Ein ungarisches Königsschloß

Textdaten
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Autor: Michael Klapp
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Titel: Ein ungarisches Königsschloß
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 81–84
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Ein ungarisches Königsschloß.


Von Michael Klapp.


Cavaliere haben bekanntlich ihre noblen Passionen, die sie sich theils bezahlen, theils Anderen schuldig bleiben. Besteht erst ein ganzes Volk aus Cavalieren, wie man von dem magyarischen behaupten könnte, aus geldstolzen, zum Theil verarmten, aber stets ahnenstolzen Cavalieren, so macht es seine Passionssachen nicht besser. Und Ungarn hat seine alten Passionen, hat deren, namentlich seit dem Jahre des Heils, in dem König Franz Joseph der Erste seinen Frieden mit ihm gemacht und seine politische Selbstständigkeit anerkannt hatte, wahrlich nicht wenige. Eine Schuld von über zweihundert Millionen ist lebendige

Schloß Gödöllö in Ungarn.

Zeugin hierfür. Bei der großen Ehrfurcht, welche die Kinder des Ungarlandes vor den Gewohnheiten und Gepflogenheiten ihrer Altvordern und Altvordersten, bei der Vorliebe, welche sie für alles haben, was einst in altersgrauer Zeit ihre Väter gethan, und wären das auch Dinge, die das milde Aufklärungslicht unserer Zeit nicht mehr vertragen, bei dem heillosen Respect vor allem „Avitischen“, wozu bis vor ganz kurzem auch noch die Todtschlägereien bei den Landtagswahlen und der Prügel des Herrn Stuhlrichters gehörten, kann es nicht Wunder nehmen, daß sie auch die noblen Passionen und Bräuche der Väter nicht vergessen. Ein solcher nobler, alter Brauch des Magyarenvolkes brachte es mit sich, daß der ehrsamen Landesfrau, wenn sie zur Krönung schritt, ein „Krönungsgut“ dargebracht wurde. Da kamen dann die Magnaten und offerirten der neuen Königin ein großes Stück Landes, ein Schloß im Walde oder ein fettes Gut in wein- und maisreicher Ebene, je nachdem die großen Herren eben in der Gebelaune waren und je nachdem sie gerade mit dem Landesherrn in herrlichem Frieden oder auf schlechtem Unterthansfuße lebten.

Die ersten neunzehn Jahre der Regierungszeit Franz Joseph des Ersten waren bekanntlich nicht darnach angethan, in den Magyaren große Sehnsucht nach seiner Krönung wach zu rufen. Im Gegentheil. Der Groll wucherte an der Donau und der Theiß von Jahr zu Jahr mehr auf; die Nation wollte das Brod, das constitutionelle Brod seiner Väter und bekam doch nur die Steine des Herrn von Bach. Der Kaiser und seine Räthe gingen, so oft sie auch kamen, unbeliebt wieder von dannen, und keine Ungarseele frug nach der schönen Königin. Im Sommer 1867 endlich gab es Versöhnung zwischen Land und Reich, zwischen Volk und König von Ungarn.

Die Sonne von Königgrätz hatte das Eis, das sich in starker Kruste zwischen Deutsche und Ungarn in Oesterreich angelegt, zum Schmelzen gebracht; man einigte sich hüben und drüben und der durch achtzehn Jahre anerkennungslos regierende König der Magyaren ging nach Budapest, um sich seine Anerkennung zu holen und sich zum König krönen zu lassen.

Und da kamen denn die Magnaten wieder, von denen einige, wie z. B. Graf Andrassy, Anno 1848 dem kaiserlich-königlichen Galgen rechtzeitig entgangen waren, um neunzehn Jahre später dem Throne am nächsten stehen zu können, und brachten der schönen Königin ihre ritterliche Huldigung dar. Wußten sie ja doch seit Längerem, daß Elisabeth ihrer Nation sehr gewogen, daß sie ihre Sprache, die der Tochter Baierns nicht leicht geworden sein mag, mit Eifer erlernt und gern und vortrefflich spreche, daß sie ihre Dichter liebe, ihre erste Gesellschafterin [82] und Vorleserin und ihren intimsten Umgang dem Ungarvolke entnommen und die Zeit herbeigewünscht, wo der endliche Friede mit Ungarn ihr gestatten würde, ihrer romantischen Sehnsucht nach Land und Leuten jenseits der Leitha Genüge zu thun. Einer solchen Königin gegenüber schien bloße ceremonielle Huldigung den Großen des Landes zu wenig, und der alte Brauch der Verabreichung eines „Krönungsgutes“ kam ihnen wieder in den Sinn.

Solch schöne und der Nation gewogene Königin mußte beschenkt werden – das sahen die Herren, die alle dazumal nach langer Zeit wieder in ihren diamantenstrotzenden Kalpaks, Dolmans und reich geschmückten Waffen durch die Straßen Pests schritten und es wieder in ihren prächtigen Palästen lebendig werden ließen nach so vielen Jahren der Zurückgezogenheit und politischen Trauer, sehr wohl ein. Und sie gingen hin und griffen in den Säckel des Landes, den sie ja von jeher als den ihren zu betrachten gewohnt waren, und suchten der schönen Königin ein Krönungsgut aus. Schloß Gödöllö war dazu ausersehen, das Krönungsgut der Königin Elisabeth zu werden. Mit drei Millionen Silbergulden ward es angekauft – ob es heute schon ganz bezahlt sein mag? –, vom Grunde auf restaurirt, hergestellt, eingerichtet und der Königin verehrt, die es dann so rasch lieb gewann, daß sie beinahe den größeren Theil des Jahres aus den Salons und Gefilden von Gödöllö gar nicht hinwegkommt.

„Dann muß dieses Gödöllö wohl ein herrlicher Fürstensitz sein?“ höre ich die Leser fragen. Wenige Menschen, die das Krönungsgut kennen gelernt, werden dies so ganz behaupten können. Man muß vielmehr ein hartgesottener Stock-Magyar, was man so einen „Magyar ember“ nennt, sein, um Gödöllö herrlich zu finden – man muß von der in den Theißebenen freilich viel verbreiteten, aber deshalb noch immer nicht durch die Erfahrung bestätigten Ansicht erfüllt sein, daß „magyarisch“ und „herrlich“ synonyme Begriffe seien, um sich frei und ungenirt der Bewunderung jenes Fürstensitzes an der Pest–Losonzer Bahn widmen zu können. Leuten, welche die Welt gesehen, welche sich in Compiègne und Fontainebleau herumgetrieben, die preußischen Königsschlösser kennen gelernt, in den lieblichen Winkeln von Windsor geträumt, die stylvoll schönen Besitzungen italienischer Nobili angestaunt, werden Gödöllö kaum zu den schönsten Landsitzen der europäischen Welt zu zählen vermögen. Schönbrunn, Laxenburg und sogar Hetzendorf – was seid ihr für Paradiese gegen das Königsschloß von Gödöllö!

Und doch – Kaiserin Elisabeth mag nicht mehr viel von euch wissen, seitdem ihr die „ritterliche“ Nation das Haus am Rakosch-Felde als Morgengabe zur Krone des heiligen Stephan dargebracht. Sie meidet euch, soviel sie nur kann, wandelt nicht gern in euren lauschigen Alleen, auf euren Blumenparterren und Glorietthöhen, welche die Lieblingsplätze so vieler ihrer hohen Vorgängerinnen auf dem Throne gewesen; sie kommt selten, und kommt sie, so kommt sie nur, um rasch wieder nach Gödöllö von dannen zu ziehen – die Laune einer Königin! Wer will ihr mit Gründen beikommen, ihr nachgehen bis zum Ursprungsquell? Gödöllö ist schön; Gödöllö ist herrlich – „la reine l’a dit; die Königin hat’s gesagt.“

Sehen wir es uns einmal an! Von Pest aus erreichen wir es mit der Hatvaner Bahn in kaum einer halben Stunde. Ein hübscher Herbsthimmel liegt über der weithingestreckten Ebene, die das Rakosch-Feld genannt wird, aber er vermag nichts mit seinen leicht schimmernden Lichtern für die Landschaft zu thun.

Es giebt Landstriche, aus denen der echteste italienische Himmel nichts zu gestalten vermöchte, über welche die Schönheit keine zaubervolle Gewalt hat. Ein solcher ist der „Rakosch“ bei Pest; was landschaftliche Langeweile zu bieten vermag, er bietet es, ja er überbietet es. Da giebt es keine sanftgeschwungenen Linien, weit und breit kein Hügelchen, keinen waldbekränzten Berg; das reine Husarenterrain könnte man den Rakosch nennen. Und wirklich hat es schon mehr Schlachten- als Landschaftsmaler gereizt. Die Schrecken des Krieges sind über den Rakosch zu wiederholten Malen dahingezogen, und so manche „wilde Jagd“ hat er, von Rakozy’s bis auf Kossuth’s Zeiten herab, über sein ödes Gefilde dahinjagen sehen.

Kriegerische Naturen, deren Phantasien gern die Gewaltpfade der Geschichte rückwandeln, mögen sich auf Gödöllö, das so oft den Schauplatz blutiger Thaten abgegeben, wohlbefinden und auf all die „Husarenstückchen“ horchen, deren um das Königsschloß herum jedes Fleckchen Erde zu erzählen hat, denn von alten und modernen Helden der Nation weiß die Umgegend Gödöllös viel zu erzählen, von Helden der Kriegssage und Helden der Geschichte, von tapferen Männern des Volkes und ihren streitlustigen Feinden, von Görgey und Kossuth, von Windischgrätz und Haynau. Gödöllö hat sie bei sich gesehen, wenn die Würfel der Schlacht bald für diesen, bald für jenen Theil gefallen waren und viele, viele Söhne dieses Landes, vereint mit vielen, vielen Söhnen deutscher und slavischer Erde, den Rakosch mit ihren entseelten Leibern weithin gedeckt hatten.

„C’est la guerre“ – das ist der Krieg!“ ruft vielleicht die schöne Königin, während sie durch den Park dahinwandelt oder mit verhängten Zügeln über die weite Ebene jagt, wenn die bleichen Schatten der Vergangenheit zudringlich sich ihr in den Weg stellen, und dann wandelt die schöne Frauengestalt, ein kleines, zierliches Geschöpfchen an der Hand führend, weiter, oder die kühne Reiterin sucht nach ein paar Hindernissen, die zu „nehmen“ sind; sie thut es mit derselben Lust, mit der an derselben Stelle früher einmal der Husar lebendigen Hindernissen an den Leib gegangen.

Die reitende Königin mag es auch sein, die Schloß Gödöllö so lieb gewonnen hat. Königin Elisabeth ist eine Passionsreiterin, eine der kühnsten, die der Sport unter den Frauen hat. Stundenlange Ritte auf weiter, menschenleerer Ebene sind ihre Lieblingsbeschäftigung.

Meilenweit umher hat der Häusler und Gutsbesitzer des Rakosch seine Königin immer nur zu Pferde gesehen. Und sie ist ein prächtiger Anblick, wie sie, den schlanken Oberkörper in graziösen Linien wiegend, fest und sicher, wie über dem Sattel schwebend, von ihren Lieblingshunden, zwei prächtigen Thieren, gefolgt, dahin jagt, die Oede, die vielleicht für sie keine ist, weil sie dieselbe mit ihrer Sportphantasie zu bevölkern weiß, so recht genießend. Und nicht nur ein prächtiger Anblick, auch ein seltener ist sie, da man unter den Großmüttern des Landes wohl kaum noch eine zweite finden dürfte, die der Reitpassion mit solcher Leidenschaft und solcher Kraft obzuliegen vermag. Für ein Reitervolk, wie die Magyaren doch sind, bedeutet eine solche Virtuosität nicht wenig, und sie wissen dieselbe an der Königin nicht hoch genug zu schätzen. Ein gewisser Grad von Tapferkeit ist ja immerhin mit dieser Passion eng verbunden, und Naturvölker missen auch im Weibe die Tapferkeit nicht gern. Der Reiterstolz ist also das Erste, was aus dem Magyaren spricht, wenn er auf diese seine Königin zu reden kommt.

Die Aristokratie des Landes, die bekanntlich auf allen Sportfeldern Europas sich hervorzuthun weiß und aus der ein Graf Sandor (Vater der Fürstin Melanie Metternich) hervorgegangen, um den sich ein ganzer Reitermythenkreis gebildet, hat erst recht an Königin Elisabeth ihre Freude und schafft Gelegenheiten, um sich der hohen Sportgenossin im allem Sportglanze zeigen zu können. Auf dem Felde des nahen Dorfes B. arrangirt sie alljährlich Herbst- und Frühlingsrennen und entwickelt da ihren alten gediegenen Reiterglanz, das Auge der Königin nicht wenig erfreuend. Ist der Kaiser und König im Schlosse, zumeist dann, wenn Regierungsgeschäfte ihn auf die Residenz in Ofen durch Wochen hindurch anweisen, so sind die langen Ritte erst recht das Hauptvergnügen des Hofes von Gödöllö, da Franz Joseph der Erste doch selbst ein kühner Reiter vor dem Herrn ist.

Es ist noch ein Glück für die gekrönten Insassen von Gödöllö, daß ihre Passion sie so oft hinausführt aus den Räumen des Schlosses, denn drinnen in seinen Mauern wachsen die Reize nicht üppig. Es ist ein ziemlich weitläufiger, aber auch ziemlich langweiliger Bau, der sich weder durch Styl, noch durch Eleganz auszeichnet. Wie bereits einmal gesagt, darf man mit Gedanken an andere bekannte Fürstensitze Europas nicht in Gödöllö eintreten. „Königliche Hallen“ sind sie schon deshalb nicht zu nennen, all die Räume, die sich da in langer Flucht hindehnen, weil sie überhaupt keine „Hallen“ sind. Sie entsprechen – und da darf man nicht allzu streng sein – höchstens dem Begriffe der größeren Salons. Alle Pracht der inneren [83] Ausstattung, wie sie mit Königsschlössern in Verbindung gebracht zu werden pflegt und wie sie namentlich in Versailles und dem St. Cloud des zweiten Kaiserreichs blühte, war hier von vornherein ausgeschlossen. Franz Joseph ist kein Freund von reichem Appartementsschmuck, von üppig goldenen Sälen und damastenen Brocaten. Einfach und überaus mäßig in seiner Lebensweise, duldet er auch nur Comfort und nichts als Comfort um sich. Der orientalische Pomp der magyarischen Granden, so weit er noch auf einigen alten Schlössern existirt, zählt den König nicht zu seinen Freunden, wie ihn aller Pomp ja kalt läßt und aller nicht gerade mit der Würde streng verknüpfte Aufwand ihm widerwärtig ist.

Einfache Eleganz war also bei der Wiederherstellung von Schloß Gödöllö geboten, und die Schenker haben es sich nicht zweimal sagen lassen und Alles vermieden, was an Großartigkeit der Ausstattung auch nur erinnern könnte. Ein schöner, weiter Park, hübsche Rasenplätze (wenn auch nicht im englischen Sinne hübsch), lauschige Plätzchen, wohlgepflegte Alleen ziehen sich hinter dem Hause hin. Von den Fenstern der Zimmer der Kaiserin und Königin, die zunächst den Zimmern der kleinen Prinzessin Valerie liegen, kann der Blick über die endlos gedehnte Ebene des Rakosch hinschweifen. Es ist ein Blick, der echt Lenau’sche Stimmungen erregen muß, Stimmungen, die ja viel Verwandtes mit dieser Rakoschlandschaft haben. Vor solchen Stimmungen rettet wohl die Königin ein Griff nach der geliebten Cither oder die Flucht auf den Sattel eines der schönen Thiere, die in prächtigen Stallungen untergebracht sind, oder endlich die Vorlesungen des Fräuleins Ferenzy, welche die Dichter des Landes so schön recitiren soll; denn die Poesie der Steppe – und das ist doch die ungarische – ist auch manchmal ausersehen, die Wunden zu heilen, welche die Langweiligkeit des Rakosch der Königin zu schlagen pflegt. Reiten, Citherschlagen und Lectüre haben auf diesem Königsschlosse, wie man sieht, einen großen Beruf. Die kleine, zierliche Prinzessin Valerie thut dann das Uebrige, um den Aufenthalt auf Gödöllö zu versüßen. Das reizende Wesen ist der Liebling der ganzen Umgebung, und auch sie schon versteht es, auf ihren Wanderungen mit ihrem Erzieher, einem ungarischen Bischofe, dem Rakosch Reize abzugewinnen. Wenn nicht ein großes Diner oder ein Empfang, den Mitgliedern der beiden Häuser des Pester Parlaments abwechselnd vom Könige gegeben, die Räume von Gödöllö lärmend belebt, liegt den Spätherbst und Frühling über ein tiefer, bürgerlicher Friede über dem Schlosse gebreitet, und man merkt kaum das Walten einer Hofhaltung.

Wie anders war es doch etwa fünfzig Jahre früher auf Gödöllö! Welch lärmender Geist beherrschte dazumal diese heute so ruhig hingebreitete Rakoschebene! Aus den Zimmern des Schlosses, die im üppigen Glanze strahlten, ertönte mit jedem neuen Tage das weinlaunige Treiben der vielen Gäste, die sich’s an dem reichbesetzten Tische des Fürsten von Grassalkowitsch wohl sein und Gott Gott und Metternich Metternich sein ließen. Da führte Fürst Anton der Zweite, der letzte der Grassalkowitsch, ein flottes, königliches Leben. Den Namen seines Hauses umrankte von jeher die üppigste Romantik. Unter der Regierung Maria Theresia’s hatte es seine glänzenden Tage begonnen; der erste Grassalkowitsch hatte Gödöllö groß und berühmt gemacht im ganzen Reiche, so wie Maria Theresia ihn zu Reichthum und Größe erhoben hatte. Soll sich doch dieser erste der Grassalkowitsch vom Bettelstudenten zum Fürsten emporgearbeitet haben. Die Gunst einer Kaiserin war dazumal noch mehr werth, als heute, und Maria Theresia hatte an dem schönen Studenten ihr Gefallen gefunden. Als ich vor zehn Jahren zum ersten Male in Gödöllö war, zeigten sie noch in dem schon damals in andere Hände gerathenen Schlosse das altmodische Doppelgefäß mit den schweren Holzhenkeln, mit dem in der Hand, um Speise und Trank bettelnd, der arme slovakische Student sich durch’s Land „fechtend“ fortgeschleppt haben soll. Aber er muß wohl genial gebettelt haben, dieser Grassalkowitsch, denn er bettelte sich in die besten, einträglichsten Staats- und Kronämter, in die Liebe der Königin und nach und nach in den Fürstenstand hinein. Er ward königlich von seiner Königin, für die er wohl mehr als jeder andere Ungar zu sterben bereit gewesen sein mochte, belohnt, und sein fürstlicher Leib ward immer fetter und fetter vom Fette Anderer, deren Güter eingezogen worden waren. Als er Gödöllö auf jenem nicht ungewöhnlichen Wege „erbettelt“, weihte er es mit einem großen pompösen Feste, zu dem der ganze Adel des Landes freundlichst geladen war, ein. Auch die Mönche eines damals in der Nähe befindlichen Klosters kamen zu Gast. Diese mochten nun von der Art und Weise, wie Gödöllö und andere weit größere Gütercomplexe in die Hände des Fürsten gekommen waren, nicht sehr moralisch erbaut sein, und so zeichnete einer dieser Mönche, bevor er Gödöllö verließ, auf eine seiner Mauern sein lateinisches Prophetenwort hin, das da nichts Anderes auf deutsch besagt, als ungefähr das Folgende:

„Ebenso wie die Güter des Fürsten Grassalkowitsch durch Annectirung (der Mönch wird wohl einen kräftigeren lateinischen Ausdruck für unser zahmes modernes „Annectirung“ gebraucht haben?) anderer, fremder Besitzthümer rasch groß geworden, ebenso werden sie in der dritten Generation schon an unterschiedliche Herren und Herrchen alle versprengt werden.“

Diese lateinische Mönchsprophezeiung – man zeigt die Stelle noch, wo sie geschrieben stand – sie ist wahr geworden. In der dritten Generation ist das gesammte ungeheure Hab und Gut der mächtigen Grassalkowitsch in der That in wildfremde Hände gerathen, und auch der Name Grassalkowitsch ist in alle Winde verweht. Die Nachkommen des ersten gefürsteten Grassalkowitsch freilich haben sich die Prophezeiung des Mönches nicht sehr zu Herzen genommen. Der kalte Sturm, der die merkwürdigen Mauern von Gödöllö draußen auf dem weiten todesdüstern Rakosch heute umweht, weiß interessante Geschichten von schöneren Zeiten und üppig lebenden Menschen, die da drin gehaust, zu erzählen, Geschichten, die sogar lehrreich sind für Alle, die hören wollen. Seine lärmend bewegteste Periode hatte Gödöllö unter dem letzten Fürsten Anton dem Zweiten. Der lebte da in aufsehenmachender Weise flott und wußte sich sein Dasein so verschwenderisch glänzend zu gestalten, daß selbst die in der materialistischen Deutung des Wortes: „Man lebt nur einmal“ so sehr bewanderte altungarische Aristokratie von damals nicht genug staunen konnte. Die schönen Tage von Gödöllö leben noch heute in dem Angedenken Mancher, die sie mitgemacht.

Von dem Treiben auf den Schlössern des zweiten Fürsten Anton erzählt man wunderbare Dinge. Er war der letzte seines Stammes – was war ihm also die Hinterlassenschaft? Nichts; er wollte nichts hinterlassen. Da es keinen und keine Grassalkowitsch mehr geben sollte in dieser Welt, so sollte es auch keine Grassalkowitscher Reichthümer, kein Grassalkowitscher Besitzthum mehr geben.

„Der Fiscus soll nichts von mir haben,“ sagte Fürst Anton Jedem, der ihn betreffs seiner Verschwendungen zu Rede stellte. Es lag ein charakteristischer Trotz gegen das Schicksal, das ihm den Erben versagt, in seinem ausschweifenden Gebahren. Aber es ward ihm nicht so leicht, seine Reichthümer los zu werden. Der Fürst mußte die außerordentlichsten Anstrengungen machen, um das viele Geld zum Teufel zu schicken. Der Luxus auf seinen Schlössern, und auf Gödöllö zumeist, soll fabelhaft gewesen und die barockste Decorationsphantasie da ihr theueres Spiel getrieben haben. Der Fürst hatte oft die extravagantesten Ansichten über Prunk; er imitirte mit Vorliebe den Pomp altitalienischer Feste. So hatte ihm in Palermo einst der Palast des Fürsten Forca imponirt. Und er ging heim und kleidete die Mauern seiner Palastsäle in kostbare, barocke Mosaiken und ließ in dem reichgeschmückten Fußboden des Festsaales auf Gödöllö ein großes Alabasterbassin anbringen, in das er – Goldfische hineinwarf. Diese sonderbare Placirung eines Teiches für Goldfischchen machte ihm das größte Vergnügen. Was hatte er nur einst noch für eine andere kostbare Idee? Er gab ein pompöses Sommerfest und versammelte die gesammte Aristokratie des Landes um sich. Die Säle präsentirten sich an jenem Tage wie die Gärten der Armida. Die Sinne schwelgten in orientalischen Blumendüften – man befand sich wie inmitten der schönsten Feerie; es war ein Schwelgen in Licht und Blumen. Und Fontainen erhoben sich in allen Sälen des Schlosses, Fontainen, von denen die einen – Mandelmilch (!!), die anderen Limonade ausstrahlten. Welch kostspieliges Raffinement!

Der Fürst fand übrigens auch noch andere Behelfe, sich von seinen vielen Reichthümern zu befreien; er ließ beispielsweise seine Leibwäsche in Paris waschen, aus dem für ihn triftigsten [84] Grunde, weil ihm die in Paris gewaschene Wäsche noch theurer kam, als ganz neue.

Auch soll Fürst Anton der Zweite in seine Sammlung damals modischer französischer Brustkrausen ein Vermögen gesteckt haben; daß er bei den verschiedenen Fêten, die er alljährlich gab, die geladenen Freunde förmlich zwang, ihre Pfeifen und Cigarren mit – Hundertguldennoten, die in albernen Gefäßen, zu Fidibus gedreht, umherstanden, anzuzünden, soll auch nicht selten vorgekommen sein. Hätte Fürst Anton ein höheres Alter erreicht – er starb in den vierziger Jahren unseres Jahrhunderts – sein Werk der Verschwendung wäre ihm doch noch gelungen. Seinen fernen Verwandten, die sich in das Uebriggebliebene getheilt, soll aber noch Manches in der Richtung gelungen sein. Gödöllö kam bald in die Hände jener neuen Aristokratie, die sich an dem „Arrangement“ der alten emporarbeitete, sich zuerst die Güter der Grassalkowitsch und dann dazu ein Prädicat erwarb. Gödöllö fiel um eine Million Kaufschilling dem Banquier Sina zu. Von dem kaufte es dann die „Belgische Bank“ oder vielmehr Langrand-Dumonceau, der es dann gelegentlich der Krönung mit dem hübschen Gewinn von zwei Millionen an die magyarische Nation weiter verkaufte.

Ein Bett, das noch heute zum Andenken in einem der Gemächer von Schloß Gödöllö steht, bezeichnet so recht seine reiche Vergangenheit, seine kriegerische und friedliche Geschichte. In dem Bette schlief oftmals Maria Theresia, die den ersten Grassalkowitsch groß gemacht und die in sorgenschwerer Zeit den Aufenthalt in Gödöllö sehr liebte; Kossuth und Fürst Windischgrätz haben kurz nacheinander in demselben übernachtet, beide nach einer gewonnenen Schlacht am Rakoschfelde, und auch Langrand hatte einmal seinen schwindelerfüllten Kopf dort gebettet. Heute schläft Franz Joseph darin den Schlaf der beliebten Fürsten.