Eine Erinnerung aus den Tagen der schweren Noth

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Titel: Eine Erinnerung aus den Tagen der schweren Noth
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 71–72
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[71] Eine Erinnerung aus den Tagen der schweren Noth. Am Nachmittage des 23. April 1844 hielt vor dem Gasthofe zum Hirsch, jetzigem kaiserlichen Postamte zu Saalfeld, eine Extrapost, deren Insassen – ein ältlicher Herr von militärischem Aussehen mit einer noch schönen Frau an seiner Seite – von dem Wirthe auf’s Ehrerbietigste begrüßt und in die besten Zimmern des Hauses geleitet wurden.

Es war nicht das erste Mal, daß der zur Zeit pensionirte Oberstlieutenant Friedrich von Klitzing aus Berlin in der alten Kreis-, Münz- und Bergstadt Saalfeld einkehrte, aber eine lange Reihe von Jahren voll weltgeschichtlicher Begebenheiten lag freilich zwischen heute und damals, wo er als Adjutant Louis Ferdinand’s von Preußen an der Seite des Letzteren seinen Einzug in diese Stadt gehalten hatte.

Wie hatten am Morgen jenes 10. October 1806 die Herzen voll Muth und Begeisterung geklopft; war doch endlich nach peinlich langem Harren der Augenblick gekommen, wo Preußen, zum Aufgeben seiner neutralen Stellung genöthigt, an dem Kampfe für deutsches Recht und deutsche Ehre thätigen Antheil nehmen sollte! Im Vertrauen auf die gerechte Sache und von der eigenen persönlichen Tapferkeit und Begeisterung auf die seiner Truppen schließend, glaubte Louis Ferdinand einen Zusammenstoß mit dem verhaßten Feinde nicht scheuen zu müssen, und so war er von Rudolstadt in der Absicht aufgebrochen, den in großen Massen rasch heranrückenden Franzosen auf halbem Wege entgegen zu gehen. Er sollte jedoch nicht weit kommen. Schon bei Saalfeld mußte Schlachtaufstellung genommen werden, und bald entspann sich jener unselige Kampf, in welchem der preußische Aar traurig die Schwingen senkte. Keine der frohen Siegeshoffnungen hatte sich erfüllt; die Truppen waren theils vernichtet, theils in die Flucht geschlagen, und Louis Ferdinand selber hatte auf dem Schlachtfelde von Wöhlsdorf sein Herzblut verströmt. Kein glorreicher Sieg war es, an den sich fortan für alle Zeiten der Name des Prinzen knüpfen sollte, es war eine verlorene Schlacht, und statt des Lorbeers, den er zu pflücken gedachte, erntete er den bittern, durchaus ungerechtfertigten Vorwurf, durch ungezügelte Kampfbegier das unglückliche Treffen verschuldet, dann aber, um den Vorwürfen des Königs zu entgehen, seinem Leben selber ein Ende gemacht zu haben. –

Friedrich von Klitzing, Louis Ferdinand’s treu ergebener Adjutant, hat es sein Leben lang nicht verwinden können, daß er im entscheidenden Augenblicke außer Stande gewesen, seinem Generale Beistand und Rettung zu bringen. Alles, was er auch während der ferneren Kriegsjahre an Nöthen und Gefahren zu bestehen haben mochte, es trat in den Hintergrund vor den Erlebnissen jenes Tages, der für ihn der schreckenvollste seines Lebens blieb. Mit bewundernswerther Treue bewahrte sein Gedächtniß alle Einzelheiten der unglücklichen Schlacht, während ein unstillbares Verlangen ihn fort und fort nach der Gegend zog, die der Schauplatz seiner schmerzlichsten Erinnerungen geworden war.

Noch einmal wollte er an Ort und Stelle die Bilder jenes grauenvollen Tages an seinem geistigen Auge vorüberziehen lassen; noch einmal wollte er die Stätte besuchen, an welcher sein unvergeßlicher General den Heldentod gefunden, und als selbst ein längerer Aufenthalt unter Italiens blauem Himmel jenes Verlangen nach den grünbewaldeten Thüringer Bergen nicht zu stillen vermochte, da war der greise Veteran in Begleitung seiner vortrefflichen Gattin nach dem Ziele seiner langjährigen Sehnsucht aufgebrochen. –

Ja, da stand es noch, das alte Thor, durch welches er, von Rudolstadt kommend, neben Louis Ferdinand einst eingeritten war! Dort in dem großen Eckhause am Markte hatte der Prinz mit seinen Begleitern das letzte Frühstück eingenommen, dann waren sie auf den erhaltenen Rapport von dem eiligen Heranziehen des Feindes zum oberen Thore wieder hinaus gesprengt, um die rings um die Stadt herum aufgestellten Truppen zu inspiciren.

Wie stiegen angesichts dieser Oertlichkeiten die alten Erinnerungen in lebendiger Frische vor der Seele des Greises auf! Links vor dem oberen Thore, wo heute die Kusch’sche Maschinenfabrik steht, hatten damals die sächsischen und preußischen blauen Husaren Aufstellung genommen; rechts nach der Münzpforte zu stand das preußische braune Husarenregiment Schimmelpfennig. Weiter rechts in einem langgestreckten, jetzt ausgefüllten Graben zunächst der Stadtmauer lag gedeckt eine Compagnie preußischer Jäger, während auf dem Siechenhügel links an der Rudolstädter Chaussee, von wo aus die fränkische Straße bei Gernsdorf und der Eckardsanger am Fuße des bewaldeten breiten Berges bestrichen werden konnte, die preußische und sächsische Artillerie aufgestellt war. Zwischen den braunen Husaren links und den Jägern in jenem Graben rechts lagen die preußischen Scharfschützen im Verstecke, lauter vortreffliche Schützen mit weittragenden gezogenen Büchsen, die an jenem Tage manchen französischen Reiter vom Pferde in’s Grab beförderten. Rechts über Crösten nach Blankenburg zu war das Gros der Armee aufgestellt; die Franzosen dagegen kamen aus den Thalstraßen der oberen Berge sowie über diese selbst aus den Wäldern in das Thal herab, stellten sich am Fuße des breiten Berges in Schlachtordnung auf und eröffneten das Feuer. Fast schien es jedoch, als ob das Kriegsglück dem sieggewohnten Feinde untreu werden wollte, denn der erste preußische Kanonenschuß machte sofort die eine der beiden Kanonen, über welche jener anfänglich nur zu verfügen hatte, untauglich.

Wohl kannte Frau von Klitzing alle diese Details auf’s Genaueste, doch sie hätte nicht die gute Patriotin und verständnißvolle Gattin sein müssen, um die Gefühle ihres Gemahls nicht zu begreifen und seine Bewegung nicht zu theilen, als dieser jetzt an Ort und Stelle ihr abermals die Begebnisse jenes für ihn unvergeßlichen Schreckenstages in ergreifender Lebendigkeit schilderte.

In aller Frühe des nächsten Morgens finden wir das von Klitzing’sche Ehepaar bereits auf dem Wege nach dem Schlachtfelde, langsam im offenen Wagen dahin fahrend und oft still haltend.

Da lag sie vor ihnen, die Gegend, die der Oberstlieutenant dereinst in Staub und Pulverdampf gehüllt verlassen hatte – heute ein Bild der Ruhe und des Friedens. Still blieb’s links auf den bewaldeten Höhen, und die weiten Wiesenflächen zur Rechten, damals mit dem Blute von Freund und Feind gedüngt, harrten im frischen Grün des jungen Lenzes der weidenden Schaf- und Rinderheerden.

Bei einem dicht am Wege stehenden Steinwürfel, von preußischen Officieren im Jahre 1807 errichtet, stiegen die Reisenden aus. Die Inschrift jenes Steines

„Hier fiel kämpfend“ für sein dankbares Vaterland
Prinz Louis Ferdinand von Preußen;
am 10. October 1806.“

trägt die Schuld an der fast allgemein verbreiteten irrthümlichen Annahme, der Prinz sei an dieser Stelle gefallen, oder tödtlich verwundet hier niedergelegt worden, um unter den Zweigen einer prächtigen, erst kürzlich gefällten Linde zu verscheiden. Dies ist jedoch historisch unrichtig. Unter jenem schönen alten Baume fand wohl der erwähnte Gedenkstein die passendste Aufstellung, seine Inschrift jedoch ist im weitern Sinne gebraucht und bezeichnet nicht sowohl speciell eine einzelne Stelle, als vielmehr den ganzen Platz, woselbst der Prinz gekämpft und gefallen. Ein weit kostbareres Denkmal, von der Fürstin Louise von Radziwill dem Andenken des gefallenen Bruders errichtet, erhebt sich, von weißstämmigen Birken beschattet und von einem eisernen Gitter umschlossen, auf einer Feldspitze dem Dorfe Wöhlsdorf gegenüber. Von diesem Monumente deutet eine mythologische Figur hinunter nach dem Hohlwege, welcher in einen Richtsteig ausläuft, auf dem man über die Wiesen nach dem Dorfe Schwarza gelangt. Am Ausgange dieses Hohlweges war es, wo sich der fliehende Prinz plötzlich von drei Seiten von feindlichen Reitern umgeben sah, die den Augenblick erspäht hatten, wo dieser, von seinen Begleitern abgeschnitten, ihnen nothwendig in die Hände fallen mußte. Louis Ferdinand erkannte auch sofort die Absicht seiner Verfolger, doch die Ehre höher achtend als das Leben, ruft er ihnen auf ihre Aufforderung, sich zu ergeben, auf französisch die Worte zu: „Der Prinz ergiebt sich nicht; der Prinz stirbt!“ Ein wüthender Kampf entspinnt sich, der damit endet, daß Louis Ferdinand, von einem Stiche mit einem geraden Säbel tödtlich in die Brust getroffen, vom Pferde sinkt. Wie tapfer der Prinz gekämpft, hat einer seiner Mörder selber unserm Gewährsmanne geschildert, als er sich von diesem Tags darauf nach dem Kampfplatze begleiten ließ, um in den noch im Wege stehenden Lachen vom Blute Louis Ferdinand’s nach einem dem Prinzen im Gefechte abgerissenen Orden zu suchen.

In schmerzliche Trauer versunken, standen die Gatten lange, dann legten sie schweigend die kurze Strecke bis nach Wöhlsdorf zu Fuß zurück, ein Jedes mit den Gefühlen der eigenen Brust vollauf beschäftigt. Hier führte der Oberstlieutenant seine Frau in den zunächst an der Straße gelegenen Garten des Georg Heinrich Bock’schen Hauses, woselbst eine feindliche Kugel dem Prinzen das Pferd unter dem Leibe getödtet hatte, als dieser soeben seinen beiden Adjutanten, von Nostiz und von Klitzing, seine letzten Befehle ertheilt hatte. Der Besitzer des Hauses, welcher sammt seiner alten Mutter nach dem Begehr der Fremden zu fragen kam, vernahm mit Erstaunen, daß der fremde Herr kein Anderer, als der ehemalige Adjutant Louis Ferdinand’s sei, und bald tauschte man auf’s Lebhafteste die alten traurigen Erinnerungen aus.

Von den Fenstern ihrer Wohnung aus hatten G. H. Bock und dessen Eltern es mit angesehen, wie der Prinz bemüht gewesen, die Seinen aufzuhalten und zu sammeln. Vergebens! Ein panischer Schrecken hatte die Truppen erfaßt; Louis Ferdinand mußte das Geschick des Tages verloren geben. Da erst entschloß auch er sich zur Flucht, und den Ordensstern auf seiner Brust mit dem Federhute deckend, um nicht erkannt zu werden, ritt er durch eine stets offene Pforte des Bock’schen Gartens unbehindert über die Straße in den erwähnten Hohlweg, an dessen Ausgange bereits der Tod auf ihn lauerte. – Bock führte den Oberstlieutenant zu der Stelle, wo die Leiche des Prinzen am Fuße eines alten, jetzt nicht mehr vorhandenen Eichenstumpfes quer über dem Fahrgleise gelegen, bis dieselbe am Nachmittage, fast gänzlich entkleidet und mit einer Pferdedecke verhüllt, unter lustigen Tanzweisen nach Saalfeld geführt wurde. Das war die feierliche Einbringung; von der ein französischer Schriftsteller seiner Zeit gesagt:

„Der Prinz wurde mit allen seinem Range und seinem Unglücke gebührenden Ehren eingebracht.“

Schmerzlich bewegt kehrte Herr von Klitzing noch einmal nach dem Bock’schen Gärten zurück; war es doch, als ob er sich nicht losreißen könnte von einem Orte, an dem er einst nur wie durch ein Wunder dem Tode oder der Gefangenschaft entgangen war, und wohin es ihn seitdem unablässig und zuletzt unwiderstehlich gezogen.

„Ich entsinne mich nicht,“ wandte er sich zu den Umstehenden (durchgehends Herrn von Klitzing’s eigene Worte), „je in meinem Leben von einer ähnlichen furchtbaren Wuth befallen gewesen zu sein, wie dereinst hier an Ort und Stelle, als ich mich von dem Prinzen abgesperrt und auf den Feind geworfen sah. Mein braver Gaul,“ fuhr er fort, „schien meine Stimmung zu theilen, denn wüthend schlug und biß er um sich, bis es mir gelang, mich aus dem Feindeshaufen herauszuhauen und, von meinem treuen Thiere wie auf Vogelschwingen getragen, nach Rudolstadt zu entkommen.“

„Mein Lieber,“ entgegnete Frau von Klitzing, „Deine Tapferkeit ist durch Dein treffliches Pferd unterstützt worden; sie hat Dich Deinen nächsten Feinden furchtbar gemacht und Dir aus ihren dichten Reihen herausgeholfen. Uebrigens glaube ich, daß eine höhere über uns waltende Macht Dich beschützte und beschlossen hatte, daß Dein Lebensende nicht in Saalfeld erfolgen sollte, in Saalfeld, dessen bloßer Name hinreichend [72] ist, um in jeder braven Preußenbrust schmerzliche Erinnerungen an die unglückliche verlorene Schlacht und den damit verknüpften Tod unseres trefflichen Prinzen zu wecken.“

Der Oberstlieutenant drückte bewegt die ihm dargereichte Hand der Gattin. „Ich ehre deinen Glauben, meine Theure,“ sagte er feuchten Auges, „gleichwohl wissen wir nicht, was in dem großen Schicksalsbuche das Fatum weiter verzeichnet hat, denn – noch haben wir Saalfeld nicht verlassen.“

Frau von Klitzing erschrak. Mit herzlichen Worten trennten sich die Gatten von den Bock’schen Leuten, um in trüber Stimmung nach Saalfeld zurückzukehren. Dort besuchten sie noch den Saal im sonst Lairitz’schen Hause, woselbst der Prinz zum letzten Male gefrühstückt; besahen den Schloßhof, in welchem der im Schlosse einquartiert gewesene Marschall Lannes den entseelten Körper Louis Ferdinand’s in Empfang genommen hatte, und traten zuletzt noch in die altehrwürdige St. Johanniskirche ein, in der die Section, Ausstellung und Beisetzung der Leiche stattgefunden. Elf Jahre später wurde sie nach Berlin gebracht.

Wie tief ergreifend die im Laufe des Tages empfangenen Eindrücke auf den greisen Oberstlieutenant gewirkt, das zeigte sich nicht allein in dessen Gemüthsstimmung, sondern äußerte sich auch gegen Abend in einem rasch zunehmenden körperlichen Unwohlsein. In Angst und Bangen durchwachte Frau von Klitzing die Nacht; die Worte ihres Gatten: „noch haben wir Saalfeld nicht verlassen,“ klangen ihr fort und fort wie eine unheilvolle Prophezeiung in den Ohren. Sollte er am Ende deshalb dem geheimnißvollen Zuge nach Saalfeld gefolgt sein, damit er heute inmitten tiefsten Friedens den Tod fände, dem er hier vor achtunddreißig Jahren im wilden Kriegsgetümmel glücklich entronnen? – der mit Tagesgrauen herbeigerufene Arzt, Dr. Opatovsky, erklärte die Krankheit des Patienten für eine gefährliche Lungenentzündung, die denn auch in der That trotz aller ärztlichen Bemühungen und sorgsamster Pflege in wenigen Tagen den Tod herbeiführte.

Am 3. Mai fand auf dem Kirchhofe zu Saalfeld die standesmäßige Beerdigung des Oberstlieutenants von Klitzing statt. Seine Wittwe verließ drei Tage später, schmerzlich gebeugt und tief erschüttert, die Stadt, welche Louis Ferdinand und dessen ehemaligem Adjutanten das Grab bereitet.