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Titel: Ein neuer Kaspar Hauser
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aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 272
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[272] Ein neuer Kaspar Hauser. Vom Magistrate zu Pritzerbe bei Brandenburg geht der Redaction der „Gartenlaube“ folgende Zuschrift zur Veröffentlichung zu:

„Am 8. November wurde mir,“ so schreibt der Herr Bürgermeister Heidert, „von dem Gensd'armen Hartmann ein junger Mensch vorgeführt, der wegen Bettelns verhaftet worden war. In seiner Vernehmung gab er an, er heiße Hermann Groll, wisse nicht, wie alt er sei, noch wo er geboren; seine Eltern habe er nicht gekannt und sei, so lange er denken könne, mit einer großen Schaar Zigeuner herumgezogen. Im Frühjahre 1876 seien in der Schweiz unter den Zigeunern Streitigkeiten ausgebrochen, und einer derselben, Fasti mit Namen, habe sich mit ihm von den Andern getrennt und sei mit ihm nach Deutschland gegangen. In einem Orte hinter Berlin, den Namen vermöge er nicht genau anzugeben, habe Fasti ihm gesagt: 'Du kannst nun gehen. Du gehörst nicht zu uns. Du heißt Hermann Groll, bist, als Du klein warst, in Holstein gestohlen. Gehe nach Holstein! Du wirst dort Deine Eltern finden.'

Groll will nun weiter gegangen sein, fragend, wohin der Weg nach Holstein gehe. Am 17. April 1876 ist derselbe nach Brandenburg gekommen, hat dort bis zum 26. October 1876 bei dem Speisewirthe Fey gedient, ist dann wegen Mangels an Arbeit entlassen und nachher verhaftet und mir vorgeführt worden.

Groll bat mich dringend, ihn irgendwo unterzubringen; er wolle gern arbeiten. Ich habe ihn bei einem Schmiedemeister in die Lehre gebracht, und er hat sich bis jetzt fleißig und ordentlich geführt; ein gleiches Zeugniß hat der pp. Groll auch von seinem Brandenburger Arbeitsherrn erhalten. Dem Oberprediger unseres Ortes, welcher ihm im Winter Unterricht im Lesen ertheilte, hat Groll viel von den großen Reisen der genannten Zigeunergesellschaft erzählt und dabei eine ziemlich scharfe Beobachtungsgabe bekundet. Dabei erzählte er auch, daß noch mehrere Knaben, Deutsche, bei der Gesellschaft gewesen, die zum Pferdefüttern etc. verwendet worden seien.

Groll ist anscheinend sechszehn bis siebenzehn Jahre alt, von kräftiger Figur, hellblonden Haaren und augenscheinlich ein Norddeutscher. – Eine genaue Verhandlung ist mit ihm noch nicht möglich gewesen, da er mir gegenüber noch sehr scheu ist; auch ist vorzüglich noch aufzuklären, warum er nur Deutsch spricht, während, nach seiner Mittheilung an den Oberprediger, die Zigeuner die längste Zeit in Spanien, Frankreich, der französischen Schweiz, in Ungarn, Rußland, der Türkei, in Klein-Asien und sogar in Persien gewesen sein sollen.“

Soweit die obrigkeitliche Angabe. Eine Privatzuschrift nannte den Unbekannten nicht Groll, sondern Zorn. Offenbar spielt hier die Sinnverwandtschaft der Wörter eine Rolle und dürfte für die Aufsuchung der Angehörigen des Findlings zu beachten sein.