Textdaten
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Autor: O. Finsch
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Titel: Ein seltener Vierhänder
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 240–242
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein seltener Vierhänder.

Für die „Gartenlaube“ mitgetheilt von Dr. O. Finsch (Bremen).

Unter den wenigen Sehenswürdigkeiten, welche Batavia, die Hauptstadt von Niederländisch-Indien, abgesehen von dem eigenthümlichen Charakter der Stadt selbst und dem bunten Leben und Treiben seiner farbigen Bewohner, für den Fremden bietet, nimmt der zoologische Garten einen hervorragenden Platz ein, wenn derselbe im Allgemeinen auch noch weit hinter den kleineren Gärten dieser Art in Deutschland zurücksteht. Der „Kebon binatang“, wie der malayische Name lautet, gehört in derselben Weise, wie es bei unseren Thiergärten der Fall ist, einer Privatgesellschaft, „Dieren- en Plantentuin“ genannt, welcher es indeß nicht allein an den nöthigen Kräften, sondern vor Allem an den erforderlichen Mitteln zu mangeln scheint, um ein derartiges Institut in einer der Hauptstadt würdigen Weise durchzuführen.

Immerhin besitzt der Garten einige Seltenheiten. In wirklich hervorragender Weise sind vor Allem die Affen in demselben vertreten und zwar nicht allein an Zahl der Individuen, sondern auch an Arten, die fast ausnahmslos den Sunda-Inseln angehören. So findet man fünf Orang-Utangs, darunter ein ansehnlich großes Männchen, drei Arten Langarmaffen oder Gibbons (Hylobates), vier Arten Schlankaffen (Semnopithecus), darunter eine Familie von sechs Exemplaren des eleganten Semnopithecus melanolophus von Sumatra, des schönsten Schlankaffen, den ich bis jetzt lebend sah, und unter der Heerde der gewöhnlichen Meerkatzen (Macacus cynomolgus) verdienen zwei Albinos, durchaus weiße Exemplare mit rothen, lichtblöden Augen, wie die der weißen Kaninchen, besondere Beachtung. Da hier die klimatischen Schwierigkeiten, mit welchen die Haltung und Pflege von Affen daheim zu kämpfen hat, fast ganz bedeutungslos werden, so braucht man über diesen Reichthum nicht sonderlich zu erstaunen und wird sich nicht verwundern, selbst Arten zu begegnen, die es bisher nicht gelang lebend nach Europa zu bringen.

Unter den letzteren ist der Nasenaffe (Semnopithecus nasicus) jedenfalls der hervorragendste und interessanteste. Wir kennen denselben bis jetzt daheim nur nach ausgestopften Exemplaren, die, meist fehlerhaft, zum Theil carikirt aufgestellt, ein total falsches Bild geben, namentlich was die besondere Eigenthümlichkeit dieses Thieres, die sogenannte Nase, anbelangt. Sie wird gewöhnlich der menschlichen, also gekrümmt und herabgebogen, nachgebildet, um dem Gesicht soviel als möglich menschliche Züge zu verleihen. Auch mir schwebte ein ähnliches Bild des Nasenaffen und zwar aus Brehm’s „Thierleben“ vor, und ich war daher nicht wenig erstaunt, als ich den hochinteressanten Vierhänder zum ersten Male lebend vor mir sah. Wie die beifolgenden auf Grund sorgfältiger Studien nach der Natur entworfenen Abbildungen zeigen, hat nämlich nur die Nase des jungen Thieres Aehnlichkeit mit der menschlichen, indem die merklich vorragende Spitze sehr an eine kleine Stumpfnase erinnert, die dem Thiere übrigens ein äußerst komisches, impertinentes Aussehen verleiht. Diese Nase weicht indeß trotz ihrer Aehnlichkeit noch sehr von der menschlichen ab, indem sie, auf dem Rücken platt gerundet, sich seitlich verbreitert und an der vorderen seitlichen Basis durch eine Art Längsfurche abgesetzt ist; der eigentliche Spitzentheil hat eine mehr dreieckige Form, fällt spitzwinkelig zur Oberlippe ab, und hier stehen die rundlichen Nasenlöcher auf der oberen Hälfte ziemlich dicht beisammen. Ganz anders ist die Nase beim alten Thiere, wovon der Garten ein prachtvolles Männchen besitzt, geformt. Sie bildet einen breiten, flachen, bis über das Kinn vorragenden und herabhängenden, an der Spitze allmählich sich verschmälernden

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Die Nasenaffen des zoologischen Gartens zu Batavia.
Zum ersten Male nach dem Leben für die „Gartenlaube“ gezeichnet von Dr. O. Finsch.
Auf Holz übertragen von F. Specht.

[242] und abgestutzten, compacten Hautlappen, welcher eher einem kurzen, platten Rüssel, als einer Menschennase ähnelt. Dieser fleischige Zipfel verdeckt, von vorn gesehen, Maul und Unterkiefer fast ganz und läßt den Kopf fast spitzschnauzig erscheinen. Die großen schmalen, länglichen Nasenlöcher öffnen sich auf der unteren Seite des Fleischzipfels und sind nur bei gewissen Bewegungen des Thieres sichtbar, namentlich wenn dasselbe gähnt, was ziemlich oft geschieht. Der ganze Nasenzipfel stülpt sich dann in die Höhe und faltet sich zurück, sodaß man zugleich das ungemein kräftige Gebiß, namentlich die langen und starken Eckzähne erblickt, welche Respect einflößen. Beweglichkeit besitzt der Nasenzipfel übrigens nicht, außer daß er bei kräftigen Sprüngen des Thieres etwas hin und her wackelt. Das nackte Gesicht ist gelbbräunlich-fleischfahl gefärbt und glatt; nur an der Oberlippe, da wo sich der Nasenzipfel absetzt, sind einige kurze dunkle Borstenhaare vorhanden, sowie einige längere über dem Auge. Das letztere selbst ist klein, zurückliegend, mit lebhaft hellbraun gefärbter Regenbogenhaut, welche List verräth und zu dem sonst so mürrischen, sonderbar ernsten Gesichtsausdrucke des Thieres nicht so recht zu passen scheint.

Im Uebrigen stehen Körperbildung, Haarkleid und Färbung in vollständigem Einklange mit der so eigenthümlichen Bildung des Gesichts. Das Haar ist straff, dicht und ziemlich lang. Auf den Backen bildet es einen zurückliegenden Bart, der die nackten, schwarzen Ohren fast ganz bedeckt, und an den Halsseiten verlängert es sich zu einem breiten, abstehenden Kragen, der sich unter dem kurzen Kinnbarte, der die Spitze des Unterkiefers bedeckt, gleichsam zu schließen scheint. Längs der Mitte des Oberarms, der Bauchlinie und auf den Hinterbacken bilden die gegen einander gerichteten Haare scharfabgesetzte spitze Nähte, die um so schärfer hervortreten, als sie zugleich durch die Färbung unterschieden sind. Letztere ist sehr eigenthümlich und erinnert in gewissem Sinne an eine Art Livree. Die kurzen dichten Haare des Oberkopfes bilden eine Art Barett, unter welchem sich die kleinen Augen zuweilen fast zu verstecken scheinen. Diese Haare sind lebhaft rotbraun gefärbt, welcher Ton auf der hinteren Hälfte des Oberarmes und auf den Schultern allmählich blasser wird und auf der ganzen übrigen Oberseite des Körpers in ein sehr hübsches Rostgrau übergeht, oder hier vielmehr auf grauem Grunde rostgrau melirt erscheint, weil die einzelnen grauen Haare rostfahle Spitzen tragen. Die Backen und der Halskragen sind blaßrothgelb. die ganze übrige Unterseite, die Unterarme, die Hinterbeine, Hände und Füße schön grau gefärbt, längs der Bauchmittellinie rostgelb verwaschen. Die Schwanzbasis wird von einem viereckigen weißen Felde begrenzt, der lange und gut behaarte Schwanz selbst zieht stark in’s Weiße, wie die Oberseite der Hände und Füße. Die Zehen beider Extremitäten sind sehr lang, stark behaart und mit schmalen, langen, schwarzen, etwas gekrümmten Nägeln bewehrt, unter denen der des zweiten Fingers der Hinterfüße besonders verlängert ist. Hand- und Fußsohlen sind schwarz. Das beschriebene Exemplar ist ein ohne Zweifel erwachsenes Männchen, das aufrecht stehend mehr als drei und einen halben Fuß Höhe erreichen mag; doch soll es auch größere Exemplare geben.

Wie schon ein Blick auf die Abbildung zeigt, weicht der junge Nasenaffe so erheblich vom alten ab, daß ihn jeder Unkundige mit Recht für eine ganz verschiedene Art halten wird. Der durchaus abweichenden Nasenbildung habe ich bereits gedacht und muß nur noch hinzufügen, daß das bräunlich-fleischfarbene nackte Gesicht von zahlreichen Querrunzeln durchzogen ist, welche das Thier gleichsam als jugendlichen Greis erscheinen lassen. Das Auge ist im Gegensatz zu dem des Alten groß, voll und lebhaft gelbbraun. Die Färbung weicht ebenfalls erheblich ab. Die Oberseite ist fuchsrot gefärbt, am lebhaftesten auf dem Oberkopfe; Unterarm und Beine und die unteren Theile sind grau, mit gelblichem Anfluge, der namentlich auf der Bauchmitte lebhafter hervortritt. Das viereckige Feld über der Schwanzbasis ist aschgrau wie der Schwanz. Die Backen sind hellroströthlich gefärbt und so kurz behaart, daß die ovalen, nackten, dunklen Ohren freibleiben.

Die jungen Nasenaffen, von denen der Thiergarten in Batavia zwei fast gleichgroße Exemplare besitzt, sind sehr lebhafte Geschöpfe, die in ihrem Betragen ganz mit den anderen Schlankaffen übereinstimmen. Wie diese bewegen sie sich in dem Raume ihres leider viel zu engen Käfigs in behenden Sprüngen, verrathen große Neugierde und sind sehr zutraulich. Furchtlos strecken sie dem Besucher ihre Hand entgegen, um etwas Eßbares zu erbitten, und schneiden dabei nicht jene häßlichen Grimassen, wie dies sonst meist alle Affen zu thun pflegen. Sie lassen dabei schwache klagende Laute hören. Vor ihrem alten Artgenossen scheinen sie großen Respect zu haben und halten sich meist in ehrerbietiger Ferne, obwohl ich nie sah, daß er ihnen in irgend einer Weise Leides anthat. Ein Blick von ihm genügte, sie in eine Ecke des Käfigs zu bannen. Ganz verschieden ist das Betragen des alten Nasenaffen. Er sitzt meist bewegungslos auf seinem Platze und scheint den Beobachter kaum eines Blickes zu würdigen, indem er nur zuweilen momentan das blinzelnde, listige Auge auf ihn richtet. Angebotenen Leckereien schenkt er keinerlei Beachtung, während die Kleinen eifrig darnach greifen. Selbst die Futterstunde, welche doch sonst von fast allen gefangen gehaltenen Thieren so sehnlichst erwartet wird, verändert die stoische Ruhe des alten Herrn nur wenig. Er greift gewöhnlich nur nach einigen Blättern Kopfsalat und überläßt den Rest der Speisen, in Bananen und gekochtem Reis bestehend, seinen jungen Collegen, die eifrig über Alles herfallen. Wie ich mir von Kundigen sagen ließ, ist der Nasenaffe am besten mit rohen Kartoffeln zu ernähren, da er auch in der Freiheit allerhand Wurzeln den saftigsten Baumfrüchten vorzieht, für welche Ernährungsweise schon die langen gekrümmten Nägel sprechen.

Wenn der Nasenaffe des zoologischen Gartens in Batavia eine so überraschende Gleichgültigkeit bekundet, wie sie mir bisher bei keinem Affen entgegentrat, so ist die Gefangenschaft in einem zu engen Käfig ohne Zweifel die Ursache hiervon, sie hat eine Art Schwermuth zur Folge, welche bei freier Bewegung des Thieres verschwinden würde. Wie ich von Allen hörte, welche Nasenaffen in der Gefangenschaft hielten, gehört diese Art zu den liebenswürdigsten und angenehmsten Gliedern der ganzen Ordnung. Ein nur seit zwei Tagen eingefangenes altes Exemplar ließ sich, ohne Widerstand zu leisten, an einem dünnen Stricke leiten und nahm in der Reihe der Matrosen seinen Platz im Boote ein, als wäre es schon wochenlang mit ihnen zusammen gewesen. Alle eingefangenen Nasenaffen werden sehr bald zahm und gewöhnen sich so an’s Haus, daß man sie frei umherlaufen lassen darf. Wenn es bisher nicht gelang, diesen so interessanten Affen unseren Thiergärten zuzuführen, so liegt es wohl hauptsächlich an der Unkenntniß in der Behandlung und Fütterung des Thieres, und ich zweifle nicht, daß sich bei sorgfältiger Pflege auch dieser Affe ebensogut nach Europa bringen lassen wird, wie alle anderen Affen.

Die Heimath des Nasenaffen ist Borneo, über sein Freileben aber leider so gut wie nichts bekannt. Soweit ich im Stande war, Erkundigungen einzuziehen bei Herren, die längere Zeit in den holländischen Besitzungen in Borneo ansässig waren, lebt der Nasenaffe in kleinen Gesellschaften allenthalben in den Küstenwäldern und ist sehr scheu. Die Dajaker, welche den Nasenaffen schon wegen des hübschen Felles lieben, jagen denselben und wissen ihn lebend einzufangen. Jedenfalls sind sie gut mit der Naturgeschichte dieses Thieres bekannt, aber es hat bisher an Forschern gefehlt, welche Interesse genug fühlten, um genaue Erkundigungen einzuziehen.