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Titel: Eine Abstimmung
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aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 585
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Eine Abstimmung.
Aus der guten alten Zeit.

Ungefähr in der Mitte unseres gesegneten neutralen Deutschlands, und zwar zu der Zeit, als dasselbe noch nicht zu einem bloßen geographischen Begriff zusammengeschrumpft war, sondern die Krone Karl’s des Großen noch auf dem Haupte eines deutschen Kaisers, wenn auch etwas matt und verblichen, glänzte, in einem der vielen kleinen Staaten, aus denen damals der große Reichskörper zusammengesetzt war, lag ein wohlbegütertes Bauerndorf, das wir aus strategischen Rücksichten Herbedorf nennen wollen, obwohl es unter einem andern Namen auf den Karten zu suchen ist. Besagtes Herbedorf umschloß mit seinen Mauern, die, beiläufig bemerkt, ihr Dasein dem Kaiser Heinrich dem Finkler und der Hunnennoth verdankten, ein liebendes Paar, das sich über den hoffnungslosen Starrsinn der Eltern gar sehr zu beklagen hatte.

Was wir bei unserer wahrhaftigen Geschichte verbürgen können, ist, daß sich der stämmige Schulzensohn Hannfried, der Stolz der männlichen Jugend des Dorfes, und Liesemargt, des Gemeindeschöppen Baltin Garbenbinder einzige Tochter, einander liebten, wie sich nur jemals ein Paar geliebt haben mag, das bei der Kirchweihe mitsammen auf den Plan zog, in den Spinnstuben sich neckte und schließlich mit einander nach Hause ging, sich zum öftern zankte und eben so oft mit einem herzhaften Schmatz Versöhnung feierte. Anfangs hatten die beiderseitigen Eltern nichts gegen das sich in alter hergebrachter Ordnung entspinnende Liebesverhältniß der jungen Leute einzuwenden gehabt; aber plötzlich wurden der Schulze und der Gemeindeschöppe Feinde, und zwar Feinde aus politischen Gründen und folglich recht grimmige Feinde. Diese Feindschaft war ein Hagelschlag, der das stille Liebesgärtchen zu zerstören drohte. Der Schulze verlangte von seinem hoffnungsvollen Sprößling nichts weniger, als er solle der blonden Liesemargt den Laufpaß geben, und wenn auch der Gemeindeschöppe dem Hannfried den Unverstand seines Alten nicht entgelten ließ, so sagte er doch, Liesemargt möge die Augen aufhaben und sich nicht wegwerfen, er getraue sich, ihr noch alle Tage einen Mann zu schaffen. – Trotz solchen Haders der Alten blieben die beiden Jungen sich in Liebe zugethan, und mußten sie sich öffentlich meiden, so kamen sie um so häufiger heimlich zusammen.

Sie hatten sich eben wieder recht innig umfangen. Die Mondessichel blinzelte aus den Wolken hervor wie ein alter Vertrauter, und die Blätter der Dorflinde rauschten leise. Die liebenden kümmerten sich weder um den Mond noch um die Linde, sondern allein um sich, wie es bei Liebenden zu geschehen pflegt in Stadt und Dorf. Wehe, da riß plötzlich eine nervige Faust die Umschlungenen auseinander; um Hannfried’s Wangen wetterte es, und Liesemargt hörte im Fliehen ein klatschendes Geräusch, wie wenn eine flache Hand mit einer fleischigen Wange in Berührung kommt. Liesemargt wird bei unsern schönen Leserinnen durch ihre feige Flucht nicht gewinnen, aber wir zeichnen nicht aus der Phantasie, sondern aus dem wirklichen Leben. Hannfried zürnte der Geliebten auch nicht wegen ihrer Flucht, er hätte im Gegentheil viel darum gegeben, hätte sie den verdächtigen Schall nicht gehört.

Es war der Schulze, der mit so roher Faust sein übertretenes Gebot rächte. Worte sprach er nicht viel; er war überhaupt kein Mann von vielen Worten. Hannfried wußte den Commentar zu der empfangenen Ohrfeige, zum Ueberfluß aber donnerte ihm der Vater noch zu: „Das sag’ ich Dir Junge! So wahr ich den Schulbau nimmermehr zugebe, so wahr geb’ ich nicht zu, daß Du die Liesemargt mir als Schwieger in’s Haus führst. Wonach sich zu achten!“

Mit dem Schulbau, auf den der erzürnte Mann anspielte, hatte es aber die einfache Bewandtniß, daß das Schulhaus zu Herbedorf seit Menschengedenken in einem entsetzlichen Zustande des Verfalls war, daß man schon vor vielen, vielen Jahren auf einen Neubau, wenigstens auf eine gründliche Restauration angetragen hatte, aber aus all den vielen Visitationen und Berichten erwuchs schließlich nichts, als die bittere Feindschaft zwischen dem Gemeindeschöppen und wenigen Verständigen, die zu ihm hielten, und dem Schulzen sammt seiner großen starrköpfigen Partei.

Was aber den Mann betrifft, der am meisten bei der Schulbaufrage mit betheiligt war, wir meinen den Schulmeister, so hatte sich derselbe bisher seufzend in das Unabänderliche gefügt. Als aber die Wände seiner Wohnung immer windschiefer wurden, so daß er sich jeden Morgen zu einem Dankgebet veranlaßt sah, daß das Dach noch nicht über ihm eingestürzt war, da riß auch ihm der langgesponnene Faden der Geduld, und er beschloß, einen entscheidenden Gang zu thun. Hatte die Regierung Gründe, ihren Befehl nicht mit Strenge durchzuführen, so wollte er sogleich an die „rechte Schmiede“ gehen, an den Herzog, bei dessen strengem Rechtssinn kein Ansehen der Person galt. Er zog daher eines schönen Morgens seinen Bratenrock an, setzte seinen besten Stürmer auf und wanderte nach Meiningen, der Haupt- und Residenzstadt des kleinen Fürstenthums, zu dem Herbedorf gehörte. Unangefochten gelangte er in das herzogliche Wartezimmer, von wo aus die Audienz suchenden Personen nach der Reihenfolge ihrer Anmeldung in die Gemächer des Herzogs geführt wurden.

Der Schulmeister hatte es sehr glücklich getroffen. Es befanden sich nur wenige Personen im Wartezimmer, und so hatte er Hoffnung, recht bald vorgelassen zu werden. Damals erkannte man noch mehr als heute einen Meister des Bakels auf zwanzig Schritte weit, und so war es nicht zu verwundern, daß ihn der herzogliche Kammerhusar, Herr Zeuner, sogleich mit seinem Titel anredete.

Herr Zeuner war übrigens ein durchaus volkstümlicher Charakter. Seinem Fürsten mit Leib und Seele ergeben, genoß er dessen vollstes Vertrauen und war trotz seiner Derbheit dessen steter unzertrennlicher Begleiter. Zeuner kannte die feinen Manieren scherwenzelnder Höflinge nicht; er ging mit dem Herzog um fast wie mit seines Gleichen, und der den edlen Kern in der rauhen [586] Schale würdigende Fürst nahm dem bewährten Diener nichts übel. Noch heute erzählt man sich manche ergötzliche Scene zwischen dem Herzog und seinem Kammerhusaren, die sich nicht einmal alle in ihrer ursprünglichen originellen Derbheit wiedergeben lassen. Eines Tages ging der Herzog aus und war bereits die Schloßtreppe hinab, als Zeuner bemerkte, daß der Herzog sein Taschentuch vergessen habe. Rasch eilt er damit an’s Fenster, sieht den Herzog eben über den Schloßhof schreiten, pfeift hinab und ruft: „Durchlaucht, Ihr Schnupftuch!“ Der Herzog wendet sich und antwortet: „Ei, kannst Du mir’s nicht herunterbringen?“ „Sie haben jüngere Beine als ich,“ versetzt Zeuner trocken und wirft das Tuch hinab. Der Herzog lacht, geht zurück und fängt das flatternde Tuch auf. Bemerken wir nun noch, daß der Kammerhusar als Meininger Stadtkind auch im Umgang mit dem Herzog den breitesten Dialekt sprach, so vermag sich der Leser wohl ein Bild von der originellen Persönlichkeit Herrn Zeuner’s zu entwerfen.

„Will wohl Zulage haben, he?“ sagte der Kammerhusar, als er dem Schulmeister die Nachricht brachte, der Herzog erwarte ihn. „Na, kann’s probiren; der Herzog ist guter Laune.“

„Ich hab’ ein ander Anliegen,“ antwortete der Schulmeister und folgte seinem Führer nach dem Audienzzimmer. Mit gutem Muthe war der Schulmeister gekommen, und er hatte sich seine Anrede an den Fürsten in Gedanken zurecht gelegt; jetzt aber klopfte ihm das Herz doch gewaltig, und er hatte fast Alles vergessen, als der Herzog Georg erschien und die klaren, durchdringenden Augen fragend auf ihm haften ließ. Das edle Antlitz des Fürsten mit der hohen, freien Stirne und der kühn gebogenen Nase war indeß so vertrauenerweckend, daß sich der Schulmeister ein Herz faßte und sein Anliegen vorbrachte, wie seine Dienstwohnung so baufällig sei, daß er jeden Tag befürchten müsse, sie stürze ihm über dem Kopf zusammen, wie die herzogliche Baucommission dies anerkannt und die herzogliche Regierung den Neubau befohlen habe, wie aber die Gemeinde sich hartnäckig weigere, dem Befehle zu gehorsamen.

Herzog Georg hörte den Bittsteller aufmerksam an, ließ sich über Manches näheren Aufschluß geben und erkundigte sich nach den Persönlichkeiten, die sich hauptsächlich als Gegner des Schulbaus bemerklich machten. Der Schulmeister gab über Alles genauen Bescheid und ward mit den Worten entlassen: „Geh’ Er in Gottesnamen! Ich will kommen und Seinen Bauern die Köpfe zurechtsetzen.“ Hoffnungsvoll verließ der Schulmeister das Audienzzimmer und erzählte Herrn Zeuner den Erfolg seiner Unterredung mit dem Fürsten.

Herzog Georg von Sachsen-Meiningen war ein Mann der That, der nicht gern in den Kanzleistuben herumschleppen ließ, was er selbst schlichten konnte. In das constitutionelle Wesen einer späteren Zeit hätte er wohl kaum gepaßt; aber dasselbe war auch der Anschauungsweise des damaligen Volkes fremd. In den patriarchalischen Zuständen jener Vergangenheit verlangte man vom Fürsten, daß er mit eigener Hand in das Getriebe der Staatsmaschine, die freilich weniger complicirt als heutzutage war, eingriffe und dem Hülfesuchenden persönlich Rath und Hülfe gewähre. Weil Herzog Georg diese Regentenpflicht rücksichtslos gewährte, weil der geringste seiner Unterthanen den Weg zu ihm offen fand, besonders aber weil der Herzog es liebte, mit dem Volke persönlich zu verkehren, und sich nicht scheute, die niedrigsten Hütten zu besuchen, darum ward er trotz mancher Schroffheit, trotz mancher gewaltsamen Handlung, die aus seiner Anschauung des Fürstenberufes entsprang, so allgemein verehrt, darum wird das Andenken des guten „Herzog Jörg“ noch heute gesegnet, und darum hört man noch heute von Zeitgenossen den ehrenden Ausspruch: „Es steht kein Herzog Jörg wieder auf!“ Aber Herzog Georg war nicht nur ein wohlwollender und volksfreundlicher Fürst, er war auch ein weiser und geistreicher Mann, er liebte und begünstigte die Wissenschaften und Künste, und es lag nicht an ihm, daß sein Hof nicht mit dem seines Herrn Vetters zu Weimar wetteifern konnte.

Am nächsten Sonntag ritt Herzog Georg mit seinem getreuen Zeuner nach Herbedorf. Er stieg am Pfarrhause ab und lud sich ohne Umstände beim Pfarrer zu Mittag ein. Die Gewohnheit des Herzogs, auf seinen Ausflügen im ersten besten Bauernhause einzukehren und mit dem Bewohner Hausmannskost zu theilen, war landkundig und trug viel zur Popularität des Fürsten bei. Auf einem dieser Ausflüge soll es geschehen sein, daß, als der heimgesuchte Bauer Obst auftrug und der Herzog ihn freundlich ermahnte, sich nicht allzu sehr zu berauben, dieser den Fürsten mit den Worten zum ungenirten Zulangen zu bewegen suchte: „Essen Sie nur zu; die Säu’ kriegen sie doch.“

Der Herzog war sehr gesprächig bei Tische. Er unterhielt sich mit dem Pfarrer über allerlei wissenschaftliche Dinge und zeigte sich in fast allen Fächern unterrichtet. „Wissen Sie,“ sagte er im Laufe des Gesprächs, „daß ich nun mit meinem Institute zu Dreißigacker so ziemlich im Reinen bin? Bechstein[1] hat zugesagt, und mit andern berühmten Gelehrten steh’ ich in Unterhandlung. Es soll eine Musteranstalt für Deutschland werden, so mir Gott Leben und Gesundheit und dem Werke Gedeihen schenkt. Es kann für ein Land nichts Nützlicheres geben, als eine solche Anstalt! Der Forstbetrieb liegt noch sehr im Argen, und unsere Jäger wissen nichts von der Wissenschaft. Die bloße Praxis aber thut’s nicht mehr. Ueberhaupt gedenk’ ich, noch mehr Gelehrte in mein Land zu zieh’n, damit wir uns nicht vor Weimar zu schämen haben, wo die Musen sich versammeln. Wenn ich mir auch keinen Goethe und Schiller und Wieland bestellen kann, so soll doch die Welt wissen, daß es außer Weimar noch ein Land giebt, wo das Genie mit offenen Armen aufgenommen ist. Das Land wird mir’s Dank wissen. Denn von den Tischen der Gelehrten, worunter ich aber nicht bloße Stubengelehrte verstanden wissen will, fällt immer ein Bröcklein Intelligenz für’s Volk ab, das daran noch gar sehr Mangel leidet.“

Ueber die Absicht seines Besuchs deutete er nur an, daß er wegen des Schulbaus einmal vernünftig zu den Leuten reden wolle. Der Pfarrer möge auf der Kanzel verkündigen, daß sich nach dem Gottesdienste die Ortsnachbarn unter der Linde, dem Platze für dergleichen Zusammenkünfte, einzufinden hätten. „Es kann nichts schaden,“ fügte er hinzu, „wenn Sie in Ihre Predigt etwas von dem Gehorsam gegen die Obrigkeit einfließen lassen. Gehorsam ist ein Ding, das Ihren Bauern noth zu thun scheint. Ungehorsame Unterthanen kann ich aber nicht brauchen. Ich habe meine Pflicht gegen Land und Leute immerdar vor Augen und im Herzen und handle so, daß in der Geschichte meines Landes mein Name mit Ehren genannt werden kann. Ich liebe meine Unterthanen und will nichts als ihr Glück; aber gehorchen sollen sie!“

Das Gerücht von der Anwesenheit des Herzogs hatte sich wie ein Lauffeuer im Dorfe verbreitet; daß er mit seinem Besuche einen besonderen Zweck verband, ahnte außer dem Pfarrer nur Einer – der Schulmeister. Erst als der Geistliche im Namen des Durchlauchtigsten Herrn die Gemeinde zur Versammlung berief, ging Manchem ein Licht auf. Dennoch waren die Hartnäckigsten entschlossen, nicht nachzugeben, und der Schulze studirte eine Rede ein, worin er die Unvermögenheit der Gemeinde, den Schulbau aus eigenen Mitteln zu bestreiten, gründlich nachweisen wollte.

Nach Beendigung des Nachmittagsgottesdienstes, an dem auch der Herzog Theil genommen, fanden sich die Nachbarn auf dem Versammlungsplatze ein. Die Parteien hielten sich gesondert. Der Gemeindeschöppe mit seinem Anhang triumphirte; die Andern steckten die Köpfe zusammen, und Einer ermuthigte den Andern im Widerstande. „Man kann uns nichts anhaben, wenn wir die Schule nicht bauen,“ demonstrirte der Schulze. „Wir haben kein Geld und damit Basta! Die Obrigkeit ist allerdings von Gott eingesetzt, wie der Herr Pastor gesagt hat, und wir sind ihr auch unterthan in allen Stücken; aber wo nichts ist, hat auch der Kaiser das Recht verloren.“

Die Gemeinde war vollständig beisammen, als der Kammerhusar Zeuner erschien, in Begleitung eines Knechtes, der einige Bunde Stroh trug. Er ließ das Stroh auf der einen Seite des Platzen niederlegen, ordnete einige Bunde wie zu einem bequemen Lager und legte das letzte Bund quer darüber. Verwundert schauten die Bauern drein; die Bedeutung dieser Anstalten blieb ihnen ein Räthsel. Einige schlichen um den Kammerhusaren herum und suchten ihn auszuforschen; aber Zeuner gab keine Antwort als die: „Abwarten!“

Jetzt trat der Herzog vor die Versammlung, zu seiner Linken das räthselhafte Strohlager. Alle Hüte flogen von den Köpfen: ehrfurchtsvoll erwiderten die Männer den Gruß des Fürsten.

„Ich bin gekommen, um ein paar verständige Worte mit Euch zu reden,“ begann der Herzog. „Es ist mir zu Ohren gekommen, [587] daß Euer Schulhaus in einem höchst miserablen Zustande sein soll, und ich hab’ mich mit eignen Augen überzeugt, daß dem also ist. Ja, als Hundestall und Schafhütte würde die Baracke zu schlecht sein, in der Ihr dem verdienten Lehrer Eurer Kinder zu wohnen zumuthet, in dem Ihr Eure eignen Kinder der Gefahr aussetzt, erschlagen zu werden. Schämt Euch dessen! Ferner ist mir berichtet worden, daß Euch längst befohlen worden ist, das alte Haus von Grund aus abzureißen und ein neues zu bauen, daß aber die Mehrzahl von Euch diesem Gebote beharrlichen Trotz entgegensetzt. Ist das wahr?“

Der Schulze, auf den die Augen des Landesherrn vorzugsweise gerichtet waren, nahm all seinen Muth zusammen und wollte sprechen. Er drehte den dreieckigen Hut in der Hand, räusperte und konnte das rechte Wort nicht finden. „Durchlauchtigster Herzog,“ stotterte er, „Durchlauchtigster Herzog wollen in Gnaden geruhen, zu bedenken, zu entschuldigen, zu verzeihen –“

„Gut, gut!“ unterbrach ihn der Fürst. „Ich glaub’ es nicht, was man mir von Eurem Ungehorsam, Eurem Trotz gesagt hat. Ich weiß, daß die Gemeinde Herbedorf die Mittel besitzt, eine anständige und zweckmäßige Wohnung zu bauen, und daß es nur der vernünftigen Vorstellung bedarf, um sie zu ihrer Pflicht zu vermögen. Zwingen will ich Euch bei alledem nicht. Es soll Jeder seinen freien Willen haben, und wenn die Mehrzahl von Euch den Bau nicht will, so mag er verbleiben – auf Eure Gefahr.“

Auf einen Wink des Herzogs trat Zeuner hart an das Strohlager, zog eine Hetzpeitsche unter dem Rock hervor, schlug das Riemenende derselben zurück, schlang es um die Hand und machte eine sehr bezeichnende Bewegung.

Herzog Georg fuhr unterdessen fort: „Ich will zu diesem Zweck unter Euch abstimmen lassen. Wer der Meinung ist, daß die Gemeinde Herbedorf ein neues Schulhaus bauen soll, der trete daher auf die rechte Seite, wer dagegen ist, dorthin auf die linke!“

Auf der linken Seite stand aber eben Zeuner’s drohende, peitschenbewaffnete Gestalt, deren verdächtiges Gebehrdenspiel die Bauern mit Entsetzen erfüllte. Auf der rechten Seite standen bereits der Gemeindeschöppe und seine Genossen, auf der linken noch niemand. Da schlich auch der Schulze langsam und gesenkten Hauptes der Rechten zu, und seine Anhänger folgten ihm nach, also, daß die ganze Gemeinde eines Sinnes zu sein schien.

Ein kaum merkliches Lächeln spielte um die Mundwinkel des Herzogs. „Es freut mich,“ sagte er, „daß ein vernünftiges Wort eine gute Statt bei Euch findet. Ich habe nicht einen Widerspenstigen unter Euch getroffen, sondern Ihr habt Euren guten Willen einstimmig ausgesprochen. Geht denn mit Gott an’s Werk! Ich aber werde ferner Euer gnädiger Herzog sein!“

Der Herzog hatte kaum ausgesprochen, als eine laute Stimme außerhalb der Versammlung rief: „Unser Herzog soll leben, vivat hoch und drei Mal vivat hoch!“ Es war Hannfried, der dabei die Mütze in der Luft schwenkte und sich so ausgelassen gebehrdete, als sei er auf dem Tanzboden und das Kirmesbier spuke ihm im Kopfe. Der Schulze stand wie auf Kohlen und schoß seinem Sprößling manchen zornigen Blick zu, der leider immer sein Ziel verfehlte. Der Herzog winkte endlich den Ueberlauten herbei und fragte ihn nach seinem Namen.

„Ich bin des Schulzen Aeltester,“ war die Antwort, „und ich bin deswegen so lustig, weil ich nun doch die Liesemargt heirathen darf. Der Vater hat’s mir versprochen, wenn er in den Schulbau einwilligen thäte, dann sollt’ ich auch die Liesemargt haben. Wenn Sie nun noch ein durchlauchtigstes Wörtchen dazu sprechen möchten –“

„Da kann ich Dir nicht helfen, Bursche!“ versetzte der Herzog. „In seinem Hause ist Bürger und Bauer ganz allein Herr. Wenn aber Dein Mädchen brav ist, so wird der Vater nichts dagegen haben, und ein ehrlicher Mann hält auch sein Wort. Wenn Du Hochzeit machst, komm’ zu mir, Deine Aussteuer zu holen, und Deinem ersten Jungen bin ich Pathe. Komm, Zeuner! Gott behüt’ Euch, Ihr Männer!“

Ein vielstimmiges Lebehoch schallte dem Fürsten nach, der bald darauf nach einem herzlichen Abschied vom Pfarrer mit seinem getreuen Kammerhusaren in die Stadt zurückritt. Selbst der Schulze schwenkte den Hut, dann reichte er dem Gemeindeschöppen die Hand, die dieser mit einem kurzen: „’s bleibt beim Alten!“ drückte. „Dir aber,“ wendete er sich an Hannfried, „sollt’ ich ungebrannte Asche auf den Buckel geben. Seinen Landesherrn mit solchen Alfanzereien zu molestiren! Die Liesemargt magst meintwegen haben. In vier Wochen ist Hochzeit. Merk’s!“

Der Schulmeister freute sich des Erfolgs seines Gangs „vor die rechte Schmiede“; die Bauern aber waren nun alle mit dem Schulbau einverstanden. „Es hat’s uns Keiner so vorgestellt, wie unser Herzog Jörg!“ meinten sie; die Hetzpeitsche und der Strohhaufen wurden mit keiner Sylbe erwähnt. Die Geschichte aber ward dennoch weiter erzählt, und es lebt noch Mancher, der sie als Kind aus der Ferne mit angesehen hat.

Die Kunst, die Parteien unter einen Hut zu bringen, war freilich in der guten alten Zeit etwas ungeschlachter Natur; aber wer sie zum Guten anzuwenden wußte, dem sah man gern die rauhe Form nach, die freilich in unserem erleuchteten Zeitalter unendlich verfeinert worden ist. War auch die Ruthe manchmal scharf, die er zu kosten gab, so befand sich Land und Volk doch vortrefflich unter dem väterlichen Regimente des Herzog Jörg, und die Söhne und Enkel jener Männer von Herbedorf nennen noch mit Ehrfurcht seinen Namen.



  1. Joh. Matthäus Bechstein, der bekannte Ornitholog, Onkel des Dichters Ludwig Bechstein.