Ein Sklavenaufstand vor zweitausend Jahren

Textdaten
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Autor: J. Mähly
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Titel: Ein Sklavenaufstand vor zweitausend Jahren
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 158–159
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein Sklavenaufstand vor zweitausend Jahren.

Von J. Mähly.


Wenn wir von dem Standpunkt unserer heutigen Anschauungen aus auf die Skavenaufstände im alten Rom zurückschauen, fühlen wir uns versucht, in ihnen das Aufleuchten einer höheren Auffassung von der Würde des Menschen, eine gewaltsame Auflehnung gegen die moralische Erniedrigung, welche für unser Gefühl in dem Begriff der Sklaverei liegt, zu erblicken. Und doch ist dem nicht so; die Befreiungsversuche jener kühnen Häuptlinge Ennus, Athenio, Spartacus, welche am Ende des zweiten und Anfang des ersten Jahrhunderts vor Christi Geburt die Sklaven in Massen zur Erhebung gegen ihre Herren riefen, wurden nicht im Dienste der Menschenwürde unternommen, die Opfer, welche in dem Kampfe auf Seite der Sklaven fielen, sind keine Märtyrer einer höheren Idee. Denn an eine Verurtheilung des Sklaventhums an sich dachte noch kein Mensch in jenen Zeiten. Die Skavenaufstände waren nichts als Gegenstöße gegen eine überaus brutale Art der Behandlung, Gegenstöße, die durch das Machtbewußtsein, welches die Masse verleiht, begünstigt waren. Denn es war eine unglaublich verrohte Zeit, eine der trübsten Perioden der römischen Geschichte, selbst die Kaiserzeit eingeschlossen, welche dieses Schauspiel der wider den Stachel löckenden Sklaven sah. Mehrere Menschenalter hindurch hatten Bürgerkriege und innere Umwälzungen den Staat zerrüttet, und die bösen Früchte einer solchen Saat, namenlose Verwilderung der Sitten, Raub und Gewaltthat auf allen Seiten, Zerrüttung der staatlichen Kräfte, blieben nicht aus.

In diese Zeit wüster Gährungen im Innern fällt nun auch die Sklavenerhebung des Jahres 73 v. Chr., deren Seele der Thracier Spartacus gewesen ist – die größte und blutigste, welche das Alterthum kennt. Sie schien eine Zeitlaug ihre Wellen sogar gegen Rom selber wälzen zu wollen, und den Bewohnern lag der Schreck in den Gliedern wie damals, als Hannibal mit seinen Scharen die Richtung gegen die Hauptstadt nahm und die Späher schon den Staub der Kolonnen in der Ferne wollten aufwirbeln sehen. Die Furcht war beidemal nicht ungegründet, und welche Greuel die entfesselten siegesberauschten Skavenhorden in der Weltstadt verübt haben würden, davon gab das Schicksal einiger kleiner von ihnen eingenommener Landstädte einen Vorgeschmack. Man weiß leider nur zu gut, was sich „regelrechte Heere“ im Siegestaumel gegen die Ueberwundenen erlaubt haben – und nun vollends diese zügellosen Horden, welche durch Mißhandlung zur Verzweiflung, durch Verzweiflung zur Empörung getrieben waren und wußten, welches Los ihnen bevorstand, wenn sie ihren Peinigern unterlagen, wußten, daß es in ihrer Hand lag, sich an diesen Peinigern zu rächen. Man kann sich denken, in welche Orgien der lang verhaltene Rachedurst ausgeborsten wäre!

Vor diesem Gedanken graute auch den Römern. Es war diesmal eine besondere Gattung von Skaven, welche sich frei zu machen suchten: sogenannte Gladiatoren (Fechter), deren trauriges Handwerk darin bestand, zur Belustigung des Volkes nach den Regeln der Kunst ihre eigenen Brüder abzuschlachten oder von ihnen abgeschlachtet zu werden. Diese Kunst wurde in „Fechtschulen“ gelernt, und in solchen häuften sich, je nach Bedarf und Angebot der „Ware“, ganze Scharen von Gladiatoren zusammen, um von ihren Herren bei dieser oder jener Gelegenheit – es gab deren bei dem grausamen, erbarmungslosen Sinn der Italiker mehr als genug – vermietet zu werden. In der Nähe besehen – es bedurfte nicht einmal scharfer Augen! – war es nichts mehr und nichts weniger als ein Handel mit Menschenfleisch. Die Summe, welche für einen verwundeten oder getödteten Fechter zu bezahlen war, wurde zum voraus festgesetzt; das Schicksal des Besiegten, ob Tod oder Leben, lag gewöhnlich in den Händen der Zuschauermenge, und zwar buchstäblich in einer Handbewegung, dem Aufheben eines Fingers, was Leben, oder dem Senken des Daumens, was Tod bedeutete. Dagegen lag es in der Hand ihres „Herrn“ und ihres Fecht- oder Drillmeisters, ihnen das Leben erträglich oder aber zu einer beständigen Folterqual zu machen; nur eines konnte auch die erbarmungsloseste Behandlung nicht versagen: genügende und kräftige Nahrung. Die Leute mußten, um eine „gesuchte Ware“ zu werden, etwas leisten können, und dieser Kraftaufwand war nur möglich bei guter Kost. Was also in dieser Hinsicht geschah, hat mit Milde oder Herzensgüte nicht das mindeste zu schaffen, sondern entsprang bloß berechnender Selbstsucht.

Eine solche Fechtschule hielt in Capua (in der Landschaft Campanien) ein gewisser Lentulus – einer von der schlimmen Sorte, der seine Sklaven das ganze Elend der Leibeigenschaft kosten ließ. Der Qualen müde, ließen diese sich von dem Thracier Spartacus überreden, aus ihrem Kerker – denn einen andern Namen verdienten ihre Wohnräume kaum – auszubrechen und sich durch die Stadt und die Landschaft durchzuschlagen. Ihr nächstes Ziel war der Vesuv, in dessen Schluchten sie sich einstweilen sicher fühlen durften. Ein glücklicher Zufall hatte ihnen unterwegs einen mit militärischen Waffen beladenen Wagen in die Hände gespielt; auch wer ihnen sonst bewaffnet begegnete, mußte sichs gefallen lassen, daß über das Mein und Dein keine langen Unterhandlungen gepflogen wurden.

Uebrigens läßt sich aus unseren Quellen kein fertiges Bild zusammensetzen; sie genügen nur zu einem Schattenriß, und auch dieser leidet an Lücken und unsicheren Linien. Ob die Schar ursprünglich bloß dreißig, oder ob sie siebzig und mehr Mann zählte, ist freilich von wenig Belang, denn jedenfalls schwoll sie schon auf dem Weg zum Vesuv zu einem ordentlichen Trupp an; gleich und gleich gesellt sich gern, und Räuber und Hirten – beides wohl auch in einer Person – ließen sich willig finden, mitzumachen. Aber was viel wichtiger ist: des Banditen- oder, wenn man lieber will, Feldhauptmanns Spartacus „Charakterbild schwankt in der Geschichte“. Natürlich! war er doch nur ein Sklave – und wer wird sich um einen solchen weiter kümmern, wenn er einmal zertreten ist! Sicher ist: er war von Anfang an Kopf und Seele des Aufstandes und blieb es; vom Rädelsführer war er zum Anführer aufgestiegen. Er verstand, als früherer Soldat, etwas vom Kriegshandwerk; freilich hatte er wenig Geschmack daran gefunden, denn er war fahnenflüchtig geworden und hatte dann als Räuber in den Bergen „ein freies Leben“ geführt, bis er schließlich wieder eingebracht und zur Strafe in die Sklaven- und Fechterjacke gesteckt worden war. Um die Bande, die unter seinem Kommando stand, eine aus aller Herren Ländern zusammengewürfelte Masse ohne Zweifel höchst ungezügelter Gesellen, Jahre lang in Zucht und Ordnung, kriegsgeübte Truppen wie die römischen im Schach und ein Land wie Italien im Bann des Schreckens zu halten, dazu bedurfte es eines nicht gewöhnlichen Maßes persönlicher Tüchtigkeit, und wenn seine Maßregeln schließlich durch Zwiespalt im eigenen Lager vereitelt wurden und sein Glück an den ehernen Heersäulen der Römer in Scherben ging, so trifft den Spartacus kein Vorwurf; es mußte, wie die Dinge lagen, so kommen, das Gegentheil wäre ein Wunder gewesen. Und es war ein Glück für Rom, für die Welt, daß dieses Gegentheil nicht eintraf. Es sei anderen überlassen, hier allerlei erbauliche oder unerbauliche (jedenfalls aber nutzlose!) Betrachtungen darüber anzustellen, was alles in jenem Falle hätte geschehen und zu Grunde gehen können oder müssen – der Eindruck, den wir vom Wesen jenes Sklavenhäuptlings empfangen, wird durch solche Ueberlegungen nicht abgeschwächt, und wenn er vollends, wie uns berichtet wird, seinen wilden Gesellen gegebenen Falles Milde und Schonung predigte und ihre Raub- und Mordlust zu dämpfen suchte, so werden wir sein ganzes Thun nicht nur begreifen, sondern sogar billigen, ja, wir werden ihm etwas wie Bewunderung kaum versagen können.

Der Bandenführer Spartacus war vielleicht – wer weiß es? – nicht nur in seiner Art und in seiner Umgebung ein Held, er verdient möglicherweise diesen Titel im besten und absoluten, nicht bloß im relativen Sinne des Wortes. Wir lesen sogar, ohne daß Grund vorhanden wäre, dieser Nachricht zu mißtrauen, daß er es gar nicht auf Plünderung und Beute abgesehen habe; er habe kein anderes Ziel verfolgt, als sich glimpflich durch Italien durchzuschlagen und sich und seinen Genossen den Weg in die Freiheit zu bahnen, diese aber, vom Glück des Augenblicks trunken und verblendet, hätten ihn gezwungen, einen andern Weg zu gehen, den des sicheren Untergangs. Hierüber ins Klare zu kommen, ist für uns unmöglich, und unmöglich war es schon für ein römisches Gehirn, einem Sklavenführer [159] gerecht zu werden. Nennt ja ein Geschichtschreiber der späteren Zeit, wo es in den Köpfen der Gebildeten doch bereits tagte und die Ahnung von der Menschenwürde, der Gleichberechtigung der Sklaven die Schatten des Wahnes zu verscheuchen begonnen hatte, die Sklaven „gleichsam eine tieferstehende Menschenrasse!“

Wir haben den Spartacus am Vesuv verlassen. Er durfte mit seinem ersten Erfolge zufrieden sein. Ein römisches Corps von 3000 Mann, das sich die geplagten Bewohner der Landschaft zum Schutz erbeten hatten, besetzte den einzig benutzbaren Zugang zum Berg und glaubte, die Bande durch Hunger mürbe machen zu können. Plötzlich aber sah es sich in seinem Lager überrumpelt und nahm, mehr vom Schrecken als vom Feinde übermannt, nach allen Seiten hin Reißaus. Die Sklaven hatten sich mit Todesverachtung – sie hatten ja nichts als ein elendes Leben zu verlieren – bis auf den letzten Mann über jähe Abhänge heruntergelassen; die Leitern zu diesem Wagestück waren aus wilden Reben geflochten. Für Spartacus war dieser Sieg ein ungeheurer Erfolg – aus seiner Bande wurde in kurzer Zeit ein Heer, das trotz mangelhafter Ausrüstung den Römern bereits auf freiem Feld die Stirn bot, und wiederum mit Glück. Der Prätor Varinius, der mit einem regelrechten Heere in Campanien eingerückt war, hatte nicht bloß mit dem Feinde, sondern mit der Feigheit und Unbotmäßigkeit seiner eigenen Leute zu kämpfen. Eine Abtheilung seines Heeres wurde von den Sklaven überrumpelt und zersprengt, der Befehlshaber war im Bade überrascht worden und mit Mühe der Gefangenschaft entgangen, um bald darauf im Treffen zu fallen. Der Höchstkommandirende, Varinius, hatte keinen besseren Erfolg, bloß daß er mit dem Leben davonkam, aber auch dies nur mit genauer Noth, denn seine Liktoren und sein Pferd fielen in die Hände des Feindes; die entscheidende Schlacht, in welcher er sich bereits einem an Zahl mindestens ebenbürtigen Heere gegenübersah, wurde zu einer vollständigen Niederlage.

Mehr und mehr schwoll das Heer des Spartacus an; – er war für Tausende und Abertausende zum Erlöser geworden. Jetzt erachtete er den Augenblick für gekommen, durchzubrechen, aber die unselige Verblendung seiner Leute trug über die bessere Einsicht des Führers den Sieg davon.

Schon jetzt bekam die Einheit einen Riß; die Germanen (Kelten?) machten sich unter Anführung eines gewissen Krixus vom Hauptheere los und zogen ihre eigenen Wege – ins Verderben. Am Garganusgebirge in der Landschaft Apulien wurden sie von den römischen Truppen eingeholt und bis auf ein Drittheil aufgerieben. Was mit den Ueberlebenden geschah, verlautet nicht; jedenfalls wurde kein Gefangener verschont; die Römer verfuhren in diesem Kriege, der ja in ihren Augen solchen ehrlichen Namen nicht einmal verdiente, ebenso summarisch als grausam: sie schlugen die Gefangenen, nach bestehendem „Brauch“, ans Kreuz, und die Sklaven hielten Gegenrecht. Spartacus brachte dem Andenken des gefallenen Bandenführers Krixus, obschon dieser sich von ihm losgesagt hatte, Menschenhekatomben: dreihundert gefangene Römer fielen als Opfer bei dem Leichenspiele! Auch damit vergalt er gleiches mit gleichem, denn den Manen der römischen Großen bluteten ja der Sitte gemäß die Gladiatoren im Zweikampf.

Das durch den Wegzug der Kelten und Germanen geschwächte Heer des Spartacus ergänzte sich indessen wieder durch stets erneuten Zuzug, und auch das Glück blieb dem Führer treu. Es folgte ein Sieg auf den andern über regelrechte Römerheere, und als es ihm gelungen war, über den Apennin vorzudringen und den Statthalter des „diesseitigen Galliens“ (das heißt des nördlichen Italiens) nachdrücklich aufs Haupt zu schlagen, war der Freiheit eine Gasse gebrochen, ja mehr als eine! Aber das Ungestüm seiner Banden drängte Spartacus auf den Weg nach Beute, nach Rom.

Damit war der Anfang vom Ende gegeben. Zwar wenn er wirklich über ein „Heer“ von 120000 Streitern geboten hätte, wie ein Geschichtschreiber fabelt, so wäre trotz mangelhafter Bewaffnung und trotz Indisciplin ein Erfolg immerhin noch möglich, wenn auch nicht wahrscheinlich gewesen – stand doch selbst Hannibals kühner Geist unter günstigeren Umständen von diesem Wagniß ab! Aber jene Angabe ist eine Uebertreibung ins Maßlose, wie überhaupt die Ungenauigkeit bei Zahlenangaben eine Eigenthümlichkelt der ganzen antiken Geschichtschreibung ist. Dagegen kommt bei Spartacus ein Charakterzug zum Vorschein, der von ungewöhnlicher Einsicht zeugt: sein weitschauender Blick ließ ihn ahnen, daß die größte Gefahr für sein Unternehmen in der Habsucht und Beutegier seiner Bande lag; darum hatte er nach Einnahme der reichen See- und Handelsstadt Thurii dafür gesorgt, daß seine Leute kein edles Metall, sondern nur Eisen und Kupfer in die Hände bekamen.

In Rom machte man, als die Lage nun selbst für die Hauptstadt kritisch geworden war, außergewöhnliche Anstrengungen. Der Ehrgeiz nach Kriegslorbeeren war verraucht, denn die bisherigen Heerführer waren, wenn überhaupt, ohne solche zurückgekehrt! Marcus Crassus, der eine der Prätoren, mußte als Feldherr mit außerordentlichen Vollmachten ausgerüstet werden; nach seiner Vereinigung mit den schon im Feld stehenden Truppen der Konsuln zählte sein Heer nicht weniger als acht Legionen, das heißt gegen 50000 Streiter.

Crassus hatte bisher wenig Gelegenheit gehabt, als Heerführer zu glänzen; aber er kannte doch, wie die meisten römischen Großen, das Kriegshandwerk aus eigener Praxis und rechtfertigte jetzt das in ihn gesetzte Vertrauen vollkommen. Möglich, ja wahrscheinlich, daß man seine Kriegstüchtigkeit unterschätzt, wenn man sie nach seinen späteren Mißerfolgen gegen die Parther beurtheilt: das war ein Kampf „mit des Geschickes Mächten“ wie der Napoleons in Rußland, und Napoleons Lorbeer ist weder durch den Brand Moskaus noch durch die Schneestürme der russischen Steppe im mindesten versehrt worden. Crassus trat sofort mit eiserner Strenge auf. Eine Abtheilung, die sich unter dem Unterfeldherrn Mummius feig gezeigt hatte, ließ er dezimiren, das heißt, er ließ jeden zehnten Mann hinrichten. Es gelang ihm dann – wir wissen freilich nicht wie – den Spartacus von der nördlichen Richtung weg gegen Süden zu drängen, dem Meere zu. Die Lage des Sklavenführers muß jetzt schon eine bedenkliche gewesen sein, sonst hätte er schwerlich den Plan gefaßt, einen Theil seiner Mannschaft nach Sicilien zu werfen, um dort den Feuerbrand, der vom letzten Sklavenaufstand her unter der Asche noch immer fortglomm, zur neuen Flamme zu entfachen. Kilikische Seeräuber, die dort kreuzten, sollten gegen eine Summe Geldes den Transpart besorgen. Der Plan war gut: wenn er glückte, so waren die Römer zu einer Theilung ihrer Streitkräfte gezwungen. Aber er scheiterte an der Treulosigkeit der Piraten; diese nahmen das Geld an, die Mannschaft aber nicht auf und segelten von dannen. Hatte Crassus hier die Hand im Spiele gehabt und den Verrath „honorirt“? Er war ja der reichste aller Römer! Sein Grundbesitz, seine Unternehmungen und Fabriken, worin Tausende von Sklaven beschäftigt waren, seine Kapitalien, deren Zinsen das Doppelte und Dreifache der heute geltenden Rente abwarfen, brachten ihm Jahr für Jahr riesige Summen ein. Es verlautet zwar nicht, daß er von seinem Ueberfluß großmüthig gespendet habe; wenn er aber gegen die Korsaren freigebig gewesen ist, so geschah dies ja auch in seinem Interesse. Was er jetzt unternahm, um dem Feind den Rückweg nach dem mittleren und nördlichen Italien zu versperren, war ein großartiges Werk: er zog da, wo die Halbinsel am schmalsten ist, zwischen dem Tyrrhener Meer und dem Tarentinischen Meerbusen einen Wall von dem einen zum andern und einen Graben, 15 Fuß hoch und ebenso breit, in einer Längenausdehnung von 300 Stadien, das heißt ungefähr 7 geographischen Meilen! Diese zu erstürmen konnte dem Spartacus nicht einfallen, er mußte suchen, in aller Stille und unbeachtet hinüberzukommen.

Die Natur kam ihm zu Hilfe. Im Schneegestöber einer Winternacht gelang es ihm, eine Strecke des Grabens auszufüllen und seine Mannschaft, wenigstens zum Theil, hinüberzuschaffen. Jetzt war es Crassus, der ins Gedränge kam, so sehr, daß er vom Senat dringend einen Nachschub großer Heeresmassen verlangte.

Da kam unverhofft Unterstützung von ganz anderer Seite her, als er sie erwartet hatte: aus dem Lager der Feinde. Wiederum die alte Uneinigkeit und wiederum die Germanen und die Kelten, die sich zu einem Sonderbund unter eigenen Anführern zusammenthaten! Die Strafe für diesen Abfall ließ nicht auf sich warten. Zwar am „Lucanischen See“ erschien Spartacus gerade noch zu rechter Zeit, um die Abtrünnigen vom Untergang zu retten, in einem zweiten mörderischen Treffen aber, wo es dem Crassus gelungen war, sie mit seiner ganzen Heeresmacht zu fassen, wurden sie bis auf den letzten Mann zusammengehauen: 12300 Mann stark fielen sie an Ort und Stelle, wo sie gestritten hatten, nur zwei hatten den Rücken gewandt und den Todesstreich von hinten erhalten. Spartacus übte zwar Vergeltung, indem [160] er einen ihm nachrückenden Unterfeldherrn des Crassus bei Petilia (in Bruttium, dem heutigen Calabrien) aufs Haupt schlug, aber dieser Sieg hatte schlimmere Folgen als eine Niederlage, denn seine vom Erfolg berauschten Scharen zwangen ihn auch jetzt wieder, seinen Feldzugsplan zu ändern und, statt sich auf die Vertheidigung zu beschränken, zum Angriff gegen die Römer vorzugehen. Er wandte sich gegen die Ostküste, Brundusium (Brindisi) zu, vielleicht in der stillen Hoffnung, von dort noch zur See zu entkommen.

Unterwegs, man weiß nicht wo, stießen die beiden Heere aufeinander. Crassus hatte alles drangesetzt, den Entscheidungsschlag möglichst rasch zu führen, um den Ruhm nicht mit einem andern theilen zu müssen; er wußte, daß sein Nebenbuhler Pompejus mit seinem aus Spanien zurückkehrenden siegreichen Heere von Norden her bereits im Anzuge war. Auch Spartacus soll dies gewußt und dem Crassus Friedensvorschläge gemacht haben. Letzteres ist bei der Lage der Dinge und der Natur der beiderseitigen Streiter – hier Römer, dort entlaufene und verwilderte Sklaven – kaum glaublich. Vor der Schlacht stieß Spartacus im Angesicht der Front sein Pferd eigenhändig nieder, zum Zeichen, daß er, wenn geschlagen, nicht zu fliehen, sondern zu fallen gedenke. In der Schlacht suchte er auf Crassus einzudringen; trotzdem er zwei Hauptleute niederstreckte, gelang es ihm nicht, er sank, von einem Speere in die Hüfte getroffen, ins Knie, kämpfte weiter und starb endlich unter den Streichen der Feinde einen ehrlichen Soldatentod. Seine Scharen hatten sich nicht so muthig gezeigt. Wer nicht fiel, floh, die meisten den Bergen zu, wo sie verfolgt und theils niedergehauen, theils gefangen genommen wurden. Ueberdies erging durch die ganze Provinz eine Menschenhetze; es sollte die letzte Faser des wuchernden Krebsgeschwüres vertilgt werden. Auch der Schrecken wurde als Heilmittel angewandt: was in der Schlacht und auf der Flucht nicht vom Schwert getroffen wurde, büßte am Kreuz. An der großen Landstraße, die von Capua nach Rom führte, hingen nicht weniger als 6000 Unglückliche an den Marterpfählen: es waren die nach der Schlacht Aufgegriffenen.

Ein solches Mittel kann aber nicht auf die Länge, über die Lebenden hinaus noch auf kommende Menschengeschlechter, wirken. Wenn also Rom fortan von Sklavenaufständen großen Stils verschont geblieben ist, so müssen die Ursachen anderswo liegen. In der Milde der römischen Statthalter gewiß nicht – denn diese trieben sogar freie Landsassen zur Empörung wohl aber in den gut geschulten und gut verpflegten Heeren, die unter ihrem Kommando standen, allerdings auch an dem langsam, aber stetig sich vollziehenden Fortschritt der Ideen von Menschenwerth und Menschenwürde, die ja zuletzt auch die Religion „der Schwachen und Geknechteten“ geschaffen haben.

Die Riesenaufgabe, an deren Verwirklichung sich unser Jahrhundert abmüht, die Idee einer sich friedlich und mit Staatshilfe vollziehenden gesellschaftlichen Ausgleichung und Wiedergeburt, ist von den Alten nie auch nur geahnt, geschweige erfaßt worden. Auch der große Sklavenkrieg ist zunächst nicht aus dem Keime einer Idee herausgewachsen, er ist schlechterdings ein kraftvoller Rückschlag der Selbsthilfe des Gepeinigten gegen den Peiniger.