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Titel: Ein Held in Sturmesnöthen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 644-646
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein Held in Sturmesnöthen.

An der äußersten Spitze der niederländischen Provinz Nordholland, wo das Meer einst im Kampfe mit dem Festlande sich eine breite Bahn zum Zuidersee brach und Texel zur Insel machte, liegt die alte Helderschanze und der Flecken de Helder, die Heimath tüchtiger Seeleute und vor Allem einer starken, sturmbewährten Lootsenschaar. Vom Wall dieser alten Schanze blicken die Männer der Gegenwart auf das Wogenbett, in welchem Tausende von holländischen Seehelden schlafen gingen, als im letzten großen Seekampfe Hollands gegen England am 28. August vor sechsundsechsig Jahren der Stern seiner alten Meerherrschaft unterging.

Der Heldengeist ging nicht mit unter, der Ocean ist noch heute das Ackerfeld der kleinen urkräftigen Nation, und fordert der blutige Krieg ihre Tapferkeit nur selten heraus, so ist für den Kampf mit den Wogen um Landeswohlfahrt und Menschenglück ihnen manch neuer schöner Stern aufgegangen.

An der Helderschanze vorüber steuern die Schiffe, welche ihre Fahrt zum Hafen von Nieuwe-Diep lenken. Zur Rechten unweit der Schanze liegt das Dorf Huisduinen, an dessen Strand die Wogen des Oceans schlagen.

Dorthin eilten im ersten Morgenschimmer des 10. Januar 1852 die Bewohner des Dorfs. Aus dem Frieden, mit welchem das Meer sie am Abend des 9. zur Ruhe eingeladen hatte, schreckte sie der Sturm auf, der jetzt über die Wogen tobte. Und mitten in dem empörten Element rang ein Schiff gegen den letzten Stoß in’s Verderben. Der Hülferuf der Mannschaft durchdrang das Brausen des Sturms, und Nichts antwortete ihm als der Verzweiflungsschrei der rathlosen Menge. Auf der Höhe von Falgar lag das gestrandete Schiff, das, den rettenden Wall vor Augen, dem Untergang geweiht war.

Aber es sind Männer, die am Ufer wohnen, gewohnt den wildesten Wogen zu trotzen. Das Rettungsboot sinkt in die Fluth und sechs Paar Fäuste ergreifen die Riemen. Festen Schlags arbeiten sie vorwärts, vom Wogengang bald hoch aufgehoben, bald den Augen am Strande verschwunden; vom Schiff und vom Ufer hängt jeder Blick an dem Boote, das eine Fahrt auf Leben und Tod gewagt. Doch vergebens erschöpfen die starken Männer ihre letzte Kraft; sie müssen’s dulden, ihrem Ziel schon nahe, von den hohen Wellen wieder zurückgeschleudert zu werden. Schiff und Mannschaft schienen dem gemeinsamen Untergang geweiht.

Da trat ein Jüngling aus der Menge, entschlossen, allein zu wagen, was sechs Männern unmöglich gewesen. Er schlang sich das Rettungstau um den Leib und stürzte sich in die Fluth, taub gegen das Jammergeschrei der Seinen, die händeringend dem todesmuthigen Schwimmer nachstarrten. Bis zur Brandung drang er fest und sicher vor, aber dann begann ein fast übermenschlicher Kampf, dessen Anblick alle Herzen erbeben machte. Bald zu den schäumenden Spitzen der Wellen emporgewirbelt, bald wieder in den sinkenden Gischt mit hinuntergezogen, war er für Alle am Strand und auf dem Schiffe ein aufgegebenes Menschenkind. Und dennoch geschah das Unglaubliche, überwand er die schreckliche Stelle und gewann gerettet den Bord, von dem längst alle Hoffnung auf Errettung verschwunden war.

Das gestrandete Schiff war indeß zum Wrack geworden; von [645] den rollenden Wogen auf dem Grund aufgestampft, drohte es zu zerschellen, wenn man nicht eilig die Masten gekappt hätte. An den Stumpf des Hauptmastes befestigte man nun das Rettungstau, und diesem entlang versuchte es zum zweiten, dritten und vierten Male das Rettungsboot, durch die Brandung hindurch zu dringen. Alles vergebens, die See schien Herr ihrer Beute zu bleiben. Da ermuthigt der jugendliche Retter endlich die bedrängte Mannschaft, an dem Tau selbst sich zum Walle hinüber zu arbeiten. Dies geschah und für Alle mit des Himmels Gunst. Der Retter war der Letzte, der das Wrack verließ und den Wall erstieg.

Die Ehre des Lieds vom braven Mann hatte ein Jüngling sich verdient. Der Jubel des ganzen Strandes empfing ihn, seine Lieben und die Geretteten wetteiferten in stürmischen Beweisen ihrer Liebe und ihres Dankes, und die Fremden, die vom Nieuwe-Dieper Hafen den Gestrandeten zur Hülfe herzugeeilt waren, fragten voll Bewunderung: Wer ist der Jüngling?

Cornelis Dito heißt er, ist ein Kind des tapfern Fleckens de Helder, eben neunzehn Jahre alt und hat sich den Schiffern längst als tüchtiger Fahrensgeselle erwiesen. Das ist bis dahin seine ganze Lebensgeschichte.

Cornelis Dito.
Nach der Natur gezeichnet von Schleich.

Seine heutige Heldenthat gegen die opferwüthige See wurde entscheidend für sein Loos. Das Hochgefühl, der Retter von so vielen Menschenleben zu sein, that der jungen Seele zu wohl, als daß sich nicht in ihr der Entschluß hätte festsetzen sollen, fortan Menschenretten zum Lebensberuf zu erheben. Nicht die äußeren Belohnungen und Ehrenzeichen, mit denen man ihn zu erfreuen suchte, die großen goldenen und silbernen Medaillen und Dosen, welche der König und holländische Rettungs- und Seemanns-Gesellschaften ihm verliehen, vermochten – wie sehr sie dem jugendlichen Stolze schmeichelten – ihn zu einem solchen Entschluß zu begeistern. Sein Herz hatte die Wonne einer edeln That genossen, und sie allein war es, die ihn zum Helden gegen die See im Kampfe für bedrohte Menschenleben erhob.

So weit das Wirkungsbereich der Lootsen von de Helder sich erstreckt – und es ist ein vielbefahrenes Wasser, denn durch das Mars-Diep segeln alle Schiffe, die vom Westen kommend nach Amsterdam das Steuer richten – so weit erstreckt sich das Rettungsgebiet des Cornelis Dito. Kein Sturm rüttelt das Meer und thürmt die Brandung auf, wo nicht der Retter auf seinem Posten steht, um nach den Gefahren auszulugen, in denen Andere schweben. Und wo eine solche sich zeigt, da durchzuckt es ihn wie den tapfern Soldaten dem Erzfeind gegenüber, nur weit edler und wohlthuender, denn er will in seinem Kampfe nicht Leben tödten, sondern Leben erhalten. So hat er es denn durch viele muthige Thaten in seinem selbstgewählten hohen Beruf veranlaßt und verdient, daß ihn das Volk „den Menschenretter“ nennt – ein Titel, den kein Fürst verleihen kann, denn die höchsten Würden der Menschheit verleihen stets nur die That und das Volk.

[646] Cornelis Dito, dessen Bildniß von kunstgeübter Hand in seiner Heimath gezeichnet und der Gartenlaube zum Zwecke der Veröffentlichung eingesandt wurde, erwirbt sich seinen Lebensbedarf als einer der stetigsten sogenannten Sloeperleute, jener kühnen Schiffer, die auf ihren Nußschalen von Booten ankommenden Schiffen oft weit in die See entgegenfahren, um ihnen ihre Dienste anzubieten. Eine solche Fahrt wäre in diesem Sommer beinahe seine letzte gewesen.

Es war am 3. Juli d. J., wo Cornelis Dito mit drei anderen Sloeperleuten auf seinen Erwerb in See ging. Sie hatten sich mit der Sonne aufgemacht und kreuzten so weit draußen, daß sie nur durch das Fernrohr wie ein schwarzes Pünktchen über den ruhigen Wellen zu erkennen waren. Ihr Harren war jedoch vergeblich. Mit fröhlichem Gesang wandten sie endlich das Steuer heimwärts. während ein Sturm seinen Anzug verkündete. Mit kräftigem Ruderschlage die Wogen theilend waren sie bald nur noch etwa eine Drittelstunde vom Strande entfernt, als plötzlich auf der Höhe der Pettener Dünen eine Windhose sie überfiel und ihr Boot umschlug. Als vier gute Schwimmer gewannen zwar die Männer ihr Boot bald wieder und klammerten sich auf dem Rücken desselben fest, aber nun schwebten sie fortwährend in der Gefahr, von den wachsenden Wellen fortgespült zu werden. Auch die Hoffnung, einem vorübersegelnden Schiffe in Sicht zu kommen, wollte nicht in Erfüllung gehen, während Sturm und Gefahr mit jedem Augenblick zunahmen. Da entschloß Cornelis Dito sich, für seine Gefährten die Hülfe, die ihnen zur See nicht kommen wollte, selbst vom Lande zu holen; er wollte trotz der weiten Entfernung von mehr als zweitausend Metres hinüberschwimmen, um mit einem Rettungsboot zurückzukehren. Seine Gefährten waren seine liebsten Freunde und waren, wie er selbst, Familienväter; da drängte ihn doppelt sein Beruf, sich und sie zu retten. Trotz alles Abmahnens ließ einer der Drei, J. Kuiper hieß er, sich nicht abhalten, den Cornelis auf seiner strengen Tour zu begleiten. An den Kiel des Boots festangeklammert blieben die beiden Andern allein in der Wasserwüste zurück. Aber auch Kniper sollte das Land nicht erreichen. Obwohl zur selben Zeit, wo beide Freunde in der Fluth sich vorwärts arbeiteten, das Meer ruhiger wurde, so stand ihnen doch noch ein schweres Hinderniß entgegen: die der Küste entlang ziehende heftige Strömung. Cornelis Dito besiegte auch dieses Hinderniß, allein Kniper’s Kraft war gebrochen, als er den neuen Wogenkampf beginnen sollte; er versank in die Fluth zum Nimmerwiederkehren. Trostlos über den Verlust des liebsten Genossen erklomm Cornelis den Wall, aber den Schmerz und die Sorge für sich selbst niederdrückend eilt er zum Dorfe Petten, ruft die Männer zur Hülfe auf, das Rettungsboot rollt in die See und hinaus geht’s zu den in Todesnoth an dem schwarzen Bauch ihres Bootes Hängenden. Die Hülfe kam noch zu rechter Zeit, Beide waren gerettet.

Der Tod des armen Kuiper, die Hülflosigkeit seiner Familie und die reine edle That Cornelis Dito’s erregten die Theilnahme des Volks nicht nur von Nordholland, sondern in den ganzen Niederlanden. Jener Doppelfall von Unglück und Glück gab die Veranlassung, nicht blos für die armen Verlassenen zu sammeln, sondern auch eine Stiftung zu begründen, die den braven muthigen Männern, welche so oft ihr Leben für Andere wagen, wenigstens die beruhigende Sicherheit in’s Herz legen soll, daß ihre Lieben nicht in Noth versinken, wenn sie selbst einst in ihrem Berufe untergehen sollten. Zu diesem guten Zwecke ist der Wohlthätigkeitstrieb mit all’ seinen anregenden Mitteln im holländischen Volke thätig, und wenn auch in den Nachbarvölkern die Theilnahme dafür durch diese Erzählung von dem Menschenretter Cornelis Dito sich werkthätig erweisen wollte, so würde das dankbar begrüßt werden in ganz Holland und an dem Strande von de Helder noch manche Thräne trocknen helfen.