Ein deutscher Colonist in Algerien

Textdaten
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Autor: Theodor Küster
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Titel: Ein deutscher Colonist in Algerien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 38–39, S. 602–605, 614–615
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein deutscher Colonist in Algerien.

Aus dem Tagebuch eines deutschen Officiers in der Fremden-Legion in Algier.

Wir kehrten im Herbst 1853 aus den ungesunden Ebenen von Lhabra zurück, wo wir mehrere Monate hindurch campirt hatten, beschäftigt mit dem Neubau einer Chaussée von Oran nach Maskara. Während unseres Aufenthalten in dieser sumpfigen, übel berüchtigten Gegend hatten Wechselfieber und Diarrhöe schon eine beträchtliche Anzahl der Leute theils in die Militärhospitäler von Oran und Maskara, theils in das Aushülfshospital zu Saint-Denis du Sig expedirt; und obgleich zweimal während der Dauer der Straßenbauten Nachsendungen von Truppen aus Sidi-bel-Abbés, unserm Standquartier, stattgefunden hatten, schlugen wir am Abend den 23. October obigen Jahres doch nur in der Stärke von etwa 800 Mann unser kleines Zeltlager vor dem Dorfe Tlelat auf, das wir zu Anfang Juni mit 1400 Mann passirt hatten.

Mir ging es, obgleich ich beritten war, wie den armen Teufeln, welche die ungeheure Etappe von 48 Kilometern (12 guten Stunden) zu Fuße und schwer bepackt hatten machen müssen: ich war ermattet zum Umfallen. Obgleich wir in den letzten Tagen des October waren, hatte doch die afrikanische Sonne den ganzen Tag mit wirklich außergewöhnlicher Gluth ihre versengenden Strahlen herabgesandt, und – was das Schlimmste war – nicht einen Tropfen genießbaren Wassers hatte der ganze nicht enden wollende Weg geboten. Zum Ersatz dafür trocknete ein feiner, überall eindringender Sandstaub die nach Erfrischung lechzenden Kehlen vollends aus, und gleich als hätte die von der Sonne auf uns herabströmende Gluth nicht genügt, unsere Situation mehr und mehr beschwerlich zu machen, selbst von unten herauf wurden wir von der Hitze attaquirt, da der Boden unter unsern Füßen, durch die Sonnenstrahlen ausgetrocknet, dieselben zurückwarf.

Genug, als endlich „Halt“ für diesen Tag zum letzten Male commandirt war, ließ ich mich mehr von meinem Grauschimmel heruntergleiten, als ich sprang, warf ihm die Zügel auf den Nacken und begann vor Allem damit, meinen erschöpften und ermüdeten Gliedern durch ein längeres Strecken und Recken einige Geschmeidigkeit wiederzugeben. Während dieser wohlthuenden gymnastischen Uebung hatte sich mein Schiras (dies war der Name meines Pferdes) vergebens bemüht, auf dem unfruchtbaren Boden etwas für seinen Appetit zu finden. Schon zweimal hatte ich nach meinem Burschen, einem braven Deutschen, gerufen; doch wer nicht kam, war mein Fritz Becker.

„Wo zum Henker steckt mein Fritz?“ fragte ich einen Trainsoldaten, der mit zwei großen Pferdeeimern voll frischen Quellwassers bei mir vorüberging; bei welcher Gelegenheit ich noch meinen Schiras von dem verlockenden Labetrunk zurückzuhalten alle Mühe hatte.

„Ihr Fritz, Herr Lieutenant,“ antwortete mir der Trainsoldat, „hat heute gute Zeit; hier in Tlelat giebt es viele deutsche Colonisten, und er kennt einige Familien. Hat mir schon auf dem Marsche davon gesprochen und gesagt: „Sobald wir in Tlelat angekommen sein werden, werde ich meinem Herrn ein paar Flaschen deutsches gutes Bier, einen Laib deutsches Brod und deutschen Käse, und meinen Pferden einige Metzen Hafer holen; weiß schon wo ich das Alles kriege.““

Ich war, ich gestehe es, schon im Begriff gewesen, meinem Fritz über sein unerklärlichen Verschwinden, gerade in dem Augenblick, wo ich seiner am nöthigsten bedurfte, zu zürnen; die durch die Mittheilung des Trainsoldaten mir gewordene Aussicht auf langentbehrte Genüsse stimmte mich indessen um so mehr zu Gunsten meines Deserteurs, als mir sein Vorhaben ein neuer Beweis seiner treuen und schon in so manchen kritischen Fällen bewährten Anhänglichkeit an mich war. Ich begann daher nunmehr meinen Grauschimmel seines Sattel- und Zaumzeugs zu entledigen. Einige Leute meiner Compagnie, vermuthlich von Fritz dazu beauftragt, waren bereits mit Aufschlagen meines Zeltes beschäftigt, und nicht lange dauerte es, so lag ich ausgestreckt auf meinem portativen Feldbette, das, gleichwie das Zelt, auf Maulthiersrücken den Weg gemacht hatte.

Eine halbe Stunde mochte ich, behaglich mich streckend und eine Pfeife rauchend, der Ruhe gepflegt haben, als mein Bursche, beladen wie ein Maulthier, in mein Zelt trat und mich folgendermaßen apostrophirte: „Seien Sie nicht böse, Herr Lieutenant, das ich so lange ausgeblieben; doch ich wollte früher als die übrigen Deutschen im Dorfe sein, um für Sie alles das haben zu können, was ich mir ausgedacht und was Ihnen auch gewiß lieb sein wird.“ Und dabei legte er, eines nach dem andern, ein mächtiges Roggenbrod, einen Topf mit sauern Gurken, mehrere sehr einladende, ganz auf deutsche Art fabricirte Käse und sechs Flaschen deutschen Gerstensaftes auf den Feldtisch. „Und nun, Herr Lieutenant,“ fuhr Fritz fort, „werde ich schnell die Pferde besorgen, denen ich auch etwas mitgebracht habe, das sie seit Jahr und Tag nicht gesehen: prächtigen Hafer! – Sobald unsere Compagnie kochendes Wasser hat, mache ich dann auch gleich Ihren Kaffee. Sie sollen schon mit mir zufrieden sein und an die Heimath denken, wenn ich Ihnen das Abendessen vorsetze; wenn’s auch einfach ist, aber es ist doch ein deutsches!“

„Gut, Patriot!“ sagte ich, „hast Recht. Aber erkläre mir doch, wie kommt es, daß Du so bekannt hier bist und in so kurzer Zeit alle diese herrlichen Sachen, mit denen Du beladen warst, bekommen hast?“

„Das ist eine lange Geschichte, die ich Ihnen schon ein andermal erzähle und in der’s nicht viel Lustiges giebt. Doch die Familie, von der ich so reichlich beschenkt bin und der ich viel Gutes von Ihnen erzählt habe, ist begierig Sie zu sehen und läßt Sie bitten, morgen Mittag eine deutsche Suppe bei ihr zu essen. Und da wir morgen so wie so Ruhetag hier haben, so dachte ich: der Herr Lieutenant wird's wohl nicht ausschlagen, und habe die Einladung in Ihrem Namen angenommen. Sie werden’s nicht bereuen; es sind gute, kernbrave Leute, die auch in den sechszehn Jahren ihres Aufenthalten in diesem Lande schon manchen Fünffrankenthaler (Duro in Algerien genannt) gespart haben. Also, nicht wahr, Herr Lieutenant, wenn ich zur Nacht noch einmal hinübergehe in’s Dorf, da kann ich dem Christian Wöhler und seiner Frau sagen, daß mein Herr morgen Mittag ihr Gast sein wird?“

„Von Herzen gern, Fritz! – Und dank’ ihnen auch meinerseits schon heute für das heimathliche Abendessen; grüß’ sie freundlich von mir, die guten Leute.“

Während dieser Unterredung hatte mein Bursche dem Inneren meines Zeltes (welches zugleich das seinige war), so weit dies im Lager- und Marschleben thunlich, die möglichste Bequemlichkeit gegeben, Alles an seinen Ort gebracht, meine und seine Waffen an der Zeltstange in der Mitte aufgehängt, und ging nun, nachdem ich mich bereit erklärt, dem morgigen Schmause beizuwohnen, hinaus, um nach den Pferden zu sehen und den unfehlbaren Kaffee für mich zu besorgen. Bald brachte er mir denn auch den dampfenden Mokka. Durch den Genuß desselben neu gestärkt und nachdem ich mein Marschcostüm gegen ein anderes vertauscht hatte, machte [603] ich mich auf den Weg, um die Umgebungen des Lagers ein wenig in Augenschein zu nehmen und mir vor dem Abendessen in Begleitung einiger Cameraden noch etwas Bewegung zu machen.

Es war gegen 4 Uhr Nachmittags (in der vorhergehenden Nacht um 12 Uhr waren wir von Saint-Denis aufgebrochen); die Sonnenstrahlen verursachten jetzt eine weniger unangenehme Wärme, die Atmosphäre war abgekühlter und reiner. Unser Lager befand sich auf der südlichen, gänzlich uncultivirten Seite des Colonistendorfes, dessen Bevölkerung zu zwei Drittheilen aus Deutschen, der Rest aus Spaniern und Franzosen besteht. Tlelat liegt auf halbem Wege zwischen Oran und Sidi-bel-Abbès und auch zwischen Oran und Maskara. Die von Oran kommende Straße theilt sich am südlichen Ausgange des Ortes, um rechts, in südwestlicher Richtung, nach Sibi-bel-Abbès und links, in beinahe östlicher Richtung, nach Makara zu führen. Diese verschiedenen, sehr gut construirten und erhaltenen Straßen durchschneiden rings um Tlelat herum eine weite Ebene, die nur erst im fernen Südwesten durch mehr und mehr ansteigende Bergrücken begrenzt ist. Diese Hochebene, denn eine solche ist sie, da sie nur erst in unmittelbarer Nähe der Meeresküste einen plötzlichen, schroffen Abfall von circa 500 Fuß gegen dieselbe hat, ist, so weit das Auge reicht, mit üppigen Weizenfeldern bedeckt, und nur hin und wieder, wie z. B. da, wo die Straße sich am südlichen Ausgange von Tlelat theilt, findet man in geringer Ausdehnung sumpfige Strecken. Die Fruchtbarkeit oder, besser gesagt, der heutige Culturzustand dieser Ebene ist das Werk deutscher Colonisten, welche vorzugsweise aus dem Elsaß, aus Baden und Thüringen ausgewandert sind und – nachdem sie lange Jahre unter Gefahren, Entbehrungen und der mühseligsten Arbeit hier gelebt – nun endlich anfangen den Segen ihres Fleißes und ihrer nicht ermüdenden Thätigkeit zu ernten. Einer der hervorragendsten dieser Colonisten ist Christian Wöhler, und ich will in Folgendem wiedergeben, was er mir über sein Leben in Afrika mitgetheilt, nachdem ich den Leser zuvor bei ihm eingeführt habe.

Nachdem am nächsten Tage meine dienstlichen Obliegenheiten beendet, machte ich mich unter Leitung meines Fritz auf den Weg, um den versprochenen Besuch abzustatten. Beim Eintritt in das Dorf, welches nur aus zwei langen Reihen von Gebäuden auf beiden Seiten der Heerstraße besteht, fiel mir unter andern ein durch seine Größe und Ausdehnung alle übrigen überragendes Haus auf, welches, ziemlich in der Mitte der Colonie belegen, noch besonders durch sein gefälliges Aeußere einnahm. Dasselbe hatte, wie alle Baulichkeiten in diesem Lande, nur eine Etage über dem Parterre, war jedoch in größeren Höhen-, Tiefen- und Längen- Dimensionen, als die es umgebenden Häuser gebaut und von weitläufigen Wirtschaftsgebäuden umgeben. Die Hauptfacade des Wohnhauses, welches der Heerstraße zugekehrt und von dieser durch einen ziemlich breiten Graben und ein hohes, vor demselben gezogenes Eisengitter getrennt war, zeigte eine Front von 10 Fenstern in der obern Etage und 8 im Erdgeschoß ; sämmtliche Fenster waren mit grünen Jalousieen verschlossen, um die brennenden Sonnenstrahlen vom Innern zurückzuhalten.

„Das ist Christian Wöhler’s Wohnung,“ sagte Fritz. „Vor drei Jahren hat er sich dieses schöne Haus gebaut.“

Ich wollte schon auf die große Eingangsthür zugehen, als mein Führer mir mittheilte, daß der gegenwärtige Zutritt zum Innern von der Hintern Seite aus stattfinde. Wir umgingen demnach das Haus und befanden uns bald einem weitgeöffneten Thorweg gegenüber, welcher, zwischen zwei Stallgebäuden angebracht, in einen sehr großen und geräumigen Wirthschaftshof führte. In diesem sprangen mehrere zahme Schakals und Gazellen lustig zwischen Federvieh aller Art umher, ein Strauß durchmaß mit gravitätischem Schritt den weiten Hof, und zwei Prachtexemplare echter Neufundländer hatten sich behäbig im Schatten eines großen Nußbaums ausgestreckt, der den Mittelpunkt des Hofes bildete. Verschiedene geöffnete Stallthüren ließen den reichen Viehstand des Besitzers sehen, und die zahlreichen Wagen und landwirthschaftlichen Geräthe auf die Ausdehnung seines Eigenthums schließen. Wir schritten der Hinteren Eingangsthür des Wohnhauses zu und wurden an derselben vom Familienvater, der unsern Eintritt in den Hof wahrgenommen, empfangen und herzlich begrüßt.

Christian Wöhler war ein Mann von etwa 52 Jahren, eine athletische Gestalt. Sein lebhaftes blaues Auge, das durch die afrikanische Sonne gebräunte, von einem vollen, dunkelblonden Barte eingefaßte Gesicht, in dem herzliche Gutmüthigkeit mit männlicher Festigkeit sich aussprach, sowie der kräftige deutsche Händedruck und das aufrichtige „Willkommen“, das er uns zurief, nahmen mich sofort für den Colonisten ein. Er führte mich in das große, zu ebener Erde gelegene Wohnzimmer, in welchem der Mittagstisch bereits gedeckt stand.

„Wir haben,“ sagte unser Wirth, „noch ein Stündchen Zeit bis zum Essen, und da, denke ich, vertreiben wir uns die Zeit mit einer Pfeife Tabak und einem Glase Rheinwein. Habe Beides direct aus Deutschland bekommen und zwar ganz kürzlich erst, durch einen Bremer Schiffscapitain, der in Oran vor Anker lag und mir unter andern meine kleine Nichte aus Braunschweig mitgebracht hat. Sie werden sie sehen, ein munteres Ding, wild und toll wie ein Junge. Wird nicht ermangeln, Ihnen Neuigkeiten aus der Heimath mitzutheilen. Doch nun lassen Sie uns ein Glas auf's Wohl des lieben Vaterlandes trinken, Herr Lieutenant; um so besser wird dann nachher das deutsche Mittagsbrod schmecken, bei dessen Zubereitung meine Frau schon seit frühem Morgen thätig ist. Ja, die deutsche Hausfrau läßt sich’s nicht nehmen, selbst in der Wüste muß Alles in hergebrachter Ordnung gehen. Na, sie versteht das Küchendepartement, und wenn man, so wie die Herren Officiere hier in Afrika, elf Monate im Jahre mit der Compagnieküche vorlieb nehmen muß, da wird sie wohl heute Lorbeern ernten.“

Unter diesen Mittheilungen hatte Herr Wöhler eine Grüngesiegelte entstöpselt und drei Gläser gefüllt. Wir stießen an, tranken den goldenen Rheinwein auf das Wohl der Muttererde und nahmen dann die langen Pfeifen zur Hand, um den aus Deutschland gekommenen Knaster zu probiren. Inzwischen hatte sich die Gesellschaft vergrößert: zwei Söhne des Hauses und ein junges Mädchen von 17 Jahren erschienen nach einander und wurden durch den Alten mit mir bekannt gemacht. Fritz, mein Bursche, schien Freund von altem Datum mit dem älteren der beiden jungen Leute zu sein, und ich erfuhr denn auch, daß die Familie Wöhler und mein Fritz aus einem Orte, einem großen Dorfe an der preußisch-hannöverischen Grenze, seien. Das junge Mädchen war die jüngste Tochter des Hauses, zwei ältere hatten sich bereits in der neuen Heimath vortheilhaft verheirathet. Endlich ließ sich auch von außen die Stimme der Hausfrau vernehmen, rufend, Befehle ertheilend; und endlich hielt sie ihren feierlichen Einzug in’s gemeinschaftliche Wohnzimmer, eine mächtige Suppenterrine tragend. Nachdem sie diese vor ihrem Platze auf der gedeckten Tafel niedergesetzt, trat sie zu mir, bot mir die Hand und hieß den „Landsmann“ in mir herzlich willkommen. Ihre Erscheinung war die einer echten deutschen Hausfrau aus dem wohlhabenden Bauernstande, ihr Alter ungefähr 45 Jahr. Ihr auf dem Fuße folgte die oben erwähnte, kürzlich angekommene Nichte, welche singend und springend die Begrüßungsceremonien abmachte, kaum 14 Sommer zählte und muthwillig und neckisch die langen blonden Locken um das frische, blühende Gesichtchen herumwarf.

Auf eine Aufforderung der Hausfrau setzte sich die Gesellschaft zu Tische, vermehrt noch durch drei Mägde und zwei Knechte, sämmtlich Deutsche. Obgleich alle Gerichte nur der Kategorie der sogenannten Hausmannskost angehörten, hätte ich sie doch nicht für ein Diner bei Béry und Béfour gegeben, so schwelgte ich bei den kräftig zubereiteten und schmackhaften Speisen in den Erinnerungen an die Heimath. Unter Tische kramte denn auch Elise, so hieß die Nichte, Nachrichten der Heimath aus und erheiterte zu verschiedenen Malen die Tafelrunde durch ihren Mutterwitz und die Art und Weise, wie sie ihre Reise von Bremen bis Oran beschrieb. Endlich erhoben wir uns von Tische und gingen – da die Sonne nicht mehr zu heiß brannte – in den hinter den Wirtschaftsgebäuden gelegenen Garten, um hier den Kaffee zu nehmen. Ich hatte bisher noch nicht gewagt, unsern freundlichen Wirth zum Erzählen seiner hier erlebten Abenteuer zu bewegen; jetzt jedoch benutzte ich die Gelegenheit, ihn auf das Thema zu bringen, indem er von den Schwierigkeiten sprach, welche ihm die Anlage seines Gartens bereitet habe.

„Sind Sie schon lange Zeit in Algerien?“ fragte ich.

„Seit 1837,“ entgegnen er; „bald sind es 16 Jahre. Ich vermisse recht sehr die theure Heimath, und doch ..... Kommen Sie, Herr Lieutenant, wir wollen uns hier im Schatten auf die Bank setzen, und bis man uns den Kaffee bringt, werde ich Ihnen ein wenig aus den ersten Jahren meines Colonistenlebens erzählen.“

Wir setzten uns unter einem breitästigen Baume nieder, den [604] die im nördlichen Afrika lebenden spanischen Colonisten „Bellombra“ (schöner Schatten) nennen, und unter dessen Zweigen hölzerne Bänke mit Rücklehnen standen, während am Stamme des Baumes selbst ringsherum Klapptische befestigt waren. Die Pfeifen wurden auf’s Neue gestopft, und Herr Wöhler begann folgendermaßen seine Erzählung :

„Es ist zwar eigentlich eine traurige Erinnerung für mich, die Zeiten und Begebenheiten wieder durch die Erzählung aufzufrischen, welche meiner Uebersiedelung nach Afrika unmittelbar vorangingen, doch kann ich nicht umhin es zu thun, da deren Mittheilung zum Verständniß nothwendig ist. Ich besaß in S ......, einem großen und reichen Dorfe nahe der preußisch-hannöverischen Grenze ein schönes und sehr einträgliches Bauerngut, welches in meiner Familie seit Jahrhunderten vom Vater auf den Sohn fortgeerbt war. Theils Familien-Differenzen, theils das für mich ungeachtet meines guten Rechtes ungünstige Resultat eines Processes, der zehn lange Jahre gedauert und ein beträchtliches Theil meiner Ersparnisse aufgezehrt hatte, trugen mehr und mehr dazu bei, mir den Aufenthalt in der Heimath zu verleiden. Ich entschloß mich rasch, den lockenden Versprechungen der französischen Regierung zu folgen, verkaufte mein ganzes Eigenthum und zog mit meiner Frau, zwei Söhnen und drei Töchtern nach Marseille aus, um mich dort nach Algier einzuschiffen. In Marseille brachte ich meine Colonisations-Angelegenheiten in Ordnung und trat von dem Augenblicke an, wo ich die betreffenden Papiere in den Händen hatte, in Verpflegung der französischen Regierung, das heißt so viel als: Ueberfahrt nach Afrika, Beköstigung während derselben, Ein- und Ausschiffung meiner gesammten Effecten bis zu meinem Bestimmungsorte geschah auf Kosten des französischen Kriegsministeriums, in dessen Händen damals wie jetzt (1853) die gesammten Afrika betreffenden Angelegenheiten ruheten.

Bevor ich mich mit den Meinigen an Bord des Schiffes begab, das uns nach der neuen Heimath bringen sollte, versah ich mich in Marseille noch mit Waffen und Munition reichlich und kaufte alle diejenigen Gegenstände ein, welche wir für den Anfang meines Colonistenlebens, über dessen Schattenseiten ich mir keineswegs Illusionen machte, unentbehrlich erschienen. So ausgerüstet betraten wir am 20. August 1837 das Schiff, auf dem wir denn endlich am nächsten Tage den Hafen von Marseille verließen und dem Süden zusteuerten. Unsere Ueberfahrt, die neun Tage dauerte (heute macht man sie in kaum 3 Tagen), und mit deren Beschreibung ich Sie nicht aufhalten will, lief ziemlich gut ab und am 30. August Abends 5 Uhr traten wir in Algier an’s Land und wurden mit Sack und Pack in ein casernenartiges Gebäude untergebracht, welches man die „Karawanserai des Dey“ nannte und das auf einer Anhöhe in der Nähe der Stadt sich befand. Meine ersten bittern Erfahrungen machte ich hier. Das Land, welches mir die Regierung (allerdings zu einem sehr mäßigen Preise) verkauft, doch nicht, wie die Berichte in den Zeitungen angekündigt, unentgeltlich überwiesen hatte, war 2 Stunden südöstlich von Algier belegen. Dasselbe war durch ein starkes Fort, „La Maison Carrée“ (das Häuserquadrat) genannt, gedeckt, in welchem eine ansehnliche Besatzung sich befand. Um jedoch dahin zu gelangen, mußten wir die Prolongen[1] abwarten, indem es damals um Algier herum noch nicht so sicher wie jetzt und die große Kabylie nicht allzu entfernt von meinen Ländereien war. So kam es, daß ich mit meiner Familie 5 Tage in der „Karawanserai des Dey“ zubringen mußte. Außer uns mochten hier wohl noch zehn oder zwölf andere Familien oder Gesellschaften von Reisenden aller Art und Nationen den Abgang der Prolongen erwarten, und es war in Folge dessen der eben nicht kleine innere Raum des nur ein Erdgeschoß haltenden Gebäudes vollständig besetzt. Dasselbe bildete ein regelmäßiges Viereck, dessen vier zusammenhängende Flügel einen mäßig großen Hofraum umschlossen, in welchem Hunde, Last- und Zugthiere, Rindvieh, Schafe, Ziegen u. dergl. ebenfalls auf die Abreise ihrer respectiven Eigenthümer warteten.

Endlich am 4. September Abends wurde uns eröffnet, daß wir uns bereit halten sollten, um 3 Uhr in der Nacht uns den vorbeipassirenden Prolongen anzuschließen. Ich hatte gerade am Tage zuvor mich auf dem Markte mit dem für meine erste Niederlassung nöthigen Last- und Zugvieh versehen, einige Vorräthe an Lebensmitteln, Mehl, Wein u. s. w. eingekauft und zwei mir sehr empfohlene Leute in meinen Dienst genommen, welche, kurz zuvor erst mit sehr guten Attesten entlassen, für mich den Vortheil hatten, das Land und seine Bewohner genau zu kennen; der Eine war ein Deutscher, der Andere ein Belgier, und Beiden war außerdem die französische Sprache vollkommen geläufig. – Um 2 Uhr früh, in der Nacht zum 5. September 1837, standen wir vollständig ausgerüstet und bewaffnet im innern Hofraum neben unsern Thieren und erwarteten das Eintreffen unserer Escorte. Meine bewegliche Habe befand sich auf den Rücken von acht Maulthieren, vier andere trugen mich und meine drei Diener, während meine Frau mit den Kindern auf einem der vier von mir angekauften, zur Landwirthschaft bestimmten, zweiräderigen Karren Platz genommen hatte. Meine Vorräthe an Lebensmitteln, Saat- und Mahlkorn u. s. w. befanden sich auf den übrigen drei von je zwei starken Ochsen gezogenen Karren. Kurz vor 3 Uhr kündigte uns Hufschlag, Waffengerassel und das Knarren der Fuhrwerke die Ankunft der Prolongen an, welche, von einer starken Escorte umgeben, sich uns näherten. Wir schlossen uns denselben an, sowie auch die übrigen Bewohner der Karawanserai, welche nach derselben Richtung abreisen wollten.

Ohne irgend einen Unfall waren wir gegen 10 Uhr Vormittags am Orte unserer Bestimmung angelangt. Ein Vermessungsbeamter der Regierung überwies mir die von mir angekauften Ländereien. Dieselben bestanden in größtentheils uncultivirtem Boden, der zum Theil mit niedrigem Buschwerk oder Zwergpalmen, zum Theil mit hohem, wohlriechendem Grase, hier Alfa genannt, bewachsen war. Ein aus dem Innern kommendes kleines Flüßchen durchschnitt dieselben der Länge nach, und die Heerstraße lief an deren südlicher Breitenausdehnung hin. Gegen Norden zog sich meine Besitzung bis an das Meer. Obgleich ich sah, daß nur durch ungeheure Anstrengungen die Urbarmachung dieses Bodens zu erlangen sein würde, war ich dennoch mit demselben nicht unzufrieden, indem einestheils die Nähe der Stadt Algier mir schnellen, leichten und vortheilhaften Absatz meiner Producte sicherte und anderntheils ich sowohl durch eigene Wahrnehmung, als durch die Versicherung meiner beiden neuen, des Landes kundigen Diener die Gewißheit erlangt hatte, daß der Boden ein sehr fetter und culturfähiger sei.

Ich überspringe einen Zeitraum von drei und einem halben Jahre und sage Ihnen aus dieser Zeit nur so viel, daß ich nach unermüdlicher Arbeit und Ausdauer endlich so weit gelangt war, mein Land vollkommen cultivirt und ertragsfähig gemacht zu haben. Schon mancher Liebhaber hatte sich gefunden, dem die schöne, so nahe der Hauptstadt liegende Besitzung gefiel, und mehr denn einmal hätte ich sie mit bedeutendem Vortheil verkaufen können. Bis jetzt jedoch, – es war im Frühjahr 1841, – hatte ich trotz der großen Unannehmlichkeiten, welche mit den errungenen Vortheilen Hand in Hand gingen, mich noch nicht zu einer Veräußerung entschließen können. Die Zelte waren durch ein ziemlich geräumiges, aus Fachwerk erbautes Wohnhaus ersetzt, und mein schon recht ansehnlicher Viehstand unter langen Schuppen gegen die Unbilden der Witterung geschützt. Eine massive, hohe, von einem tiefen, mit dem Flüßchen in Verbindung gesetzten Graben umgebene Mauer umschloß meine Niederlassung, in der sich außer mir, meiner Familie und meinen Dienern noch 10 Mann Besatzung befanden. Die Militair-Behörden gaben damals den Colonisten diese Hülfe aus doppelten Gründen: einmal um sie gegen die unausgesetzten Angriffe der Araber und Kabylen möglichst zu schützen, und dann um die Truppen zu beschäftigen und ihnen Gelegenheit zum Verdienst zu geben, da die Soldaten gegen eine mäßige Bezahlung dem Colonisten in allen seinen Arbeiten an die Hand gingen. Seit längerer Zeit war meine Niederlassung in keiner Weise durch Angriffe der Eingeborenen beunruhigt worden; Alles ging seinen ruhigen, geregelten Gang, und es war selbst die Rede davon gewesen, die unter so bewandten Umständen entbehrliche Schutzmannschaft in ihre Garnison zurückzuziehen.

Am Abend des 7. April 1841 hatte ich von Algier aus die Nachricht erhalten, daß acht Tage später das bei mir stationirte Commando eingezogen werden würde. Ich hatte beim Eintritt der Dunkelheit wie gewöhnlich das große Einfahrtsthor, die einzige Oeffnung der Ringmauer, fest geschlossen, doch unterlassen, die Zugbrücke, welche es mit dem gegenüberliegenden Rande des Grabens verband, aufzuziehen. Diese Vorsichtsmaßregel hatte ich schon seit mehreren Monaten außer Augen gesetzt. Nach dem gemeinschaftlichen [605] Abendbrode hatte die gesammte Bevölkerung, vom Tagewerk ermüdet, sich zur Ruhe niedergelegt, und Alles war bald in tiefen Schlummer versunken.

Mitten in der Nacht weckte mich ein ungewöhnliches Geräusch; kaum war ich zur Besinnung gelangt und hatte mich vorn Lager erhoben, als ich schnell hinter einander mehrere Flintenschüsse hörte, die in meiner nächsten Nähe abgefeuert wurden. Im Nu waren meine Diener und mein ältester Sohn ebenfalls auf den Beinen und hatten die stets scharf geladenen und zur Hand befindlichen Doppelbüchsen ergriffen. Als ich die Thür öffnete, sah ich bereits die Soldaten, welche in der Mitte des Hofraums unter zwei großen Zelten campirten, halb angekleidet, die Gewehre in der Hand, theils aus denselben herausstürzend, theils schon im Kampfe mit dem Feinde, denn dieser hatte die Zugbrücke überschritten, das Einfahrtsthor überstiegen und wahrscheinlich gehofft, uns Alle im Schlaf zu überraschen. Etwa zehn Kabylen hatten schon im Innern festen Fuß gefaßt, und waren im wildesten Handgemenge mit den glücklicherweise noch zur rechten Zeit durch das Gebell unserer wachsamen Hunde ermunterten Soldaten. Vielleicht eine gleiche Anzahl sah ich theils auf dem Rücken der Mauer zunächst dem Thore, theils auf diesem selbst, von wo aus sie sich bemühten, uns mit ihren langen Flinten so viel als möglich zu schaden. Der Corporal, welcher die Soldaten commandirte, rief mir zu, ihm nicht zu Hülfe zu kommen, sondern mich nur gegen die Kabylen zu wenden, welche noch nicht bis in den Hofraum gedrungen waren. Ehe er noch seinen Zuruf zu Ende gebracht, lagen bereits zwei Eindringlinge, von den zwei Kugeln meiner Doppelbüchse erreicht, am Boden. Ebenso glücklich hatten meine drei Diener gezielt.“

[614] „Ich schwang mich nun,“ fuhr Wöhler fort, „auf die Höhe der Mauer und sah zu meinem Entsetzen, daß außen herum Alles von weißen Burnussen wimmelte. Allein ich verlor nicht den Muth: die bereits gefallenen Schüsse mußten auf dem Fort (dem bereits erwähnten „Häuserquadrat“) gehört worden sein, und ich konnte von dort aus jeden Augenblick Hülfe erwarten. Inzwischen war es auch den Soldaten gelungen, vollständig der mit ihnen kämpfenden Kabylen Herr zu werben. Wir wandten uns daher nun vereinigt dem äußeren Feinde zu, der seine ganze Stärke auf den einzigen zugänglichen Punkt, die Brücke, concentrirt hatte. Mit Hülfe der in der Mauer auf beiden Seiten des Thores angebrachten Schießscharten gelang es uns, die Angreifer auf einige Zeit im Schach zu erhalten; doch lange konnte dies nicht währen, da die Kabylen, uns hundertfach an Stärke überlegen, endlich den Vortheil behalten mußten. Auch waren bereits drei der Vertheidiger auf unserer Seite kampfunfähig: zwei Soldaten, von denen der Eine einen Schuß in die rechte Schulter und der Andere einen in den Leib bekommen und mein damals 14 Jahr alter ältester Sohn, dem eine Kugel die linke Hand zerschmettert hatte. Plötzlich, als gerade unsere vereinigten Kräfte auf die Deckung des Einganges gerichtet waren, entdeckte ich zu meinem Entsetzen, daß es den Kabylen gelungen war, von der entgegengesetzten Seite die Ringmauer zu erklettern. Als ich mich an der Spitze von vier Mann dem bedrohten Punkte zuwandte, war es bereits zu spät. Einige vierzig dieser blut- und beutegierigen Gebirgsbewohner hatten bereits das Innere erreicht, und nun begann ein Kampf der Verzweiflung Mann gegen Mann, das heißt, Einer gegen Zehn. Schon beim ersten Lärm hatte ich sofort Frau und Kinder in ein sicheres Versteck, ein tiefes und wohlverdecktes, zur Aufbewahrung von Lebensmitteln und Früchten bestimmtes Erdloch von ziemlichem Umfang gebracht, um sie in Sicherheit zu wissen und durch ihr Geschrei und Gejammer nicht in der Vertheidigung von Habe und Leben gehindert zu werden. Und dies war gut; denn die Feinde, sobald sie in überwiegender Menge im Innern der Ringmauer sich befanden, begaben sich sofort an die Plünderung und zündeten an, was nur immer brennbar war.

Im Augenblicke, wo ich, schon der Verzweiflung nahe, unser Häuflein immer mehr zusammenschmelzen sah und nur noch dachte, durch den Tod dem schrecklicheren Loose, nämlich der Gefangenschaft, zu entgehen, hörte ich ganz in der Nähe die wohlbekannten Töne der Signaltrompete. „Gott sei Dank!“ rief mir der Corporal von weitem zu. „Muth, Meister Wöhler! die Cavallerie und Artillerie des Forts kommt zum Entsatz im Galopp heran!“ – Und so war es, und auch Zeit war es!

Kaum vernahmen die Feinde die ihnen nur zu gut bekannten Signale, als ein panischer Schreck an die Stelle des Uebermuthes und der Siegestrunkenheit trat, und nun Jeder von ihnen so schnell als möglich den Ausgang zu erreichen oder über die Ringmauer zu entkommen suchte. Doch jetzt war die Reihe an uns, und was unsern Kugeln oder Bajonnetstößen entging, fiel draußen unter die scharfe Klinge der französischen Cavallerie, vor der die Kabylen allen Respect hatten; nicht zu rechnen, daß zwei Berggeschütze einen Hagel von Kartätschen zwischen die dichten Massen der Räuber warfen.

Gerettet waren wir nun – doch um welchen Preis! Mein Wohnhaus war vom Feuer zerstört, mein Vieh theils verbrannt, theils verschwunden, einer meiner Diener getödtet, ich und mein Sohn verwundet und von den zehn bei mir einquartierten Soldaten nur noch drei kampffähig, vier Andere waren verwundet, drei getödtet. – Doch wir hatten unsere Verluste theuer erkaufen lassen, indem mindestens vierzig todte oder verwundete Feinde den Boden des Hofes bedeckten. Noch größer war die Zahl der Gefallenen draußen, wo die reitenden Jäger und die Artillerie unbarmherzig das verheerende Handwerk des Krieges übten.

Sobald der letzte Feind verschwunden war, ritt der commandirende Officier über die Brücke, kam zu mir und drückte mir sein Bedauern aus, daß es ihm nicht vergönnt gewesen sei, eher auf dem Schauplatze des so ungleichen Kampfes zu erscheinen. Dann machte sich der gleichfalls aus dem Fort angelangte Arzt daran, den Verwundeten die schnellste Hülfe zu leisten und die, welche den Transport vertragen konnten, sofort nach den Hospitälern der Stadt schaffen zu lassen. Unter diesen letzteren befand sich auch mein Sohn. Sodann holte ich meine Frau und Kinder aus ihrem Versteck unversehrt hervor und begann, soviel es für den Augenblick möglich, aus Bretern uns ein provisorisches Obdach zu bauen. Den Truppen war es gelungen, den größten Theil meines zerstreuten [615] Viehes wieder einzufangen, und – glücklicherweise befand sich unter den von den Kabylen geraubten Gegenständen nichts, was einen besonderen Werth für mich hatte oder ein unersetzlicher Verlust gewesen wäre.

Dieser Vorfall hatte mir indessen gezeigt, wie wenig selbst die Nähe der Stadt Algier und des Forts, unter dessen Kanonen gewissermaßen meine Besitzungen lagen, mich vor der zu großen Nachbarschaft der Kabylie schützte, und ich beschloß deshalb die erste günstige Gelegenheit oder Offerte zu benutzen, um in einer besseren Gegend mich niederzulassen. Noch im Laufe des Sommers fand sich ein Malteser, dem meine Ländereien gefielen und der die Absicht hatte, dieselben zur Anlage einer Rübenzuckerfabrik zu benutzen. Ich schloß mit ihm einen sehr vortheilhaften Handel ab und unternahm gleich darauf, nur von meinem aus Deutschland mitgebrachten Diener begleitet, von Algier aus zur See die Reise nach Oran, um in dieser in jeder Beziehung besseren Provinz mich anzukaufen. Nach einer vierzehntägigen Abwesenheit kehrte ich als Eigenthümer der Grundstücke zurück, in deren Besitz Sie mich noch heute sehen und deren Bewirthschaftung ich im Herbst 1841 übernahm. Ich hatte allerdings auch hier im Anfang mit vielen Unannehmlichkeiten zu kämpfen, indem die Provinz nur erst seit Kurzem und noch nicht einmal in ihrer heutigen Ausdehnung sich unter französischer Botmäßigkeit befand; allein hier hatte ich wenigstens die Kabylie nicht zur Nachbarschaft, sondern nur die weit friedlicher gesinnten Stämme nomadisirender Araber, ohnehin schon seit vielen Jahrzehnten an die eingewanderten Spanier gewöhnt, bevölkerten hin und wieder die Umgegend; von ihnen hatte man höchstens kleine Diebereien zu befürchten, vor denen man sich ja schützen konnte. Außerdem war in unmittelbarster Nähe meiner Niederlassung ein permanentes Lager etablirt, in dem sich durchschnittlich 2 bis 3000 Mann Truppen befanden. Noch andere Colonisten kamen nach und nach hinzu, und so entstand mit der Zeit das Dorf, dessen ältester Einwohner und, wenn Sie wollen, Begründer ich bin. Von Jahr zu Jahr ging es mit meiner Haus- und Feldwirthschaft besser und wurde sie einträglicher; mein Viehstand vermehrte sich mehr und mehr. Im Anfang hatte ich mir eine hölzerne Baracke gebaut, dann ein etwas größeres und solideres Gebäude ausgeführt, und endlich – im Jahre 1850 – habe ich das Haus gebaut, welches Sie jetzt vor sich sehen, und ihm die nöthigen Stallungen und Wirthschaftsgebäude hinzugefügt. Das Alles ist mein zwar mühsam und oft gefahrvoll, doch vollkommen rechtmäßig erworbenes Eigenthum. Meine Felder sind in gedeihlichem und gesegnetem Zustande, mein Weizen ist auf dem Markte zu Oran der gesuchteste und ohne Widerrede höher bezahlt als jeder andere; ich bin der Erste, dem es geglückt ist, hier eine Baumwollenpflanzung in’s Werk zu setzen und nicht unbeträchtlichen Gewinn aus ihr zu ziehen; wenn es sich um Lieferungen für die Truppen handelt, werden mir von Seiten der Behörden Privat-Offerten gemacht, bevor öffentliche Bietungstermine angesetzt werden. Ich habe einige Mal Gelegenheit gehabt, der Behörde nicht unwesentliche Dienste zu leisten, und besitze dafür deren unbegrenztes Vertrauen – mit einem Worte, ich bin zufrieden mit meinem Loose und wünschte nur, daß ein jeder deutsche Colonist hier ein Gleiches sagen könnte. Doch dem ist nicht so; denn leider findet man unter den hier lebenden Landsleuten nur wenig wirklich brave und rechtschaffene Leute; den bei weitem größeren Theil der hiesigen Deutschen haben traurige und compromittirende Antecedentien zur Uebersiedelung nach Afrika veranlaßt. Ich habe in dieser Beziehung manche herbe Erfahrung gemacht, um so mehr als ich seit der Gründung des Dorfes Ortsvorsteher (Maire) in demselben bis auf den heutigen Tag gewesen bin.

Nun, Herr Lieutenant, kennen Sie meine Schicksale; sollten Sie einmal nach Deutschland und wohl gar in meine liebe Heimath kommen, so erzählen Sie nur den Leuten dort, daß der Christian Wöhler es nicht bereut, nach Afrika gegangen zu sein, daß er jedoch durch langjährige Erfahrung hier zu der Ueberzeugung gekommen ist, daß nur solche Colonisten glücklich werden mögen, die ein gutes Gewissen mitbringen und an deren Anlagecapital kein Fluch oder gar Schlimmeres klebt!“ ...

„Recht so, mein Freund,“ entgegnete ich und schüttelte die dargebotene Rechte des Biedermannes. Ich hätte gern noch länger mit ihm geplaudert; allein meine Dienstpflichten nahmen jetzt meine Zeit in Anspruch, und ich beschloß, da das Commando noch vor Tagesanbruch die letzte Etappe nach Sidi-bel-Abbès antreten sollte, und ich bis dahin zu viel zu thun hatte, um noch einen Besuch bei der Colonistenfamilie machen zu können, gleich definitiven Abschied zu nehmen. Die sämmtlichen Bewohner des Hauses hatten sich inzwischen nach und nach im Garten eingefunden. Wöhler’s ältester Sohn, ein rüstiger junger Mann von 26 Jahren, zeigte mir auch seine in jener Schreckensnacht verstümmelte Hand, von welcher ihm Zeige- und Mittelfinger abgeschossen waren. Auch den mehrerwähnten treuen Diener Wöhler’s, den dieser noch aus Deutschland mitgebracht, lernte ich kennen. Elise, die kleine Nichte, nahm mich dann noch in Beschlag und wollte mir die Herrlichkeiten der Ställe und des Hühnerhofes, sowie die zahmen Gazellen, Schakals, Strauße etc. zeigen; allein ich brach kurz ab, indem ich herzlich und freundlich dankend mich verabschiedete. Doch mußte ich Allen das feierliche Versprechen ablegen, meinen Besuch unfehlbar jedesmal zu erneuern, wenn ich – was allerdings nicht selten geschah – durch Tlelat passirte.

Als ich mit meinem Fritz die breite, einzige Straße des Ortes hinunterschritt, kamen wir unter Andern an eine offene Hausthür, vor welcher unter dem Schatten einer Akazie zwei Frauen saßen, Mutter und Tochter, wie ich nachher erfuhr. Fritz grüßte sie mit einem „guten Abend!“ – Erfreut erhoben sich Beide, und die Tochter sagte im reinsten und unverfälschtesten Dialekt des Elsaß: „O! sprachet ’r aach dietsch?“

Als wir darauf einige Minuten uns mit den beiden Frauen unterhalten hatten, sagte mir die Mutter ganz treuherzig: „’r spraachet a racht schlachtes Dietsch.“ – Die gute Frau hielt ohne Zweifel den Elsässer Dialekt für das richtige und reine Deutsch und meine Aussprache für eine verdorbene und falsche. Doch ließ sie es sich nicht nehmen, uns mit einem Glase Piquette (eine Art Dünnbier) zu tractiren und uns zugleich mit vieler Zungengeläufigkeit Einiges aus, der Chronique scandaleuse des Ortes zu erzählen.

Endlich waren wir in unserer Zeltstadt angelangt, wo bald ein erquickender Schlummer mich für den letzten starken Marsch stärkte. Die Sonne sank schon gegen die fernen Gebirge des Atlas hinab, als wir am folgenden Tage, von der herrlichen 80 Mann starken Musik unseres Regiments eingeholt, in unser Standquartier Sidi-bel-Abbès einrückten. Noch zu verschiedenen Malen habe ich späterhin meinen Besuch im Hause des braven Wöhler erneuert und mich stets der besten und herzlichsten Aufnahme zu erfreuen gehabt.

Theodor Küster.



  1. Siehe die Skizze: „Eine europäische Dame unter den Kabylen“ in Nr. 49 der Gartenlaube, Jahrg. 1860.