Textdaten
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Autor: Fr. Hofmann
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Titel: Ein Geheimniß im Bierreiche
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 99–100
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1872
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein Geheimniß im Bierreiche.
Culturgeschichtliche Skizze von Fr. Hofmann.


Eine Stunde von Leipzig, in nördlicher Richtung, nach dem Schlachtfeld von Breitenfeld hin, liegt Eutritzsch, jetzt eines der Leipziger Vorstadtdörfer mit einigen Tausend Einwohnern, vielen städtischen Gebäuden, Gewerben und großen Fabrikanlagen. Dazumal aber, wo die Zimmerleute die Jahrzahl 1640 in den Tragbalken der Kneipstubendecke eingehauen, der noch jetzt im Erdgeschoß des Hauses steht, das wir uns heute zum Wallfahrtsziel ausersehen, war Eutritzsch ein richtiges Bauerndorf und das genannte Haus lag an der Heerstraße, denn es war ein Wirthshaus, und Dorf und Kneipe sollen sich durchaus nicht durch besondere Reinlichkeit hervorgethan haben. Auch hundert Jahre später scheint der Ort noch nicht viel reputirlicher ausgesehen zu haben, und dennoch fiel auf denselben das Lächeln eines seltenen Glücks. Der alte Dessauer, wie Se. Durchlaucht Fürst Leopold von Anhalt-Dessau bekanntlich kurzweg benannt wurden, kam an einem heißen Augusttage des Wegs daher und steuerte auf unsere Schenke los. Wir wissen zwar nicht, ob der hohe Herr auf der heillosen Straße gefahren oder geritten ist, nur das Eine steht urkundlich fest, daß er einen sehr großen Durst hatte. Diese schöne deutsche Gottesgabe paßte jedoch schlecht zu dem schauderhaften Trank, welchen der Wirth mit unterthänigstem Herzklopfen dem gestrengen fürstlichen Herrn darreichen mußte, denn er hatte nichts Besseres. Der leidige Bierzwang machte damals Wirthen und Trinkern das Leben sauer, und es geschah den Fürsten ganz recht, wenn sie selber einmal darunter zu leiden hatten. Der alte Dessauer besaß jedoch ein gar wackeres Gemüth, ihn dauerte die hiesige Menschheit mit ihrem erbärmlichen Getränk, und so verhieß er dem Wirth, ihm ein besseres Bier zu besorgen und die Erlaubniß dazu, es auch ausschenken zu dürfen. Und der hohe Herr hielt Wort, er ließ ihm „Gose“ senden und ward dadurch der Stammvater der Gosenbrüder, die in Eutritzsch und dem gesammten Leipziger Gosenbezirk ihn noch heute, nach fast anderthalbhundert Jahren, für das ihnen zugeführte Labsal mit ungeschwächter Dankbarkeit verehren.

Was ist nun diese Gose, welche so viele verständige Leute fast bis zur Begeisterung entzücken kann? Ein Weißbier, über dessen Geschichte und sonstige Umstände wir hiermit Alles berichten wollen, was wir darüber zu erforschen vermochten.

Dem Flüßlein Gose, das bei Goslar vorüber in die Ocker fließt, verdankt unser Weißbier Ursprung und Namen. Wie von manchem anderen Biere, zum Beispiel dem weltbekannten gelbgrünlich, wie die zusammengeflossene weimarische Landesfarbe, aussehenden Lichtenhainer (bei Jena), wurde auch von der Gose behauptet, daß sie ihre absonderlichen Eigenschaften nur dem Wasser des Flüßchens verdanke, aus welchem sie gebraut wurde. Trotzalledem gelang es in dem dessauischen Dorfe Glauditz ein Weißbier herzustellen, das als Gludscher Gose um das Jahr 1730 seinen Einzug in und um Leipzig hielt, denn nichts weniger, als diese Gludscher Gose, das Erzeugniß seines eigenen Landes, war es, was der alte Dessauer in der darnach benannten „Gosenschenke“ zu Eutritzsch eingeführt hat.

[97]

In der Gosenstube zu Eutritzsch.
Nach der Natur aufgenommen von G. Sundblad.

[98] In welchem Grade diese Gose die Gemüther der Leipziger für sich einnehmen konnte, dafür zeugt ein im Jahr 1780 geschriebenes Gedicht „Der Gosenbruder etc.“, in welchem unter Anderem

„Auch Frauenzimmer mit bei blanken Gosenflaschen,
Jung, niedlich, schön frisirt, mit seidnen Stricketaschen“

vorkommen. Wenn nun ein Reisender um dieselbe Zeit erzählt: „Seithalb Gohlis liegt ein berufener Luftort, der vorzüglich zum Kirchweihfeste von Tausenden besucht wird, Eutritzsch genannt. Der Weg dahin ist höchst traurig, das Dorf selbst kothig, die Schenke eine wahre Kneipe. Aber der Ruf der guten Gose und Bratwürste lockt dennoch Menschen in Menge in diesen – –“, so kann dies dem Ruhm der Gose durchaus keinen Eintrag thun, sondern beweist nur, daß sie schon damals in allen Ständen Leipzigs ihre Verehrer hatte.

Um so härter war der Schlag, welcher durch die Napoleon’sche Grenzsperre plötzlich die große Gosengemeinde traf. Die gelbe Quelle der Gemüthlichkeit war verstopft, Wirthe und Trinker standen da voll unbeschreiblichen Jammers.

Aber – „Gott verläßt keinen Deutschen!“ – Zur selben Zeit, da Napoleon sich so schwer an Leipzig versündigte, setzte ein Leipziger Kaufmann sich in den Besitz des Ritterguts Döllnitz bei Halle und ward ein neuer „alter Dessauer“ für seine nach Gose lechzenden Mitbürger. Johann Gottlieb Goedecke war sein Name. Zu jenem Besitzthum gehörte eine kleine Weiß- und Braunbierbrauerei und zu dieser ein Mann von Goldeswerth, der Braumeister Ledermann, dem es gelang, hinter das Geheimniß der Herstellung der Gludscher Gose zu kommen. Alle Gosenbrüder lebten wieder auf, Jubel erfüllte Leipzig, Haus um Haus erweiterte sich die Döllnitzer Brauerei, um den riesenhaft ansteigenden Bedarf zu befriedigen, und als Napoleon seine gerechte Strafe für seine Missethat gegen die Gosenbrüder an Ort und Stelle empfangen und seine Schlagbäume niederfielen, hatte die Gludscher Gose alle ihre Getreuen eingebüßt und die Döllnitzer behielt das Feld und behauptet es bis auf den heutigen Tag.

Das ist die Geschichte der Gose. Nun zu ihr selbst. Für das große Publicum ist die Gose ein Doppelweißbier von Weizen, Gerste und Hopfen, dem, nach der Versicherung der Brauherren, keinerlei schädliche Ingredienzen beigemischt sind, und das schon durch seine äußere Erscheinung die staunenden Augen des Fremden auf sich zieht, denn es wird auf eine größere Art Bocksbeutel mit sehr langen Hälsen gefüllt, in welchen es die Hefe nach oben treibt, so daß letztere die Flasche schließt und den Korkstöpsel unnöthig macht, der deshalb bei diesen Gosenflaschen auch gar nicht in Anwendung kommt.

Der Sachkenner dringt in das Wesen des Getränkes ein und unterscheidet es nach dem Alter: Gose von allzugroßer Jugendlichkeit bezeichnet er als Birnbrühe, die gar zu alte als Essig, die aber, die in der rechten Mitte steht, begrüßt sein strahlender Blick als Limonade mit Geist, und zwar mit dem fröhlichen Geist des Weins. In der That ist diese Mittelgose in ihrer allerdings sehr kurzen „besten Zeit“ ein ebenso liebliches als gesundes Getränk, das nicht blos den Sommerdurst auf das Angenehmste löscht, sondern auch im Winter trefflich bekommt. Die liebenswürdigste Wirkung äußert diese Mittelgose auf das Gemüth: es überkommt den frommen Trinker am Stamm- wie am Wandelgasttische das Gefühl einer ungeheuren Heiterkeit und Gutmüthigkeit, nur fröhliche Rede belebt die Tische, das Auge begegnet überall lachenden Augen, das Blut rollt so leicht durch die Adern, kurz, wir empfinden das wohlthuende Gefühl einer Seele, die durch keine körperliche Belästigung gestört wird, sondern vielmehr im Behagen jeder körperlichen Erleichterung schwelgt. Ja, nicht „das Kaiserreich“ – wie nun alle Welt einsieht, – sondern, wie anderthalbhundertjährige Erfahrung bezeugt, „die Gose ist der Friede!

Wenn nun der Spürsinn des Fremden etwa dennoch in einem Winkel der Gosenschenke zerschlagene Stuhlbeine und Aehnliches auffinden sollte, so rührt dergleichen nur von der Birnbrühe und dem Essig her, die allerdings geeigenschaftet sind, die Milch der frömmsten Denkungsart in gährend Drachengift zu verwandeln. Und das Schlimmste ist, daß der einzige Retter in der Noth, welche die Gose in ihrem äußersten Jugend- und Alterszustand dem Trinker bereitet, selbst wieder ein höchst gefährliches Brüderpaar ist: der Kümmel und der Nordhäuser, welch letzterer in der altberühmten „Kümmelapotheke“ zu Eutritzsch noch vor dem jüngsten Zwangsbesuch der Franzosen in Deutschland schon als „Maison du Nord“ credenzt wurde. Der üble Ruf, in welchem bei Unkundigen die Gose im Allgemeinen steht, rührt blos von dem Viergespann von Getränken her, deren Namen wir dem Leser deshalb gesperrt in die Augen fallen lassen, als wie auf einer Warnungstafel. Dagegen lobt selbst die Limonade sich einen feinen Begleiter für den Heimweg, und das ist das Knickebein, ein Liqueurchen mit einem Eidotter, das selbst Frauenlippen wohl ansteht und die Gemüthlichkeit der Gosenbrüder mit einem bis nach Hause ausdauernden Feuer verstärkt.

Angesichts des außerordentlichen Bedarfs der beiden Gosenhauptstädte Leipzig und Halle nebst weiter Umgegend liegt die Frage nahe: Warum läßt die rührige Concurrenz dieses Feld unbetreten? Antwort: Das Gosenbraugeheimniß existirt wirklich, ist keine Fabel der Speculation. In der That wurde auch der Versuch gemacht, durch chemische Forschung hinter das Geheimniß zu kommen, der Leipziger Brauherr Naumann wendete mehrere Tausende von Thalern daran, aber alle Erforschungen und Brauversuche führten nicht zum Ziel. Naumann stellte allerdings ein der Gose ähnliches Weißbier her, aber die Gose selbst war es nicht, die „Limonade mit Geist“ war nicht zu erreichen, und man ließ es bei dem Versuch bewenden. Worin nun aber früher das Glauditzer und jetzt das Döllnitzer Geheimniß besteht, das ist eben das Geheimniß, das Niemand erräth, weil es in der einen Familie ruht, die durch dasselbe steinreich geworden ist. Man sagt: wenn das Bier eine genau bestimmte Zeit lang im Sieden gewesen sei, werde ein Pulver hineingeschüttet, dessen Bestandtheile der Gose ihren absonderlichen Charakter verleihen. Das ist recht schön, reißt jedoch in den Vorhang des Geheimnisses nicht das kleinste Loch.

Dagegen ändert dies natürlich das Verhältniß zwischen der Brauerei und den Schenkwirthen. Wenn bei allen Lager- und Versandbier-Brauereien die Concurrenz die Zügel des Consums führt, ist der einzige Gosenproducent Alleinherrscher in seinem Bereich, und es ist eine Gnadensache, eine ganz besondere Vergünstigung von seiner Seite, wenn er einen neuen Consumenten zum Vertrieb seiner Waare zulassen will. Jeder der jetzt einundzwanzig Gosenwirthe in und um Leipzig bezieht ein bestimmtes Quantum nach der Durchschnittszahl seiner Gäste, und in der Regel nie mehr und nie weniger. Es ist eine sehr anerkannte Gefälligkeit, wenn der Gosenverleger bei schlechtem Wetter, wo der städtische Vertrieb stärker ist, als auf dem Lande, oder bei schönem Wetter, wo der umgekehrte Fall eintritt, dem augenblicklichen Mehrbedürfniß Rechnung trägt. Um auch Zahlen sprechen zu lassen, so berichten wir zum Beispiel aus der Eutritzscher Gosenschenke, daß sie stets 6-7000 Flaschen im Gang hat und durchschnittlich in der Woche 13–1500 und im Jahre nahe an 70,000 Flaschen verschenkt, und dabei ist sie noch nicht die stärkste Vertriebsstelle. In Döllnitz braut man jede Woche vier Mal und stets zwischen 22–25 Viertel, in der Woche also etwa 90 Viertel. Ein Viertel enthält etwa 210 Flaschen. Das Gebräude zu 90 Viertel (à = zwei Tonnen) wöchentlich angenommen, würde dies 982,800 Flaschen geben. Da aber manche Gebräude stärker ausfallen, so ist die Annahme der runden Zahl von einer Million Flaschen jährlichen Gosenconsums gerechtfertigt.

Ebenso schwierig als wichtig ist die Behandlung der Gose von Seiten des Schenkwirths. Er bekommt dieselbe noch warm in Fässern von zwei Tonnen oder zweihundert preußischen Quart, und zwar erfordert der Transport auf dem vier und eine halbe Stunde langen Wege von Döllnitz nach Leipzig namentlich in heißer Sommerszeit außerordentliche Vorsicht. Sobald die Gose im Brauhaus transportfertig ist, wird sie auf die Fässer gefüllt und hier erst wird jedem Fasse die entsprechende Masse Hefe zugesetzt. Diese treibt nun, je nach dem Grade der Luftwärme, mehr oder weniger mächtig und würde das Faß zersprengen, wenn dem nicht durch eine kleine verschließbare Oeffnung neben dem Spundloch vorgebeugt würde. Diese Oeffnung heißt das Zwickloch und es muß während der Fahrt im Sommer mehrmals gelüftet werden, weniger im Frühling und Herbst, und nur an kalten Wintertagen gar nicht; an solchen geschieht’s auch, daß die Gose erkaltet, im Sommer kommt sie in der Regel noch warm in Leipzig an. Ebenso kommt auch das Zersprengen der Fässer in heißer Jahreszeit nicht selten vor.

[99] Ist das Faß glücklich im Keller angelangt, so wird das Zwickloch verstopft und der Spund geöffnet, damit die Hefe austreten kann. Sobald die Hefe abgestoßen hat, d. h. wenn keine mehr austritt, und das geschieht ebenfalls je nach der Temperatur langsamer oder rascher, so läßt man die Gose in Wannen laufen und füllt aus diesen sie in die Flaschen über.

Liegt endlich die Gose auf Flaschen im Keller, so gilt es für den Gosenwirth, nun die rechte Zeit des Reifwerdens derselben abzuwarten, und reif ist sie, sobald sie die Weinsäure angenommen hat. Dies geschieht natürlich ebenfalls im Sommer rascher, als im Winter, wo oft zehn bis zwölf Wochen dazu gehören, ehe aus der Birnbrühe Limonade geworden ist. Die größte Gefahr für die Gose jeden Grades ist die Gewitterschwüle: ein einziges starkes Gewitter kann alle Gose des Gewitterstrichs in Essig verwandeln, und es kommen auch diese Fälle vor, daß man das so mit einem Schlage verdorbene Getränk massenhaft fortlaufen lassen muß. In dem langhalsigen großen Bocksbeutel steigt nun die Hefe nach oben und verschließt die Flaschen, indem sich ein starker Hefenstöpsel bildet, der auch der ferneren Entweichung der in der Gose reichlich enthaltenen Kohlensäure einen Damm setzt. Wie diese Art Flaschengose in Leipzig, herrscht in Halle die sogenannte Stöpselgose vor. Um nämlich von dem Kohlensäurereichthum der Gose nichts entweichen zu lassen, füllt man dort die Birnbrühe in Champagnerflaschen und bringt sie unter festen Korkverschluß. In diesem Kerker entwickelt sie sich zur feinsten „Limonade mit Geist“, die ebenfalls ihre Anbeter hat und verdient.

Der Leipziger lobt sich die freie Tochter der langhälsigen Flasche und behauptet, daß selbst der Luftzug im Keller von Einfluß auf den Inhalt der Flaschenreihe sei, über die er hinstreiche. Giebt es doch Gosentrinker von so feiner Zunge, daß sie den Platz im Keller angeben, an welchem ihre Gose gestanden, ob im scharfen Zug, ob daneben oder im Winkel.

Mehr als jeder andere Wirth muß der Gosenwirth auf ein bestimmtes Publicum rechnen können, und von großem Werth ist für ihn ein wohlbesetzter Stammtisch. Die Gäste an diesem erhalten die Gose stets nach ihrem Geschmack, und dieser Geschmack ist wieder sehr verschieden: er reicht von der Grenze der Birnbrühe bis zu der des Essigs, hält sich aber vornehmlich an die edle Mitte, die ihm allezeit gesichert bleibt. Der Wandel- und Sonntagsgast wird auch in die beiden ersteren Gebiete verwiesen, und das allein trägt die Schuld daran, wenn an solchem Sonn- und Kirmestage die Gose einmal nicht der Friede ist.

Betreten wir, zu unserer Belohnung nach diesem Gange durch die Geschichte und Charakteristik der Gose, den alten Gosentempel selbst, die Stube im Erdgeschoß der alten Gosenschenke, die den schlimmsten Rest des dreißigjährigen, den siebenjährigen und den Franzosen- und Preußenkrieg überstanden hat. – Wir gelangen in die alte niedrige, aber sehr geräumige Schenkstube durch die Thür, welche sich im Hintergrunde unserer Illustration rechts neben dem großen Wappen öffnet. Gleich zur Rechten, durch einen Bretterverschlag gegen den Luftzug geschützt, thronen um den mächtigen ehrwürdigen Eichentisch und unter dem Uhrschranke die Braven des Stammtisches. In der Ecke links führen einige Treppen auf die Empore des Schankcabinets, welches die Gaststube mit der Küche verbindet. Von dem gediegenen Manne am Tische zur Linken, der soeben seine Stange füllt, kann der Neuling etwas lernen. So hält der Sachverständige seine Flasche, um genau sehen zu können, wann die Hefe auf dem Flaschengrunde sich in Bewegung setzt. Neigte der Einschenkende die Flaschenmündung nur noch ein Weniges tiefer, so würde die Hefe sich auf den Weg machen und mit ihrer Trübe und Dicke Farbe und Geschmack der ganzen Stange verderben. Auf dem Tische zur Linken liegt eine Zeitung, deren Redacteur einen Ehrenplatz am Stammtische behauptet. An eine geschäftliche Sitte des Hauses erinnert uns Bruder Studio neben der Säule des Vordergrundes. Es hilft dem Gedächtnisse nach und erleichtert die Rechnung, daß der Kellner keine unbezahlte Flasche vom Trinkertisch wegnimmt. Wir sehen daher, daß der akademische Zecherkreis vor der Hand „sieben Gosen“ vertilgt hat, falls nicht an der andern Tischseite eine ähnliche Niederlage bestehen sollte. Das schon erwähnte Wappen im Hintergrunde ist ein Carnevalsgeschenk; auch die Gosenbrüder erschienen einmal im großen Leipziger Narrenfestzug, und die Inschrift ihres Wappens, „Gosi fan duttig“, belehrt die Menschheit, daß die Gose den Verstand wackelig mache.

Wer aber ist’s, den die alte Dorfkneipe so hoch verehrt, daß sie sein Bild aufhängt? Da seht ihn, den alten Dessauer, da schaut er herab von der Säule, wie er leibte und lebte, und freut sich der braven Jungen, die zu seinen Füßen so kräftig in seinem Leibtrunke arbeiten, und der lieblichen Schönen, denen derselbe ebenfalls so gut schmeckt, und der Alten am Stammtische und der ganzen gosefröhlichen Welt. Es giebt viele Denkmäler, die mehr kosten als dieses Oelbild; aber nur wenige sind harmloser verdient und werden von fröhlicheren Menschen in Ehren gehalten, als dieses des Stammvaters der Gosenbrüder in ihrem Eutritzscher Paradiese.