Textdaten
<<< >>>
Autor: L. N.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein deutsches Nationalfest
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 690–694
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[690]
Ein deutsches Nationalfest.
Rückerinnerungen an das fünfte deutsche Bundesschießen in Stuttgart.

Wir saßen an einem herrlichen Junitage in dem Gärtchen eines bescheidenen Wirthshauses in einem Dorfe des Heilbronner Oberamts beisammen. Der Ort erfreut sich durch seinen vortrefflichen Wein einer gewissen Berühmtheit im Lande Württemberg nicht nur, sondern auch im benachbarten Baden, und wenn man im Herbst zum „Weinkauf“ in’s „Unterland“ wandert, so hält es mitunter schwer, in unserem Dörfchen ein Unterkommen zu finden, denn Alles strömt hierher, um sich einige Eimer von dem dortigen Rothen „einzuthun“. Es ist ein prächtiges Getränk, dieser Rothe, und wir ließen uns denselben mit um so freudigerem Gefühl munden, als wir vom Wirth erfuhren, von diesem Wein sei eine ganz bedeutende Quantität für das „Schützenfest“ eingekauft worden. Wir tranken also den Schützenwein schon vor dem Fest und leerten unsere Gläser auf das Wohl des Vorstandes des Wirthschaftscomités, der in treuer Sorgfalt und mit bewährter Fachkunde bei Zeiten für einen guten Trunk Sorge getragen hatte.

Der Schützenwein brachte uns auf das bevorstehende Fest selbst. Noch hatte der Berliner Magistrat sich nicht mit der Frage einer Ehrengabe beschäftigt, und die „Norddeutsche Allgemeine [691] Zeitung“ hatte dem deutschen Volke noch nicht die bekannte Vorlesung über den Werth, die Berechtigung und die Bedeutung der deutschen Schützenfeste gehalten. In gemüthlicher Harmlosigkeit freuten wir uns der Fortschritte, welche die Vorbereitungen zum Feste machten, und wie Kinder waren wir an jenem Nachmittage glücklich in der Gewißheit, daß unsere Gäste wenigstens einen trefflichen, „gesunden“ Wein erhalten werden. Das Andere, so meinten wir, werde sich schon finden. Erst ein junger Gelehrter, welcher zu unserer Gesellschaft gehörte, berührte die politische Seite des Festes und konnte dabei einige skeptische Bemerkungen nicht unterdrücken. Einstimmiger Widerspruch unterbrach seine Standrede, und wie aus einem Munde riefen wir. „Wir wollen, wir brauchen keine Politik; das Schützenfest soll ein deutsches, ein nationales Volksfest werden – nichts mehr und nichts weniger.“ Und so kam es auch.

Das Fest ist vorüber, der Jubel verklungen, und mit Büchse und Stutzen sind die Schützen zurückgekehrt an den heimischen Herd. Mögen sie nun die Feststadt als Sieger im feierlichen Waffenspiel verlassen haben oder nicht, männiglich werden sie sich gelabt haben an dem Stück deutschen Volkslebens, welches ihnen Schwabens Hauptstadt geboten; neugekräftigt und neubelebt wird der heimgekehrte Schütze der in Stuttgarts Mauern verlebten Festtage gedenken, während welcher wir uns so recht als „ein einig Volk von Brüdern“ fühlten, einig durch Denkart und Gesittung. Wir haben in der That ein deutsches, ein nationales Volksfest begangen.

Die großartige Anlage des ganzen Festes, welche namentlich den Schützen aus der Schweiz imponirte, wurde gewissermaßen schon durch die Lage Stuttgarts hervorgerufen; die schwäbische Residenz, nach Leipzig der bedeutendste Platz für den deutschen Buchhandel, das Heim so vieler Dichter und Künstler, mußte auch in künstlerischer Hinsicht den lieben Gästen aus Alldeutschland, Oesterreich und der Schweiz etwas bieten, das der Rede werth war. Und das Festcomité, an dessen Spitze der verdiente Professor Dr. Blum stand, hat hier des Guten vielleicht sogar zu viel gethan. Man war, auch in den Schießständen, auf einen so ungeheuren Besuch des Festes nicht gefaßt, eine so rege Theilnahme hatte man nicht vorhergesehen. So kam es, daß gerade diejenigen Punkte des Festprogramms, auf welche von Seiten des Festcomités eine ganz außerordentliche Sorgfalt und Mühe verwendet worden war, die Concerte und die Darstellung der lebenden Bilder, unter der wahrhaft massenhaften Ansammlung des Publicums Noth litten. Bei der am dritten Festtage stattgehabten großen Gesangsproduction sämmtlicher Stuttgarter Sängergesellschaften z. B., gerade da, wo die Macht des deutschen Liedes auf sämmtliche Festgenossen wirken sollte, erwies sich die geräumige, über viertausend Personen fassende Festhalle als nicht ganz genügend. Die Düsseldorfer, welche das sechste deutsche Bundesschießen abhalten werden, mögen sich dies merken!

Abgesehen aber hiervon – und der berührte Punkt darf gewiß als ein untergeordneter bezeichnet werden – abgesehen hiervon war das Fest vom ersten bis zum letzten Tage wohl gelungen. Welche Freude herrschte in der „rebumkränzten“ schwäbischen Residenz, daß der Himmel, welcher noch am Tage zuvor, beim Einzug der Festgäste, düster und trübe auf die geschmückte Stadt herabsah, sich am Morgen des 1. August aufhellte, daß der Festzug vom herrlichsten Wetter begünstigt war und daß es den Schützen gleich am ersten Tage in Schwabens gemüthlicher Hauptstadt wohlgefiel! Und so ging denn auch der von Adolf Grimminger in seinem den Schützen gewidmeten Willkommgruß ausgesprochene Wunsch in schönste Erfüllung:

„Grüß Gott aus Herzensgrund, ihr Manne,
Mög’s g’fallen Euch im Schwobeland!“

„Uf daß der Spruch aus alte Zeite:
‚Freund, hie gut Würteberg allweg,‘
Wie sonscht, au jetzt, von schönschter Seite,
Als kernhaft sich bewähr die Däg.“

Selten ist ein Festzug, ein so großer Festzug, wie derjenige war, welcher sich am 1. August durch Stuttgarts Straßen bewegte, so tadellos, so glatt von Statten gegangen. So glatt! Damit soll und kann durchaus nicht gesagt sein, daß sich derselbe blos in militärischer Strammheit, wie er „auf dem Papiere“ stand, „abwickelte“ – nein, es war Leben in den Massen; es war Feuer und Begeisterung in den Zuschauern; es herrschte Jubel und Freude und dennoch die schönste Harmonie, die trefflichste Ordnung.

Erhebend war der feierliche Act der Uebergabe der Bundesfahne. Lauter Zuruf folgte den Worten des Syndicus Albrecht aus Hannover, dem früheren Vorort des deutschen Schützenbundes. „Wir bringen das Bundesbanner,“ so hieß es in seiner kernigen Ansprache an den Ehrenpräsidenten des Centralcomités, Herzog Eugen von Württemberg, „als Symbol der deutschen Einheit und Wehrkraft vom Norden zum Süden in das schöne Schwabenland, das sang- und sagenreiche Land der deutschen Dichter und Denker, in die Heimath Schiller’s und Uhland’s. Hier wird von einem treuen, deutschen Volksstamme dieses Wahrzeichen der Kraft und Größe, der Ehre und Freiheit des Vaterlandes in sicherer Hut gehalten werden.“ Kurz, knapp, aber von heißer Vaterlandsliebe durchglüht und auf die Zuhörer mächtig wirkend war die Antwort des Herzogs; namentlich wurde die Ansprache bei folgenden Worten von brausendem Jubel unterbrochen: „Wie wir uns heute um dieses Banner zum frohen Feste schaaren, so wollen wir auch einst, wenn das Vaterland seine Söhne zum ernsten Kampfe ruft, uns Mann für Mann um seine Fahnen drängen und durch die That beweisen, daß wir sind ein einig Volk von Brüdern.“ Solche Worte aus diesem Munde – wie kann man da noch daran zweifeln, daß das Fest ein patriotisches, ein echt nationales war, werden mußte. In gleichem Sinne sprach sich der Oberbürgermeister Dr. Hack aus, als er die Fahne aus den Händen des Herzogs in Empfang nahm.

Die bei der Uebergabe der Bundesfahne gesprochenen Worte voll Patriotismns und von echt nationalem Gepräge tönten wieder in sämmtlichen Reden, welche in den neun Festtagen in der Festhalle gehalten wurden. Mochten draußen die Parteien aufeinander platzen und sich feindlich gegenüber stehen, hier war man Eins und fühlte sich Eins. Auch unsere Gäste aus der österreichisch-ungarischen Monarchie, aus den Bergen und Thälern der freien Schweiz und vollends unsere Brüder aus Amerika, welche zur Verherrlichung des Festes von weit jenseits des Oceans herbeigeeilt waren – sie Alle freuten sich des einmüthigen Sinnes, welcher Alle beherrschte, und der Liebe zum einig gewordenen großen Vaterlande, welche sich allenthalben kundgab.

Mit vereinten Kräften suchte die Bevölkerung Stuttgarts den Gästen das Beste zu bieten, was sie hatte. Und worin der Glanzpunkt des ganzen Festes bestand? Hierauf wird wohl Jeder, der demselben beigewohnt, die Antwort schuldig bleiben. Es wird ihm die Wahl schwer werden zwischen der Fahrt nach dem Hohenzollern, den täglichen Concerten, dem Festzuge, Festbankett und dem im glänzenden Königsbausaale abgehaltenen Festball. Hier zeigte sich den wackeren Schützen der blühende Damenflor der schwäbischen Hauptstadt, und man konnte bei dieser Gelegenheit die Wahrnehmung machen, daß das sichere, scharfe Auge der Schützenbrüder auch künstlerisch geübt ist und nicht blos auf Stand- und Feldfestscheiben, sondern auch auf Frauenherzen zu zielen im Stande ist.

In den Schießständen herrschte vom zweiten Festtage an das regste Leben und Treiben. Schon am frühen Morgen des 2. August, an welchem der Wettkampf seinen Anfang nahm, war, natürlich von einem Schweizer, der erste Becher gewonnen; die Schweizer sind nun einmal professionirte Schützen; mit Leib und Seele sind sie bei der Arbeit, und die Dinge außerhalb der Schießstände kommen für sie erst in zweiter und dritter Linie. Sie bewachen ihn aber auch treu, ihren Schützenruhm, und haben sich bei unserem Bundesschießen mit weiser Eintheilung zwischen Arbeit und Festgenuß den Löwenantheil an den Ehrengaben gesichert. Aber auch die deutschen und österreichischen Schützen rangen in edlem Wetteifer miteinander; in der Nähe der Schießhalle glaubte man vom frühen Morgen bis zur anbrechenden Dunkelheit ein fortwährendes Pelotonfeuer zu vernehmen. Alte, erfahrene Schützen, Männer, welche noch auf keinem Schützenfeste fehlten, versicherten, daß sie einem solchen Feuereifer in den Schießständen noch niemals begegneten.

Das Fest ist verrauscht. Längst hat die Feststadt ihr Werktagskleid angelegt, und in den Comités ist man mit Abrechnungen und ähnlichen Arbeiten beschäftigt. Ueber die einzelnen „programmmäßigen“

[692]

Rückerinnerungen an das deutsche Schützenfest in Stuttgart. Die Übergabe der Bundesfahne. Nach der Natur aufgenommen von Schweissinger in Stuttgart.

[693]

Rückerinnerungen an das deutsche Schützenfest in Stuttgart: In der Schießhalle. Nach der Natur aufgenommen von Schweissinger in Stuttgart.

[694] Festlichkeiten, ferner über die Festhalle, den Gabentempel und die einzelnen Toaste. Empfangs- und Abschiedsfeierlichkeiten haben die Tagesblätter und diejenigen Zeitschriften, welchen durch ihre kleinere Auflage ein rascheres Erscheinen als der „Gartenlaube“ möglich gemacht wird, zur Genüge berichtet. Bei der Schnelligkeit, mit der in unserer Zeit sich die Ereignisse folgen, fängt das Schützenfest sogar schon an, zu den „abgethanen“ Dingen zu gehören. Unsere Aufgabe konnte darum nur darin bestehen, in allgemeinen Umrissen ein gedrängtes Bild von dem Feste zu geben und nach dem Verhallen des Festjubels die Erinnerung an das große fünfte deutsche Bundesschießen in Wort und Bild festzuhalten.

L. N.