Ein nordisches Fest und nordische Studenten

Textdaten
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Autor: Max Vogel
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Titel: Ein nordisches Fest und nordische Studenten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 435–436
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[435] Ein nordisches Fest und nordische Studenten.Jaså, det blir nordisk fest i quäll“ war die unwillkürlich freudige Antwort, die ich den mir befreundeten liebenswürdigen Fabrikbesitzern Borg gab, als dieselben mich kurz nach meiner Ankunft in Lund einluden, an einem nordischen Feste Theil zu nehmen. „Jaså, det blir nordisk fest i quäll,“ zu deutsch: „Also, heute Abend giebt’s ein nordisches Fest“, und da muß denn gleich vorausgeschickt werden, daß nichts den Deutschen, der zum ersten Male Schweden besucht, in gleichem Maße anheimelt, als das ihm so bekannt klingende Jaså. Der Schwede spricht dasselbe nämlich ganz wie unser „Ja so“ aus, gebraucht es aber je nach der Accentuirung in der verschiedensten Bedeutung, jedenfalls ungemein oft und in jeder Unterhaltung. Geradezu „reizend gemüthlich“ klingt es auf den Lippen der Damen. Und da bin denn auch ich bei den schwedischen Damen in die Schule gegangen und habe ihnen das „Jaså“ abgelauscht; wie schade, daß es sich in der Schrift nicht variiren läßt, wie die Lippen der blonden, blauäugigen, nordischen Mädchen es variiren!

„Ein nordisches Fest“ – das war für mich, der ich seit Jahren regelmäßig längere Zeit in Skandinavien zuzubringen pflege, stets Gegenstand des Sehnens gewesen. Diese Feste aber werden auf jeder der Universitäten: Lund, Upsala, Christiania, Helsingfors und Kopenhagen nur einmal im Jahre gefeiert, wenn auch nicht an demselben Tage; es war daher ein glücklicher Zufall, der mich gerade an diesem Abend nach Lund führte. „Nordisches Fest“ ist der gemeinsame Name für eine Feier, die in erster Linie zu Ehren der im Vorjahre dahingeschiedenen Professoren der betreffenden Universität und in zweiter Linie zum Gedächtniß der übrigen in demselben Jahre verstorbenen hervorragenden Männer des Nordens stattfindet.

Die Todten zu feiern ist in Skandinavien eine ehrwürdige Sitte aus grauer Zeit, denn schon die alten Könige pflegten alljährlich einmal ihre Mannen zu versammeln, um der im Kampfe gefallenen Helden zu gedenken und gleichzeitig neue Kriegspläne zu entwerfen. Die speciellen Todtenfeste der Universitäten mögen wohl seit fünfundzwanzig bis dreißig Jahren abgehalten werden und seit Kurzem sind sie auch gleichzeitig ein Fest für alle Gebildeten der Stadt. Gerade in diesem Jahre aber sind sie von besonders hohem Interesse, denn diesmal wird, wie in Lund, so auch überall im Norden den Manen des am 6. Mai 1877 verstorbenen großen, leider in Deutschland noch wenig gewürdigten Dichters Johan Ludvig Runeberg ein besonderes Opfer dargebracht.

Es war kurz nach sieben Uhr, als wir in dem glänzend erleuchteten Saale des „Studentenhauses“ eintrafen, der, reich decorirt, an diesem Abend wohl von mehr als tausend Personen erfüllt war. Rings auf den Gallerien saßen Damen verschiedensten Alters im Feierkleide Kopf an Kopf, und auch im Saale selbst waren längs der Seitenwände Bänke gestellt, die meist vom schönen Geschlechte besetzt waren. Vor der Mitte der einen Seitenwand befand sich die Rednertribüne, prachtvoll mit gelber und blauer (die schwedischen Nationalfarben) Seide ausgeschlagen und mit einem Baldchin von demselben Stoffe überwölbt, dahinter der Schild, aus welchem ein Marschall dröhnende Schläge lockte, wenn ein neuer Redner die Tribüne bestieg. Gegenüber an der andern Seite des Saales waren die Fahnen der Studentenschaft entfaltet, die mit Lorbeer geschmückte Büste Runeberg’s umkränzend. Ueber der Eingangsthür auf der Gallerie hatten die Damen einen Raum für die Musik freigelassen, ihm gegenüber, im Hintergrund des Saales, sah man einen Tannenhag, aus welchem drei symbolisirte Bautasteine hervorblickten, die mit Runenzeichen bedeckt waren. Der in der Mitte befindliche größte Stein trug nur den Namen „Runeberg“, während auf dem links befindlichen kleineren die Namen der verstorbenen Professoren von Lund und auf dem rechten diejenigen der mit Tode abgegangenen großen Männer des Nordens überhaupt verzeichnet standen. Vor dem improvisirten Tannenwäldchen hatte ein Theil des Studentengesangvereins von Lund Aufstellung genommen, und Quartettgesänge, abwechselnd mit Streichmusik zwischen die Reden gestreut, halfen die Genüsse vervielfältigen.

Zu beiden Seiten der Rednertribüne befanden sich zwei lange gedeckte Tafeln, mit unzähligen Bowlegläsern versehen, und in der Mitte Terrinen und Krüge voll des beliebten Nationalgetränkes „Punsch“. Derselbe wird in ganz Schweden kalt und in riesigen Quantitäten consumirt und vertragen. Um diese Tische und durch den ganzen übrigen freien Raum des Saales vertheilt, standen in Frack und weißer Binde die Lehrer und Studirenden der Universität, sowie die übrigen männlichen Theilnehmer des Festes. Hohe Orden waren hier und da zu bemerken und daneben, als Abzeichen einer studentischen Würde, um den Hals geschlungene, über die Brust geknüpfte rothe Bänder, welche die „Marschälle“, die studentischen Festordner, trugen.

Der Rector der Universität eröffnete gegen halb acht Uhr die Feier, das Methhorn hebend und ein Hoch auf die beiden skandinavischen Monarchen bringend, in das die Anwesenden mit lautem „Hurra“ (unserem „Hoch“ entsprechend) einstimmten. Hierauf folgte: „Suomis Sång“, das finnische Nationallied. Nun betrat der erste der eigentlichen Festredner, ein Professor der Geschichte, die Tribüne, um in warmer und geistvoller Sprache das Wesen und Wirken des großen Dichters Runeberg zu beleuchten, der sich ebenbürtig den größten Classikern aller Nationen anreiht. Wie eigenthümlich, daß dieser Mann, der von Geburt ein Finne ist und eine geradezu wunderbare Liebe für sein engeres Vaterland besaß, doch auch wieder so ein echter schwedischer Dichter wurde! Das eigenthümliche kernige Leben seiner Landsleute, ihre glühende Vaterlandsliebe, wie ihre Armuth hat er in ergreifender Weise geschildert. Wie aber Finnland in Sprache, Sitten und Gesetz selbst noch als ein Theil des Mutterlandes – wenn schon unter fremder Herrschaft – fortbesteht, so ist auch Runeberg’s Weise so durch und durch schwedisch, daß selbst Tegnér in Schweden nicht populärer ist. Hier wie dort zündete in gleichem Maße die Schilderung der letzten Kämpfe von Finnland: „Fänrik Stål’s Sägner“, die größte patriotische Dichtung der Neuzeit. Aber nicht nur zum Sänger des finnischen und des schwedischen Volkes, nein, zu einem universellen Dichter ist Runeberg [436] in dem kleinen Flecken Borgå, den er fast nie verlassen herangereift. Alles, was edel und erhaben ist, das „Ideale“ im Menschen, das schmückt seinen Gesang mit unvergleichlichem Zauber. „Möchten,“ so schloß der Redner mit einer geschickten Nutzanwendung, „die unsterblichen, ewig im Munde der Finnen wie der Schweden fortlebenden Gesänge Runeberg’s für alle Wechselfälle der Zeiten ein unzertrennbares Band zwischen beiden Nationen bilden, sie immer an ihre geistige Zusammengehörigkeit mahnend.“ Ein reizendes Gedicht zu Ehren des großen Dichterkönigs, von einem Studenten verfaßt und vorgetragen, beschloß würdig diesen Theil der Feier.

Nun folgte eine tiefempfundene Ansprache von einem Docenten, dem Gedächtnisse der im vergangenen Jahre gestorbenen Professoren von Lund geweiht, eine gleiche auf die an dem rechten Bautasteine verzeichneten Namen, ein Toast auf die Schwesteruniversitäten und zum Schlusse ein Hoch auf die anwesenden Vertreterinnen des schönen Geschlechtes. Damit war denn das officielle Fest zu Ende und Rede- und Rauchfreiheit stillschweigend proclamirt. Die Damen erhoben sich von ihren Plätzen, oder wurden vielmehr buchstäblich hinausgeraucht.

Weniger wurde an diesem Tage die Redefreiheit ausgebeutet, wohl weil durch die Runeberg-Feier das officielle Sprechen länger als gewöhnlich gewährt hatte. Bis zum frühen Morgen blieb doch der größere Theil der Versammlung in heiterster Stimmung beisammen, der langen Feier der Vergangenheit die längere der Gegenwart folgen lassend. Ein eigenthümlicher Umstand, von dem jungen Dr. Esaias Tegnér, dem Enkel des großen Dichters, zuerst bemerkt, war, daß an diesem Abende zwei Tegnér-Uebersetzer zugegen waren, ein Amerikaner Mr. Holcomb, der die „Frithjofsage“ in’s Englische übersetzte, und der Schreiber dieser Zeilen, welcher „Axel“ verdeutschte.[1] Wir tranken gemeinschaftlich ein Skål (Hoch) dem Andenken des großen Bischofs, und auch der Amerikaner mußte sein Glas bis auf den letzten Tropfen leeren. Freilich trinken wir Fremden immer mit saurer Miene süßen Punsch, wenn es sich um größere Quantitäten handelt. Der schwedische Student dagegen verträgt bei solchen Gelegenheiten Fabelhaftes von diesem edlen Gebräu. Sein eigenartiges Bier nimmt er gemeiniglich nur zum Essen, einen alkoholreichen, süßlich schmeckenden Stoff, uns Deutschen ebenso wenig zusagend wie das Bier der Italiener.

Der akademische Bürger als solcher weicht in Schweden – wenn er seine Mütze abgenommen hat, die für alle Inscribirten der gleichen Universität dieselbe Form und Farbe hat – gar nicht von anderen Menschen ab. Verbindungen wie unsere Corps und Burschenschaften existiren in Schweden nicht; farbige Bänder sieht man dort nirgends. Wohl aber giebt es „Landsmannschaften“, wenn auch ohne äußere Abzeichen und im strengen Sinne des Wortes. Jeder neu auf die Universität kommende Student ist nämlich genöthigt, sich einem Vereine anzuschließen, der, aus allen aus der gleichen Provinz stammenden Studirenden bestehend, einen selbstgewählten ordentlichen Professor zum Präses und einen Docenten zum Curator hat. Diese Einrichtung hat den Vortheil, daß der „Fuchs“ sofort in neue Beziehungen zu seinen alten Schulcameraden tritt, die ihm mit Rath und That zur Seite stehen.

Während also unsere deutschen Verbindungen als „freiwillige“ erscheinen, sind die schwedischen obligatorische, auf der anderen Seite ist aber das Leben in den nordischen Vereinen selbst ein völlig freies. Kneip- und Paukzwang existiren nicht, während ja in unseren Verbindungen für jede einzelne mehr oder weniger obligatorische Vorschriften bestehen. Freilich finden sich in Schweden nur zwei, in Norwegen und Dänemark je eine Universität, sodaß das Provinzial- resp. Landsmannschaftssystem unschwer durchzuführen ist.

Die große Vorliebe der Schweden für den Quartettgesang ist bekannt. So hat auch jede einzelne Landsmannschaft ihren Gesangverein, und alle gesangstüchtigen Studenten zusammen bilden wieder den großen Gesangverein der Universität. Jede einzelne Abtheilung schult sich zum Gesang zunächst in sich, und nirgends hört man von frischen Studentenkehlen so musterhafte Soloquartette, wie in Upsala oder Lund. In dieser Beziehung giebt es für uns Deutsche auch noch etwas zu lernen, und zwar von einem Lande, bei dessen Nennung viele Leute ein kalter Schauer durchrieselt und von dem Mancher noch allen Ernstes glaubt, daß die Bären auf den Straßen der Städte wie Hunde umherlaufen.

Dr. Max Vogel.
  1. Wir bemerken hier, daß von demselben Autor demnächst eine Uebertragung ausgewählter Runeberg’scher Dichtungen in’s Deutsche (Leipzig, Joh. Ambr. Barth) erscheinen wird.
    D. Red.