Textdaten
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Autor: Dr. Chalybäus
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Titel: Ein Säuglings-Kuhstall
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 603–606
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein Säuglings-Kuhstall.

Von Dr. Chalybäus.

Die medicinische Wissenschaft hängt nicht mehr dem alchymistischen Probleme nach, künstlich Menschlein zu machen, aber sie ist jetzt vor die Aufgabe gestellt, neugeborene Menschlein künstlich zu großen Menschen aufzuziehen. Sicher über die Hälfte aller Mütter, wenigstens in der großen Stadt, mag oder vermag jetzt nicht, ihre Kinder an der Brust selbst zu ernähren. Man ertheilt solchen Frauen den Rath, dem Kinde eine Amme zu geben. Der Rath ist für das Kind der Mutter ebenso gut, wie für das Ammenkind schlecht; was auf der einen Seite gewonnen wird, das wird auf der anderen entzogen, das eine Kind gedeiht nur auf Kosten des anderen. Zudem ist der Rath auch leichter gegeben, als befolgt, und zur Erlangung einer wirklich guten Amme aus den städtischen Vermittelungsbureaus gehören besondere Glücksumstände. Es ist hiernach eine ganz besonders richtige, aber auch besonders schwierige Aufgabe der Gesundheitspflege, für gute Ersatzmittel der Muttermilch zu sorgen.

Die neuere Zeit hat, diesem Bedürfnisse nachgehend, Frauenmilch-Surrogate in großer Anzahl auf den Markt gebracht, in Form von Kindermehlen, Kinderzwieback, Kraftgries und andern Kindernahrungsmitteln. Es ist nicht zu leugnen, daß die rationelle Zusammensetzung dieser Präparate sowie ihre Verdaulichkeit und Haltbarkeit bedeutsame Fortschritte gemacht und daß ihre Mittel deshalb auch vielfach nützlich gewirkt haben. Keines dieser Surrogate indeß vermag sich in seiner allgemeinen Verwendbarkeit als künstliche Nahrung für Säuglinge mit einer guten Thiermilch, speciell der Kuhmilch, welche für den allgemeinen Gebrauch allein in Betracht kommt, zu messen.

Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß die große Sterblichkeit der kleinen Kinder wesentlich von der mangelhaften Versorgung mit guter Milch abhängt. In den großen Städten ist die stete Beschaffung frischer, unzweifelhaft und gleichmäßig guter Kuhmilch mit ganz besonderen Schwierigkeiten verbunden. Da die Milch nicht in der Stadt selbst, sondern auf den Landwirthschaften in mehr oder weniger großer Entfernung vom Stadtweichbilde erzeugt wird, so sind der Kuhstall, das Vieh und das Gebahren des Milchproduzenten der Ueberwachung des Consumenten ganz entzogen. Die Milch ist ein sehr empfindlicher Stoff, der sorgsam behandelt sein will, sie ist leicht dem Verderben ausgesetzt und verliert schon durch das Aufbewahren an ihrer Güte. Noch mehr leidet sie bei längerem Transport, wenn sie wiederholtem Rütteln und starker Sonnenhitze ausgesetzt wird, ganz abgesehen noch von den Gefahren der Verunreinigung durch unreine Gefäße und das Gebahren mit unsauberen Händen. Hierzu kommt weiter noch, daß gerade die Milch der Verfälschung und Gehaltsverringerung durch den Zwischenhändler ganz außerordentlich ausgesetzt ist.

Ist schon die Beschaffung der gewöhnlichen unverfälschten Kuhmilch für die große Stadt mit vielen Schwierigkeiten verknüpft, so ist es noch viel schwieriger, die Stadt mit solcher Kuhmilch sicher zu versorgen, welche zum Ersatz der Frauenmilch tauglich und zur Ernährung kleiner Kinder im ersten Lebensjahre dienlich ist; denn zu diesem Zwecke ist keineswegs jede gute Kuhmilch ohne Weiteres verwendbar. Nicht jede Muttermilch bekommt dem zarten Säugling; die Kuhmilch ist aber der Frauenmilch nicht ganz gleich zusammengesetzt und stellt deshalb schon an sich größere Anforderungen an die Verdauungskraft des kindlichen Magens. Sodann ist die Zusammensetzung der Kuhmilch keine ganz gleichbleibende, sie wechselt sowohl bei verschiedenen Kühen je nach der Rasse, als auch bei derselben Kuh je nach dem Alter, dem Gesundheitszustande, der Milchperiode und der Fütterung der Kuh, und zwar sind die Unterschiede, welche die Milch je nach diesen wechselnden Verhältnissen zeigt, ganz bedeutende; es giebt Milchsorten, welche nicht verfälscht sind und dennoch keine normale ungeschwächte Milch mehr vorstellen.

Um eine gute, gehaltvolle und sich gleichbleibende Milch zu erzielen, ist es vor Allem nothwendig, daß in der Milchwirthschaft die genaueste Sorgfalt auf die Erhaltung des Gesundheitszustandes der Milchkühe verwendet wird. Zur Beurtheilung desselben sind aber die wenigsten Landwirthe, namentlich kleineren Landwirthe befähigt, und nicht wenige sind sogar geneigt, auch noch die Milch von kranken Kühen zu verkaufen; ist es doch vorgekommen, daß Milch von Kühen vom Dorfe nach der Stadt verhandelt worden ist, welche vom Thierarzt scharfe und giftige Arzneimittel erhalten hatten. Kühe, die zum Ziehen verwendet werden, geben eine geringe Milch.

Von großem Einfluß auf das Wohlbefinden des Milchviehs und damit auf die Güte der Milch sind die baulichen Verhältnisse des Stalles, das Melken selbst, sowie die Sauberkeit des ganzen landwirthschaftlichen Betriebes.

Die bedeutendsten Verschiedenheiten in der Zusammensetzung der Milch werden aber durch die Verschiedenartigkeit der Fütterung der Kühe bedingt. Es kommt nur selten vor, daß die Kühe auf der Wiese schädliche Kräuter fressen; in Rom aber sind Kinder durch Milch erkrankt, welche aus Herbstzeitlosen und Schierling stammende Gifte enthielt. Gnadenkraut macht die Milch abführend, Anis verleiht ihr feinen Geruch, Wermut feinen Geschmack, Safran und Hundszunge ihre Farbstoffe. Von Einfluß auf die Mengeverhältnisse der Milchbestandtheile ist die Nahrhaftigkeit des Futters, je nachdem die Wiesen gedüngt werden oder nicht. Im Sommer und Herbst genießen die Kühe meist grünes Futter auf dem Weidegang, oder durch Vorlage von Klee, Gras, Gemengfutter, Wicken, Runkelrüben und Aehnlichem im Stalle. Diese wasserreiche Fütterung vergrößert die Milchmenge, und aus diesem Grunde werden vom Viehbesitzer auch im Winter zur Stallfütterung oft nicht trockenes Heu und Klee verwendet, sondern allerhand Wurzelfrüchte, Kartoffeln, Bierträber, Branntweinschlempe, verschiedene billige Wirthschaftsabfälle etc.

Die Milch wird bei diesem Futter, das, nebenbei bemerkt, den Kühen selbst oft nicht zusagt, wässeriger und zur Säuerung neigend; es scheinen sich neben den gewöhnlichen chlor- und phosphorsauren Salzen auch schwefelsaure zu bilden, und deshalb wirkt diese Milch darmreizend und Durchfall erzeugend. Wir beobachten den gleichen Einfluß der Nahrungsweise ja auch bei den stillenden Frauen, und deshalb wird diesen stets die Einhaltung einer bestimmt vorgeschriebenen Diät anbefohlen, um die Säuglinge vor Verdauungsstörungen zu bewahren. So streicht z. B. von Ammon in seinem vielgelesenen Buche über „Die ersten Mutterpflichten“ alle grünen Gemüse, Kohl, Kraut, Rüben vom Speisezettel der Mutter, weil deren Milch dann blähend und abführend wirkt. Auch die Kühe, welche als Ammen dienen sollen, müssen auf eine besonders geregelte Nahrungsdiät gesetzt werden, um den besonderen Anforderungen dieses Dienstes zu genügen. Die grüne, wasserreiche Fütterung der Kühe liefert eine Milch, welche für gesunde Erwachsene zwar ganz brauchbar, für Säuglinge aber eine ungeeignete und gefährliche Nahrung ist. Solche Milch erzeugt bei den Kindern Magen- und Darmerkrankungen mit lebensgefährlichen Durchfällen oder mit langwierigen Verdauungsstörungen, welche Krämpfe, Abzehrung, Rhachitis und Scrophulose im Gefolge haben. Daher erklärt sich auch der Umstand, daß die kleinen Kinder hauptsächlich im Sommer, während der Grünfutterzeit, von Darmkrankheiten befallen werden, und zwar vorzugsweise diejenigen, welche nicht an der Mutterbrust liegen, sondern Kuhmilch erhalten.

Eine weitere Vorsicht bei der Milchwirthschaft ist dadurch geboten, daß eine Uebertragung gewisser Krankheiten vom Thiere auf den Menschen stattfinden kann. Als verdächtig und gefährlich ist besonders die Milch von Thieren zu bezeichnen, welche mit Perlsucht oder Tuberkulose, mit Maul- und Klauenseuche, mit Euterverschwärung behaftet sind. Der Genuß der rohen Milch vom seuchekranken Kühen kann eine fieberhafte Krankheit zur Folge haben, welche mit einem Bläschenausschlage auf den Lippen und der Zunge verbunden ist. Der Unterleibstyphus ist wiederholt in London durch Milch verbreitet worden, welche in Gefäßen, die mit inficirtem Brunnenwasser gespült worden waren, verschickt wurde, sowie durch solche, welche von Melkern besorgt wurde, in deren Familie die Krankheit herrschte. Auch bei einer Diphtheritisepidemie in London ließ sich die Verbreitung derselben in Verbindung [604] mit dem Milchbezuge bringen, und zwar wurde die Ursache auf eine Eutererkrankung der Kühe zurückgeführt.

Die Tuberkelkeime der Kuh können sich, insbesondere wenn die Krankheit auf die Milchdrüse übergreift, der Milch beimischen und so Tuberkulose erzeugend wirken. Darum ist immer daran festzuhalten, daß nicht jede erste beste Milchkuh als Ammenkuh brauchbar ist. Manchen Krankheitskeim, der als ererbt gilt, hat sich das Kind mit der Mutter- oder Kuhmilch erst angesogen. Von der Ernährung des Säuglings hängt die Kräftigkeit seiner Constitution für’s ganze Leben ab; wird doch Niemand ein Kind von einer schwindsüchtigen Mutter oder Amme stillen lassen.

Aber mit derselben Sorgfalt sollten die Eltern und Aerzte über die Gesundheit der nährenden Kühe wachen und ängstlich die Milch kraftloser und kranker Thiere ausschließen. Einer schwächlichen und dürftigen Frauenmilch ist eine als Specialität methodisch producirte, von nur ausgezeichneten Kühen gemolkene Kindermilch als Nahrungsmittel des Säuglings sogar vorzuziehen.

Durch eine richtige Futtermischung und durch strenge Auswahl der Thiere ist es möglich, eine fehlerlose Säuglingsmilch zu erzielen. Der Landwirth, der seine Milch als Marktwaare verwerthet, wird, wenn er buttert, bei der Fütterung darauf bedacht sein, möglichst den Buttergehalt selbst auf Kosten der übrigen Bestandtheile zu steigern, und, wenn er die ganze Milch verkauft, wird er bei der Auswahl der Thiere darauf sehen, Kühe mit möglichst reichlichem Milchertrag in seinem Stall zu haben. Deshalb bevorzugt er die Holländer, Oldenburger, Dessauer, kurz die Niederungsrassen, welche täglich 18 bis 20 Liter und mehr Milch geben. Aber diese Milch ist wässeriger und weniger gehaltreich, die Thiere magern bei der übertriebenen Milchabsonderung leicht ab und leiden erfahrungsgemäß häufiger, als Kühe sogenannter Höhen- oder Gebirgsrassen, an Tuberkulose.

Es kommt deshalb bei der Auswahl des Viehbestandes für einen Säuglings-Kuhstall nicht auf besonders milchreiche, sondern auf besonders gesunde Kühe an, nicht darauf, daß die Milchmenge groß, sondern daß die Milchqualität eine vorzügliche und für den besondern Zweck eine besonders geeignete ist. Die verbreiteste Krankheit des Rindes ist die Tuberkulose; die sichere Erkenntniß dieser Krankheit am einzelnen Thier ist im Beginn oft sehr schwierig. Es ist deshalb am sichersten, von vornherein auf eine gesunde Rasse zu sehen.

Die gesundesten und lebenskräftigsten Rindviehrassen stellt aber, wie schon bemerkt, das Gebirgsvieh. Schon das Vieh der Mittelgebirge, vom Harz, von der Rhön, von Oberbaiern, vom Pinzgau, vor Allem aber das Schweizer, insbesondere das bunte Simmenthaler und das einfarbige Allgäuer, ist kräftig und kerngesund. Diese Gebirgsviehrassen sind zwar weniger ertragsreich und geben nur 10 bis 12 Liter Milch täglich, aber dafür sind sie auch nahezu frei von Tuberkulose.

Nach den im Vorstehenden geschilderten Grundsätzen sind in den letzten zehn Jahren in mehreren großen Städten hygienische Milchställe errichtet worden.

Unsere Abbildung zeigt die in Dresden seit sechs Jahren bestehende Milchcuranstalt des früheren Rittergutsbesitzers Otto Wille, Bautznerstraße 71. Dieselbe steht unter der fortlaufenden Controle zweier Aerzte, eines Professors der Thierarzneischule und eines Chemikers. Der Stall selbst ist nicht in einem engen Hofe eingebaut, sondern frei im Garten gelegen, in einem eigenen Gebäude. Dasselbe hat, um im Winter allzu starke Abkühlung zu verhüten, ein doppeltes Dach, welches in der Mitte einen kuppelartigen Aufbau mit ringsum laufenden Ventilationsfenstern trägt. Die Mitte des 18 Meter langen und 16 Meter breiten Stallraumes nimmt ein erhöhtes freies Rundtheil ein, zu welchem Stufen führen und in dessen Centrum ein kühler Springbrunnen plätschert. Rings im Kreise um diese Plattform laufen die Stände der Thiere so, daß diese mit dem Kopf nach innen stehen. Die Höhe des Stalles beträgt über den Ständen 4 Meter, über dem Kuppelbau 6 Meter, der Luftinhalt 1096 Meter, sodaß bei vollständiger Besetzung des Stalles mit 34 Kühen 44 Cubikmeter, bei dem durchschnittlichen Bestand von 25 Kühen 44 Cubikmeter Luftraum auf den Kopf kommen, ein für die Gesundheit der Thiere so günstiges Verhältniß, wie es in keinem anderen Kuhstall erreicht sein dürtfte.

Die Wärme im Stalle hat hei einer Außentemperatur von –6° R. noch 11° betragen, bei 0° : 12°, bei 2 bis 4° : 13 bis 14°, bei 8 bis 18° : 15; bei fortdauernder äußerer Sommerwärme von 24 bis 25° stieg die Stalltemperatur auf 20 bis 22°, konnte aber durch Inbetriebsetzung der Ventilation mittelst des angestellten großen Aeolus dauernd auf 15° erniedrigt werden. Man kann den Thieren in der Stadt ihre heimathliche Alpenluft ja nicht ersetzen, aber bei dieser ununterbrochenen Ventilation ist die Temperatur und Beschaffenheit der Luft im Stall stets eine gesunde und angenehme, es stößt Einem beim Eintritt nicht, wie sonst gewöhnlich, der Dunst und Stank der heißen stagnierenden Stallluft entgegen.

Der Fußboden des Stalles ist cementirt, und alle unreinen Flüssigkeiten fließen sofort in die Abzugscanäle ab, der Dünger wird sofort entfernt und der beschmutzte Stand alsbald erneuert. Die Fliegen, sonst eine wahre Plage der Thiere, werden hier nicht durch Mistgeruch angelockt, sondern durch die fortwährende Lufterneuerung verscheucht.

Auf die Reinlichkeit und Hautpflege der Kühe wird besondere Aufmerksamkeit verwendet, die schönen kräftigen Gebirgskühe werden gestriegelt wie die Pferde, ihr Fell sieht glatt und glänzend aus und läßt keinen angetrockneten Schmutz bemerken. In den Stall aufgenommen werden nur junge, etwa drei- und vierjährige Kühe, die das erste oder zweite Kalb tragen. Länger als drei bis höchstens vier Jahre bleiben dieselben nicht im Stalle, sondern werden dann abgemolken und verkauft. Jede neuangekaufte Kuh macht eine vierwöchentliche Quarantäne durch, sie bleibt erst zwei Wochen im Filialstall, dann noch zwei Wochen innerhalb des Gehöftes im getrennten Beistall. Jede neumelkende Kuh liefert zunächst eine stoffarme, etwas abführend wirkende Milch; die Milch solcher Kühe wird erst nach vierzehn Tagen zu der für die Säuglinge bestimmten Mischmilch mitbenutzt, und auch dann wird noch darauf geachtet, daß nicht die Milch vieler neumelkender Kühe gleichzeitig eingeschüttet wird. Die Melkdauer der Kühe erstreckt sich auf 36 bis 37 Wochen. Das Zulassen der Kühe und die neue Zucht geschieht im Gehöft selbst. Tragende Kühe liefern höchstens bis zum Ende des vierten Monats noch gut brauchbare Milch, dann stehen sie 8 Wochen „trocken“ im Stall; sie bekommen in dieser Zwischenzeit kein Kraftfutter, sondern trockenes, wie die andern. Im letzten Vierteljahr waren 23 Kühe 91 Tage (2093 Kuhtage) anwesend; davon waren nur 19 Stück täglich milchend (1726 Milchtage), und hiervoll gab jedes Stück 9,9 Liter Milch täglich.

Eine stets gleichmäßige Ordnung und pünktliche Regelmäßigkeit herrscht in der Fütterung, Tränkung und Melkung. Die Mellzeit ist früh 1/4 4 bis 4 Uhr und Nachmittags 1/2 4 Uhr, also nur zweimal am Tage, wobei wohl die Milchmenge, dafür aber auch der Unterschied in der Morgen- und Abendmilch geringer wird, als bei dreimaligem Melken. Die gemolkene Milch kommt sofort in die abgesonderte, dem Stall angebaute kühle Milchkammer. Dort wird die Milch sämmtlicher Kühe gemischt, und diese Mischmilch ist daher von einer großen Gleichmäßigkeit der Zusammensetzung. Sie ist von vorzüglichem Geschmack und hält sich beim Aufbewahren besser als jede andere. Es wird früh und Nachmittags, und zwar stets nur frischgemolkene Milch abgegeben. Dieselbe wird in Glasflaschen, deren Korke mit besonderen Marken verklebt sind, um jeden Betrug auf dem Wege auszuschließen, gefüllt und in gut federnden Wagen, sodaß sie nicht arg geschüttelt werden kann, in die Wohnungen der Abnehmer gefahren, wobei auf eine pünktliche Zustellung besonders geachtet wird, weil jede Verspätung die ängstlichen Mütter mit Sorge erfüllen würde. Der Preis der Milch ist 50 Pfennig für das Liter; er erscheint nicht unangemessen, wenn man die Kostspieligkeit der Anlage inmitten der Stadt und des jeden Gewinn durch die producirte Milchmenge ausschließenden Betriebes erwägt. Die Milch ist immer noch fast noch einmal so billig, als das Nestle’sche Kindermehl und billiger als das Halten einer Amme.

Die öffentliche Controle der Milchanstalt geschieht, außer durch die Commission, auch durch das abnehmende Publicum selbst, und das bietet die volle Garantie, daß in dem Betrieb nie die mühevolle und peinliche Gewissenhaftigkeit, welche nothwendig ist, nachlasse. Die Mütter folgen gern der Einladung, selbst in den Stall zu kommen, und überwachen mit scharfem Auge alle Einrichtungen und Vorkehrungen, aber sie sind auch die dankbarsten Lobredner der Anstalt für das Gedeihen ihrer kleinen Lieblinge. Außer dem allgemeinen Urtheil der Aerzte ist die sich immer

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Centralstelle der Wisse’schen Milchcuranstalt in Dresden. 0Originalzeichnung von Ing. von Hartitzsch.

[606] wiederholende Erscheinung, daß alle Familien, welche einmal ihren Bedarf von der Anstalt bezogen haben, bei allen nachkommenden Kindern regelmäßig wiederkehren, und daß sie sich die Milch selbst in entfernte Sommerfrischen nachschicken lassen, das sicherste Zeichen, daß sich die Kindermilch bewährt und daß die Errichtung solcher Anstalten einem wahren Bedürfniß der öffentlichen Gesundheitspflege entspricht.

Es müßte eine hübsche Gallerie pausbäckiger Gesichter geben, wenn sie einmal kämen, alle die Kleinen, in ihren Ammenkuhstall, dem sie ihre Gesundheit und Kraft verdanken.