Eine Armenindustrie für Kinder auf dem Lande

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Titel: Eine Armenindustrie für Kinder auf dem Lande
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 819
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[819] Eine Armenindustrie für Kinder auf dem Lande. Daß unter Umständen die Noth unter der bäuerlichen Bevölkerung ebenso drückende oder noch drückendere Formen annehmen kann als unter den städtischen Armen, das zeigt besonders deutlich das heurige Jahr, wo in manchen Gegenden durch das äußerst mangelhafte Erträgniß der Futterernte ein wirklicher „Nothstand“ geschaffen wurde. Da ist jeder praktische Vorschlag zur Hilfe gerade im gegenwärtigen Augenblick, wo der Winter beginnt, doppelt willkommen. Und einem solchen sind wir begegnet in einer kleinen Broschüre des schwäbischen Pfarrers Hermann Faulhaber, „Drei soziale Fragen, unser Landvolk betreffend“, in welcher neben der Einrichtung von Landesversorgungsämtern und einer geordneten Krankenpflege auf dem Lande vor allem die Beschäftigung der ländlichen Armen gefordert wird. Faulhaber denkt dabei nicht an die Arbeitskräfte, welche im landwirthschaftlichen Betrieb Verwendung finden können, sondern an die, welche für die schwere Arbeit in der Oekonomie nicht oder nicht recht verwendbar sind und sich daher in der übelsten Lage befinden, da ein anderer Verdienst als eben der in der Landwirthschaft für sie häufig gar nicht zu haben ist. Für diese „Aermsten der Armen“ müßte man also industrielle Beschäftigung einführen, und wie das zu geschehen hätte, das zeigt Faulhaber an einer Armenindustrie für Kinder, die er selbst vor elf Jahren schon einrichtete und die seitdem eine immer größere Ausdehnung gewonnen hat. Es handelt sich um die Verfertigung von Geldbörsen aus kleinen Drahtringen, welche von Faulhaber zwar nicht erfunden, aber neu aufgenommen und verbessert wurde. Anfangs ging die Sache nur mühsam und unter Sorgen, es fehlte an dem nöthigen Absatz und an Kapital. „Als das erste Weihnachten nahe war,“ erzählt Faulhaber, „da war die Schuldsumme schon auf Tausende angewachsen, und ich wußte wohl: gelingt es, so bleibt man ja wohl in Ehren; gelingt es aber nicht, so sagt jedermann, auch der beste Freund: „Hättest es bleiben lassen können! Was braucht ein Pfarrer dergleichen Handel anzufangen!“ Aber am Ende kam doch das Gedeihen und jetzt beschäftigt diese Industrie schon 200 Kinder in verschiedenen Gemeinden Württembergs und bringt ihnen alljährlich mehr als 10 000 Mark Arbeitsverdienst. Hunderttausendweise gehen die niedlichen Börsen, vernickelt, versilbert und vergoldet, hinaus in die Welt, selbst in entfernte Länder. Als Mangel dieser Industrie bezeichnet es deren Gründer, daß sie nur Kinder, nicht auch Erwachsene beschäftigen kann, da sie (bei 5 bis 7 Pfennig Lohn in der Stunde) für die letzteren zu wenig einträglich ist. Allein eine Sache vermag nicht alles zu leisten. Wenn man bedenkt, daß im Durchschnitt jedes beschäftigte Kind jährlich 50 Mark verdient und daß diese Summe für eine arme Familie schon einen recht hübschen Zuwachs zu ihrer Einnahme bedeutet, so wird man das Werk Faulhabers nicht gering anschlagen; um so mehr, als er seinen kleinen Arbeitern die für die Schulaufgaben und die Erholung im Freien nöthige Zeit nicht verkümmern läßt und die Beschäftigung selbst unter dem Gesichtspunkte leitet, daß die Kinder dadurch für die spätere Erlernung eines Handwerks gelehriger und arbeitslustiger werden. So verbindet Faulhaber mit dem unbedingt erforderlichen praktischen Geschick – er selbst hat z. B. die in seiner Industrie verwendeten Maschinen erfunden – den gesunden sittlichen Blick, der nicht weniger werthvoll ist. Wie treffend ist sein Urtheil, wenn er sich gegen den Vorwurf vertheidigt, daß er mit seinen Vorschlägen die Schäden der Fabrikthätigkeit auch auf das Land verpflanze! „Es kommt doch immer darauf an,“ sagt er, „von wem und wie solche Arbeit organisiert wird und daß derartige Beschäftigung mit sittlichen Faktoren in Verbindung gebracht wird. Der Pessimist sagt: ‚Die Maschine ist Mechanismus, sie macht den Menschen geistlos arbeitend, verflacht ihn, sie erniedrigt ihn und verbraucht ihn unwürdig, oder aber – sie macht ihn entbehrlich, arbeitslos, arm.‘ Gerade so gut kann man umgekehrt sagen: Die Maschine ist Geist, sie schont die Kräfte des Menschen würdig, sie erleichtert die Arbeit und erspart ihm die schwere Arbeit.“

Wer sich näher für diese „Armenindustrie“ interessiert, der findet in der genannten Broschüre an der Hand hübscher Bilder eine genaue Schilderung der Fabrikation. Vielleicht läßt sich der eine oder andere durch den wohlthuenden Geist des Büchleins und den guten Zweck des Unternehmens bestimmen, zu dessen weiterer Ausbreitung selbst mit Hand anzulegen, damit dasselbe immer mehr werden kann, was es sein möchte, eine Hilfe für die „Aermsten der Armen“.