Ein mitteldeutsches Volkstrachtenfest

Textdaten
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Autor: Kurt Greß
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Titel: Ein mitteldeutsches Volkstrachtenfest
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 441–445
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein mitteldeutsches Volkstrachtenfest.

Mitten im Herzen Deutschlands liegt das kleinste der vier sächsischen Herzogthümer, das Herzogthum Sachsen-Altenburg. Preußisches und reußisches Gebiet trennen dasselbe in zwei fast gleich große, nach ihrer Beschaffenheit und ihren Bewohnern aber völlig verschiedene Theile, den Ostkreis und den Westkreis, oder, wie man dieselben wohl auch treffend zu bezeichnen pflegt, das Kornland und das Holzland. Letzteres, ein Stück des schönen Saalthales, grenzt unmittelbar an das Thüringerland an; dunkle rauschende Wälder sind sein Schmuck und sein Schatz; Saale und Orla durchströmen sein Waldrevier; Tannenduft und Waldluft durchwehen es, und die Berge Thüringens strecken ihre letzten Ausläufer, oder wenn man lieber will, ihre ersten Vorboten bis mitten hinein in das schöne Land. Auch seine Bewohner sind Thüringer Stammes, wie dieser begabt mit der naturfrischen Biederkeit und Leichtlebigkeit des munteren Völkchens der Thüringer; Wohlstand und reiche Habe ist ihnen, gleich diesen, nicht zu Theil geworden und nur mühsam ringen sie dem wenig fruchtbaren Boden die nothdürftigen Früchte ab; aber was ihnen Feld und Wiese versagt, das giebt ihnen in reicher Segensfülle ihr herrlicher Wald, und frohgenügsam neiden sie nicht dem reicheren Nachbar das Loos, sondern freuen sich Dessen, was ihnen der Wald freigebig schenkt an Beeren, Holz und Arbeit.

Anders dagegen der Ostkreis des Herzogthums! Dort dehnen sich weithin die gesegneten Fluren des Kornlandes; auf den saftigen Wiesen lagert schmuckes, wohlgenährtes Vieh und die Scheuern vermögen kaum die reichen Gaben des Feldes zu fassen. Dort birgt die Tiefe das schwarze Gold der Braunkohlen, welches der Dampfwagen weithin in die Ferne trägt; dort breitet sich die stattliche Hauptstadt des Landes aus; dort ragt auf hohem Porphyrfelsen stolz das Schloß des Fürstenhauses empor; dort sitzt in behäbigem, soliden Wohlstande auf schönen, von den Vätern ererbten Gütern der eigentliche Nährstand des Herzogthums, der Altenburger Bauer. Er bewohnt zum großen, fast ausschließlichen Theile den reichen Strich des Ostkreises und hat sich, trotz aller zerstörenden Einflüsse der Zeit, mit zäher Ausdauer seine zahlreichen Eigenthümlichkeiten in Tracht, Sitten, Gebräuchen und Sprache Jahrhunderte hindurch bewahrt.

Der Altenburger Bauer ist nicht, wie der Holzländer, thüringischen Stammes, sondern vielmehr slavischen Ursprungs. Vor langen Jahrhunderten drang ein Zweig des großen Slavenstammes, die Sorben-Wenden, von Osten her immer weiter nach Sachsen vor, siedelte sich hier mit praktischem Verstande an, wurde nach und nach völlig germanisirt und rief eine vortreffliche Bodencultur und so jenen Wohlstand hervor, der noch heute ihre Nachkommen auszeichnet. Aus dieser Abstammung von den Sorben-Wenden erklärt sich die mannigfache Eigenart der Altenburger Bauern. Insbesondere zeigt sich dieselbe in der ganz eigenthümlichen, von der aller Umwohner wesentlich verschiedenen Tracht. Freilich hat auch hier die Zeit bereits sehr Vieles geändert, aber Vieles, das Hauptsächlichste, ist doch geblieben, und schon das Gebliebene ist merkwürdig genug.

Am wenigsten Veränderung hat die männliche Tracht erlitten. Das Hauptstück derselben ist die Kappe, ein langer Tuchrock von dunkler Farbe und inwendig mit grünem Flanell gefüttert. Sie wurde jedoch an Fest- und Sonntagen mit „der Weißen“ vertauscht, einem der Kappe ähnlichen Rocke von sehr weißem Tuche, mit schwarzbesetzten Aermeln, Futter von blaustreifigem Zeuge und an den Seiten mit einem Einschnitte versehen, durch welchen die schwarzen, bauschigweiten Lederhosen sichtbar werden. Ein sauberes Hemd mit sehr weiten, in seine Fältchen gelegten Aermeln, Hosenträger aus schwarzem lackirten Leder, ein schwarzes, breites Brusttuch oder ein Brustlatz, hohe, enganliegende Stiefeln, endlich ein einfaches Filzhütchen mit schmaler Krempe vervollständigen den Anzug des echten Bauersmannes. Doch ist noch von den genannten Kleidungsstücken bereits manches verbannt oder doch in den Hintergrund gedrängt worden. Namentlich ist die sogenannte „Weiße“ jetzt gar nicht mehr zu sehen und nur noch in den Kleiderschränken des Großvaters als Rarität zu finden. Statt ihrer und auch statt der Kappe trägt jetzt der Bauer den bequemeren Spenser, eine kurze Jacke, und außerdem zum Schutze gegen Kälte und Regen den sogenannten Matin (spr.: Mateng), einen weiten, langen Mantel von verschiedenen Stoffen und Farben. Ebenso hat auch die gewöhnliche Schirmmütze das alte Hütchen fast vollständig verdrängt.

Wenn nun die männliche Tracht, welche kleidsam, volksthümlich und dabei praktisch und dauerhaft ist, sich wesentlich gleich geblieben, so ist dies bei der weiblichen durchaus nicht der Fall. Hier haben Mode und Zeit arge Verwüstungen angerichtet, Kleidungsstücke völlig beseitigt, andere an deren Stelle geschaffen und den alten neue Formen gegeben. Man vermag genau nachzuweisen, daß die große Umwälzung in der weiblichen, namentlich der festlichen Bauerntracht, wie sie sich etwa seit dem Jahr 1800 vollzogen hat, in der Hauptsache eine Folge der französischen Revolution gewesen ist, wenn sich auch schon vorher mannigfache Aenderungen Bahn gebrochen hatten. Es würde jedoch Stoff zu einer besonderen Abhandlung liefern, wollte man die einzelnen Stadien verfolgen, welche die Weibertracht durchlaufen hat, bis sie zur heutigen und neuesten Form und Art hindurchgedrungen ist. Begnügen wir uns daher mit der Thatsache und sehen wir uns ein wenig die heutige Tracht der schöneren Hälfte des Bauernstandes an.

Das Bleibende in allem Wechsel ist der weibliche Rock, heute, wie in alter Zeit, enganliegend, nur bis zum Knie reichend, aus vielen ganz dichtaneinander genähten steifen Falten bestehend und die Formen ihrer Trägerinnen mehr als zur Genüge andeutend. Zu ihm gehören weiße, für Wirthschaft und Werktag wohl auch dunkle Strümpfe, auf deren Beschaffenheit und Verzierung viel Werth gelegt wird und welche die mehr oder weniger guten Waden der Bäuerinnen, alle Heuchelei in dieser Beziehung unmöglich machend, in das hellste Licht setzen. Weiter gehören zum Anzug Aermel von verschiedenem Stoff und verschiedenartige Mieder, ebenfalls je nach Stand und Wohlhabenheit, während bei kaltem Wetter und an Sonn- und Festtagen noch eine glattanliegende Jacke über Mieder und Aermel getragen wird. Dazu trägt man vor der Brust einen mächtigen, vom Kinn bis zum Rockanfange reichenden Vorstecklatz von Pappe, mit Zeug überzogen und durch Bänder gehalten. Dieser Latz ist das Ungeheuerlichste der weiblichen Bauerntracht, bedeckt vom Kinn an den ganzen Vorderleib, und wer will, kann beinahe mit der Hälfte des Gesichts, mindestens mit Mund und Nase, unter diesen Panzer hineinkriechen und sich hinter demselben verstecken. Endlich kommt noch der Kopfputz dazu; er besteht jetzt nur in einem mehr oder weniger kostbaren Kopftuche mit breiten Kanten, welches das Oberhaupt vollständig bedeckt, nicht eine Spur des Haares sichtbar werden läßt und von dem geschürzten Knoten in zwei langen, breiten Flügeln fast bis auf den halben Rücken hinabreicht.

Das ist in Kurzem das Bild der Altenburger Bäuerin. Charakteristisch ist es wohl, aber daß es schön sei, dürfte selbst der größte Schmeichler nicht zu behaupten wagen. Ist doch durch diese Tracht Alles, was die Zierde der weiblichen Gestalt ausmacht, völlig verhüllt, in ein Tuch eingewickelt und durch einen Panzer von Pappe versteckt, Anderes dagegen mit einer Offenheit in grelles Licht gesetzt, welche die Formen ihres Reizes entkleidet! Mag sie auch in der Haus- und Landwirthschaft recht praktisch sein, mögen mich manche neueste und neue Modethorheiten des schönen Geschlechts nicht minder unschön und ungeheuerlich sein, so muß es doch im Allgemeinen ausgesprochen werden, daß das allmähliche Abkommen dieser Tracht ein allzugroßer Verlust nicht genannt werden könnte.

In der weiblichen Tracht liegt der Keim zum allmählichen Absterben der ganzen Nationaltracht des Altenburger Bauernstandes; sie besonders ist zu jeder Zeit der Gegenstand der Neugierde, der Verwunderung, ja wohl gar des Spottes gewesen. Darf sich die Bäuerin in ihrer Tracht doch kaum in einer fremden Stadt sehen lassen, ohne daß ihr lächelnd die Erwachsenen nachschauen, und wohl gar die liebe Jugend, kritische Bemerkungen machend, in hellen Haufen jubelnd hinter ihr einherzieht und ihr ein unwillkommenes Geleite giebt! Kein Wunder also, daß das junge hübsche Bauernmädchen Lust bekommt,

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Das Trachtenfest der Altenburger Bauern im April 1873. Nach dem Leben entworfen und auf Holz gezeichnet von G. Sundblad.
Altenburger Bauern auf dem Schlosse.  Bauernball.

[444] die entstellenden Kleider abzulegen und sie mit der wenigstens gefälligeren Tracht der Städterinnen zu vertauschen. Und wie schon jetzt zahlreiche Männer doppelte Kleidung besitzen, Sonntags und in der Stadt städtisch, zu Hause und auf dem Felde dagegen bäurisch gekleidet sind, wie von der Männertracht Kappe, Weiße und Hütchen, von der weiblichen zum Beispiel der festliche, mit Scharlachtuch gefütterte Mantel, der Schleier und der den poetischen Namen „Saumagen“ tragende Kopfputz bereits verschwunden sind, so wird überhaupt die Zahl Derer, welche sich bäurisch kleiden, von Jahr zu Jahr geringer, und es erscheint als nicht ganz unmöglich, daß einmal in fernen Tagen die ganze Nationaltracht der Altenburger Bauern dahin gehen werde, von wannen sie niemals wiederkehrt.

Ebenso wie von der Tracht, hat sich auch von den mancherlei eigenthümlichen Sitten und Gebräuchen des Bauernstandes der größte Theil verloren; in dieser Hinsicht besonders fordert die Zeit fast jährlich ihre zahlreichen Opfer. Wenig ist noch übrig geblieben, und dieses Wenige ist nicht besonders interessant und derartig mit modernen Elementen versetzt, den modernen Formen so angepaßt, daß es seine Ursprünglichkeit fast ganz eingebüßt hat. Diese althergebrachten Sitten bezogen sich hauptsächlich auf die festlichen Ereignisse des Familienlebens; Taufe, Verlobung, Hochzeitsfest und Begräbniß waren ihr Gegenstand. Am merkwürdigsten waren sie bei den Hochzeitsfesten und haben sich auch hier noch verhältnißmäßig am meisten erhalten. Das Interessanteste ist das Institut der Hormtjungfern oder „Hormtmeede“ (Mägde, Maide). Bei Hochzeiten und Gevatterschaften trugen nämlich die Jungfrauen eine sonderbare Kopfbedeckung, das Hormt. Es ist dies ein Kopfputz in Form einer runden Schachtel, innen und außen mit rothem Damaste oder Sammt überzogen. Um das Hormt herum gehen dreizehn silberne Bleche oder Tafeln und auf jeder derselben stehen drei Reihen erhabener Knöpfe, gleichfalls von Silber. Rund herum hängen an Henkeln silberne, stark vergoldete Schildchen, kleinen Kirschblättern ähnlich, welche im Sonnenschein hell glänzen und bei jeder Bewegung des Kopfes schellenartig ertönen. Hinten am Hormte befinden sich zwei Zöpfe, jetzt aus Werg geflochten, mit buntem Bande umwunden und in einem Halbkreise über dem Hormt gebogen. Zwischen den beiden Zöpfen sitzt ein Kränzchen von Silberlahn und rings um das Hormt hängen breite, buntfarbige Bänder, welche unter dem Kinn in eine große Schleife gebunden werden und so den Kopfputz überhaupt festhalten. Früher begleiteten bei größeren Bauernhochzeiten wohl zwanzig bis dreißig solcher Hormtjungfern die Braut zur Trauung oder bei dem Auszug oder Einzug zu Wagen. Jetzt ist diese Sitte verschwunden und das Hormt, von denen manches einen Werth von über hundert Thalern hat, ruht unbenutzt als altes Familienerbstück nur noch in den Truhen und Schränken der Großmutter.

Dagegen ist der Charakter des Altenburger Bauern bis heute sich ziemlich gleich geblieben und zeigt sich noch jetzt in manchen Eigenthümlichkeiten. Besonders hat sich bis auf unsere Tage der mit großer Zähigkeit festgehaltene Unterschied zwischen dem Bauer und dem Städter oder Bürger und das enge, geschlossene Zusammenhalten der Bauern unter sich erhalten. Noch heute besteht für den Bauer ein scharfer Gegensatz zwischen ihm und dem Stadtpublicum; er schließt sich gegen dasselbe ab, mißtraut ihm wohl auch nicht selten; selbst das Bauermädchen knüpft nicht so leicht ein Liebesverhältniß mit einem Städter an, und Verheirathungen des Bauern mit einer Städterin und umgekehrt gehören zu den Ausnahmefällen. Auch untereinander herrscht strenger Unterschied der Vermögensclassen; der Anspanner, der sein Gut mit zwei, vier, sechs und mehr Pferden bewirthschaftet, verkehrt nicht gern auf freundschaftlichem Fuße mit dem Handgutsbesitzer oder Kuhbauer, dieser wieder nicht gern mit dem bloßen Häusler, der kein Gut besitzt. Doch das sind kleine Schwächen, denen eine große Reihe guter Eigenschaften gegenübersteht. Intelligenz, Fleiß und Sparsamkeit sind durchgehends bei dem Bauernstande zu finden; Solidität zeichnet ihn vortheilhaft in seinen Geschäften aus; ein schlagfertiger Mutterwitz ist ihm gegeben, und als Landwirth steht er überall in hohem Ansehen.

Ein Hauptvergnügen des Altenburger Bauern ist das Spiel, hauptsächlich das Scatspiel, dessen Erfindung mit Recht dem Bauern zugeschrieben wird. In ihm ist er anerkannter Meister; er spielt es ruhig und gewandt, am liebsten um einen nicht zu geringen Preis, weil er meint, daß ein solcher die Aufmerksamkeit der Spielenden anspanne. Seine Verluste trägt er mit großer Ruhe und ohne Leidenschaftlichkeit. Neben dem Scat ist wohl auch noch das „Tippen“, eine Art Hazardspiel, beliebt, und an den Roßmärkten in Altenburg wurde und wird wohl auch noch lebhaft und hoch gespielt.

Die Hauptfeste des Bauern sind, außer zahlreichen Schmäusen, das Erntefest und die Dorfkirmeß oder Kirmse. Letztere, welche in den Monat November fällt, dauert in sämmtlichen Dörfern drei Wochen lang. Die Dörfer sind in dieser Hinsicht in drei Bezirke, die sogenannten Reiten, getheilt, so daß jede der drei Wochen in einer Anzahl von Dörfern Kirmse ist. Die einzelne Kirmse in jedem Dorfe dauert fast die ganze Woche hindurch; Essen, Trinken und Tanz sind die Vergnügungen der Kirmse, welche auch zahlreich von dem Publicum aus der Stadt besucht wird. Diesem gehört der Nachmittag; sobald es aber dunkelt, verschwinden die modernen Trachten der Städter, und der Tanzsaal füllt sich mit den Burschen und Mädchen des Dorfes, welche sich nun, Erstere meist in den blanken Hemdärmeln und die Mütze auf dem Kopfe, Letztere in der Festkleidung mit den saubersten weißen Strümpfen, in munterem Tanze drehen. Dabei wird durchgehends, besonders von dem weiblichen Geschlechte, sehr gut und zierlich getanzt, wenn auch nur Polka, Schottisch und Galopp, da die engen Röcke es den Mädchen geradezu unmöglich machen, Walzer zu tanzen. Den alten Nationaltanz, den sogenannten „Rumpuff“, mit einer einförmigen Melodie kennt man jetzt höchstens noch dem Namen nach. Auch in den größeren Tanzsälen der Residenz werden im Winter öfters zahlreich besuchte Bauernbälle abgehalten, auf denen die Eigenart des Bauers deutlich hervortritt.

Eine letzte, nicht zu vergessende Eigenthümlichkeit ist die Sprache der Bauern. Obwohl dieselbe unzweifelhaft eine Abart des sächsischen Dialektes ist, so hat sie doch vieles ihr völlig Eigene und sie von allen Idiomen der Umgegend Unterscheidende. Sie ist kräftig, derb und naiv, und ihre Ausdrücke beleidigen öfters das gebildete Ohr des Hochdeutschen. Trotzdem muß man ihr doch auf der andern Seite nachrühmen, daß sie, herangebildet im Kreise des ländlichen Berufs, sich mit Traulichkeit an die Erscheinungen des dörflichen Lebens anschmiegt. Freilich klingt sie dem Ohr des Nichteinheimischen wie die Sprache irgend eines wilden Völkerstammes, und auch der Eingeweihtere wird bisweilen rathlos vor manchem ihrer Ausdrücke stehen. Zu den größten Merkwürdigkeiten in dieser Beziehung gehören besonders die Namen der heimischen Ortschaften, mit denen der Bauer in der wunderlichsten Weise verfährt. So nennt er zum Beispiel die Dörfer Monstab „Musch’pch“, Dobraschütz „Dubschtz“, Brökau „Brieke“, Bornshain „Börnse“, Loitschütz „Lühtzsch“, und aus dem Namen des Dörfchens Heiligenleichnam machte er gar das Wort „Hellechen“. Und würde nicht der Fremde, welcher von einem Manne sagen hörte, das sei aber ein „gemeener“ Mann, sicher dies für einen schweren Tadel halten, während es umgekehrt nur so viel bedeutet, als es sei ein freundlicher, leutseliger Mann?[1] Ebenso seltsam ist der Umstand, daß der Bauer, will er von etwas sagen, daß es ganz besonders schön sei, sich des Wortes „häßlich schiene“ bedient.

Und doch eignet sich die Bauernsprache vermöge ihrer ausgebildeten Hinneigung zum Wirklichen vortrefflich zur Erzählung, auch zu der in poetischer Form, von Witzen und Schnurren, sowie zu kräftigen Darstellungen aus dem ländlichen und Familienleben, und Mancher, der sich durch längeren Verkehr die Rede- und Anschauungsweise der Bauern vertraut gemacht hat, versteht mit einer Erzählung in ihrer Mundart die fröhlichste Heiterkeit zu erregen. Das beste Zeichen für ihre Lebensfähigkeit aber ist es, daß sie, wie manch anderes, ausgebildeteres Idiom, auch ihren Volksdichter gefunden hat.

Auf ihn, den am 19. März 1854 zu Zwickau verstorbenen Pfarrer Friedrich Ullrich und dessen „Volksklänge in Altenburger Mundart“, deren zweite Auflage 1861 in Zwickau erschienen ist und die sich innerhalb der Kreise ihrer Heimath [445] verdienter Beliebtheit erfreuen, sei hier ausdrücklich der Freund den Dialekts und einfacher, lustiger Geschichten aus dem Volksleben aufmerksam gemacht. Einzelne derselben, wie zum Beispiel „De Schwalbge“, „Dr verluhrne Suhn“, „Dr dicke Paal“ (Paul), „Dr ungerathne Suhn“ und manche freie Nachdichtung Gellert’scher und Hebel’scher Gedichte sind Erzeugnisse gesunden Humors und feiner Beobachtung des Landvolkes.

Doch auch die Sprache des Bauern verschwindet immer mehr, jeder Gebildete spricht jetzt Hochdeutsch oder kann es wenigstens sprechen, ja, er schämt sich wohl gar des groben Dialekts, und so geht, wie Tracht und Sitte, auch die Sprache unaufhaltsam ihren Weg, dem Ende entgegen.

Um so interessanter und beachtenswerther war deshalb das Fest, das die gesammte Altenburger Bauernschaft am 15. April dieses Jahres zu Ehren der Vermählung der Prinzessin Marie, der einzigen Tochter des regierenden Herzogs, mit dem Prinzen Albrecht von Preußen, einem Neffen Kaiser Wilhelm’s, in Altenburg veranstaltet hatte, nämlich ein feierliches Aufreiten der Bauern und eine Auffahrt von Hormtjungfern. Es war ein nationales Schauspiel, von dem man sich mit wehmüthigem Bedauern sagte, daß es das letzte seiner Art sein werde. Und wirklich war es ein schönes, ein gelungenes Fest und verlief in schöner Ordnung. Umwogt von einer heiteren Menschenmasse, von der hellsten Lenzsonne beschienen, bewegte sich der stattliche Zug durch die Straßen der festlich geschmückten Stadt nach dem alten, ehrwürdigen, hoch auf seinem Felsen sich erhebenden Schlosse des Fürstenhauses, mit seinen reichgeschmückten Rossen und deren kräftigen Reitern in dem kleidsamen Männeranzuge des Bauern, mit den festlich geputzten Wagen und den frischen, hübschen Mädchen in ihrer eigenartigen Tracht und den funkelnden Hormten, einen prächtigen Anblick gewährend. Am schönsten aber war der Eindruck des Zuges, als sich derselbe die steil sich zum Thore des Schlosses hinanziehende Auffahrt hinauf und, nachdem der fürstlichen Braut die ihr bestimmten Geschenke übergeben waren, aus dem Schlosse zurückkehrend sich wieder die Auffahrt hinabbewegte.

Diesen Moment hat auch der talentvolle Zeichner des umstehenden Bildes lebensvoll und treu aufgefaßt. Die Spitze des Zuges, die Hauptmomente desselben vereinigend, tritt uns entgegen, während im Hintergrunde das alte Schloß von seiner Höhe auf das bunte Treiben des Festes ernst herniederschaut. Voran reitet ein Zugführer mit seinen beiden Adjutanten, sämmtlich in der Kappe, den Kopf mit dem kleinen Hütchen bedeckt; dann folgt im offenen Wagen der Kreishauptmann des Ostkreises; hinter diesem zeigt sich ein berittenes Musikcorps in den modernen Spensern, während rechts im Vordergrunde ein anderes Musikcorps, in die „Weiße“ gekleidet, dahinreitet. Mitten inne aber erblickt man einen Wagen mit Hormtjungfern, hinter ihnen den Wagen, welcher das Hauptgeschenk für die Fürstentochter, ein von Adolph Burger in Berlin gemaltes Oelbild, eine Altenburger Bauernhochzeit darstellend, getragen hatte. Zwei kleinere, an beiden Seiten des Bildes angebrachte Skizzen zeigen die Uebergabe der mannigfachen Geschenke an die hohe Braut und den fröhlichen, auch von dem Brautpaare und den übrigen Mitgliedern des Fürstenhauses besuchten Ball, der am Abend des Festtages dessen Theilnehmer und Theilnehmerinnen vereinigte.

So möge denn das schöne Bild allen Denen, welche das seltene, vielleicht in seiner Art letzte Nationalfest miterlebten, noch einmal den frohen Tag in freundliche Erinnerung rufen, Andern aber ein Andenken an einen Ehrentag des Altenburger Bauernstandes bewahren! Und verschwindet bei ihm auch die alte Tracht der Väter immer mehr, so mag doch, ändert sich auch die Schale, der tüchtige Kern für alle Zeiten frisch und gesund bleiben!
Kurt Greß.
  1. Ist überhaupt in volksthümlicher Redeweise und darum in vielen deutschen Mundarten der Fall; in einigen oberdeutschen Mundarten bedeutet auch „niederträchtig“ so viel als herablassend.
    D. Red.