Ein Räthsel für die Feiertage

Textdaten
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Titel: Ein Räthsel für die Feiertage
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 772
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Auflösung im Jg. 1860, H. 4, S. 64
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[772] Ein Räthsel für die Feiertage. Ich ward, als Gott sprach: Es werde Licht! Kind des Augenblicks leb’ ich doch ewig. Nichts wiederholt sich öfter und beständiger, wie ich, und doch bin ich der Ausdruck für jede Unbeständigkeit. Ich stehe zwischen Winter und Frühling, Sommer und Herbst, Tag und Nacht, Frost und Hitze, Schlaf und Wachen, Essen und Trinken, Gehen und Sitzen, Leben und Tod.

Auf mir beruht das Dasein der ganzen lebendigen Welt. Sobald ich aufhöre, stirbt der Organismus, aber nur um mich auf’s Neue zu gebären, denn ich bin unsterblich. Wenn die Erdkugel auch in Atome zerstieben würde, doch bliebe ich thätig im letzten dieser Atome. Alle Krankheiten der Menschen, der Thiere, der Pflanzen sind nur Folgen des Bruchs meiner Gesetze.

Mein Werth, meine Geltung sind unbeschränkt, so weit civilisirte Menschen wohnen. Ich kann ebensogut Millionen repräsentiren, wie Pfennige, obgleich ich an und für sich kaum einen Pfennig werth bin. Aber wer mich hat, der besitzt mich nur in der Hoffnung, mich möglichst rasch und sicher wieder los zu werden.

Willst Du eine complicirte Bewegung ändern bei jenen Wundern der Neuzeit, die, gleich dem Ungeheuer der Tiefe, tausend Gelenke zugleich regen, so schiebe mich ein, und was rechts war, wird links, was vorwärts ging, schreitet rückwärts. So klein ich bin, so hängt doch von der Genauigkeit meiner Ausführung, meines Eingreifens oft die Wirksamkeit des gröbsten Mechanismus ab, wie des feinsten.

In meinen Pfaden geht, was scheu stiebt vor den tödtlichen Gewalten, mit welchen der Mensch seine Intelligenz verbündet. Aber umsonst – denn er sucht und findet mich, und dann biet’ ich ihm gerade die sicherste Gelegenheit, seiner Zerstörungslust zu fröhnen. Auf mir ist schon gar vieles unschuldige Blut geflossen und wird noch ferner fließen, ohne Sühne, ohne Strafe.

Ich bin „das Ding, das Wenige schätzen,“ in einer gar schönen Gegend des Vaterlands von Männiglich so geheißen, ein Ueberbleibsel aus den Zeiten der alten Römer, die dort Castra und Coloniä gründeten. Zwar taug’ ich nicht viel, aber mit zäher Liebe hängt der Landmann an mir fest und wo ich wandle, sproßt, hinter mir freudige Saat gemischter Halme.

Und wie froh begrüßt meine ersehnte Ankunft der Jünger der Wissenschaft, dem ich stets zu lange aus- und zu kurz bei ihm bleibe. Leider bin ich heutzutage vielfach der Maßstab geworden, nach welchem man ihn taxirt.

Tief im Schooß der Erde, den gierig der Mensch nach Schätzen durchwühlt, bin auch ich zu finden. Dem armen Kinde, das kriechend eine schwere Last durch finstre Gänge zieht, gewähr’ ich einen Augenblick des Athemholens, dann aber dräng ich es weiter, hinweg!

Aber auch auf der Landstraße triffst du mich, wenn du dahin fliegst, vor Dir „vier Rappenschweife,“ als ein Freiligrathscher Pascha, und lustig begrüßt mich des Hörnleins Trarah und das Wiehern der ermüdeten Rosse.

Unzählbar ist die Menge der Gegenstände, mit welchen ich mich verbinde, sei es im Gesicht, sei es im Rücken. Bald nehm’ ich vor mich das Kind der Blüthe, dann werd’ ich zum Gesetz für den Mann der Scholle, bald schlepp’ ich nach das Kleid flüchtiger Thiere und werde zur Koboldgabe, zum Fluch des friedlichen Hauses. Die Zeichen himmlischer Kunst auf der Stirne, durchstieg ich die Länder, auf welchen Gewitterschwüle liegt, und drohend schwingt dann hinter mir der Gott des Kriegs seine Fackel. Wie quäl’ ich den Armen, auf den ich mich senke in erhöheter Potenz meines Gefolges; ich spiele mit ihm, wie die Katze mit der Maus! Trag’ ich vor mir her den Hebel der Welt, so werd’ ich zum einträglichen Geschäft, aber seht Euch vor, daß nicht ein Fall nachher Euch Ungelegenheiten bereitet. Sehnsüchtig harren Liebende, daß ein Reif sich mir verbinde, und in dämmerlicher Laube fügt sich zwiefach tönend zu mir holder Klang. In die Ferne und heimwärts bring’ ich Gruß und Botschaft, wenn der Stimme Stellvertreter mir voranläuft, aber wehe, wenn mich ein Reiter verfolgt! Das kostbarste Gut, das freieste Eigenthum des Menschengeistes steht vor mir, zum Tausch bereit, aber es findet sich nicht immer in der bedingten Form eines Gleichklangs hinter mir. Lastet eine Schuld auf meinem Rücken, so ist sie doppelt gefährlich; geht mir hingegen ein Leiden voran, so mag es sich auch zum Besseren wenden.

Daß ich ein Gelenk hinter mir nachschleifen kann, wird Vielen unbekannt sein, während die vielberufenen Werthmesser der Leute vor mir eine Nothwendigkeit der Mode und des Wohlseins bilden. Zieht eine Besatzung vor mir auf, so fällt ein großer Theil des schönen Geschlechts der betreffenden Oertlichkeit in Betrübniß; einen Zahn auf mich bekommen alle Kinder. Der Aberglaube schreibt mir vielen Einfluß zu, wenn ich dem stillen Abendwandler folge; tret’ ich zu rasch ein auf den Fersen des Hippotadensohnes, dann bangt dem Schiffer aus seinem gefahrvollen Pfade. Ein Platz, dem ich vorstehe, gewinnt an Bedeutung für die Ferne, aber eine Bahn vor mir bringt Aufenthalt und Unbequemlichkeiten. Und so ließe sich noch vielfach spielen mit meinen Beziehungen und Verbindungen, wenn es dessen nicht übergenug schon wäre zu meiner Errathung.

Ich bin, zum Schluß, wie der große Dichter sagt, dessen hundertjährigen Geburtstag das seit langer Zeit zum ersten Male wieder einige Deutschland vor Kurzem festlich beging, der Prüfstein des menschlichen Geistes. O möchte die Begeisterung für Glück und Einheit des Vaterlandes von nun an nie mehr durch mich getrübt werden!