Textdaten
<<< >>>
Autor: Hermann Heiberg
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein Ringreiterfest auf Alsen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 605–607
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1897
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[605]

Ein Ringreiterfest auf Alsen.

Von Hermann Heiberg. Mit Abbildungen von G. Mannhardt und Fritz Bergen.

Georg Hansen.
Vorsitzender des großen norddeutschen Ringreiterfestes.

„Bleibt’s also dabei, daß Sie nach Sonderburg zum Ringreiterfest reisen,“ schrieb mir die Redaktion der „Gartenlaube“. Und ich erwiderte mit einem lebhaften Ja, packte meinen Handkoffer und fuhr ab.

Zunächst ging’s nach Flensburg, der wunderschönen Föhrdestadt. Mit gewohntem Behagen durchwanderte ich die buntbelebten Straßen, erfreute mich an dem kräftigen Bau der Häuser mit ihren tiefen Höfen und mächtigen Hintergebäuden und fand später gute Freunde, in deren Kreise ich mich durch ein langandauerndes Beisammensein darauf vorbereitete, am andern Morgen früh um Fünf wieder auf zu sein.

Wunderherrlich regte sich der Tag, als ich um die genannte Zeit auf den Balkon meines Zimmers in dem trefflichen „Bahnhofshotel“ trat, der Träume Schwere abschüttelte, die Glieder erstarkend reckte und die frische Morgenluft, die vom Hafen zu mir herüberdrang, in mich aufsog.

Kein herrlicheres Gefühl, als so einmal, vom Tagesdienst abgelöst, einer anderen Welt mit anderen Gegenden, Lüften und Menschen entgegenzustreben, Stunden

Das Ringreiten.

der Freiheit und des Genießens vor sich zu haben!

Nun stand ich auf dem Deck des Dampfers „Thor“, überschaute den Flensburger Hafen mit seinen bemasteten Schiffen, Dampfern und Kränen, seinen unregelmäßig verteilten, malerischen Gebäuden und thätigen Menschen, vernahm das lauthämmernde, klopfende Geräusch von den Schiffswerften, ward berührt von dem Teer- und Seeduft, der unzertrennlich ist von jedem Schiffsverkehr des Erdenrunds, und suchte endlich, von dem schrillen Pfiff der Dampfpfeife belehrt, mir ein passendes Plätzchen aus. Und dann ging’s vorwärts! Kräftig arbeitete die Maschine, stolz rauschte „Thor“ vom Hafen ab.

Und nun die Flensburger Föhrde! In der That, es ist begreiflich, daß jeden Tag, so lange die Jahreszeit Ausflüge erlaubt, die nach Glücksburg und Alsen bestimmten Dampfschiffe fast überfüllt sind. Das ist nach der Tagesarbeit eine köstliche Abwechslung, das giebt dem Schönheitsdrang Nahrung! Ein solches tägliches Leben auf dem Wasser stärkt Kopf und Nerven! Links und rechts grüßen die Ufer mit Dörfern und kleineren Ortschaften, mit hohen, grünen Waldungen und goldenen Feldern. Ueberall regsames Leben oder jene stille Einsamkeit der Fluren, die uns so unendlich anmutet.

Wassersleben, der Badeort Kollund taucht auf, Süderhaff und Randershof erschließen sich dem Blick, Glücksburgs weiße Schloßwände drängen sich durchs Grün, die vielfenstrigen Hotels des vielbesuchten Kurorts streben empor. Sandacker mit seinen niedlichen rotbedachten Häusern schmeichelt sich am Strande entlang, Ekensund und Brunsnis, schon ferner dem Blick in dem breiteren Fahrwasser, entzücken das Auge, bis endlich, nach dreistündiger Fahrt aus dem dunkelgrünen Element, ein von Liebreizen umsäumtes stilles Heiligtum, bis die Insel Alsen am Horizont empordämmert. Und aus der winddurchrauschten Wasserwelt gleitet dann mit sanfter Fahrgeschwindigkeit der Dampfer zuletzt in die Sonderburger Bucht. Vor mir liegt das reizend ausgebreitete Städtchen; zur Linken erheben sich in Sundewitt die grünen Höhen von Düppel mit der weißen Mühle und dem Denkmal, und zur Rechten steigt, von Bäumen und Gebüsch umrahmt, das alte zweistöckige, graue Sonderburger Schloß dickmastig in die Höhe.

Rasch geht’s ins Hotel „Zum Holsteinischen Hause“, und nach schnellem Umkleiden beschreite ich die lange, eine erhebliche geschäftliche Regsamkeit durch große Schaufenster und vielfach angebrachte Schilder bekundende Hauptstraße. Bald liegt, nachdem ich zur Linken abgebogen bin, der Festplatz und das große Zelt vor mir, in das mich das Komitee zu einem Festfrühstück eingeladen hat. Rauschende Musik tönt mir entgegen. An langen Tafeln speisen und pokulieren die Vorstandsmitglieder und übrigen Teilnehmer, und kaum, nachdem ich neben dem eigentlichen Schöpfer und Vorsitzenden des großen nordischen Ringreiterfestes, Georg Hansen, und dem Landrat von Tschirschnitz Platz genommen, erfolgt auch schon der erste interessante Akt des heutigen Haupttages.

Der Vorsitzende begrüßt die Anwesenden und verteilt die Medaillen an diejenigen, die sich seit zehn Jahren – heute ist das zehnjährige Jubiläumsfest – regelmäßig zur Mitwirkung am Reiten eingestellt haben. Und Toast auf Toast, abwechselnd in dänischer und deutscher Sprache, folgt, dann bricht alles auf und begiebt sich zum Schloßplatz.

[606] Ein herrliches Bild bietet sich hier dar. Ein paar hundert Reiter in weißen Hosen und dunklen Jacken, mit bespornten schwarzen Stulpenstiefeln und weißen Jockeymützen regieren ihre kräftigen Pferde. Jeder trägt eine Lanze. Rote, lila, weiße, grüne, blaue Fähnlein wimpeln in der sonnendurchfluteten Luft. In Abteilungen stellen sie sich auf, mit einer staunenswerten Ordnung, mit einer verblüffenden Ruhe vollzieht sich alles. Fortwährend fliegt, wie ein Herrscher seine Truppen

Das Eselreiten.

musternd, Georg Hansen, ein junger Mann mit geschmeidigem Körperbau, sympathischen Gesichtszügen und in einer Haltung auf seiner feurigen Fuchsstute hin und her, als ob Roß und Reiter zusammengewachsen wären. Und dann setzt sich der Zug in Bewegung. Voran zwei Herolde in mittelalterlichem Kostüm, dann ein vierspänniger bekränzter Musikwagen mit Musikern in weißen Mützen, mit Jockeys in blutroten Jacken auf den Handpferden. Und abermals ein Musikantenwagen, voran vier Gäule, zwei mit wallenden Federbüschen auf den Köpfen, inmitten des langen Zuges, dem das nach Tausenden zählende Publikum nachströmt. Oben in der Hauptstraße habe ich mich aufgestellt, nachdem ich eiligst vorangeschritten bin, um den Gesamteindruck der bewegten Masse auf mich wirken zu lassen. In der Sonne schimmern die weißen Mützen der Reiter wie Silber, dazwischen all die nickenden Pferdeköpfe, darüber die bunten Fähnlein, zu seiten die Gebäude mit ihren roten Dächern, hellen Wänden, glitzernden Türmchen und Blitzableitern. Ein prächtiger, überaus malerischer Anblick!

Und nun ging es zurück zu dem lang ausgestreckten Festplatz mit all dem vielerlei, das zu einem Jahrmarkt und Volksfest gehört: den Karussells, den Buden, Zelten, Schiffsschaukeln, Bierhallen, Glücksrädern, Phonographen, Schießständen und Kraftmessern. – Zur Linken aber dehnten sich die Reitbahnen aus, sie, das Hauptstück des Festes, zu dem sich wohl achttausend Personen versammelt hatten. Am Ausgange einer jeden der von beflaggten Fahnenstangen eingefriedigten Reitbahnen befand sich ein schwebendes Seil, in

Ansicht von Sonderburg.
Nach einer Photographie von J. L. Stöckler in Sonderburg.

dessen Mitte ein eiserner Ring so in einer Klammer befestigt ist, daß er sich bei scharfer Berührung löst. Jeder Reiter legt nun, in Galopp vorwärts stürmend, seine Lanze ein und hat, während er unter dem Seil dahinfliegt, die Aufgabe, den Ring herauszustechen. Freilich, nur den Meistern gelingt diese Aufgabe der Geschicklichkeit. Knaben bedienen den Apparat mit dem Seil; ist ein Ring heruntergestochen, so wird ein neuer in die Klammer gefügt. Jeder Treffer wird notiert. Das Spiel ist für die Reiter von großem Reiz und für den Zuschauer ein außerordentlich anziehendes Schauspiel.

Welche schlanken und kernigen Gestalten, welche kraftstrotzenden, gleichsam aus der Ritterzeit stammende Gäule! Welche flottstürmende Gangart! Und immer so fort, stundenlang, nur dreimal am Nachmittage durch eine kurze Pause von zehn Minuten unterbrochen.

Schon herrschte auf dem Festplatz allüberall das lustigste Treiben. Zelt- und Reitermusik, Pferdegewieher, Klingeln, Johlen, Singen und Lachen, Drehorgelklang und Karussellbegleitung klang ohrenbetäubend durcheinander, als die Auffahrt der Augustenburger Herrschaften von Schloß Gravenstein her erfolgte. Die liebenswürdig leutselige Herzogin Adelheid, die Mutter unserer Kaiserin, steigt aus, begleitet von dem Herzog Ernst Günther, der Herzogin Ferdinand von Glücksburg und der Prinzeß Feodora von Augustenburg. Das Gefolge schließt sich an, und die vom Publikum freudig begrüßten Gäste wenden sich unter Herrn Hansens Führung dem Festplatze zu. Zuerst wird den Spielen der Jugend zugesehen, Wettlaufen, Topfschlagen, Stangenklettern und Eselreiten von eigenartig herausstaffierten mit grotesken Masken versehenen Jungen folgen einander, bis die Versammelten, immer begleitet von dem nachdrängenden Publikum, zu den Reitbahnen aufbrechen und diesem Geschicklichkeitskampf der Reiter und Pferde ihre Aufmerksamkeit zuwenden. Erst nach einstündigem Aufenthalt erfolgt der Aufbruch. Die Wagen mit der Dienerschaft in silberbeknöpften Jacken und polnischen Mützen fahren vor, die Herrschaften nehmen Abschied.

Alsdann stürmt alles zur hohen, bekränzten Tribüne. Die Sieger erscheinen und empfangen, nachdem der letzte Wettkampf zwischen gleichbefähigten Ringreitern nach der vorgeschriebenen Ordnung ausgefochten, die Preise. Mit Lorbeerkränzen das Haupt oder die Brust umwunden, kehren sie zurück, von der Musik mit Tusch, vom Publikum mit einem brausenden Hoch begrüßt. Aber auch reiche Gaben, Reit- und Fahrutensilien und silberne Pokale von beträchtlichem Wert für den König und den besten Ringstecher werden verteilt. Dann ordnen sich die Reiter wieder zum Zuge, der, von der Menge begleitet, den Platz verläßt, mit Musik die Stadt [607] durchzieht, abermals auf dem Schloßplatz Halt macht und hier nach Ablieferung der Lanzen sich auflöst. Nun eilt alles den Vergnügungsorten zu, um sich bis zum frühen Morgen der Lust, dem Tanz, der Geselligkeit hinzugeben.

Alsen ist, wie das felsig emporsteigende Helgoland in der Nordsee, ein mit paradiesisch hingelagerten Ufern abgesondertes reizvolles Inselland in den Fluten der Ostsee.

Auch hier wohnt ein Geschlecht, das seine Eigenart sich bewahrt hat, das die Heimat mit allen Fasern der Seele liebt, das stolz ist auf seinen Boden, auf seine Fluren, das festhält an seinen heimatlichen Sitten, Gebräuchen und Gewohnheiten, das nichts Herrlicheres kennt als seine von der salzigen Woge umspülte Inselheimat. Und das durch diese Heimatliebe und diesen Heimatstolz sich immer wieder erstarkende Gefühl unzerreißbarer Zusammengehörigkeit eines urkräftigen, edlen, unabhängigen und doch überaus gesetzlichen Geschlechts ist es, was seine Mitglieder hier jedes Jahr aus dem gesamten Alsen-Sundewitter Kreise zusammenströmen läßt.

Wie in den griechischen Zeiten die Völker zu den korinthischen Spielen eilten, so schart sich in Sonderburg bei dieser Gelegenheit die Bevölkerung zusammen. Der Parteihaß ruht. Der Däne legt neben dem Deutschen die Lanze ein und tummelt sein Pferd.

An dem Wettkampf hat die Politik keinen Teil. Und gerade deshalb hat auch dieses Sonderburger Fest eine gewisse nationale Bedeutung.

Am folgenden Tage benutzte ich noch die Gelegenheit, mir einen Teil der Insel anzusehen. Ich fuhr durch einen blühenden Garten, ich fuhr durch ein kleines Paradies. Ich sah das weiße Gemäuer des Augustenburger Schlosses, das aus einem schöngepflegten Gartenvorpark sich erhebende weißschimmernde Prinzessinnen-Palais, durchstreifte den entzückenden Parkforst, weilte an den Ufern des Wassers, das ihn gleichsam zärtlich umsäumt, ließ in Höruphaff das Auge über das silbern schimmernde Meer schweifen und kehrte zurück in die anmutige Stadt mit ihren rührigen und liebenswürdig zuvorkommenden Einwohnern.

Und als ich am andern Morgen wieder auf dem Verdeck des Dampfschiffes stand, da schied ich mit Gefühlen heißer Sehnsucht nach Wiederkehr. Wer sich einmal gut thun will, abstreifen was ihn beengt und belastet, wer Geist und Körper stärken will, der bade hier in der wunderherrlichen Luft und in der erfrischenden Ostseeflut. Er gesundet unter den grünen nordischen Buchen, in denen ein vergnügtes Vogelvolk zwitschert, dessen Brust in diesem stillen Inselfrieden nur von dem Vollglück seligen Daseins durchdrungen scheint.