Textdaten
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Autor: v. D.
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Titel: Ein neues Reichsinstitut
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 720–723
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein neues Reichsinstitut.


Wer eine einigermaßen bedeutende Zeitung zur Hand nimmt, erblickt darin seit Beginn dieses Jahres in jeder Nummer an bestimmter Stelle die Publication eines Instituts, das, erst seit kurzer Zeit vollständig organisirt, schon zu den schönsten Hoffnungen berechtigt. Es ist, wenn auch nur mittelbar, eine jener Errungenschaften, welche wir dem Jahre 1870 verdanken. Denn nur ein geeinigtes deutsches Reich, im Besitz von überall gleich organisirten Verkehrsanstalten, war befähigt ein Institut in’s Leben zu rufen, das infolge seines umfassend nationalen, ja theilweise sogar internationalen Charakters mehr als manche andere Reichsanstalt eine Concentrirung aller Kräfte, ein ungestörtes Ineinandergreifen aller Organe zur Lebensbedingung hat.

Wenn man in Hamburg auf der sogenannten Elbhöhe steht und von da aus die ungemein anziehende Aussicht auf die hier schon recht breite Elbe mit ihren Häfen, Quais, Werften und dem hohen stolzen Mastenwald von Hunderten vor Anker liegender Schiffe genießt, erblickt man zur Rechten, jenseits des jetzt in schöne Gartenanlagen verwandelten ehemaligen Stadtgrabens einen [721] stattlichen Ziegelsteinbau in Eckhausform, in dessen Mitte ein kurzer Thurm mit hoher Fahnenstange und Windfahne sich erhebt. Dieses von prangendem Grün umgebene Gebäude ist das sogenannte „Seemannshaus“, in welchem beschäftigungslose Seeleute ein gutes und billiges Unterkommen, erkrankte die nöthige Pflege finden und das gleichzeitig alten in Sturm und Wetter ergrauten „Theerjacken“ für die letzten Lebenstage ein ruhiges, stilles Asyl gewährt. In diesem Gebäude befindet sich nun auch gleichzeitig das neue Reichsinstitut, die deutsche Seewarte.

Schon im Jahre 1865 ergingen von verschiedenen Seiten, besonders von Frankfurt am Main, in Folge des damals zuerst auftretenden Projects einer deutschen Nordpolexpedition auch Anregungen zur Gründung eines Instituts, welches nach Art der in England und Nordamerika schon länger bestehenden ähnlichen Anstalten, durch Bearbeitung der von deutschen Capitainen zur See geführten meteorologischen Journale zur Sicherung und Abkürzung der Seereisen beitragen sollte. In Folge der damaligen politischen Verhältnisse konnte erst im Jahre 1868 die Hamburger Handelskammer mit der Errichtung einer „Norddeutschen Seewarte“ vorgehen, wobei sie von den Bremer und vielen anderen bedeutenden deutschen Rhedern unterstützt wurde. Der private Charakter der Anstalt aber und die geringen Mittel, über welche sie verfügte, gefährdeten ihre Existenz und ihr Ansehen im In- und Ausland, obgleich das inzwischen neu erstandene Reich eine Subvention bewilligt hatte und 1872 in Folge dessen der Name des Instituts in „Deutsche Seewarte“ umgeändert wurde. Namentlich fehlte jede größere Ausdehnung des Sturmwarnungswesens und der Wettertelegraphie. Die Reichsregierung beschloß daher die Uebernahme des Instituts in das Reichsbudget. Der dahin gehende Gesetzentwurf wurde vom Reichstag am 14. December 1874 unverändert angenommen, obwohl sich Stimmen gegen den Sitz der Anstalt in Hamburg erhoben und dieselbe vielmehr als eine deutsche Centralanstalt für die Physik der Erde nach Berlin verlegt wissen wollten.

Für die Neuorganisation wurden als einmaliger Aufwand 65,000 Mark und für den Betriebsfond als jährliche Unterstützung 74,800 Mark bewilligt, wovon 50,000 Mark auf Besoldung und Remunerationen und 24,800 Mark auf sächliche Ausgaben kommen. An Stelle des bisherigen Leiters des Instituts, Wilhelm von Freeden, trat der wirkliche Admiralitätsrath Professor Neumayer, dessen Streben schon von Jugend an auf das Inslebentreten eines solchen Instituts in Deutschland gerichtet gewesen war und der, wenn auch oft fern vom Vaterlande, stetig dafür gewirkt hatte. Durch seine weiten Seereisen in das Südpolarmeer, ferner als langjähriger Leiter des Observatoriums zu Melbourne in Südaustralien und später als Hydrograph der kaiserlich-deutschen Marine war er wohl mit am befähigtsten, die schwierige Stelle eines Vorstehers der neu zu organisirenden Anstalt zu übernehmen.

Die Hamburger Centralstelle der Seewarte zerfällt in vier Abtheilungen mit je einem Vorstand, welcher direct unter dem Leiter derselben steht. Es sind dies die Herren Wagner, Koldewey, Köppen und Rümker. Letzterer ist zugleich Director der Hamburger Sternwarte. Außer sechs Hülfsarbeitern und mehreren Bureau- und Unterbeamten sind noch neunzehn Nebenstellen vorhanden, nämlich Agenturen ersten und zweiten Ranges und Vorstände der Normalbeobachtungsstationen. Das ganze Institut ist dem Chef der kaiserlichen Admiralität unterstellt.

Die erste Abtheilung ist für maritime Meteorologie bestimmt, und werden an derselben nur mit dem Seewesen ganz Vertraute, ehemalige Capitaine etc., angestellt, während an den anderen Abtheilungen auch durch Universitätsstudien hinreichend Vorgebildete, die mit dem Seewesen nicht bekannt zu sein brauchen, Anstellung finden. Alles, was sich auf die physikalischen Verhältnisse des Meeres und auf die meteorologischen Erscheinungen, soweit deren Kenntniß der Schifffahrt von Nutzen ist, bezieht, wird von dieser Abtheilung gesammelt und bearbeitet. Zu dem Zwecke wurden im Laufe dieses Geschäftsjahres an über zweihundert Schiffe meteorologische Beobachtungsjournale von dieser Section abgegeben, von denen innerhalb desselben Zeitraums fast hundertfünfzig, mit Beobachtungen gefüllt, wieder zurückgeliefert wurden. Da man aber beabsichtigt, in nächster Zeit den Grundsatz in aller Strenge durchzuführen, nur solche Journale anzunehmen, deren Beobachtungen mit Instrumenten der Seewarte selbst gewonnen worden sind, so wird sich wohl nach den Erfahrungen, die das meteorologische Büreau in London hierbei gemacht hat, die Zahl derselben vermindern. Dafür wird man aber die Sicherheit haben, daß nur genaue Beobachtungsreihen in Rechnung gezogen werden. Eine specielle Aufgabe dieser Abtheilung ist ferner die Bearbeitung aller nautisch wichtigen Beobachtungen, die sich auf den atlantischen Ocean zwischen zwanzig und fünfzig Grad nördlicher Breite beziehen. Auf Grund derselben wird auch beabsichtigt, ein Segelhandbuch für dieses Meer herauszugeben. Außerdem wurden auch besondere schriftliche Segelanweisungen für bestimmte Routen an fünfzig Capitaine auf deren Verlangen abgegeben; in Zukunft beabsichtigt man gedruckte Segelanweisungen zu publiciren. Die Arbeit, welche dieser Abtheilung durch die Verwaltung und Controle der zahlreichen Agenturen der Seewarte in verschiedenen Hafenstädten der Nord- und Ostseeküste erwächst, ist eine nicht unbedeutende. Der Abtheilungsvorstand hat auch den Verkehr mit dem nautischen Publicum zu besorgen, namentlich durch Erklärung der Segelanweisungen und Besprechung der zu wählenden Seewege das Verständniß der Capitaine für die Ziele und Absichten der Seewarte zu heben und so indirect auch auf die Rheder einzuwirken.

Die zweite Abtheilung befaßt sich mit der Prüfung von Instrumenten und hat die literarischen Publicationen des Instituts zu besorgen; auch ist derselben die Bibliothek der Seewarte untergeordnet. Letztere ist, wenn auch natürlich noch nicht umfangreich, so doch schon recht werthvoll. Sie besteht hauptsächlich aus dem elfhundert Bände ausmachenden Theile der Bibliothek des berühmten Meteorologen Professor Dove, welchen die Anstalt zu einem mäßigen Preise erworben hat. Außerdem enthält sie noch zahlreiche Land- und Seekarten.

Der wiederholt bei Gelegenheit von Unglücksfällen zu Tage tretende bedauerliche Umstand, daß von mechanischen Werkstätten zuweilen ganz unbrauchbare, fehlerhafte Instrumente an Schiffsführer verkauft werden, welche letztere meist nicht im Stande sind, dieselben auf ihre Güte hin genau zu prüfen und sich vor Schaden zu bewahren, hatte schon längst die Aufmerksamkeit der Sachverständigen auf sich gezogen, und es erschien sehr wünschenswerth, diesen großen Uebelständen abzuhelfen. Es übernahm deshalb diese Abtheilung die Prüfung der von den Capitainen eingelieferten Barometer und Thermometer, Sextanten und Compasse, von welchen Instrumenten besonders die beiden letzteren Gattungen eingehende Beachtung finden. Es hat sich diese Einrichtung als eine sehr nützliche erwiesen. Die Mechaniker verwenden seitdem mehr Sorgfalt auf die Anfertigung ihrer Apparate, lassen dieselben sogar schon theilweise selbst durch die Seewarte prüfen, was ihnen dann durch besondere Certificate bescheinigt wird. Dadurch ist es den Capitainen ermöglicht, wirklich brauchbare und zuverlässige Instrumente zu erlangen. Es wurden im ersten Jahre sechshundert derartige Apparate geprüft, und ist diese Einrichtung ein nicht zu unterschätzender Nutzen der Seewarte.

Die Magnetnadel ist bekanntlich für den Seemann eines der unentbehrlichsten Instrumente, die ihn mitten durch die großen Wasserwüsten der Oceane den sicheren Weg finden lehrt. Nun erleidet dieselbe jedoch durch die Nähe von Eisenmassen bedeutende Störungen und Ablenkungen (Deviationen). Mit der wachsenden Zahl eiserner Schiffe, die durch das Nieten und Hämmern bei ihrem Baue stets magnetisch werden, wächst mehr und mehr die aus diesen Störungen und Ablenkungen entstehende Gefahr. Die Nichtbeachtung derselben zählt jedenfalls mit zu den Ursachen der Katastrophen, die neuerdings verschiedene große Eisendampfer betroffen haben.

Eine genaue Untersuchung des Verhaltens der Compasse an Bord eiserner der Schiffe war daher eine Hauptaufgabe dieser Section. Eine angemessene Zahl solcher Fahrzeuge wurde bisher schon darauf hin untersucht, was durch gleichzeitige sich gegenseitig controlirende Beobachtungen am Lande und an Bord bei Richtung der Schiffslängsaxe nach den zweiunddreißig Compaßstrichen geschieht; ferner wurde Schiffsbaumeistern in Bezug auf die beste Construction der Compaßaufstellung Rath ertheilt, wie auch für eine Zahl älterer eiserner Segelschiffe und Dampfer Deviationstabellen berechnet wurden. Ein kleines Modell, das in einem Zimmer der Seewarte aufgestellt ist, veranschaulicht deutlich die Ablenkungsfehler, welche durch die eisernen Deckbalken, Maste etc. bei einer Cursänderung des Schiffes entstehen. Dieser Abtheilung [722] lag es in dem vergangenen Winter ferner ob, an die kaiserliche Admiralität Berichte über Untersuchungen und Verbesserungsvorschläge in Betreff des einer Reorganisation so sehr bedürfenden Nebel- und Nachtsignalwesens der Schiffe abzugeben.

Die angestrengteste Thätigkeit, deren Resultate dem Publicum wohl auch am meisten vor Augen kommen, liegt der dritten Abtheilung ob, die sich mit Küstenmeteorologie und Sturmwarnungswesen beschäftigt. Ihr war bei der Errichtung der Seewarte die sehr schwierige Aufgabe gestellt, eine vollständig neue Organisation der Beobachtungsweisen und der Stationen, gemäß den Beschlüssen des ersten Meteorologencongresses zu Wien, in’s Leben zu rufen. Dies ist ihr vollständig gelungen. Ein geordnetes meteorologisches Beobachtungssystem ist nun schon fünfzehn Monate in voller Thätigkeit, und seit dem 15. Februar werden täglich Witterungsberichte und Karten herausgegeben, die Großbritannien, Scandinavien, fast das ganze europäische Rußland, Oesterreich-Ungarn, Italien, Frankreich und Deutschland umfassen. Diese sogenannten synoptischen Karten, auf denen die zu gleicher Ortszeit an den verschiedenen Stationen angestellten Beobachtungen eingetragen sind, lassen den Witterungszustand dieser Länder sofort erkennen. Die auf Null Grad und auf das Meeresniveau reducirten Barometerstände sind neben den Stationen in Millimetern eingetragen. Nach diesen Zahlen werden Linien gezogen, die durch alle die Orte gehen, welche gleiche Barometerhöhen haben; um die Karten nicht unübersichtlich zu machen, geschieht dies jedoch nur für je fünf Millimeter Differenz. Diese Linien, die Isobaren heißen, geben die beste Uebersicht über die Vertheilung des Luftdruckes. Die Windrichtung wird durch mit der Luftströmung fliegende Pfeile angegeben; die Windstärke läßt sich an der Zahl der Federn an der Fahne der Pfeile erkennen, und zwar steigt dieselbe mit der Stärke des Windes von eins bis sechs; es bedeutet mithin ein Pfeil mit sechs Federn einen heftigen Orkan mit einer Geschwindigkeit von über dreißig Meter die Secunde, oder circa hundertzwanzig Kilometer die Stunde, was einem Luftdruck von über fünfundneunzig Kilogramm auf den Quadratmeter gleichkommt. Ein Pfeil mit einer Feder dagegen bedeutet ganz schwachen Wind von ein bis vier Meter Geschwindigkeit die Secunde, oder vier bis vierzehn Kilometer die Stunde, mithin nur einen Druck von circa 1,5 Kilogramm auf dieselbe Fläche.

Die Art der Bewölkung erkennt man an dem Aussehen der kleinen Kreise, welche die Stationen darstellen. Wenn das Innere derselben leer ist, so ist der Himmel an den betreffenden Orten ganz heiter; ist das obere rechte Viertel der Kreise schwarz ausgefüllt, so ist der Himmel leicht bewölkt; halb bedeckt ist er dagegen, wenn die rechte Hälfte schwarz ist; fast bedeckt, wenn nur noch das obere linke Viertel weiß gelassen ist; ein ganz schwarzer Kreis bedeutet endlich ganz überzogenen Himmel. Eine zweite derartige synoptische Witterungskarte stellt ferner die Temperaturverhältnisse, den Niederschlag (Regen wird durch einen schwarzen Punkt in der Station, Schnee durch einen Stern, Hagel durch ein schwarzes Dreieck, Gewitter durch eine Zickzacklinie bezeichnet) und den Seegang an den Küstenstationen dar.

Das zur Construction dieser Karten nöthige meteorologische Material wird der Seewarte außer von den sieben von dem Institute unmittelbar abhängigen Normalbeobachtungsstationen (Memel, Neufahrwasser, Swinemünde, Keitum, Borkum etc.) noch von sämmtlichen deutschen Stationen, unter denen wir nur Crefeld, Münster, Karlsruhe, Bamberg, Trier, Leipzig, Kassel, Berlin, Breslau und Thorn nennen wollen, täglich ein- oder von manchen sogar zweimal telegraphisch eingesandt und ist diesen Depeschen vor allen anderen Privattelegrammen der Vorrang eingeräumt. Hierzu kommen noch die täglichen telegraphischen Witterungsberichte von sechsundvierzig Stationen des Auslandes, deren Zahl man bald auf sechszig zu bringen hofft, wenn England, das bis jetzt nur von Valentia an der Westküste von Irland, Thurso an der Nordspitze Schottlands und Yarmouth Berichte einsendet, ferner Schweden und Italien mit ihren sämmtlichen Stationen diesem telegraphischen Wechselverkehre beigetreten sein werden. Es hat eine unendliche Arbeit und Geduld erfordert, bis dieser ausgedehnte Depeschenaustausch in’s Leben getreten ist, dessen Zustandekommen ein nicht geringes Verdienst des bewährten Leiters des Instituts ist.

Da die Seewarte seit Kurzem mit allen Stationen in directer telegraphischer Verbindung steht, so ist das sehr beschwerliche Abholen der Depeschen von dem fast eine halbe Stunde entfernten Telegraphenamte Hamburg weggefallen. Gegen halb zehn Uhr Morgens kommen die ersten Depeschen an, denen dann rasch die übrigen folgen, sodaß um zehn Uhr sämmtliche Berichte des Inlands zur Hand sind. Eine Auswahl derselben wird sofort auf telegraphischem Wege an ausländische Institute, so z. B. nach London, Paris, Brüssel, Stockholm, Petersburg, Wien etc. und außerdem noch an einige größere deutsche Zeitungen, die Abendnummern herausgeben, gesandt. Kaum ist dies geschehen, so laufen schon die Berichte obiger ausländischer Institute ein, und nun wird sofort mit der Bearbeitung des gewonnenen Materials begonnen. Die inländischen Telegramme werden nach Berechnung der Aenderungen geordnet und mit autographischer Tinte auf besonderes Papier geschrieben. Behufs Versendung dieser Berichte an alle größeren Zeitungen mit den Nachmittagsschnellzügen muß diese Arbeit um zwölf Uhr beendet sein, worauf sogleich die Absendung in die Druckerei und von da zur Post erfolgt.

Nun wird sofort zur Zeichnung der Wetterkarten mit bereits fertigem Netz und Länderumrissen geschritten, die nach Vollendung auf autographischem Wege vervielfältigt werden. Bis um vier Uhr sind dieselben soweit fertig, daß die erste Pause eintreten kann, die bis etwas nach fünf Uhr dauert, wo dann die Nachmittagsberichte einlaufen, deren Bearbeitung theilweise in der Druckerei selbst erfolgen muß, damit dieselben noch in die soweit zum Drucke fertigen Karten eingetragen werden können; außerdem kommt noch eine kurze Uebersicht über die Aenderungen seit den Morgenbeobachtungen hinzu. Um acht Uhr sind diese Karten fertig und werden durch die Nachtschnellzüge an den Ort ihrer Bestimmung gebracht. Der jedenfalls sehr billige Preis (inclusive täglicher portofreier Zusendung) von fünfzehn Mark vierteljährlich ermöglicht es Manchem, der Interesse für Meteorologie hat, diese höchst belehrenden und sauber ausgeführten Karten durch das nächste Postamt zu beziehen. Die allgemeine Verbreitung derselben würde für das Publicum wegen der daraus zu ziehenden Wetterprognosen von großem Nutzen sein. Könnten nicht auch die Besitzer großer Restaurants, die jährlich für Zeitungen so viel Geld verausgaben, auf diese Karten abonniren? Sie würden dadurch gewiß manchem ihrer Gäste einen erwünschten Dienst erweisen. Doch davon später!

Die dritte Abtheilung besorgt außerdem noch die Sturmwarnungen. Zu diesem Zwecke soll schon in diesem Herbste ein hoher Signalapparat vor dem weithin sichtbaren Seemannshause aufgestellt werden, an dem durch verschiedenartige Stellungen von Flaggen und aus Weidengeflecht hergestellten großen Kugeln und kegelförmigen Körpern der Seemann erkennen kann, ob Gefahr im Anzug ist. Ein solcher Apparat soll später in allen größeren Häfen aufgestellt werden, und es steht dann zu hoffen, daß durch ihn gar mancher Unglücksfall vermieden werden wird. Waren doch in England im Jahre 1872 auf hundert Sturmwarnungen einundsechszig wirkliche Stürme und zwanzig starke Winde gefolgt. – Die vierte Abtheilung beschäftigt sich ausschließlich mit der Prüfung von Chronometern, die dem Seemanne zu genauen Ortsbestimmung so unentbehrlich sind. Es ist zu hoffen, daß durch diese Einrichtung die deutsche Chronometerfabrikation, die der von England bislang noch etwas nachstand, dieser bald ebenbürtig werden wird.

So hat die deutsche Seewarte in der kurzen Zeit ihres Bestehens schon bedeutende Beweise ihrer Leistungsfähigkeit gegeben. Aber nicht allein dem Handel und Seeverkehr ist Gelegenheit geboten, bedeutende Vortheile aus der Anstalt zu ziehen, sondern auch im Binnenlande giebt es einen Erwerbszweig, dem die Segnungen des Instituts in reichem Maße zugewandt werden könnten, wenn wir Deutsche nur sozusagen hinreichend meteorologisch erzogen wären. Nicht genug, daß mancher Rheder, durch Assecuranz seiner Schiffe gesichert, geradezu ein Feind solcher Institute, wie die Seewarte, ist, weil die Warnungen derselben seine Capitaine bestimmen könnten, nicht zu der festgesetzten Zeit in See zu gehen, oder daß viele Seeleute und Fischer aus Trägheit sich nicht einmal die Mühe nehmen, die Warnungssignale verstehen zu lernen, nein, auch unsere gesammte politische Presse, deren Endzweck doch schließlich Belehrung des Publicums über alle wichtigen Erscheinungen und Neuerungen in der menschlichen Gesellschaft sein soll, hat in Betreff der Meteorologie ihre Pflicht noch [723] durchaus nicht erfüllt. Was helfen die spaltenlangen Zahlenreihen und trockenen Berichte, die man in den größeren Zeitungen Deutschlands findet? Es werden sich wohl nur Wenige die Mühe nehmen, diese Zahlen mit Aufmerksamkeit zu vergleichen.

Es klingt bitter und doch muß es offen eingestanden werden, daß uns in diesen Beziehungen die Franzosen, die Engländer und besonders die Nordamerikaner bei Weitem überlegen sind. Dort hat ein großer Theil der bedeutenderen Zeitungen die ihnen hierin obliegende Aufgabe erkannt: hinzuweisen und hinzuarbeiten auf eine weite Verbreitung meteorologischer Kenntnisse. Das konnte aber einzig und allein geschehen durch Veröffentlichungen von täglichen synoptischen Witterungskarten, welche die gleichzeitige atmosphärische Situation mehrerer Nachbarländer schnell überblicken lassen, oder von Zeichnungen, welche die wichtigsten meteorologischen Elementen bestimmter Orte, als da sind: Temperatur der Luft, Druck und Bewegungsgeschwindigkeit derselben, Größe des Niederschlags etc., graphisch darstellen. Nur dadurch ist es möglich, die Aufmerksamkeit des Publicums wachzurufen und zu erhalten. Das hat der praktische Sinn der Amerikaner vor allen und zuerst erkannt. Die täglich dreimal erfolgenden Publicationen des unter dem Kriegsminister stehenden meteorologischen Instituts zu Washington, die zu Hunderttausenden von den Zeitungen reproducirt und außerdem noch an den Straßenecken der Städte angeschlagen werden, sind das staunenswerthe Resultat eines über das ganze ungeheure Land verzweigten Beobachtungssystems, und ist die jährlich für diesen Zweck aufgewandte Summe von zweihundertfünfzigtausend Dollars in Anbetracht des namentlich für die Landwirthschaft dadurch geschaffenen Nutzens gewiß keine zu hohe. England hat nach Vorgang der „Times“, die jährlich zehntausend Mark meteorologischen Zwecken opfert, noch folgende Zeitungen aufzuweisen, die in mehr oder minder großem Maßstabe tägliche Witterungskarten veröffentlicht: Das „Journal Graphic“, die Zeitschrift des Lloyd, und den „Observer“. In Frankreich veröffentlicht seit Kurzem das wöchentlich erscheinende Journal „Les Mondes“ meteorologische Curven. Am hervorragendsten von allen sind aber die Leistungen des Pariser Journals „L’Opinion“. Mit einem rastlosen Eifer und dankenswerthem Fleiß hat es diese Zeitung dahin gebracht, daß ihre Karten wohl als die besten und am reichlichsten ausgeführten von allen derartigen Zeitungspublicationen dastehen. Bei dem Streben nach Genauigkeit und Vollkommenheit der Karten und der aus ihnen zu ziehenden Wetterprognosen ist es der Redaction gelungen, selbst noch die Beobachtungen darin aufzunehmen, welche im letzten Augenblick vor der Drucklegung, um sechs Uhr Abends, angestellt werden.

Man wende uns nicht ein, daß für Deutschland die Herstellungskosten dieser graphischen Darstellungen zu hoch seien. Die hierzu nöthigen Clichés werden von der Anstalt für chemische Gravirung der Herren Yves und Barret in Paris, welche sich um die Publicationen der praktischen Meteorologie große Verdienste erworben haben, zu dem gewiß mäßigen Preise von fünfhundertundzwölf Mark jährlich geliefert; das macht tägliche Unkosten von ein Mark vierzig Pfennig. Ein in der Druckerei der betreffenden Zeitung anwesender Graveur kann mit Hülfe eines Grabstichels nach der ihm vom Beobachter übergebenen Zeichnung der Curven diese selbst in wenigen Minuten in eines dieser bereits vorbereiteten Clichés eingraviren, und damit ist die Arbeit für die Zeitung gethan.

Weder Preßgesetze noch geringe Abonnentenzahl, wohl aber Bequemlichkeit und Mangel an jenem Unternehmungsgeist, der die Resultate der Wissenschaft praktisch zu verwerten und für das Gemeinwohl nützlich zu machen strebt, sind die Gründe für das auffällige Fehlen eines solchen Unternehmens bei uns. Sollte es wohl im ganzen Reich nicht eine einzige Zeitung geben, die Willens wäre, den Wettstreit mit unseren westlichen Nachbarn in der Popularisirung der Meteorologie aufzunehmen, um in dieser Beziehung die Achtung vor Deutschland und seiner Presse zu wahren?
v. D.