Textdaten
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Autor: Alfred Brehm
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Titel: Ein Geiermahl in Süd-Nubien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 568–571
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[568]
Ein Geiermahl in Süd-Nubien.
Von Dr. A. E. Brehm.

Wir hatten die Wüstensteppe Bahinda hinter uns, und zogen längs des Nil durch die öde, aber malerische Enge des Wadi-Rherri. Die Regenzeit war nahe und die Hitze fürchterlich; mehr noch als sie aber drückten und behinderten uns die glühenden Sandstürme, welche den heranziehenden Frühling einzuleiten pflegen. Ein solcher Gluthwind beendete eines Morgens kurz nach dem Aufbruche unsern Ritt, und wir waren äußerst froh, bald nach Beginn der rasenden Windsbraut ein kleines Dorf zu erreichen. Hier lag eine vor uns aus Mittelnubien gekommene, im höchsten Grade entkräftete Karawane, welche sich vor der Weiterreise nach dem unfernen Charthúm erst einigermaßen erholen wollte. Ihren Ausrüster, einen reichen türkischen Kaufmann, fanden wir in der besten Strohhütte des Dorfes; er theilte sie aber sogleich bereitwillig mit uns,

Wie es bei solchen Begegnissen zu geschehen pflegt, erzählten wir uns gegenseitig ausführlich unsere letzten Erlebnisse, und so erfuhren wir denn, daß unsere neuen Bekannten einen Brunnen der Steppe verfehlt, und ihre Kameele deshalb ungemein gelitten hatten.

„O Herr,“ sagte Hawadje Hussëin, „es ist sehr traurig, wenn man sehen muß, daß die Nissúr[1] das beste Kameel zerfleischen mit ihren furchtbaren Schnäbeln und von dem guten Thiere kaum die Knochen übrig lassen. Zwei Stück haben wir bereits eingebüßt; aber mir thut blos ein armer Knabe aus Dongola leid, welcher sein ganzes Besitzthum, eine treffliche Kameelstute, wohl heute noch verlieren wird; denn sie schleppt sich schon seit drei Tagen, obwohl

[569]

Ein Geiermahl in Süd-Nubien.

Marabu. Ohrengeier.
Fahler Geier. Rüppelgeier. Fahler Geier. Wüstenraben.
Aasgeier. Raubadler.

[570] ledig, nur mit Mühe neben uns her. Bewahre der Prophet jeden Gläubigen vor den Giftwinden, die uns betrafen! Nur bei Gott, dem Erhabenen, allein ist die Stärke: – sonst wären auch wir erlegen. Denn der Arm des Todes griff nach uns Allen, und die Pforten der Hölle waren geöffnet. Aber – el hamdu lillahi! (Gott sei Dank) wir haben wieder Nilwasser getrunken!“

Unser Mann würde gewiß noch länger in diesem Tone fortgefahren haben, wäre nicht der erwähnte Kameeltreiber soeben in die Hütte getreten. Auf seinem Gesichte war die Anzeige eines großen Verlustes zu lesen; aber er sprach kein Wort.

„Nun, Mann, wie geht es, was thun die Kameele?“ fragte Hawadje Husseïn.

„Nädjedi maht, ja sidi“ (Meine Kameelstute ist todt, Herr). Nur bei Gott ist die Stärke; gelobet sei Er und sein Prophet: – aber ich bin ein Bettler geworden! Hauen Allah aleïhi!! (Möge Gott mir helfen!)

Amsu ja radjel! (So sei es, Mann). Du Gläubiger, erhebe Dein Haupt und schüttle den Trübsinn von Dir; Gott wird weiter helfen, denn bei ihm ist die Hülfe!“

Aber der Arme wollte sich nicht trösten lassen. Wir gaben ihm Geld; er nahm es dankbar an und schwieg. Hin und wieder perlten ihm einzelne Thränen über die dunklen Wangen herab; dann und wann seufzte er tief. Endlich sagte er noch höchst betrübt:

„Zehn Jahre lang besaß ich das vortreffliche Thier; – jetzt liegt es draußen in dem Bauche der Felsen, und die Geier werden es fressen!“

„Aber, Mann,“ erwiderte ich ihm, „wo sollen denn hier die Geier herkommen? Weit und breit ist nichts zu sehen, als eine Einöde, in welcher man kaum einen Raben antrifft – warum also fürchtest und hassest Du jene?“

„Weil sie“ – der Kameeltreiber beantwortete den letzten Theil meiner Frage zuerst und dann den ersten zuletzt – „nedjes (unrein) sind vom Uranfang an, und der Gläubige, welcher die Gesetze des Propheten – Gottes Frieden über ihn! – achtet, sie von sich fern hält; weil sie den ermüdeten Wanderer in der Steppe anfallen, wie ein todtes Aas; weil sie den Reisezügen des Menschen folgen, wie der Teufel, – vor welchem der Herr seine Erwählten beschützen möge! Nur ihre Leber besitzt heilsame Kraft; aber es ist dem Gerechten verwehrt, sich ihrer zu bedienen, und blos dieser oder jener verruchte Zauberer benutzt sie zu seinen höllischen Werken. – Woher sie kommen, fragst Du? Sie werden erscheinen ohne Zahl und den Himmel bedecken mit ihrer Menge.“

Diese in unseren Augen höchst angenehme Voraussetzung wurde von allen Eingeborenen so einstimmig bestätigt, daß wir beschlossen, hier zu bleiben und die Geier zu erwarten. Das Aas war zur Beobachtung und Jagd der Vögel sehr geeignet: es lag allerdings „im Bauche der Felsen“, wie der Nubier sagte, und die Felsen boten uns treffliche Verstecke dar. Um etwaige Raubversuche der Hyänen abzuhalten, wurde unser Jäger beordert, Nachts in der Nähe des gefallenen Thieres Wache zu halten; er ging jedoch nur mit größtem Widerstreben auf seinen Posten, denn „die verruchten Zauberer nehmen ja leider Nachts die Gestalt der Hyäne oder des Nilpferdes an, und ein Zusammentreffen mit ihnen ist dem Gläubigen höchst schädlich; der böse Blick aus dem Auge des Zauberers kann das Blut in den Adern des Gerechten zum Stocken, das Herz zum Stillstehen bringen, die Eingeweide ausdörren und den Verstand verwirren;“ – anderer Gefahren gar nicht zu gedenken! Unser Jäger war aus allen diesen Gründen von der Bedenklichkeit seiner Lage, den verwandelten Hyänenmenschen gegenüber, so durchdrungen, daß - ihm nur unsere Versicherung, auf einen Schuß von ihm zu seiner Hülfe herbeizueilen, einige Beruhigung gewährte. Er ging also, – es erschienen keine Hyänen: – der Mann hatte die erflehte Hülfe des Gottgesandten erhalten!

Am andern Morgen lösten wir ihn frühzeitig ab, weil wir glaubten, daß die Geier wohl in den ersten Stunden erscheinen würden; wie wir jedoch heute zum ersten Male erfuhren, irrten wir uns sehr.

Es war noch kühl, einsam und still in der Nähe des fahlen Sterbebettes, als wir bei dem Kameele ankamen. Nur einige Steinschmätzer und Ammerlerchen, die Bewohner auch des Innersten der Wüste, fangen ihr Morgenliedchen, – sonst sah und hörte man nichts Lebendiges. Bald nach Sonnenaufgang aber entdeckte Aali’s scharfes Auge einen eben in unseren Gesichtskreis gelangten Raben, dessen weiße Brust uns den wirklich schönen Corvus scapulatus des Innern Afrika’s erkennen ließ. Er flog erst langsam, schien aber plötzlich das Aas zu sehen, und näherte sich ihm nun mit raschen Flügelschlägen. Bei seiner Ankunft umkreiste er es mehrere Male schreiend in immer geringerer Höhe, senkte sich dann schief herab, schwang sich nach vorn und oben und betrat, die seinen, spitzen Flügel zusammenlegend, in einiger Entfernung von demselben den Boden. Jetzt schauete er sich vorsichtig um, stolzirte ernst auf den Leichnam zu und umging ihn, scheinbar sehr zufrieden, mit bedächtigen Schritten. Ein Wüstenrabe (C. umbrinus) gesellte sich zu ihm, und bald folgten von beiden Arten mehrere nach; in kurzer Zeit mochten über ein Dutzen Raben versammelt sein. Nun erschienen immer neue Gäste. Die hier sehr häufigen schmutzigen Aasgeier (Neophron percnopterus und N. pileatus) hatten die Rabenversammlung bald ausgewittert und eilten aus allen Richtungen der Windrose in Schaaren herbei. Schmarotzermilane (Milvus parasiticus) kreisten schreiend über der Gruppe, dann ließ sich auch von ihnen einer nach dem andern zur Erde nieder. Nach Verlauf einer Stunde war eine sehr zahlreiche Gesellschaft zusammengekommen. Alle Mitglieder derselben blickten lüstern auf das Aas; aber nur die Aasgeier versuchten es, die Augen auszuhacken und von der heraushängenden Zunge einige Bröckchen abzupicken, obgleich ihnen dies nur in geringem Maße gelang. Die Schnäbel sämmtlicher hungrigen und sehr eßlustigen Tischgäste waren viel zu schwach, als daß sie die starke Lederhaut des Kameeles hätten zerreißen können.

Da schoß plötzlich ein großer Raubadler (Aquila rapptor), den wir nicht hatten kommen sehen, auf den Kopf des Kameeles nieder und riß mit einigen Schnabelhieben die Augenhöhle auf, um das Auge auszulösen. Er hatte aber kaum diese Arbeit beendet, als sich von allen Seiten die Schmarotzermilane schreiend und stoßend auf ihn stürzten, um das von ihm Errungene zu ihrem eigenen Nutzen auszubeuten. Es entstand ein unglaubliches Getümmel und ein wahres Zetergeschrei um den Adler, welcher, entrüstet über die zudringliche Bettlergesellschaft[2] schließlich ihnen seine Beute stolz zuwarf und es ihnen überließ, sich nun unter sich um dieselbe zu balgen und zu verfolgen. Er wandte sich von Neuem zu seiner Tafel: aber nunmehr war auch die Zeit erschienen, in welcher die eigentlichen Vorleger der Speise auf dem Schauplätze ankamen.

Meines Dieners Falkenauge entdeckte fern von uns in sehr bedeutender Höhe den ersten in Schraubenwindungen sein Jagdgebiet absuchenden Ohrengeier (Vultur auricularis). Ich fand den Vogel erst nach langem Suchen auf; er erschien mir als kleiner schwarzer Punkt am dunklen Himmel – viel kleiner, als uns ein in den höheren Lustschichten sich tummelnder Mauersegler vorzukommen pflegt. Dieser Punkt nahte sich uns ungemein rasch, ohne irgendwelche Flügelbewegung, kreiste zwei oder drei Mal über dem Aase und zog plötzlich die Schwingen ein. Jetzt schwebte er nicht mehr, sondern fiel wie jeder andere schwere Körper mit der bekannten, sich von Augenblick zu Augenblick vergrößernden Geschwindigkeit sausend nieder. Es machte einen eigenthümlichen Eindruck, das gewaltige Thier mit solcher fabelhaften Schnelle näher und näher kommen zu sehen. Der dunkle Punkt verwandelte sich während einiger Secunden in einen Vogel, welcher den Schwan an Größe übertrifft! Es schien, als müßte der Geier bei seiner Luftfahrt zerschmettert werden; allein er wußte dem vorzubeugen. Denn schon in einer Höhe von etwa dreihundert Fuß über der Erde breitete er seine Schwingen wieder aus und minderte dadurch die Schnelligkeit des Falles mehr und mehr, bis er schließlich gemächlich herabschwebte.

Sein Erscheinen auf dem Aase scheuchte das kleine Gesindel augenblicklich zur Seite, wie die Ankunft des amerikanischen Königsgeiers (Vultur l’apa) die dortigen Aasgeier (Vultur aura und Vultur Jota) selbst mitten im Fressen von der Tafel jagt. Entsagend saßen alle Schwächlinge um den Gewaltigen; der Adler allein nahte sich ungescheut. Der Geier lief mit raschen Schritten auf das Aas zu, schwang sich auf dessen Leib, blickte stolz in die Runde und begann seine Mahlzeit. Mit zwei bis drei Schnabelhieben hatte er die starke und feste Haut zerrissen und wühlte nun in dem Fleische; bei jedem Bissen, welchen er abriß, schleuderte er größere oder geringere Brocken zur Seite; diese wurden [571] von dem Bettlergesindel, nach manchem Kampf unter sich, begierig aufgefangen. Während dem hatte sich die Gesellschaft um mehrere andere Geier (Vultur Rüppellii und Vultur fulvus) vermehrt, welche, wie der Ohrengeier, mit unbeschreiblicher Gier dem Aase zueilten. Da trat ein neuer Ankömmling auf: der Marabu (Leptoptilus crumenifer). Er schien gewillt, den Geiern ihre Mahlzeit streitig zu machen. Mit weit geöffnetem Schnabel stelzte er heran; der Ohrengeier richtete sich stolz auf und bereitete sich vor, den Frechen nachdrücklich zu empfangen. Er sah wahrhaft königlich aus, während er sich rüstete. Die Schwingen gebreitet, den nackten Hals und Kopf in Zornesfalten gelegt, den furchtbaren Schnabel geöffnet, erwartete er den gefräßigen, mit riesigem Keilschnabel bewehrten Gegner. Dieser schien diesmal nicht gesonnen, einen Kampf anzunehmen, sondern blieb in seiner Fechterstellung stehen, und die Mahlzeit der Geier ging weiter.

Unser treffliches Versteck gestattete uns zwar einen ganz vorzüglichen Ueberblick der Gesellschaft, schien uns jedoch noch etwas zu entfernt, um später mit Erfolg unter die Schmaußenden zu feuern. Ich vertraute also endlich den Versicherungen meines Dieners, daß man an fressende Geier bis auf zwanzig Schritte herangehen könne, ohne sie in die Flucht zu jagen, und schlich mich, durch die Felsen gedeckt, bis auf etwa dreißig Ellen an die Vögel an. Der Erfolg zeigte, daß Aali wahr gesprochen; zugleich aber machte ich die später oft wiederholte Bemerkung, daß die noch herbeifliegenden Geier, wenn sie ihre Genossen auf einem Aase sitzen sehen, ohne die geringste Scheu dicht über und neben dem heranschleichenden Jäger vorbei nach dem Schmauße fliegen.

Von dem Gewimmel, welches jetzt am Aase stattfand, kann ich nur eine sehr dürftige Beschreibung geben, weil mir die Worte fehlen, es gehörig zu schildern. Die Geier zeigen während ihrer Mahlzeit eine Gier, als wollten sie sich auf Monate mit Speise versorgen. Mit wagrecht vorgestrecktem Halse, erhobenem Schwanze und schleppenden oder ausgebreiteten Flügeln eilen sie in mächtigen Sätzen auf das Aas zu, und hier beginnt nun ein Getreibe, ein Arbeiten, Streiten, Zanken, Beißen, Schlagen mit den Flügeln, Kreischen und Schreien, welches man gesehen und gehört haben muß, um im Stande zu sein, sich eine Vorstellung davon machen zu können. Die Ohrengeier halten sich mehr an die äußeren Fleischlagen des Aases; die langhälsigen Geier aber öffnen mit ein paar Hieben die Bauchhöhle, stecken ihren Hals bis zur weißen Krause in dieselbe und wühlen in den Eingeweiden herum. Manchmal reißt einer einen Darm heraus, sucht sich so viel als möglich davon zu sichern und zieht denselben, hastig vom Aase weglaufend, ellenlang aus dem Leibe; da stürzen sich dann die andern wüthend auf diesen leckeren Bissen, helfen den Darm noch länger ausziehen, suchen ihn für sich zu gewinnen, werden von andern ihrer Art wüthend angefallen; und es entsteht nun allemal ein heftiger Kampf, ein tolles Lärmen und ein wahrhaft babylonisches Wirrsal von Tönen und Gestalten. Alle Waffen gelten bei solcher Balgerei; die Vögel gebrauchen nicht blos Schnabel und Klaue, sondern auch die Flügel, um das Erworbene damit zu decken oder andere Gierige durch Schläge mit ihnen zu vertreiben. Beständig langen hungrige Gäste an und beginnen sofort Kampf und Streit mit den Fressenden, welche sich unter ingrimmigem Gekreische ihrer Haut wehren. Die Marabus und, wenn das Aas in der Nähe bewohnter Ortschaften liegt, auch alle Hunde des Dorfes benutzen solchen Zwiespalt und nahen sich während des Kampfes der Speise; die ersteren schlingen dann rasch ungeheure Bissen hinab und füllen in einer Minute ihren Kropfsack so an, daß er fußlang ausgedehnt wird; die Hunde eilen zähnefletschend zwischen den gefährlichen Vögeln hindurch und reißen, mit ihren Füßen sich anstemmend, rasch ein Maul voll Fleisch herunter; denn die Geier dulden keine Beeinträchtigung ihres Gewerbes. Kaum erblicken sie die fremden Eindringlinge, so lassen sie von allem Zwist und Hader unter sich ab und stürzen sich auf Jene. Jetzt beginnt ein neuer Abschnitt des Kampfes. Weder die Hunde noch die Kropfstörche weichen gutwillig, sondern beide vertheidigen sich nach Kräften. Knurrend und bellend springen und schnappen die Hunde nach den auf sie zustürzenden Geiern, diese weichen dem Bisse aus und hauen nun ihrerseits mit dem Schnabel nach den Vierfüßlern. Gelingt es ihnen, einen derselben zu treffen, dann hört man lautes Geheul und gleich darauf wüthendes Bellen, Knurren und Kreischen, bis zuletzt der Hund seine Tracht Hiebe weg hat und mit eingeklemmtem Schwanze heulend das Feld räumt. Der Marabu haut mit seinem schweren Schnabel rücksichtslos in solches Getümmel und sucht sich nach allen Seiten hin das Feld frei zu halten; aber auch er wird gar nicht selten von den Geiern besiegt. Ueber der ganzen Gruppe schweben und flattern während eines solchen Kampfes alle kleineren Schlecker beobachtend umher, nur darauf lauernd, für einen Augenblick eine freie Stelle des Aases zu erspähen, auf welche sie dann im Nu herabstürzen, um hier bis zu ihrer Verdrängung sich gütlich zu thun.

Auf ein solches Schauspiel waren jetzt unsere Blicke gerichtet. Der Marabu hatte uns erspäht und spazierte, scheinbar mit der größten Seelenruhe, auf und davon; die Geier aber waren viel zu sehr mit ihrer Mahlzeit beschäftigt, als daß sie uns beachtet hätten. Ich gebot Aali, sein Gewehr zu spannen und so bereit zu halten, daß ich es sofort erhalten könnte, wenn ich das meinige abgeschossen haben würde. Nun suchte ich mir das dichteste Gewimmel aus und zielte auf die Köpfe von sechs bis acht eifrig beschäftigten Geiern. Die ersten beiden Schüsse brachten eine außerordentliche Wirkung hervor. Zwei oder drei Geier sanken im Feuer zusammen; die übrigen erhoben sich nach einem Anlaufe von zwei senkrechten Sprüngen in die Luft. Das Gewimmel war aber so arg, daß einer den andern durch seine Flügelschläge am Fliegen hinderte und hierdurch ein wirrer Klumpen durcheinander flatternder Vögel entstand. Ich feuerte ohne allen Erfolg unter dieses Wirrsal der Vögel und war in so hohem Grade überrascht, daß ich beinah versäumt hätte, einem der Verwirrung entronnenen und ganz niedrig über mich wegfliegenden Ohrengeier die ganze Ladung des letzten Rohres in die Brust zu jagen. Trotz der geringen Entfernung schien der wohlgezielte Schuß wirkungslos geblieben zu sein. Der Geier zog ruhig weiter, hatte sich bereits in ziemliche Höhe erhoben und schien uns verloren zu sein; da legte er plötzlich seine Schwingen zusammen und stürzte, schon in der Luft verendet, senkrecht zur Erde. Seine übrigen Genossen schienen mehr erstaunt, als erschreckt zu sein. Die Raben und Milane hatten schon längst die Höhe gewonnen und schrieen uns aus Leibeskräften ihre Verwünschungen zu, die Geier dagegen waren nur theilmeise verschwunden. Eine große Anzahl hatte sich nach den Schüssen sofort wieder niedergelassen und saß ruhig auf den nächsten Felsenzacken und auch im Thale selbst. Der Versuch, sich ihnen zu nahen, war jedoch vergeblich. Sie hatten blos die Ursache der Unterbrechung ihrer Tafel erforschen wollen und ergriffen scheu die Flucht, als wir mit frisch geladenen Gewehren auf sie zugingen. Blos zwei von ihnen liefen ganz unbefangen auf und nieder; ihre hängenden Flügel belehrten mich, daß es flügellahm Geschossene waren. Als sie mich auf sich zukommen sahen, erbrachen sie zunächst alle im Kröpfe aufbewahrte Nahrung und flüchteten dann laufend. Ich holte den einen mit Mühe ein und schickte mich an, ihn zu ergreifen. Dies war aber keine leichte Aufgabe, Der Verwundete kehrte sich gegen mich, duckte sich etwas nieder und lauerte mit eingezogenem Halse blitzenden Auges auf den Augenblick, mich mit seinem furchtbaren Schnabel ergreifen zu können. Meine Bemühungen, ihn mit dem Gewehrlaufe niederzudrücken, waren umsonst; denn er wußte sich immer frei zu machen. Da kam mir Aali zur Hülfe und fing den Vogel mit leichter Mühe, indem er ihm sein Umschlagetuch über den Kopf warf und ihn darin verwickelte. Er wurde gebunden und auf den Rücken gelegt; dann gingen wir dem zweiten nach. Dieser schien sich fast erholt zu haben und wäre uns sicher entkommen, wäre einer seiner Flügel nicht unbedeutend verletzt gewesen. So wurde auch er eingeholt und zu den andern gebracht. Das Ergebniß der Jagd war sehr zufriedenstellend: wir hatten zwei Ohren-, drei langhälsige und einen armen schmutzigen Aasgeier erbeutet, und zogen stolz auf unsere stinkende Beute dem Dorfe zu, um dort das mühselige Geschäft des Abbälgens und Ausstopfens vorzunehmen.

Später habe ich während meines Aufenthaltes in Charthúm drei Monate nach einander auf Geier gejagt. Dabei hatte ich Gelegenheit, dieselben so oft und so genau zu beobachten, als ich mir wünschen konnte. Die Ergebnisse dieser Beobachtungen habe ich zum Theil schon hier mit erwähnt; das noch Fehlende erzähle ich vielleicht ein anderes Mal an dieser Stelle.

Der beistehenden Abbildung liegen sorgfältige Studien lebender Geier und meine eigenen Angaben zu Grunde; sie darf sich in jeder Hinsicht einer großen Treue rühmen.



  1. Plural von „Nissr“ – Geier – wörtlich „der Zerfleischende“.
  2. Ich habe später diese Vögel beobachtet, wie sie einem Bewohner Charthúms ein Stück Fleisch aus einer Mulde nahmen, welche dieser offen auf dem Kopfe trug.