Ein halb vergessen gewesenes Denkmal
[521] Ein halb vergessen gewesenes Denkmal. (Mit Abbildung, S. 511.) In Nr. 28 der Gartenlaube haben wir der Herzogin Charlotte von Hildburghausen ein Denkmal gesetzt. Wir haben darzuthun versucht, wie geartet diese Frau war, die wir den hervorragenden fürstlichen Persönlichkeiten ihrer Zeit beizählen müssen. War es daher zu verwundern, daß sich die Königin Louise, die ihr in so vielen Stücken gleicht, immer wieder zu der Schwester und ihren gemüthreichen Angehörigen hingezogen fühlte? Auch an der Seite ihres Gemahls, des Königs Friedrich Wilhelm des Dritten, besuchte sie mehrmals das kleine, aber an Naturschönheiten nicht arme Herzogthum Hildburghausen. Besonders gefiel ihr das idyllisch gelegene Lustschloß Seidingstadt, wohin sich der Hof in den Sommermonaten zurückzuziehen pflegte.
Einen herrlichen Blick in das gesegnete Frankenland bietet der Weg dorthin, der die Wasserscheide zwischen Weser- und Rheingebiet überschreitet. Da zeigen sich auf charakteristischen Hügelformen die altberühmten Bergschlösser Coburg, Callenberg, Heldburg, Straufhain, ferner die vulcanischen Gebilde der beiden Gleichberge, der Stolz der Gegend. Der Hintergrund wird durch die lang hingestreckten Haßberge abgeschlossen. Dazwischen lachende Fluren, üppiger Waldwuchs, behäbige Ortschaften. Aber auch die nächste Umgebung des Städtleins im Werragrunde bot damals vielfachen Reiz. Ein früherer Herzog hatte neben dem Residenzschlosse für den Erlös der erheiratheten und an die Generalstaaten verkauften holländischen Grafschaft Kuylenburg einen großartigen Park à la Versailles mit Pavillons, Fontainen, Naturtheater und Irrgarten angelegt, nach welchem letztgenannten Theile das Ganze noch heute benannt wird.
Alte Karten und Pläne, die uns vorliegen, geben ein genaues Bild von diesem Wundergarten, den der Herzog nach Verlegung des Werrabettes mit einem theilweise ummauerten Canale umgeben ließ, auf welchem sogar „Seegefechte“ geliefert wurden. Mit dem veränderten Zeitgeschmacke schwanden die zopfigen und beschnittenen Hecken, und es ward der englische Geschmack vorherrschend, charakterisirt durch breite Wiesenflächen und trauliche Baumgruppen. Dort, wo die fürstlichen Schwestern so gern lustwandelten, ließen auf einem künstlichen Hügel inmitten einer baumumrahmten Rasenfläche Friedrich und Charlotte im Jahre 1815 ihrer theuren Louise ein Denkmal von Sandstein in antikem Stile errichten. Auf der Vorderseite desselben befindet sich das vom Bildhauer Schulz aus Gotha in Marmor trefflich ausgeführte Reliefbrustbild der Königin, während die beiden Seitenflächen durch Schwan und Adler und die Rückseite durch die nachstehende Aufschrift und eine Reihe von Distichen geschmückt wird, welche von dem damaligen Gymnasialdirector Sickler, einem seiner Zeit bekannten Philologen und Alterthumsforscher, verfaßt sind. Aufschrift und Distichen lauten:
Unserer unvergeßlichen
Louise
Königin von Preußen
Friedrich R. Hzg. z. Sachsen
Charlotte R. Hzgn. z. Sachsen
MDCCCXV.
Freundliche Nymphen der Flur und des Thals umsprossende Blumen!
Kinder des Haines umher, trauliche Lüfte der Au!
Schützet der Schwester Gebild erhaben am heiligen Denkmal,
Hüllt es in lieblichen Duft, fächelt ihm zärtlichen Hauch!
Oft hat sie euch begrüßt in der Morgenröthe der Jugend,
Wallend am Schwesterarm; hier oft verhallte ihr Laut.
Oft hat ihr Blick hier geruht, umflossen vom Lichte des Himmels;
Lieblicher strahlte von ihm Liebe und Milde für uns.
Ach, ach, sie war nur zu früh im Sturme der Zeiten geschieden!
Nie mehr nahet sie euch, grüßet euch ferner nicht mehr.
Lebend erblickte sie nicht Teutonias siegende Fahnen,
Sah nicht Borussias Aar führen der Heere Triumph.
Ach, sie ruhte, die Hand, im Dunkel der Trauercypressen,
Welche die Fahne des Siegs, Freiheit für’s Vaterland, hob.
Doch aus der Sphäre des Lichts, wohin sie voran uns gestiegen,
Aus der Gestirne Kreis thront sie nun freudig herab.
Dort empfing sie die Helden, gefallen im heiligen Kampfe,
Dort vertheilet sie nun ihnen die Kränze des Siegs.
Und wie die Blüthen des Lenzes entführt noch Düfte entsenden,
So noch spendet sie uns segnend den himmlischen Duft.
Als nach der Umwandlung des Schlosses in eine Caserne für das zweite Bataillon des sechsten thüringischen Infanterieregiments Nr. 95 sich in der Nähe ein Exercirplatz nöthig machte, wurde Hügel nebst Denkmal entfernt und letzteres an einem andern abseits gelegenen Orte aufgestellt, wo es bereits durch ruchlose Hände gelitten hatte, als jüngst die allgemeine Aufmerksamkeit plötzlich auf dasselbe hingelenkt wurde. Sobald Kaiser Wilhelm von dem Vorhandensein eines solchen Denksteines erfuhr, ließ er sich eine Photographie desselben vorlegen; sofort wurde an Restaurirung des Denkmals und Herstellung einer würdigen Umgebung desselben Hand gelegt, und beides ist nunmehr vollendet.
Kehren wir im umgewandelten Irrgarten um vier Jahre zurück! „Wenn heut’ ein Geist herniederstiege,“ so dachten wir mit dem Dichter, als an der frühern Stätte des Denkmals, um einen Feldaltar geschaart, am 24. Juli 1870 jenes tapfere Bataillon feierlichen Feldgottesdienst beging, bevor es sich, von dem erhabenen Sohne der Königin Louise zum Kampfe gegen den alten Erbfeind gerufen, bei Wörth, Sedan und an der Loire unvergänglichen Ruhm erwarb. Daher erfüllt uns gerechte Freude über eine geschichtliche Erinnerung, die unsere Stadt mit dem Namen der herrlichen Frau verknüpft, welche ihr Volk zu hoher Vaterlandsliebe begeistert, in den Tagen der Demüthigung edel und standhaft ausgeharrt und dem deutschen Reiche einen Kaiser gegeben hat.