Ein unverwüstlicher Stoff
[304] Ein unverwüstlicher Stoff. Zur Zeit des letzten italienischen Krieges wurde der Gartenlaube unter dem Titel „Die erste Waffenthat. Aus den Erinnerungen eines österreichischen Officiers“, die Erzählung einer Episode mitgetheilt, die sich in jenem Kriege zugetragen haben sollte. Die Geschichte war interessant, die Form ihrer Darstellung gewandt, und die Redaction, welche keinen Grund hatte, an der schriftstellerischen Ehrenhaftigkeit des Einsenders zu zweifeln, nahm die Skizze als einen Originalartikel in die Spalten ihres Blattes auf. Später erfuhr sie – denn keine Redaction in der Welt kann Alles gelesen haben, was in irgend einer Literatur erscheint oder erschienen ist – daß die hübsche Erzählung lediglich die Bearbeitung einer schon zehn oder zwölf Jahre früher veröffentlichten kleinen Novelle von Prosper Mérimée war. Unumwunden gestanden wir darauf ein, daß man uns getäuscht hatte.
Jetzt hat das ergötzliche Stücklein jedoch abermals seine Dienste thun müssen. Man hat es auf schleswig’schen Boden verpflanzt, in das blutige Gefecht von Oeversee, dem neuen Locale angepaßt und geeignet zugeschnitten, legt es einem der nach der Heimath zurückgebrachten verwundeten österreichischen Officiere in den Mund und tischt es als funkelnagelneue Kriegsthat in den Frankfurter Familienblättern, der Beilage zum Frankfurter Anzeiger, mit unbefangener Gemüthlichkeit dem Publicum frisch drauf los wieder auf.
Wahrhaftig, dem guten Mérimée muß das Herz im Leibe lachen über die Unverwüstlichkeit seiner Novelle; nichts kann ja die Trefflichkeit seiner Skizze schlagender darthun, als dies beständige Wiederaufleben derselben in allerhand Form und Gewand. Und wer mag absehen, in wie vielen Metamorphosen die Episode noch in der deutschen Journalistik sich umtreiben wird?
Indeß hielten wir es doch für das Beste, unsere Leser vor diesem „unverwüstlichen Stoffe“ zu warnen.