlechte „neue Bahnen“ des Berufs auf diesem festen Grunde eröffnen und sichern will. Dazu gehören aber vor Allem neue Bahnen des Unterrichts und die Erziehung zu höherer, als der bisher einzig auf das Haus berechneten Bildung. Wo wir Derlei eröffnet sehen, werden wir unsere Aufmerksamkeit hin wenden müssen, und dies geschieht in nachstehendem Artikel, [733] der uns zu einem ersten Versuch führt, den Bildungsgang der Frauen den akademischen Weg betreten zu lassen, und zwar geschah dies bei unseren germanischen Stammverwandten in Nordamerika.

Man fährt von New-York den Rhein der neuen Welt, den gewaltigen Hudson mit seiner Naturromantik, aufwärts, um nach Poughkeepsie zu gelangen, das unweit vom rechten Ufer des Stromes liegt. Die nicht mehr ganz junge Stadt zählt ungefähr fünfzehntausend Einwohner. Beliebt es uns, als rüstigen Fußgängern, eine etwa dritthalb englische Meilen lange Strecke trefflichen Wegs gegen Südost lustwandelnd zurückzulegen, so tauchen am Ende desselben vor unseren immer freudiger staunenden Augen die geschmackvollen Steinglieder eines Prachtbaus auf, eines städtischen Palastes mitten in der grünen lachenden Freiheit, umgeben von einzelnen anderen Gebäuden, denen man ihre Abhängigkeit vom Hauptbau auf den ersten Blick ansieht. Den Weg zum Hauptgebäude versperrt uns ein einfaches Wohnhaus, die Pförtnerwohnung.

Das Vassar-College.

Wir begehren Einlaß, erhalten die Erlaubniß zum Durchgang und stehen nun vor unserem Bilde, vor dem „Vassar-College“, in welchem wir die erste Hochschule für das weibliche Geschlecht in der neuen und vor der Hand in der ganzen Welt begrüßen; eine Frauen-Universität, die durch den Ausspruch des Staates selbst das Recht besitzt, in den Wissenschaften, die sie lehrt, Doctordiplome zu ertheilen. Was in Deutschland der Flug der kühnsten Frauenwünsche noch nicht erreichte, hier ist’s vollendete That.

Aus dem Munde des Pförtners erfahren wir, daß das isolirte Gebäude zur Linken hinter dem Hauptgebäude, das sich durch seine hohe Kuppel auszeichnet, die Sternwarte, und das zur Rechten die Reit- und Turnhalle der weiblichen Akademiker ist. Der Hauptbau hat eine Länge von fünfhundert Fuß; die an beiden Enden desselben hervortretenden Flügel sind je sechsundfünfzig Fuß breit und einhundertfünfundsechszig Fuß tief; der Mittelbau mit dem Thurm hat eine nach der Rückseite vortretende Tiefe von einhunderteinundsiebenzig Fuß. Dieses kolossale Gebäude enthält im Ganzen vierhundertsiebenundneunzig Räume, nämlich außer etwa vierhundert Wohn- und Schlafzimmern für die Schülerinnen der Anstalt eine Capelle mit siebenhundert Sitzplätzen, eine Bibliothek, eine Gemäldegalerie, ein Naturaliencabinet, dann die Unterrichtszimmer und Hörsäle, die Wohnungsräume des Präsidenten und Directors, der Professoren und Lehrerinnen, der Matronen und Haushälterinnen, ferner die nöthigen Küchen, Waschräume, Badezimmer, Bäckerei, Wohnungen für die Dienerschaft und die Geschäftszimmer für die Verwaltung der Anstalt. Das ganze Gebäude wird durch Dampf geheizt, durch Gas erleuchtet und durch eine Wasserleitung mit allem nöthigen Wasser versorgt. Letztere Einrichtung ist zugleich dazu benutzt, das Hauptgebäude so gut wie feuerfest zu machen. Sehr sinnig ist die Einrichtung der Wohnungen der Schülerinnen. Es münden nämlich je drei Schlaf- und zugleich Arbeitszimmer in ein gemeinschaftliches Wohnzimmer, so daß jedes der drei je zusammenwohnenden Mädchen sich zurückziehen oder mit den Colleginnen zusammenkommen kann, wie es will.

Der Morgen vereinigt alle Mitglieder der Hochschule in der Capelle zu einem kurzen Gottesdienst; eine treffliche Orgel von zweiundzwanzig Registern begleitet den Gesang. Der Tag gehört den Studien, dem gemeinsamen Mahle, den leiblichen Uebungen und dem Genuß der die Anstalt umgebenden Natur. Nach dem Abendessen versammeln sich die jungen Damen abermals zu einem kurzen Gebet und dann zu vertraulicher Unterhaltung über weibliche Angelegenheiten unter dem Vorsitz der Principalin der Anstalt. Männlicher Besuch ist dann ganz ausgeschlossen. Dagegen schließt der allgemeine Gottesdienst an den Sonntagnachmittagen alles confessionelle und Sectenwesen aus, eben weil unter den Zöglingen und Genossen der Anstalt alle Confessionen und Secten vertreten sind.

Das Leben der jungen Akademikerinnen kann sich allerdings nicht der akademischen Freiheit deutscher Studenten erfreuen; es herrscht vielmehr echt englische Strenge der Aufsicht bei allem Comfort der äußern Umgebung. Keine der jungen Damen darf ohne Erlaubniß fremde Besuche empfangen und keine sich ohne Begleitung einer Lehrerin in die nahe Stadt Poughkeepsie begeben oder überhaupt die Umgrenzung des College überschreiten. Selbst Verwandte werden zum Besuch nur im allgemeinen Besuchzimmer [734] zugelassen, in welchem immer eine Lehrerin die Aufsicht über alle Vorgänge führt.

Was nun die Lehrkräfte und Lehrgegenstände betrifft, so finden wir in dem Facultätsverzeichniß einen Professor der Philosophie, einen Professor alter und neuer Sprachen, eine Lehrerin der griechischen Sprache, drei Lehrerinnen der lateinischen Sprache, einen Professor der englischen Sprache und Rhetorik, eine Lehrerin der englischen und französischen und zwei Lehrer der französischen Sprache, einen Professor der Mathematik, Naturlehre, Chemie, einen Professor der Naturgeschichte, Geologie, Mineralogie und dazu noch einen Lehrer und vier Lehrerinnen der Mathematik und Chemie, eine Professorin der Astronomie, eine Professorin der Physiologie, einen Professor der Musik (einen Deutschen, Eduard Wiebe, dem wir die Mittheilung der Notizen über diese Hochschule verdanken) mit sieben Hülfslehrerinnen, einen Professor der Malerei und des Zeichnens, einen Director der Reitschule und eine Lehrerin der Gymnastik oder Turnlehrerin.

Einen weiteren Einblick in das Wesentliche dieser Frauen-Universität gewinnen wir durch einen Besuch der wissenschaftlichen und Kunstsammlungen und Bildungsanstalten. Wir finden ein sehr reichhaltiges Cabinet voll wohlgeordneter naturgeschichtlicher Gegenstände, ein gutes chemisches Laboratorium; eine Bibliothek, welche vor der Hand allerdings vorzugsweise aus „Werken zum Nachschlagen“, also Lexiken und Encyklopädieen aller Art, besteht, für deren Vermehrung aber jährlich tausend Dollars ausgesetzt sind; ferner eine Gemäldegalerie, die größtentheils in Italien und den Niederlanden aufgekauft wurde; die Sternwarte, deren geschmackvolles Gebäude wir bereits sahen, ist mit einem Aequatorial-Teleskop (mit einem Objectivglas von zwölf Zoll Durchmesser), einem Transitcirkel, einem Chronograph, allen Instrumenten für meteorologische Beobachtungen und kleineren Apparaten für den Alltagsgebrauch ausgestattet und gilt schon jetzt als eine der vollkommensten astronomischen Anstalten Nordamerika’s. Nicht weniger sorgfältig ist das Conservatorium für Vocal- und Instrumentalmusik bedacht; hier ist das Classensystem eingeführt, welchem dreißig Pianos zur Verfügung stehen. In der Reithalle werden stets vierundzwanzig treffliche Pferde gehalten, und in der mit dieser verbundenen Turnhalle sehen wir die rüstigen Damen, in den sogenannten „Bloomerdreß“ gekleidet, mit Geschmack und Gewandtheit alle dem weiblichen Geschlechte entsprechenden gymnastischen Uebungen ausführen.

Auf unserem Gange von der Sternwarte zur Reit- und Turnhalle sind wir auch an der Gasanstalt vorüber gekommen, die vierhundert Fuß vom Hauptgebäude angelegt ist und von welcher aus Gas-, Dampf- und Wasserröhren von einundzwanzig englische Meilen Länge das College durchziehen. Außerdem gehören zum Eigenthum der Hochschule noch ein Eishaus, das schon genannte Wasserspeisungshaus, Farmgebäude für den wirthschaftlichen und landwirthschaftlichen Theil der Anstalt und das Pförtnerhaus, vor dem wir nun wieder stehen, um mit einem Blick noch einmal diese großartige Stiftung zu bewundern.

Stiftung? Ja, nicht eine Staats- oder städtische Gründung haben wir vor uns, sondern dies Alles ist die That eines einzigen Mannes, eines einfachen Bürgers von Poughkeepsie im Staate Newyork.

Matthew Vassar – das ist der Name dieses Mannes – gehört zu den in Nordamerika nicht seltenen Industrie-Größen, die mit nichts als einem hellen Kopf, muthigem Herzen und zwei gesunden Händen das Land betraten und mit diesem ureigensten Capital den Grund zu großem Reichthum legten. Vassar kam als Knabe mit seinen armen Eltern nach Amerika. Die Familie mußte sich mit ihrer Hände Arbeit ernähren, und selbst die Kinder trugen nach ihren Kräften dazu bei. Sobald Matthew den Knabenjahren entwachsen war, strebte er in echt amerikanischer Weise nach Selbstständigkeit. Er arbeitete und sparte rastlos, bis er eine kleine Summe erschwungen hatte, die es ihm möglich machte, allerlei kleine Handelsgeschäfte auf eigene Faust zu betreiben. Nach manchem Jahr harter Mühen und Entsagungen gelang es ihm, in Poughkeepsie, eine Ale-Brauerei im bescheidensten Maßstab anzulegen. Um diese Zeit verheirathete er sich. Er selbst war der Brauer, seine Frau hielt in einem Kellergeschoß einen Schank, und wenn einmal ein ganzes Faß seines Ales verkauft wurde, so trug er es selbst auf den Schultern dem Abnehmer in’s Haus. Das Geschäft gedieh, die Brauerei erweiterte sich und wurde endlich ein wahrhaft großartiges Etablissement, das seinen Besitzer zu einem der reichsten Männer seiner Stadt erhob. Noch heute genießt Vassar die Früchte seines Fleißes als rüstiger Greis von fünfundsiebenzig Jahren.

Der Gedanke, vom Ueberfluß seines Glücks einen würdigen gemeinnützigen Gebrauch zu machen, scheint ihm bei einem Besuche seiner englischen Heimath gekommen zu sein. Er bestimmte am 18. Jan. 1861 für die Gründung seiner Akademie die Summe von 408,000 Dollars (ungefähr 570,000 Thaler). Trotz des Bürgerkriegs konnte die Hochschule am 21. September 1865 feierlich eröffnet werden. Und so lebhaft war die Theilnahme der amerikanischen Frauenwelt für dieses erste Ehrenhaus höchster Bildung, daß am Weihetage dreihundert Schülerinnen ihren Einzug in dasselbe hielten.

Nach dem Wunsch des Stifters soll die Hochschule keinen financiellen Gewinn abwerfen, sondern nur sich selbst erhalten können. Da nun jede Schülerin jährlich dreihundert und fünfzig Dollars an die Anstalt entrichtet, so war schon mit der ersten Anzahl derselben, die eine Jahreseinnahme von über hunderttausend Dollars abwarf, die Erfüllung jenes edlen Wunsches gesichert. Aller Einnahme-Ueberschuß soll stets nur zur immer weiteren Vervollkommnung der Hochschule verwendet werden.

Ist auch der erste Zweck dieser Stiftung nicht, gelehrte Frauen, sondern, nach Vassar’s Ausspruch, „gute Gattinnen, gute Mütter und wohlerzogene Damen“ zu bilden, so wird doch von selbst das Streben der mit so wissenschaftlichen Mitteln ausgerüsteten Anstalt zu dem zweiten Zweck hinführen, in gewissen Zweigen der Gelehrsamkeit auch die Frauen auf die Stufe zu erheben, die ihnen natürliche Begabung und sittliches Bedürfniß anweist. Wir haben dabei zunächst zwei Fächer im Auge: die Astronomie und die Medicin. Für erstere spricht Alexander von Humboldt selbst den Frauen eine höhere Begabung als den Männern zu, weil in ihnen der Farbensinn am höchsten ausgebildet sei. Daß es zweitens eine immer lauter auftretende Forderung der Sitte ist, für Frauenkrankheiten auch Frauen zu wissenschaftlichen Heilerinnen heranzuziehen, darüber wird in der gesammten Frauenwelt nur eine Stimme sein.

Die erste Frauenhochschule ist auf dem freien Boden Amerika’s erstanden; trotzdem wagen wir den Ausspruch, daß die erste Stätte wahrhaft wissenschaftlicher Frauenbildung in Deutschland ihren Boden finden wird. Der Geist, die Strebekraft dazu hat sich bereits Bahn gebrochen, die Befähigung zum würdigsten öffentlichen Auftreten hat die große Frauen-Versammlung zu Leipzig auf das Erhebendste dargethan, und wenn erst unser Vaterland durch harten Männerkampf innere Festigkeit und Ordnung errungen, dann wird es auch an den Mitteln nicht mehr fehlen, den deutschen Frauen die „neuen Bahnen“ in Leben und Wissenschaft zu eröffnen, die ihr hoher innerer Werth sich längst verdient hat.[1]

Fr. Hofmann.



  1. Ein erster Schritt in dieser Richtung ist bereits geschehen und verdient, daß bei dieser Gelegenheit die öffentliche Aufmerksamkeit auf ihn hingelenkt werde. Seit drei Jahren besteht in Leipzig eine „Lehranstalt für erwachsene Töchter“, welche als ihren Zweck „Ausbildung für den kaufmännischen Geschäfts- und Gewerbsbetrieb“ ankündigt. Wir haben also hier eine Realschule für Jungfrauen vor uns, die sich dem kaufmännischen Berufe widmen oder auch nur ihre allgemeine Bildung erweitern wollen. Der Cursus ist ein zweijähriger und für Zöglinge mit mangelhaften Vorkenntnissen besteht eine besondere Vorbereitungsclasse. Der Lehrplan umfaßt achtzehn bis zwanzig Unterrichtsstunden für die Classe wöchentlich und schließt folgende obligatorische Unterrichtsgegenstände in sich: deutsche, französische und englische Sprache; kaufmännisches Rechnen; Contorarbeiten, Buchführung und Correspondenz; das Wichtigste über Maße, Münzen, Wechsel, Staatspapiere und Actien; Geschichte; Handelsgeographie in Verbindung mit der Handelsgeschichte; Hauswirthschaftslehre und Waarenkunde; Kalligraphie; ferner Musterzeichnen, praktische Unterweisung in technischen Geschäftsverrichtungen und Unterricht in den Grundlagen der Volkswirthschaftslehre. Nicht obligatorisch sind ein Cursus in der Stenographie und Club français. Die Anstalt besitzt eine Bibliothek und Sammlungen von Waarenmustern. Sie ist von Dr. O. Fiebig gegründet und jetzt in den Besitz und die Direction der Herren G. Wagner und Dr. W. Zimmermann übergegangen. Man fühlt dieselbe sich am besten empfohlen, wenn man sieht und hört, mit welcher innigen Anhänglichkeit die Mädchen sämmtlich ihrer Anstalt zugethan sind, mit welchem Eifer sie ihr zueilen und mit welcher Begeisterung sie von ihr sprechen.
    F. H.