Textdaten
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Autor: Rudolf Gottschall
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Titel: Ein Tribun der Bühne
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 5-7
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[5]

Ludwig Barnay als „Mark Anton“.
Originalzeichnung von Adolph Neumann.

[6]
Ein Tribun der Bühne.
(Mit Abbildung.)

Die Leidensgeschichte des Hamburger Stadttheaters und seiner Directoren hat ein Ende erreicht, seitdem Director Pollini das restaurirte Theater übernommen und wieder der Theilnahme des Hamburger Publicums nahe gerückt hat. Die Gagen, welche dieser unternehmungslustige Director zahlt und deren Höhe an einem anderen deutschen Stadttheater nicht entfernt erreicht wird, haben es ihm möglich gemacht, erste Kräfte für sein Institut zu gewinnen, und unter diesen nimmt Ludwig Barnay im Schauspiel den hervorragendsten Platz ein.

Fast dreißig Jahre sind verflossen, ohne daß im Theater am Dammthor ein Darsteller der entschiedene und gefeierte Liebling des Publicums geworden wäre; dreißig melancholische Jahre, in denen, besonders in Schauspielvorstellungen, das Parquet des großen Hauses oft eine klaffende Oede aufwies, sodaß man bequem die Nummern der einzelnen Sitze lesen konnte, die Glücksnummer der Direction aber war nirgends zu finden. Ja es gab eine Zeit, wo Hamburg, die zweitgrößte deutsche Stadt, fast gar keine classischen Stücke zu sehen bekam. Selten versuchte die gutgeschulte Lustspielmuse des Thaliatheaters sich an einem deutschen Trauerspiel; das Stadttheater selbst hatte kein Schauspielpersonal. Vor dreißig Jahren freilich war es anders; da gab es in Hamburg einen Künstler, der später die Direction übernahm und dieser Last erlag; Jean Baptiste Baison, Liebling des Hamburger Publicums, erfreute sich eines weitreichenden Rufes in Deutschland. Leider raffte den Künstler der Tod hinweg, mitten unter den wachsenden Erfolgen einer Laufbahn, die noch lange nicht abgeschlossen schien.

Seit Baison’s Zeit hat kein Schauspieler des Stadttheaters sich gleicher Beliebtheit erfreut wie Barnay, der wiederum, um mit Wallenstein zu sprechen, „in die hohlen Lager Menschen sammelt.“ In der That, während es früher kein besseres Mittel gab, um das Publicum des Stadttheaters zu verscheuchen, als die Aufführung einer ernsten Tragödie, sind jetzt alle Räume des Stadttheaters gefüllt, wenn Barnay als Uriel Acosta oder in einer classischen Rolle auftritt, und nicht einmal, sondern sechs-, sieben- bis achtmal wird ein solches Stück vor vollen Häusern aufgeführt. Der gute Mittagstisch und das Verdauungsfieber der Hamburger Patricier, welches jahrelang als das unüberwindliche Hinderniß der Blüthe der Classicität im Stadttheater angesehen wurde, erweisen sich jetzt auf einmal als eine Mythe. Das darstellende Talent Ludwig Barnay’s hat die schönen Tage Jean Baptiste Baison’s wieder herbeigezaubert.

Noch steht Barnay im frischesten Mannesalter; er sieht noch eine glänzende Zukunft vor sich. Da er bisher keiner Art von theatralischer Manier verfallen ist, sondern seine Aufgaben nach besten Kräften künstlerisch rein heraus zu gestalten sucht, so ist auch ein weiterer Fortschritt seines Talentes nicht ausgeschlossen; denn er hat sich eben die Freiheit der Bewegung gesichert, während viele hochbegabte Darsteller sich in Manieren festrennen, die keine Fortentwickelung mehr gestatten und allmählich ihr Talent zu Grunde richten.

Ludwig Barnay wurde am 11. Februar 1842 zu Pest in Ungarn geboren, wo sein Vater als städtischer Beamter lebte. Obwohl von anerkannter Tüchtigkeit, ging dieser doch nicht ganz in seinem Berufe auf: es fanden in seinem Hause oft kleine künstlerische Soiréen statt, wo sich Dilettanten in musikalischen und declamatorischen, ja schauspielerischen Leistungen versuchten. Hier trat auch zuerst Adolf Sonnenthal auf, dessen rasche glänzende Künstlerlaufbahn später so verlockend auf den jungen Barnay wirkte. Natürlich gingen diese Anregungen für den phantasievollen Knaben nicht verloren: die Neigung für die Bühne wurde sehr früh in ihm lebendig. Kein regelmäßiges Studium lenkte ihn davon ab; der junge Barnay schwankte zwischen dem Bureaukraten und dem Kaufmanne, schrieb Acten ab und führte Bücher; dazwischen spielte er mit gleichgesinnten Freunden Schauspiel und schrieb sogar schon Theaterrecensionen, eine literarische Thätigkeit, die in Deutschland sehr oft der unreifsten Jugend zufällt. Schon im Herbste 1857 verließ der fünfzehnjährige Barnay heimlich das väterliche Haus, um in Wien unter Sonnenthal’s Leitung den Kosinsky in den „Räubern“ zu studiren. Auf den Wunsch des Vaters setzte er indeß seine Studien am Polytechnikum fort. Dann wurde er wieder Buchführer in Pest und 1859 in Kaschau. Doch die Neigung zum Theater war unüberwindlich, und Barnay wandte sich demselben jetzt entschlossen zu, ohne auf die väterlichen Abmahnungen zu hören.

Jetzt begannen seine Wanderjahre mit den tragikomischen Erfahrungen junger Künstler bei den kleinen umherziehenden Gesellschaften. Unter dem Namen Lacoom trat Barnay zuerst in dem später schlachtenberühmten Städtchen Trautenau in Böhmen auf: er spielte in Töpfer’s „Zurücksetzung“ den Baron Heeren und machte ein Fiasco, das bei den bescheidenen Ansprüchen des Trautenauer Publicums doppelt in’s Gewicht fallen muß. Er wurde von jetzt ab vorzugsweise zum Hinaustragen von „Tischen und Sesseln“ verwendet, wozu ihn seine noch von Pest mitgenommene anständige Garderobe besonders befähigte. Die Gesellschaft spielte später in Braunau auf Theilung, und der junge Künstler erhielt auf seinen Antheil für die zwei Sommermonate Juni und Juli fünf Gulden einundfünfzig Kreuzer. Doch seine Verhältnisse nahmen bald einen glänzenden Aufschwung: er wurde von dem Director Lederer in Mährisch-Weißkirchen mit einer monatlichen Gage von vierundzwanzig Gulden als erster Held und Liebhaber engagirt und spielte schon damals Ingomar, Essex und ähnliche Rollen.

Eine Zeitlang abenteuerte er auf den kleinen Bühnen in Mähren und Oesterreichisch-Schlesien umher: da rief ihn ein Brief der Mutter, die eine Versöhnung mit dem Vater anbahnen wollte, nach Pest zurück. Dieser aber wollte den Komödianten nicht sehen; da faßte der Sohn den kühnen Entschluß, unter seinem wirklichen Namen am Pester Theater aufzutreten, um so vor den Augen des Vaters zu beweisen, daß er diesem Namen als Künstler Ehre machen werde; er spielte am 1. Juni 1861 den Fürsten Leopold in Hersch’s „Annaliese“ und zwar mit schönem Erfolg. Man beglückwünschte den Vater, und dieser söhnte sich endlich mit dem Sohne aus und billigte den Wunsch desselben, der Bühne treu zu bleiben.

Jetzt beginnt die regelmäßige Theaterlaufbahn Barnay’s, die allerdings nicht weniger nomadisch war, als die Streifzüge des jungen Wanderkomödianten. Er war in Pest engagirt, in Graz, in Riga, mehrmals und am längsten in Mainz, von 1863 bis 1864 und dann wieder von 1865 bis 1867. In diese Zeit fallen auch ein Gastspiel am Münchner Hoftheater und ein Debüt am Burgtheater, bei welchem das scharfe Gepräge seines Spiels die Anerkennung Laube’s fand, doch dieser brauchte einen gefühlvollen jugendlichen Liebhaber, einen Romeo, und dazu eignete sich der Künstler wenig.

Im Jahre 1868 kam Barnay nach Leipzig: es war damals die Blüthenepoche des Stadttheaters; das neue Haus wurde eingeweiht; von nah und fern strömte stets ein zahlreiches Publicum in die Räume des neuen Kunsttempels. Eine Clara Ziegler, Rosa Link, Laura Herzfeld und andere Kräfte ermöglichten die Aufführung großer Tragödien, z. B. der Hebbel’schen „Nibelungen“, in würdiger Weise. Barnay spielte den Hagen und interessirte in dieser Rolle, wie früher als Tell, als Essex, als Orestes, durch seine energische Darstellungsweise, die aber noch nicht von Ueberhastungen, von übersprudelnden Kraftäußerungen frei war. Sein Talent läuterte sich in den späteren Engagements in Weimar, Frankfurt am Main, Hannover, wo ein Conflict politischer Art sein dauerndes Engagement verhinderte, am meisten aber durch seine Mitwirkung bei den Kunstreisen des Meininger Hoftheaterensembles, deren glänzender Mittelpunkt er war. Der gemessene und abgecirkelte Stil dieser Darstellungen ist ganz dazu angethan, geniale Auswüchse zu beschneiden und die Künstler auf sorgfältige Herausmeißelung des Details hinzuweisen. Der Schiller’sche Vers: „Ich mag es gern, wenn auch der Becher überschäumt“, hat hier keine Gültigkeit. Mit dem Engagement am Hamburger Stadttheater begann für Barnay eine Sphäre regelmäßiger und bedeutender Wirksamkeit; erfolgreiche Gastspiele in Leipzig, am Berliner Nationaltheater und an anderen Bühnen erweiterten den Kreis derselben und sicherten ihm in Deutschland wachsenden Ruhm.

[7] Barnay hat das angeborene Feuer, welches keinem darstellenden Talente von Bedeutung fehlt, aber er hat jetzt gelernt, es maßvoll zu beschränken, während früher der wilde Lavafluß sich oft über die Schranken ästhetischen Maßes hinweg ergoß. Sein „Othello“ beweist die Leidenschaftlichkeit, zu der sein Talent alle Mittel besitzt, aber sie geht nur da zum Fieberhaften, zum Ueberschwänglichen fort, wo die Situation es verlangt. Maßvolleres Feuer beseelt seinen „Essex“ und „Uriel Acosta“; energisch giebt er den letzten Lord, mit aufflackernder Gluth den düsteren Denker. Gerade solche Charaktere mit überwiegender Reflexion sind seinem Naturell sehr entsprechend, am meisten diejenigen, die einen elegischen Grundton haben.

Er ist ein Meister der Rhetorik: darum bevorzugt er auch die Römertragödien, in denen die Beredsamkeit des Forums sich voll ergeht. Den „Volkstribun Gracchus“ Wilbrandt’s, ein Trauerspiel, gegen welches sich die norddeutschen Bühnen lange sehr spröde zeigten, hat er nicht nur in Hamburg, sondern auch in anderen Theatern zur Geltung gebracht. Dieser Tribun, der zugleich ein Gefühlsmensch ist, der von der Pietät gegen den getödteten Bruder fast noch mehr bestimmt wird, als von den revolutionären Ideen und von dem Bestreben, die Besitzverhältnisse Roms umzugestalten, findet in Barnay einen vorzüglichen Darsteller, dessen Naturell gerade für diese Aufgabe in seltener Weise geeignet ist. Als Volksredner im ersten Acte schlägt er nacheinander die verschiedensten Töne an, die im Herzen der Quiriten ein Echo finden, und bewährt sich als Meister kunstvoller Steigerung, in der Hauptscene des dritten Actes aber entfesselt er den ganzen Sturm der Leidenschaften in der eigenen Brust und in den Herzen des römischen Volkes.

Jene feinere Beredsamkeit, welche durch künstliche Gruppirung der Thatsachen und durch ihre ironische Beleuchtung wirkt, bewährt er in der Rolle des Mark Anton. Das Bild des Künstlers als Mark Anton, das wir bringen, da dasselbe die meiste Portraitähnlichkeit gestattet, zeigt uns das interessante Profil, den ausdrucksvollen Kopf, das seelenvolle Auge, die ihm eigen sind und ihn besonders zur Darstellung geistig bedeutender Rollen befähigen.

Dies ist die Signatur seines Talentes; Barnay war nie für lyrische Liebhaber geschaffen und hat in derartigen Rollen in seiner Studienzeit nur halbe Erfolge errungen, aber interessante Charakterköpfe entweder von classischem Adel oder mit dem Gepräge düsterer Melancholie und zersetzender Reflexion sind seine Domäne. Ja, auch scharf charakteristische Aufgaben weiß er zu bewältigen. Das hat sein König Heinrich der Achte in „Katharina Howard“ bewiesen.

Wenn wir Barnay als darstellenden Künstler schildern, so erschöpft solche Schilderung durchaus nicht seine Wirksamkeit für die deutsche Bühne. Nicht blos als Mark Anton und Cajus Gracchus bewährt er seine glänzende Rhetorik; er ist auch außerhalb der Bühne ein begabter Redner von seltenem Fluß und hinreißender Inspiration und außerdem mit der Feder nicht minder gewandt als mit dem Worte. Diese glänzenden Vorzüge hat er in den Dienst einer guten Sache gestellt und zur Hebung seines eigenen Standes verwendet. Schon in Mainz gründete er zu solchem Zwecke mit gleichgesinnten Genossen den „Rütli“, einen Schauspielerbund, dessen Zweck Wahrung der Standesehre und Streben nach echter erhöhter Erkenntniß der Kunst, ihrer Ziele und Musterbilder war; eine Filiale des Mainzer „Rütli“, der Baseler, ernannte Barnay zu seinem Ehrengenossen. Immerhin blieben diese schönen Bestrebungen an engere Kreise gebannt: es war in erster Linie Barnay’s Verdienst, denselben eine Ausdehnung über das ganze Deutschland hinaus zu sichern, eine Genossenschaft zu gründen, deren Mitgliederzahl jetzt nach mehreren Tausenden zählt. Sein Werk vorzüglich war die Einberufung des Bühnencongresses in Weimar; er wirkte mit Wort und Schrift, mit dem ganzen Feuergeiste, der ihm eigen ist, als unermüdlicher Agitator für denselben. Die Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger, die an der Stätte unserer classischen Dichtung an der Ilm gegründet wurde, muß ihn als ihren intellectuellen Urheber betrachten. Sein „Offener Brief“ in der Leipziger Theaterchronik, welcher die Betheiligung der Schauspieler an der bevorstehenden Sitzung des deutschen Bühnenvereins und die Erweiterung desselben zu einem „Allgemeinen deutschen Bühnencongreß“ verlangte, warf den Funken in’s Pulverfaß. Er zündete in ganz Deutschland; als Herr von Hülfen, an den jener Brief gerichtet war, die Erfüllung dieses Verlangens auf Grund der Statuten des Bühnenvereins ablehnen mußte, veranlaßte Barnay die Bildung eines provisorischen Comités zur Einberufung eines „Allgemeinen deutschen Bühnencongresses“. In Kassel wurde mit den gleichstrebenden Collegen von ihm das Programm der allgemeinen Zwecke des Bundes entworfen, am 17. Juli 1871 der erste allgemeine Bühnencongreß in Weimar eröffnet, von mehr als hundert Schauspielern besucht, und am 18. Juli die Genossenschaft constituirt. Die Stimmung war eine gehobene und weihevolle; in würdiger und begeisterter Weise sprach Barnay am Eingange der Fürstengruft zu Ehren der Dichter, denen die darstellende Kunst die höchsten Impulse verdankte. Ueber ein Theaterconcessionsgesetz, ein Disciplinargesetz, allgemeine Contractsformulare, einen allgemeinen „Pensions- und Hülfsverein“ wurde in diesen Tagen verhandelt, und vieles ist seitdem in’s Leben gerufen worden, was damals Gegenstand der Berathungen war. Barnay’s Verdienste um das Zustandekommen der Genossenschaft wurden im Jahre 1872 durch eine Adresse mit viertausend Unterschriften deutscher Schauspieler anerkannt, darunter die gefeiertsten Namen wie Emil Devrient, Ernst Possart und Andere.

Auch sonstige Auszeichnungen wurden dem hochbegabten und edelstrebenden Künstler zu Theil: er wurde zum Ehrenmitgliede des vielgepriesenen Meininger Hofschauspieles ernannt. Emil Devrient hinterließ testamentarisch dem würdigen Jünger das goldene Vließ, das er als „Egmont“ getragen,

„Ein golden Vließ, das keines Fürsten Gunst
Und kein Capitel um die Brust ihm hängt,“

ein golden Vließ, womit der Künstler den Künstler ehrte, ein scheidender Grande der deutschen Kunst den aufstrebenden Nachfolger.

Rudolf Gottschall.