Eine „monumentale“ Geschichte

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Titel: Eine „monumentale“ Geschichte

Launiges aus der Zeit der schweren Noth

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aus: Die Gartenlaube, Heft 35, S. 575–577
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Eine „monumentale“ Geschichte.

Launiges aus der Zeit der schweren Noth.

Es war gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts, der Corse begann Europa seine Gesetze zu dictiren. Die Heere der „siegreichen Republik“ hielten das linke Rheinufer besetzt und französische Behörden nisteten sich allerorten ein.

Es brach eine schwere Zeit an für deutsche Herzen!

Auch die alte Selbstständigkeit der „freien Haupt- und Kronstadt Aachen des heiligen römischen Reichs“ wurde zu Scherben vor dem gewaltthätigen Eroberer. Französische Generäle waren die Gebieter der Stadt.

Der ganze Apparat gallischer Volksbeglückung wurde sofort in Scene gesetzt – Wohlfahrtsausschuß, Jacobinerclub und Freiheitsbaum. Die neuen Gewalthaber räumten gründlich auf in dem Wesen der ehrwürdigen Stadt. Auch die alte Gerichtsordnung wurde umgestoßen und mit ihr deren äußere Zeichen – das peinliche Hochgericht vor dem Königsthor und der Pranger oder die Strafsäule, das Gerichtszeichen des Rathes.

Diese Schandsäule, im Volksmunde Kaaks, auch Kaatsch genannt, erhob sich, ein schwarzer Granitsäulenstumpf, über vier breiten Stufen von gleichem Material, auf dem hinter dem Rathhause gelegenen Gerichtshofe, wo das öffentliche Sendgericht zu tagen pflegte.

Unter Vorantritt des Wohlfahrtsausschusses, sowie der unentbehrlichen „Jungfrauen“ mit Phrygischer Mütze, zog die Menge, durch glühende Reden begeistert, dorthin, und unter dem unermeßlichen Jubel der Anwesenden wurde das unliebsame Zeichen der strengen Herrschaft des Rathes umgestürzt.

Der Säulenstumpf, sowie die Stufen wurden von den bei solchen Gelegenheiten stets vorhandenen arbeitslustigen Händen in das „Grashaus“ geschleppt. Der eiserne Halsring der Säule ging wohl bei diesem Transport verloren und so lag sie bald, ihres früheren Charakters gänzlich entkleidet, unter anderem städtischen Baumaterial, welches dort aufgestaut war. Draußen auf dem Platze aber erhob sich an ihrer Stelle der blumengeschmückte Freiheitsbaum, und um denselben begann die obligate Feier.

Andere Zeiten zogen herauf. Aus dem ersten Consul war der stolze Imperator geworden, und wenn Aachen in den ersten Jahren auch materiell mächtig aufblühte, so ruhte die Fremdherrschaft doch schwer auf der stolzen Stadt, welche, ihrer früheren politischen Bedeutsamkeit beraubt, als einfache Departementsstadt den Präfectenzügel unwillig ertrug, und den alteingesessenen Bürgern brannte die Fremdherrschaft in der Seele. Vergebens bemühten sich die Präfecten in späterer Zeit die Gemüther für die Napoleoniden zu gewinnen, wenn sie auch Alles aufboten, um in den jeweilig in Aachen weilenden Mitgliedern des Kaiserhauses den Glauben, daß die Volksliebe mit ihnen sei, zu erwecken. …

Ein ganz besonderes Gefallen hatte Napoleon’s Lieblingsschwester, die schöne Pauline Borghese, an Aachen gefunden und weilte gern in der leichtlebigen Badestadt, in welcher zu jener Zeit außerordentlich viel „Welt“ zusammenzuströmen pflegte. Hohes Spiel, vornehmer Cercle und reizende Umgebung waren für sie die mit den berühmten Bädern gleich anziehenden Reize des [576] Orts. Ihr Lieblingsaufenthalt war das noch jetzt nach ihr benannte Paulinen-Wäldchen, welches, im Nordwesten der Stadt auf den zur Wurm abfallende Höhen gelegen, einen weiten Blick in die wirklich entzückende Landschaft gewährte und mit seinen lauschigen Eichen- und Buchenhallen zur Rast in sommerlicher Zeit einlud. Gern ließ sie dort ihren Wagen halten und stieg aus, um, an den Waldrand gelagert, das bunte Farbenbild zu ihren Füßen, das wellige, von Soers und Wurm durchschlängelte Feld, die thurmreiche Stadt, umgrenzt von waldreichen Höhen, zu betrachten. Es ging ja überhaupt ein warmer Zug für die Natur durch jene widerspruchsvolle Zeit.

Im Jahre 1809, als Pauline wieder einen Sommer in Aachen zubrachte, war der aalglatte, gewandte Ladoucette Präfect des Roerdepartements, und ihm gelang es, wie keinem Anderen, die einflußreiche Frau in Aachen zu fesseln. Nicht das unwirksamste Mittel dazu war sein Geschick, in der heiteren, leichtgläubigen Prinzessin den Wahn zu erwecken, als werde sie ganz besonders hier im Lande geliebt und verehrt, und sein erfinderischer Geist war in dieser Richtung rastlos thätig.

Potemkin zeigte ja einst seiner durch die verarmten Gaue Rußlands reisenden Kaiserin blühende Dörfer und in diesen Dörfern ein Feste feierndes „glückliches Landvolk“ – aber die Dörfer waren bekanntlich von Pappe und das „glückliche Landvolk“ von Ort zu Ort versetzte Schauspieler –. Herr Ladoucette bildete sich nach gutem Muster …

Wenn die Prinzessin in ihrem lieben Wäldchen weilte, dann kamen wohl oft festtäglich geschmückte Kinder aus den umliegenden Dörfern und Gehöften und brachten Waldblumenbouquets, auch Erdbeeren in zierliche Binsenkörbchen, oder ein paar niedliche Bauernmädchen erschienen, um unter Blumenspenden die „angebetete“ Fürstin glückwünschend zu begrüßen – lauter Ladoucette’sche Puppen à la Potemkin.

Aber die „liebe Prinzessin“ freute sich so sehr darüber – etwas Sentimentalität geht ja so oft Hand in Hand mit etwas viel Leichtsinn – und sie sprach dem Präfecten ihr Entzücken aus, daß ihr dies Plätzchen doch so lieb sei vor allen. Das rief in dem gewandten Höfling einen Gedanken wach – Stimmungen von Damen sind oft nicht von langer Dauer –, die Paulinen- Wäldchenlaune war heute bei der Gnädigen so recht in Blüthe – das mußte ausgenutzt werden!

Wie wär’s, wenn an dieser Stelle, wo die Prinzessin so gern weilte, sich über Nacht ein Etwas hinzaubern ließe, was neuen Reiz in sich schlösse? Doch was? Und schnell muß so etwas geschehen! Wo etwas zweckentsprechendes Fertiges finden? – Herr Ladoucette lächelt – er hat’s gefunden! Bei einer neulichen Revision der städtischen Bauten hat der Herr Präfect im „Grashause“ eine wohlerhaltene schwarze Granitsäule liegen sehen – wenn man die herbrächte? Etwas Politur, etwas Inschrift darauf und dann den Glauben erweckt, das „treue Volk“ habe der „verehrten“ Prinzessin diese Aufmerksamkeit bereitet – das wird Effect machen bei der erregbaren Napoleonidin – gewiß –! Charmante Idee! – – Im „Grashause“ arbeiten in der folgenden Nacht bei Laternenschein die Steinmetze, da wird gehämmert und geglättet, Wagen werden beladen und rollen dumpf über das Pflaster. Durch das Sandkantthor, welches dem vorgezeigten Passirscheine des Präfecten sich öffnet, ziehen die Fuhren in nordwestlicher Richtung davon.

Seltsam, wie nächsten Tags (durch den Präfecten geschickt dirigirt) bei dem ganzen Hofe der Prinzessin die „Wäldchen“- schwärmerei grassirt! Die Kammerfrauen, die Friseuse, die Hofdamen – Alle finden es entsetzlich schwül in der Stadt – welch kostbar erfrischende Luft war doch gestern da oben! Bei Tafel fächelt der ganze weibliche Hof – der Präfect weht sich Kühlung mit dem Taschentuch – eine Ausfahrt, Waldschatten – Hoheit stimmen zu – en route! – – – Sind da Feenhände thätig gewesen? Haben die Heinzelmännchen gearbeitet?

Auf der Prinzessin Lieblingsplatz erhebt sich eine einfache schwarze Granitsäule, sie trägt in goldenen Lettern die Inschrift:

„A la vertu de la princesse“.

Laubgewinde umgeben den Stein, und eben kommen ein paar von den „niedlichen“ Kleinen aus dem Walde gehuscht und streuen Blüthen von Buschrosen und Anemonen auf den Sockel – entzückend!

[577] Pauline, ganz beglückt, beschenkt das kleine Völkchen – und höher färbt der Freude Glanz ihr Antlitz, als Ladoucette, anscheinend nicht für der Fürstin Ohr berechnet, etwas flüstert, was so klingt wie: „Wirklich brav von den Leuten, guter Sinn im Volk!“

Also von ihrem lieben Landvolke rührt die Ueberraschung her – das setzt der Freude die Krone auf! Die Prinzessin ist aus dem Wagen gestiegen und nähert sich dem Denkmal, um die Inschrift noch genauer lesen zu können – à la vertu –!

Aber was sind das für ungezogene Burschen, die da unweit am Waldrande stehen und kichern, als ob etwas außerordentlich Spaßhaftes hier vorgehe; – und da kommen neue Spaziergänger, ältere Bürger, von Aachen her; mürrisch ziehen sie den Hut und wollen vorbei gehen. Aber kaum haben sie das Denkmal gesehen – da schallt aus ihrem Munde ein Lachen – ein so wenig respectvolles, urwüchsiges deutsches Lachen, wie es Pauline vielleicht noch nicht gehört hat, und es klingt der Ruf des einen alten Herrn: „Ma Göddet, dat es ja der Kaatsch!“

Es muß ein Bild von unbeschreiblicher Komik gewesen sein, dieser nun folgende Uebergang „vom Erhabenen zum Lächerlichen“. Pauline fordert mit der den Napoleoniden eigenen Heftigkeit Aufklärung – der Hof ist consternirt – der Präfect möchte vor Scham und Wuth in die Erde sinken, da er sofort den Zusammenhang erräth. Das eitle Weib muß nun die Schmach erfahren, daß die ihrer „Tugend“ gewidmete Säule der alte Aachener – Pranger ist, der echte, nur aufpolirte und „à la vertu“ frisirte Original-„Kaatsch“, an welchem die Hefe des Volkes – Landstreicher und Diebesgesindel – seit grauer Zeit, an den Halsring geschmiedet und der Verachtung preisgegeben, seine Strafe verbüßt hatte.

So enthüllte sich die ganze „Volksliebe“ als – Präfectenschwindel, und mit Hohnlachen begrüßten die deutschgesinnten Bürger der alten Kaiserstadt diesen Streich der Vergeltung, welchen sich die französischen Eindringlinge selber gespielt.
D.