Ein Mittag an der Berliner Börse

Textdaten
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Autor: R. v. G.
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Titel: Ein Mittag an der Berliner Börse
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 11–16
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Informationen zum Campo Santo siehe hier: Campo Santo (Berlin)
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Ein Mittag an der Berliner Börse.

Gerade gegenüber dem Dome oder genauer dem unvollendeten „Campo Santo“ Friedrich Wilhelm’s des Vierten erhebt sich ein imposanter Prachtbau im neueren Renaissancestyl, gewissermaßen auch ein Tempel, wo der Gott oder Götze unserer Zeit von seinen zahlreichen Priestern und Verehrern angebetet wird. Dieses moderne Heiligthum des Materialismus ist die Berliner Börse, seine Besucher sind die verschiedenen Banquiers, Speculanten à la hausse und à la baisse, Makler und Agenten.

Schon von halb zwölf Uhr an sammelt sich ein zahlreiches Publicum in der Vorhalle der Börse, einer prachtvollen Säulenhalle. Man drängt sich hier Mann an Mann dem Eingange zu. Inzwischen werden bei dieser Gelegenheit Ansichten über die zu erwartende Börsenstimmung ausgetauscht, auch vereinzelte Geschäfte abgeschlossen. Zehn Minuten vor Zwölf werden die Flügelthüren der Börse geöffnet und nun beginnt das weniger feierliche als geräuschvolle Schauspiel. Von allen Seiten kommen Gläubige und Ungläubige, die Bekenner aller Confessionen, und versammeln sich hier unter einem Dach mit anerkennenswerther Toleranz. Wir treten mit ihnen zugleich in den riesigen, durch zwei herrliche Fresken geschmückten, von hohen Säulen getragenen Saal, nachdem wir uns bei dem Wache stehenden Portier durch eine bekannte hiesige Firma legitimirt und in ein zu diesem Zwecke ausgelegtes Buch unsere Namen eingeschrieben haben.

Zunächst empfängt uns ein betäubender Lärm, ein Wirrwarr von lauten Stimmen, ein Rauschen und Brausen, wie wenn das aufgeregte Meer brandend gegen seine Ufer schlägt. Allmählich unterscheidet das Ohr einzelne für den Uneingeweihten räthselhafte Worte: „Lombarden 115, Amerikaner, Italiener, Franzosen, Geben, Nehmen.“ Dazwischen hört man meist nur Zahlen nennen, so daß man in Versuchung kommt, die Anwesenden für Schüler oder Nachfolger des berühmten griechischen Philosophen Pythagoras zu halten, der bekanntlich seine religiöse und philosophische Weltanschauung auf das Mysterium der Zahlen gründete. Auch sind die meisten Worte dem Laien unverständlich, denn die Kürze der Zeit, die den tausendfachen Börsengeschäften zugemessen, hat Worte und Bezeichnungen geschaffen, die in keinem Wörterbuche aufzufinden sein dürften; z. E. für „Niederschlesisch-Märkische Eisenbahnactien“ einfach „Niederträchtige“.

Auf bequemen Bänken sitzen meist in nachlässiger Stellung die Vertreter der verschiedenen Firmen; Andere bewegen sich ungenirt in den dazwischen liegenden breiten Gängen, wo jedoch zuweilen ein solches Gedränge entsteht, daß der fortwährend auf- und niederwogende Menschenstrom in’s Stocken geräth und der Nachbar dem Nachbar auf die Ferse tritt. Dabei befindet sich die ganze Versammlung in einer sichtlichen Unruhe, in einer schwankend zitternden Bewegung, ähnlich wie die bekannte religiöse Secte der „Shakers“ in Amerika, in einer nervösen Aufregung, die mitunter einen höchst bedenklichen Grad erreicht und sich bis zu krampfhaften Zuckungen steigert.

Besonders interessant für den unbetheiligten Beobachter dürfte das Mienenspiel der Gesichter sein. Man erzählt von einem Maler des Alterthums, der mit einem Pinselstrich ein lachendes Kinderantlitz in ein weinendes verwandelte. Dasselbe Wunder wiederholt sich hier öfters im Laufe weniger Stunden. Die Stimmung wechselt so schnell wie Sonnenschein und Regen im April. Fragt man nach der geheimnißvollen Ursache dieser überraschenden Wandlungen, so läßt sich dieselbe nicht mit Bestimmtheit angeben; sie scheint in der Luft, in unberechenbaren Einflüssen, in der reizbaren Constitution der Börse zu liegen. Ein bloßes Gerücht, das oft absichtlich erfunden und ausgestreut wird, ein leichtes Unwohlsein Napoleon’s, ein wahres oder falsches Wort von Bismarck, die Nachricht einer Rüstung in dem fernen Rumänien wirkt bald lähmend, bald aufregend auf die wenigstens in dieser Hinsicht überaus zarten Nerven der Börse, welch letzterer man aber doch das Zugeständniß machen muß, daß sie fast immer, wir möchten sagen instinctmäßig, ein richtiges Vorgefühl der politischen Constellationen hat. Besonders machen sich die elektrischen Strömungen des Telegraphen geltend. Schnell und zuweilen vernichtend wie der Blitz zuckt es von einem Ende der Welt zum andern; eine Depesche aus Wien oder Paris reicht hin, um Freude oder Schmerz, Jubel oder Bestürzung zu verbreiten, ein Augenblick genügt, um Hunderttausende zu gewinnen oder zu verlieren.

Ein besonders bewegtes Schauspiel bieten die sogenannten „Ultimo-Regulirungen“, welche am Ende jedes Monats stattfinden, wo dann die abgeschlossenen Geschäfte abgewickelt, die Differenzen gezahlt, Gewinn und Verlust ausgeglichen werden. Man kann sich ungefähr einen Begriff von der Größe und dem Umfang des Umsatzes machen, wenn man erfährt, daß allein der „Berliner Cassenverein“, durch dessen Hände meist die in Frage kommenden Werthstücke gehen, an einem solchen Tage oft zwölf bis sechzehn Millionen in Empfang nimmt, während diese Summe nur einen ganz winzigen Theil des monatlichen Umsatzes ausmacht, da die [12] allermeisten Posten durch Kauf und Verkauf compensirt, auch Vieles außerhalb des Cassenvereins geordnet wird. Mancher wohlhabende Mann verliert an einem Ultimo mehr als die Hälfte seines Vermögens, und nicht selten kommt es vor, daß ein oder der andere Speculant seinen Verpflichtungen nicht nachkommen kann und sich mit seinen Gläubigern „arrangiren“ muß. Aber die Börse ist bei solchen Gelegenheiten äußerst tolerant, und oft sieht man schon nach acht Tagen den verschwundenen Ehrenmann wieder, als ob sich nichts ereignet hätte.

Im Ganzen jedoch beobachtet die Berliner Börse eine verhältnißmäßig solide Haltung, besonders in der letzten Zeit, wo sie sich einigermaßen von den Wiener und Pariser Coursen zu emancipiren und eine selbstständige Stellung zu behaupten suchte. Das Hauptgeschäft befindet sich in sichern Händen, wenn auch der Speculation ein weiter Spielraum eingeräumt wird. Auch der hier herrschende Ton ist durchaus anständig, bis auf wenige Ausnahmen, die jedoch in der Menge verschwinden. Vor Allen aber muß man den wohlthätigen Sinn anerkennen, die Leichtigkeit, womit in einem Augenblick bedeutende Summen zum allgemeinen Besten oder zur Unterstützung Einzelner gezeichnet werden. In solchen Momenten muß man in der That Respect vor diesen Männern bekommen, die das allerdings leicht verdiente Geld eben so leicht, wo es noth thut, auszugeben wissen. Man kann mit Recht sagen, daß die Börse mehr als der Adel an ihrer Devise festhält: „Richesse oblige!“

Selbstverständlich sind in einer so gemischten Versammlung [13] die verschiedensten Charaktere, Gesinnungen und Principien vertreten, wahre Noblesse und Gemeinheit, gediegene Solidität und frecher Schwindel, Firmen von fast hundertjähriger Dauer und vergängliche Eintagsfliegen, gewöhnliche Parvenüs und bewährte Finanzgrößen, die sich durch Geist und Bildung auszeichnen und von ihrem Vermögen einen wahrhaft segensreichen Gebrauch machen, neben zweideutigen Speculanten, waghalsigen Abenteurern aller Art.

Unter den ersten und ältesten Firmen an der Berliner Börse behauptet nach wie vor neben den altbewährten Firmen Anhalt und Wagener, Fetschow und Sohn, das Haus Mendelssohn und Comp. seinen wohlverdienten Ruf, den es von seinem Ahnherrn, dem berühmten jüdischen Philosophen, dem Freunde Lessing's, geerbt hat. Der jetzige Chef desselben ist Herr Alexander Mendelssohn, der sich jedoch aus Gesundheitsrücksichten in letzter Zeit von der Börse fern hält.In hohem Grade besitzt er die Tugenden und Vorzüge seiner Familie, strenge Redlichkeit, große Humanität und hohe Bildung. Sein gastfreies Haus ist noch immer der Sammelpunkt bedeutender Männer und liebenswürdiger Frauen, wenn auch die eigentliche Glanzperiode aus naheliegenden Gründen erblaßt sein dürfte, jene Zeit, wo ein Alexander von Humboldt zu den Freunden des Hauses zählte, wo sich um den genialen Felix und seine begabten Geschwister die Elite der Berliner Künstler, Dichter und Gelehrten vereinte. Auch Herr Paul Mendelssohn-Bartholdy verleugnet nicht die charakteristischen feinen Züge und die würdige Haltung seines Hauses, [14] das jedoch an der Börse hauptsächlich durch ein jüngeres Mitglied der Familie vertreten wird. Zu dieser Börsen-Aristokratie zählt ferner der Inhaber der Firma Robert Warschauer, dessen Geschäft einen so großartigen Umsatz macht, daß einer seiner beiden Procuristen, der allerdings mit einer bedeutenden Tantième betheiligt ist, im letzten Jahre die Summe von 90,000 Thalern bezogen haben soll.

Das reichste Haus Berlins jedoch ist das der Gebrüder Schickler, dessen Chef aber in Paris lebt. Der Vertreter der Firma am hiesigen Platz ist der Geheime Commercienrath Zwicker, ein alter, würdiger Herr, der jedoch nur äußerst selten an der Börse erscheint. Durch Heirath ist die Familie Schickler mit der höchsten französischen Aristokratie verwandt. Dagegen stand der Sohn des Hauses vor einigen Jahren in Begriff sich mit einer bekannten hiesigen Tänzerin zu verbinden. Noch in der elften Stunde wurde aber das Verhältniß aufgelöst, worauf die schöne Künstlerin, mit einer reichen Mitgift dotirt, sich anderweitig verheiratet hat.

Dort der blonde Herr mit dem behaglichen Gesicht ist der erste Geschäftsinhaber der Disconto-Gesellschaft, Adolf Hansemann, der Sohn des bekannten David Hansemann, von dem die geflügelten Worte herrühren: daß in Geldsachen die Gemüthlichkeit aufhört. Von seinem berühmten Vater hat er die irdischen Glücksgüter, vor Allen dessen überaus lucrative Stellung geerbt, aber die eigentliche Seele bei Handhabung des Börsengeschäftes ist der intelligente, etwas melancholisch dreinschauende Herr Goldschmidt, dessen kaufmännisches Talent von allen Seiten die höchste Anerkennung findet. In der Nähe dieser Finanzgrößen sitzen auch die Inhaber der „Berliner Handelsgesellschaft“, Herr Gelpke, Vater und Sohn, Letzterer ein angehender Vierziger mit freundlich klugem Gesicht, das der rund geschnittene Bart einrahmt. Er unterhält sich angelegentlich mit seinem geachteten Compagnon Herrn Conrad, der zu den Aeltesten der Kaufmannschaft zählt. Den Eindruck eines vollkommenen Gentlemans macht Herr Joseph Jaques mit seiner stattlichen Figur und dem grauen würdigen Kopf. Auch dieses Haus zeichnet sich durch feine Bildung und höhere Geselligkeit aus. An der Börse wird die Firma meist durch den Sohn und Compagnon, einen noch jungen liebenswürdigen Mann, vertreten. Sein Freund, ein ebenfalls noch junger, etwas starker Herr mit blühendem Gesicht, ist der Baron Victor von Magnus, Neffe des berühmten Portrait-Malers, Schwiegersohn des ausgezeichneten Physikers und Universitäts-Professors Magnus und Bruder des früheren preußischen Gesandten in Mexico. Durch Verwandtschaft und anderweitige Verbindungen gehört derselbe mehr noch den aristokratischen und diplomatischen Kreisen als der Börse an. Nebenbei besitzt er ein dramatisches darstellendes Talent und huldigt deshalb bald im Stillen, bald öffentlich den Musen, besonders bei den Aufführungen des Adels zu verschiedenen wohltätigen Zwecken. Die Geschäfte des Hauses besorgt hauptsächlich Herr Schüler, langjähriger Disponent der Firma und bekannt durch seine Tüchtigkeit und sarkastisches Wesen. Diese ganze Gruppe nimmt gewissermaßen eine eximirte Stellung an der Börse ein und vertritt gleichsam die classische Richtung, indem die Mehrzahl dieser Herren die Grundsätze der alten soliden Schule befolgt, die sich mit einem sicheren Provisionsgewinn begnügt und von allen gewagten Speculationen sich mehr oder minder fern hält, so weit sie sich nicht gezwungen finden, der Richtung der Zeit Rechnung zu tragen. Auch äußerlich zeichnet sich diese Aristokratie des Geldes durch ihre etwas reservirte Haltung aus; in ihrer Umgebung herrscht eine verhältnismäßige Ruhe, eine fast befremdende Stille, die sich dadurch erklärt, daß die Chefs sich meist durch ihre Procuristen vertreten lassen und nur bei außerordentlichen Gelegenheiten sich an den Geschäften betheiligen.

Um so lebhafter geht es an der sogenannten „Speculations“- oder „Lombarden-Ecke“ zu, wo sich das eigentliche Leben und Treiben der Börse concentrirt. Hier wird oft ein schwerer Kampf gekämpft, das Geschick des Tages entschieden, das Bülletin der Siege oder Niederlagen decretirt. Hier sitzen die Feldherren, welche über Millionen commandiren, umgeben von ihrem Stabe, von ihren Adjutanten, von geschäftigen Maklern und Agenten, die auf ihren Wink hier- und dorthin fliegen. Mit der größten Spannung lauscht die ganze Börse an solchen Schlachttagen auf die Stimmung, welche von dieser entscheidenden Ecke ausgeht. Eifrig studirt man die Physiognomieen der maßgebenden Führer und deutet ihre Blicke, ihre Mienen, ihr Lächeln oder ihr Stirnrunzeln. Wenn sie finster sehen, so verbreitet sich eine allgemeine Panique, wenn sie heiter blicken, strahlt die goldene Ducaten-Sonne der Hausse, lächelt die rosige Morgenröte am papierenen Actien-Himmel. Zwei bekannte große Firmen, deren Repräsentanten sich zufällig gegenübersitzen, sind die Hauptleiter der Speculation. Der Eine von Beiden, Herr Güterbock, der Aelteste von seinen Brüdern und Mitbegründer des „Berliner Cassenvereins“, gilt für eine respectable Capacität an der Börse. Sein Visavis, jener schwarzhaarige Herr mit den scharf marquirten Zügen, ist Herr Gerson Bleichröder, der außer seinem eigenen großen Geschäft noch die der verschiedenen Rothschild’schen Häuser hier versieht und darum doppelt in’s Gewicht fallen muß. Da er außerdem der Banquier des Grafen Bismarck ist, der es nicht verschmäht, die ausgezeichneten Diners des Herrn Bleichröder mit seiner Gegenwart zu beehren, so genießen die finanziellen Operationen eine Art von halbofficiösem Ruf, obgleich die Eingeweihten wissen wollen, daß Herr Bleichröder noch weit mehr auf Rothschild schwört, als auf den Kanzler des Norddeutschen Bundes. An seiner Seite befindet sich Herr Schwabach, der durch Fleiß und Talent sich vom einfachen Commis bis zum einflußreichen Theilhaber der Firma Bleichröder und Compagnie emporgeschwungen hat und wegen seiner Bonhomie allgemein beliebt ist. Zu derselben Kategorie gehört auch Herr Plaut, einer der durch Thätigkeit und Solidität rasch emporgekommenen Banquiers, der von Zeit zu Zeit die Börse durch irgend ein ingeniöses Manöver überrascht und zuweilen in eine keineswegs angenehme Aufregung versetzt.

Zu den besonders glücklichen Speculanten zählt ferner jener junge elegante Mann in kurzem Jaquet, mit bunt gestreiftem Vorhemdchen und lose geschlungener Binde, dessen Physiognomie eine seltsame Mischung von genialer Keckheit und berechnender Schlauheit, von liebenswürdigem Leichtsinn und durchdringendem Scharfblick, von selbstgenügender Sicherheit und natürlicher Befähigung verräth. Herr Hugo Pringsheim ist das enfant gâté der Berliner Börse, das Schooßkind Fortuna’s, ein Parvenu wie manche Größe der Neuzeit, aber gegenwärtig ein angehender Millionär und folglich höchst respectabel. Auf demselben Felde finden wir den Herrn Gustav Schultze, einen eben so gewandten als glücklichen Speculanten, sowie eine der beliebtesten Persönlichkeiten der Börse, einen Mann, der in den schwierigsten Zeiten sich immer als Ehrenmann bewiesen und neben seiner Liebhaberei für Gemälde sich noch durch seinen großen Wohlthätigkeitssinn auszeichnet. Auffallend still und ruhig, aber darum vielleicht um so solider erscheint Herr Neumann, der sein großes, in kurzer Zeit erworbenes Vermögen seinem Vertrauen zu den Amerikanern zu verdanken hat, ebenso wie Herr Magnus Hermann, der erst in letzter Zeit eine hervorragende Stellung unter den vom Glück begünstigten Speculanten einnimmt. An dieselben reiht sich noch eine jetzt seltene Börsenfigur an, Herr Goldberger, der Erfinder der Rheumatismus-Ketten und ähnlicher populärer Heilmittel, die, wie er selbst meint, wenn auch nicht immer seinen Patienten, doch ihm wenigstens sicher geholfen haben.

Es würde hier zu weit führen, wollten wir mit namentlicher Aufführung großer Firmen fortfahren. Es giebt noch viele hier, die einen alten, langbewährten Ruf genießen, andere, die, wenn auch jüngeren Ursprungs, doch rasch zu größerer Bedeutung gekommen sind. Zu ersteren gehören Veit und Comp., ein Haus, welches zum Theil Rothschild aus Paris an der hiesigen Börse vertritt und außerdem noch durch seine Familienbeziehungen merkwürdig ist, indem der Ahnherr der Gatte jener Dorothea Veit war, welche später sich von ihrem Manne scheiden ließ, um den bekannten Schriftsteller Friedrich von Schlegel zu heirathen. Aus ihrer ersten Ehe stammten die beiden berühmten Maler Veit; auch der hochgeachtete Buchhändler und Mitglied des Frankfurter Parlaments, Dr. Moritz Veit, gehörte dieser Familie an, welche eine höchst ausgezeichnete Stellung weit länger als ein halbes Jahrhundert behauptet hat. Zu letzteren gehören unter vielen anderen F. W. Krause und Comp., Bein und Comp., S. Abel jun., welcher kürzlich einen der elegantesten Paläste erbaut hat, eine Sehenswürdigkeit Berlins, und dem kürzlich die Ehre zu Theil wurde, daß Se. Majestät der König nebst hohem Gefolge Haus und Einrichtung in Augenschein nahmen und Sich höchst befriedigt darüber äußerten.

Während an der Lombardenecke und in deren Nähe das sogenannte [15] genannte Speculationsgeschäft besonders blüht, befindet sich der Markt für die Eisenbahn-Actien an der entgegengesetzten Seite in der Nähe des Büffets, wo sich häufig eine gemütliche Gesellschaft zusammen findet. Hier dominirt ein untersetzter Mann mit einer geistlichen Tonsur, der, an einer der hohen Säulen gelehnt, gleich dem delphischen Orakel das Schicksal der Oberschlesier, Oppeln-Tarnowitzer, Görlitzer etc. dem staunenden Volke nicht nur verkündigt, sondern auch „macht“. Herr Kuczynski behauptet auf diesem Felde eine unbestrittene Superiorität und gilt in dieser Branche für eine Autorität ersten Ranges, der diesen Ruf hauptsächlich seinen eingehenden statistischen Studien und Berechnungen verdankt. – Von Zeit zu Zeit erscheint noch an unserem Börsenhorizont ein glänzendes Gestirn, dessen kometenartiger Schimmer Alles zu verdunkeln droht, so daß sein bloßes Kommen eine ungemeine Sensation hervorruft. Noch sind die finanziellen Astronomen darüber nicht einig, ob sie dieses eine Licht zu den Sonnen und soliden Fixsternen oder zu den vorübergehenden Feuermeteoren zählen sollen; wenigstens sind die Meinungen in dieser Beziehung getheilt. Der moderne „Lucifer“ oder Lichtbringer zeigt eine gedrungene, zum Embonpoint neigende Figur, ein volles rundes Gesicht mit stark ausgeprägten, nicht uninteressanten Zügen.

Das fabelhafte Glück dieses Herrn und seine ganze eigenthümliche Persönlichkeit ist mit einem geheimnißvollen Schleier bedeckt und giebt bereits bei seinem Leben Stoff und Veranlassung zur Mythenbildung, womit sich die Börse trotz ihrer prosaischen Natur gern beschäftigt. Nach der Sage war Herr Dr. Stroußberg noch vor wenigen Jahren ein unbekannter Bilderhändler oder armer Privatgelehrter, der in England, wohin das Schicksal ihn auf seinen abenteuerlichen Wanderungen führte, den Stein der Weisen, oder vielmehr einige reiche Capitalisten gefunden haben soll, welche ihm bedeutende Summen zur Verwirklichung seiner kühnen industriellen Projecte anvertrauten. Nach langer Abwesenheit tauchte er plötzlich wieder in Berlin auf, aber diesmal mit fürstlichem Glanz, versehen mit ausgezeichneten Empfehlungen an hohe und höchste Herrschaften, von denen er empfangen und protegirt wurde. Bald gelang es ihm, sich die Concession zu verschiedenen Eisenbahnunternehmungen zu verschaffen, die er trotz aller Zweifel an ihrer Rentabilität, unbekümmert um das Urtheil und Vorurtheil der Welt in’s Leben rief, so daß seine Feinde und Gegner das industrielle Genie, die Ausdauer und Leichtigkeit seines erfinderischen, um Auskunftsmittel nie verlegenen Geistes anerkennen mußten.

Wenn auch Herr Stroußberg im Anfange seiner bewunderungswürdigen Laufbahn mit Mirès, Pereire und ähnlichen zweideutigen Speculanten häufig verglichen wurde, so hat doch der große Erfolg und die Kühnheit seiner Operationen nach und nach einen Umschlag in der öffentlichen Meinung hervorgerufen und die interessante Persönlichkeit mit einem goldenen Nimbus umgeben. Gegenwärtig gilt derselbe in den Augen des Publicums als ein sechsfacher Millionär, wenn auch hier und da noch immer bescheidene Zweifel an der Größe und Solidität seines Vermögens auftauchen. In Wirklichkeit ist er Besitzer mehrerer Rittergüter und einer ansehnlichen Herrschaft, Concessionsinhaber verschiedener Eisenbahnen, außerdem Doctor der Philosophie, Eigenthümer einer vielgelesenen Zeitung und Mitglied des Norddeutschen Parlaments. Er besitzt ein fürstliches Palais in der Wilhelmstraße, dessen Erbauung ihm mehr als vierhunderttausend Thaler gekostet haben soll, eine auserwählte Bibliothek, eine kostbare Gemäldesammlung mit den Meisterwerken eines Meissonier, Vautier und Knaus, einen Speisesaal mit den schönsten Fresken und ein entsprechendes Mobiliar, worunter sich, wie die geschwätzige Fama meldet, zwölf Lehnstühle befinden, welche, wenn man sich darauf setzt, die reizendsten Arien von Donizetti, Bellini, Meyerbeer und Verdi ertönen lassen.

In seinem Antichambre findet man alle Stände vertreten, die Mitglieder der höchsten Aristokratie, Fürsten und Grafen, die sich mit dem Finanzgenie verbinden, neben manchem armen Teufel, der seine Hülfe selten vergebens in Anspruch nimmt. Wie wenigstens vielfach erzählt wird, soll Herr Doctor Stroußberg, eingedenk seiner früheren beschränkten Verhältnisse, ein Wohltäter der Armen und Hilfsbedürftigen sein und eine offene Hand nicht nur zum Nehmen, sondern auch zum Geben besitzen. Manche verbürgte und unverbürgte Anekdote über sein excentrisches Wesen, manches wahre oder falsche Gerücht über seine Geschäftsart wird durch derartige Züge menschlichem Wohlwollens gut gemacht und aufgehoben, und wenn auch im Ganzen noch die Welt über diese außerordentliche Erscheinung zu einem sicheren Resultate, zu einer festen Meinung nicht gelangt ist, so steht wenigstens so viel fest, daß Herr Stroußberg ein Finanzgenie ersten Ranges und einer der glücklichsten Speculanten Berlins ist, obgleich man, wie schon der weise Solon sagt, Niemand vor seinem Ende glücklich preisen soll.

Eine besondere Beachtung an der Berliner Börse fordert und verdient die zahlreiche Classe der Makler, durch welche hauptsächlich die Geschäfte vermittelt und abgeschlossen werden. Sie sind die unentbehrlichen Zwischenglieder, durch welche die Ringe der goldenen Kette zusammengehalten werden, die geschäftigen Bienen, welche von Baum zu Baum, von Blume zu Blume fliegen, um den Nektar einzusammeln nicht bloß für ihre Auftraggeber, sondern auch zu ihrer eigenen Nahrung. Auch hier herrscht ein großer Unterschied, indem wir Makler kennen lernen, welche jährlich dreißigtausend Thaler Provision beziehen, wie z. B. Wilhelm und Theodor Hertel, Hermann Goldschmidt, Chef der bedeutenden Wechselfirma B. Goldschmidt. Eine bekannte Persönlichkeit ist auch Herr Philippshorn, der aus einer angesehenen Familie stammt, welche durch einen ausgezeichneten Diplomaten, einen hohen Postbeamten, durch die berühmte Schauspielerin Crelinger, den talentvollen Theodor Döring und den Maler Amberg illustrirt wird.

Eine eben so originelle als populäre Figur ist der sich jetzt mehr zurückziehende „weiße Salomon“, so genannt wegen seines ehrwürdigen, von langen weißen Locken umwallten, schönen Kopfes, der aber auch wegen seiner oft treffenden Aussprüche und Reden den Namen des „weisen Salomon“ verdienen möchte. Eine fast noch größere Bedeutung für die Berliner Börse als die vereideten Makler, haben die unvereideten. Erstere dürfen nämlich keine Geschäfte auf eigenen Namen machen, während letztere gegen Vergütung der üblichen Maklercourtage Kauf und Verkauf auf eigenen Namen ausführen und selbst reguliren, was dem Geschäft eine namenlose Erleichterung bereitet. Zu den bedeutenderen gehören der österreichische Consul Karo, der sich von einer der untergeordnetsten Beschäftigungen zu einer sehr geachteten Stellung emporgebracht, und wenn derselbe auch durch das Jahr 1866 auf’s Härteste durch Verluste betroffen worden, so kann ihm doch Niemand den Namen eines Ehrenmannes absprechen, dessen großer Wohlthätigkeitssinn noch besonders hervorgehoben zu werden verdient.

Von den Vertretern der Berliner Presse findet man hier die Berichterstatter sämmtlicher politischen und mercantilischen Zeitungen, so wie die Delegaten der beiden Telegraphenbureaux. Eine eximirte Stellung unter den Literaten nimmt der Herr von Killisch, Besitzer und Herausgeber der Börsenzeitung, ein. Als gewandter und höchst talentvoller Journalist hat er sich seine französischen Collegen zum Muster genommen und, wie diese in Paris, sich in Berlin eine lucrative Stellung zu erwerben gewußt, die mit einem Einkommen von mehr als dreißigtausend Thalern jährlich verbunden sein soll. Ueber die Unparteilichkeit der Börsen-Zeitung sind jedoch die Meinungen sehr getheilt. Er lebt auf großem Fuß ganz wie seine bekannten Vorbilder, bewohnt eine prächtige Villa und giebt ausgesuchte Diners für die Feinschmecker der haute finance. Sein Adel ist wie sein Vermögen neueren Datums; er verdankt denselben weniger seinen sonstigen Verdiensten als der gefälligen Adoption durch einen alten gemüthlichen Herrn. – Außer dem Genannten nehmen Herr Davidsohn, der Redacteur des neubegründeten „Berliner Börsen-Couriers“, und Herr Theodor Heymann, Besitzer der „Bank- und Handelszeitung“, eine einflußreiche Stellung ein, von denen der Letztere sich einer großen persönlichen Beliebtheit und des besten Rufes wegen der Unparteilichkeit seines Organs erfreut. Die Nationalzeitung ist durch den sehr tüchtigen Nationalökonomen Dr. Schweitzer vertreten. Die Vertreter der Presse haben ein eigenes Zimmer, wo sie die ihnen von den Maklern mitgeteilten Course für die Zeitungen notiren. Der eigentlich officielle Courszettel wird jedoch von den vereidigten Maklern in dem eine Treppe hoch gelegenen Sitzungszimmer der Kaufmannschaft erst später festgestellt. Während der ganzen Börsenzeit findet ein lebhafter telegraphischer Verkehr statt, wozu ein besonderes Zimmer dient. Sämmtliche Depeschen werden durch einen pneumatischen Apparat, der mit einer Dampfmaschine in Verbindung steht, durch die verdünnte Luft nach dem Haupt-Telegraphenamt befördert, wohin sie in verschlossenen Blechbüchsen [16] gelangen, um von dort mit Blitzesschnelligkeit nach allen Weltgegenden auf dem elektrischen Draht weiter zu fliegen.

Hervorgehoben muß noch werden, daß während schon jetzt die Berliner Börse vielleicht die bedeutendste in ganz Europa, der Umfang noch in stetem Zunehmen begriffen ist, da selten eine Woche vergeht, wo nicht neue Etablirungen von Bankgeschäften stattfinden.

Es dürfte kaum möglich sein, den Umsatz an der Berliner Börse auch nur annähernd zu bezeichnen. Wir glauben aber eher zu niedrig als zu hoch zu greifen, wenn wir denselben für alle Umsätze in Papieren, Wechseln und Geldsorten auf fünfundzwanzig Millionen Thaler per Tag annehmen. Freilich hat auch die Börse, wie alle anderen Geschäfte, ihre saison morte, in den Sommermonaten, wo Alles in die Bäder geht.

Von der Fondsbörse nur durch eine schlanke Säulenreihe getrennt, befindet sich der Raum für die Productenbörse, die ebenfalls von kaum zu beschreibender Bedeutung ist. Es giebt auch hier Commissionsfirmen, die fast über den ganzen Continent verbreitete Geschäftsverbindungen haben, und wir wollen unter vielen anderen nur A. Heimann, S. und M. Simon, Gebrüder Sobernheim anführen. Für jeden Artikel, Weizen, Roggen, Mehl, Spiritus, Rüböl, Petroleum etc. giebt es besondere Makler, und auch unter diesen sind einige von großer Bedeutung; für Weizen Marx, für Roggen Commissions-Rath Henschel, Kaufmann und für Spiritus Biermann, Emil Meyer, ein sehr intelligenter Mann, der wöchentlich einen vielverbreiteten Bericht über das Productengeschäft mit guten statistischen Unterlagen und außerdem jährlich einen größeren vorzüglich ausgearbeiteten Gesammtbericht über das Productengeschäft Berlins herausgiebt.

Höchst interessant ist das daran stoßende „Kündigungszimmer“, wo die effectiven Geschäfte zum Austrag gebracht werden. Von Zeit zu Zeit hört man da ein Glöcklein klingen, das schon für manchen Speculanten zum Armensünderglöckchen geworden ist. Es ruft die verschiedenen Parteien zum Abschluß mit schrillem, markerschütterndem Klang und nicht selten läutet es Vermögen, Ruf und Ehre zu Grabe. Mit diesem Memento mori verlassen wir die Berliner Börse, da unser ihr gewidmetes Stündchen längst verflossen ist.

R. v. G.