Textdaten
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Autor: Elise Polko
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Titel: Ein Dichterblick
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 400–401
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Jean Paul Richter in Dresden
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Ein Dichterblick.

Skizze von Elise Polko.

„Die Stätte, die ein guter Mensch betrat,
Ist eingeweiht für alle Zeiten.“


Goethe.

In der sogenannten Lößnitz, diesem lieblichen Weingarten Dresdens, wo Villa an Villa sich reiht, und die ganze Landschaft, von der frischen, lebendigen Elbe durchströmt, uns an das Gesicht eines glücklichen Kindes gemahnt, liegt ein weißes Haus mit einem kleinen Thürmchen, unten am Fuße der Berge. – Etwas zurückgeschoben zwischen den Weinhügeln liegt es da, so umrankt von Rosen, so versteckt in Buschwerk, so tief beschattet von hohen Bäumen wie Dornröschen in seiner süßen Einsamkeit. – Ueber sein schlichtes Dach sind schon viele, viele Jahre hingezogen, an seinen Fenstern hat schon mancher Sturmwind gerüttelt, liebliche Gestalten, die schon längst begraben und vergessen sind, wandelten unter dem Schatten der alten Kastanien auf und nieder, und doch schaut das Haus noch so jugendlich aus dem Grün hervor, als erlebe es den ersten Frühling. Vor der Hausthür steht eine breite Steinbank, woselbst sich eine bezaubernde Aussicht aufschließt auf Elbflorenz und die fernen Berge der sächsischen Schweiz. Auf diesem Plätzchen eben saß einst ein Mann, von dessen ewiger Jugend vielleicht ein Hauch hinüberwehete zu dem kleinen Hause; Der Mann hieß Jean Paul Friedrich Richter.

Die Nachricht, der Dichter des „Titan“ wird Dresden besuchen, setzte im Mai des Jahres 1822 die höheren Kreise der Bevölkerung der Hauptstadt in freudige Bewegung. Jean Paul’s Name flog von Lippe zu Lippe, man redete von seiner Ankunft wie von einem Staatsereigniß, man sah der Erscheinung des schlichten Schullehrersohnes aus Wunsiedel mit einer Spannung entgegen, die ihren Ausdruck in tausend belustigenden Extravaganzen fand. Besonders waren es die Frauen, die sich darnach sehnten, dem neuen begeisterten Frauenlob Gruß und Dank entgegenzutragen; eine Unruhe und Erwartung hatte die Schönen ergriffen, ähnlich jenen fieberhaften Ballgefühlen siebenzehnjähriger Mädchen. Diese Aufregung durchzitterte das friedlichste Familienleben und erpreßte manchem Vater und Ehemann tiefe Seufzer. Einige der begeistertsten Verehrerinnen des großen Dichters verließen viele Tage lang am frühen Morgen schon das Haus, um sich auf der leipziger Straße aufzustellen, und jeden Wagen zu untersuchen, der des Weges daher kam.

Unglücklicher Weise kam der Ersehnte in der Nacht an und schaute eines Morgens sehr behaglich im großblumigen Schlafrock und langer Pfeife zum Eckfenster des zweiten Stockwerks der Stadt Wien heraus. Von Stunde an verwandelte sich die Wohnung Jean Paul’s in eine Festung, die eine Schaar junger und alter Belagerinnen zu stürmen versuchte.

Man begnügte sich nicht mehr mit dem Anblick des gefeierten Mannes, man verlangte ihn reden zu hören, von ihm bemerkt zu werden, ihm zu gefallen. Der erste Sturmlauf galt freilich dem alten Stiefelputzer des Gasthauses, der Mann sollte allerlei wunderbare Dinge ausliefern, als da sind: Läppchen von einem gewissen großblumigen Schlafrock, Stückchen von einer gewissen Federfahne, geweihte Asche aus einer gewissen Pfeife u. dgl. mehr. Zahllose Kugeln in Gestalt kleiner und großer Briefe flogen in die Festung, sie waren unterzeichnet mit „Lina“, „Beate“, „Liane“, „Klothilde“ oder „Giulia“, nur fand sich keine „Lenette“ vor. Blumen und Kränze bildeten das schwere Geschütz, und der intelligente Stiefelputzer legte bald sein mühseliges Geschäft nieder, um einen sehr einträglichen Kleinhandel zu eröffnen mit welken Blumen und vertrockneten Blättern.

Der Aufenthalt Jean Paul’s in Dresden glich einem ununterbrochenen Feste. Die Bevorzugten, in deren Häuser der große Dichter sich einführen ließ, gaben ihm zu Ehren die glänzendsten Gesellschaften. Man schleppte ihn von einem Gastmahl zum andern, besang und bekränzte ihn, wo er sich nur blicken ließ, und die Wahl seiner Tischnachbaren und besonders die Wahl seiner Tischnachbarinnen gab gar oft Veranlassung zu Familienzwistigkeiten, die dem bekannten Streite der Montecchi’s und Capuletti’s an Bitterkeit wenig nachstanden. Die Gegenstände, die der Gefeierte berührte, waren, insofern sie sich bewegen ließen, keinen Augenblick vor Entführung sicher, Löffel Teller, Messer und Gläser konnten nur durch ganz besondere Energie der Bedienung oder persönliche Ueberwachung der Hausfrau geschützt werden; die vornehmsten Gäste scheuten sich nicht, nach dergleichen Reliquien die Hand auszustrecken.

Der einfache, kindliche Jean Paul wurde von all diesem Treiben ermüdet und gelangweilt. Die ewigen Citate aus seinen Werken, mit denen man ihn bewirthete, die überschwenglichen Lobsprüche und zierlichen Phrasen, die man ihm in’s Gesicht warf, peinigten ihn. Nirgends begegnete er dem Ausdruck einer natürlichen Begeisterung, alle die Mienen, alle die Worte, alle die Bewegungen erschienen ihm gemacht, geschraubt. Er sehnte sich schon nach kurzer Zeit hinweg aus den glänzenden Sälen und prachtvollen Boudoirs und folgte mit wirklichem Entzücken der Aufforderung eines Freundes, die Lößnitz mit ihm zu besuchen. –

Es war ein unvergleichlich schöner Maitag. Der Frühling selbst schien den Mann feiern zu wollen, der seine Reize mit so unnachahmlichen Farben gemalt, der seine Schönheit so oft und so begeistert gepriesen. Die blühenden Bäume standen in den Gärten und an den Wegen wie geputzte Kinder und streckten ihm ihre Riesenbouquets entgegen, und auf der Erde waren die Blumen so dicht gestreut wie noch nie. Des Dichters Herz ging in heller Freude auf, er konnte sich nicht satt sehen an dem Zauber der Landschaft. Zurückgelehnt im bequemen Wagen rollte er heiter jener Villa zu, die wir am Anfang dieser Skizze beschrieben, und die den lieblichen Namen Friedstein trug. Die große Gesellschaft, die ihn beim Aussteigen umringte, entlockte ihm aber einen tiefen Seufzer, also auch hier sollte er sich anstaunen lassen! Der Besitzer der Villa trat ihm mit seiner wunderschönen Frau voll dankbarer Freude entgegen, und führte ihn in den Kreis der Gäste.

Jean Paul ließ seine Augen sanft grüßend von einer Gestalt zur andern gehen, zerstreut hörte er allerlei Namen an sein Ohr schlagen, zerstreut erwiederte er die feierlichen Begrüßungen. – [401] Da sank sein Blick plötzlich auf seiner langsamen Wanderung in ein blaues Augenpaar, in die Augen einer blonden, zarten Frau, die ganz allein seitwärts von den Andern stand. In demselben Augenblick stieß sie einen hellen Schrei aus, es war fast der Jubelruf eines Kindes, die leichte Gestalt flog schneller als Worte zu sagen vermögen, auf den Dichter zu, schlang die Arme um seinen Nacken und drückte lachend und weinend zugleich einen feurigen Kuß auf seine Lippen. Jean Paul umschlang unwillkürlich das liebe Geschöpf und drückte es an seine Brust, dann bog er das jugendliche Antlitz der Schwärmerin sanft zurück, sah sie lange an und sagte mit seelenvoller Innigkeit: „Kind! soll ich sagen, liebes oder böses Kind, was thust Du mir an?“ – Da riß sich die Hocherröthende plötzlich los von ihm, sah ihn noch einmal an, und lief dann dem Hause zu, Niemand hielt sie zurück.

Auf Jean Paul’s Frage nach dem Namen dieses holden Wesens, flüsterte man ihm zu, daß es die etwas excentrische jüngere Schwester der liebenswürdigen Wirthin sei, dann aber vermied man sichtlich jenen Vorfall wieder zu berühren, redete viel, war geistreich nach Kräften, streifte durch den Garten und setzte sich endlich zum Souper nieder. Auch hier erschien die junge Enthusiastein nicht. Des Dichters Gedanken suchten sie, und doch wagte er nicht, nach ihr zu fragen. Aber er wurde immer zerstreuter und unruhiger. Seine Tischnachbarin, eine längst verblühte Rose, bemühte sich auf alle erdenkliche Weise seine Aufmerksamkeit zu erregen. Hatte sie nicht ein Recht bemerkt zu werden von Dichteraugen, sie – selbst Dichterin, die so manches Lied von Frühling und Liebe im Musenalmanach gesungen, sie, die den Titan und Hesperus fast auswendig herzusagen wußte. In ihrer Verzweiflung ließ sie endlich die letzte Mine springen und redete ihren gefeierten Nachbar in Versen an. – Das schien zu wirken. – Jean Paul zuckte auf, wendete sich zu ihr, fuhr einige Mal mit seiner rechten Hand in sein Haar, blickte seine Nachbarin starr an, seufzte tief, schlug endlich mächtig auf seine Brust und sagte: „Rathen Sie, meine Gnädigste, wie viel mich diese gelbe Weste gekostet!“ – –

Dem Donnerschlag dieser Frage folgte eine gewitterschwüle Pause. Die Gefragte sah beleidigt aus. Die Nahesitzenden flüsterten das Gehörte den Ferneren zu, Alle nahmen diese Jean Paul’schen Worte mit feierlichen Mienen auf, die Unterhaltung stockte. – Da rief ein junger Mann von bescheidener Haltung, der dem Dichter gerade gegenüber saß, der Nachbarin des Gefeierten heiter lächelnd zu: „Das war mehr als ein Jean Paul’scher Sprung, wie Sie ihn so oft im Titan und Hesperus bewundert, gnädiges Fräulein, das war sogar ein Jean Paul’scher Fall. Bemitleiden Sie ihn, er stürzte aus dem Himmel Ihrer Augen in einen Zeugladen in der Neustadt, wo man billige Westen kauft!“

Der Dichter rief „Bravo“ und lachte herzlich, die ganze Tischgesellschaft stimmte ein, die verblühte Rose aber nickte dem freundlichen Trostspender holdselig zu.

Die schöne Hauswirthin hob die Tafel auf, Jean Paul nahm Abschied mit seinem Begleiter, der Wagen fuhr vor. Kurz vor dem Einsteigen zog aber der Dichter jenen jungen Mann, der ihm bei Tische gegenüber gesessen, auf die Seite und sagte sehr aufgeregt: „Sie wurden mir, dächt’ ich, als Bruder der Hauswirthin genannt. Sie haben ein gutes Herz und einen hellen Blick, das hab’ ich gesehen und gehört. Ich habe eine Bitte an das gute Herz und Vertrauen zu dem hellen Blick. – Sie müssen mir noch einmal den Anblick jener Schwester verschaffen, die dem glücklichen Dichter den schönsten Lohn so süß und und voll an’s Herz warf! Das war Natur, reiches, köstliches Ueberwallen eines Frauenherzens! – Ich will, ich muß sie noch einmal sehen, bald sehen und reden hören! Der liebe Kopf weicht mir nicht aus den Gedanken und die liebe Gestalt nicht aus dem Arm. Sie müssen mir helfen und Sie werden es thun. Bringen Sie mir die Antwort morgen in mein Zimmer, wir können hier nicht länger ungestört mit einander reden.“

Eine halbe Stunde nach diesen hastig ausgestoßenen Worten rollte Jean Paul an der Seite seines Freundes dem anmuthigen Dresden wieder zu.

Am folgenden Tage erhielt er einen gar reizenden Strauß von frischen Wald-, Feld- und Wiesenblumen und dazu folgende Zeilen:

„Will unser lieber Jean Paul, dessen großem Herzen und schlichtem Sinne, die einfachen Wald- und Feldblumen näher stehen als die prunkenden Blüthen fremder Zonen, eins der frischesten dieser Frühlingskinder noch einmal an seinem Herzen blühen sehen, so lenke er seine Schritte am folgenden Montage wiederum nach dem kastanienumschatteten Friedstein. Dort wird ihm eine Frau entgegentreten, die am gestrigen Abend das Dichterauge und den Himmel darin nicht ertrug, ohne sich hineinzustürzen mit Leib und Seele, eine Frau, die der Unterzeichnete mit Stolz – nicht seine Schwester – wohl aber sein Weib nennt.

Der Mann mit dem guten Herzen 
L. P. …“ 

Hier die Antwort des Dichters, die eben auf einem sehr vergilbten Blättchen vor der Erzählerin dieser Skizze liegt und folgendermaßen lautet:

Dresden, den 17. Mai 1822. 

„Sie sind ein Mann von Geist und Liebe. Erst auf dem Rückwege wurd’ ich über meine irrige Voraussetzung belehrt, denn sonst hätt’ ich mir meine Bitte nicht so kühn erlaubt. In Friedstein – das bei mir den Königstein überagt – werd’ ich Ihnen zum zweiten Male danken und länger. Am Montage wird gewiß die Schönheit des Himmels sich zur Schönheit der Erde gesellen; und meine ganze Seele freut sich auf diesen Tag der Liebe und Schönheit, und meine Lippen freuen sich auf die Wiederholung des neulichen Empfangs. Grüße an Alle.

Der Ihrige 
Jean Paul Fr. Richter.“ 

Ob ihm dieser ersehnte Empfang geworden? – O, gewiß’ und noch mehr als dies, er gewann an jener begeisterten Frau eine treue geistvolle Freundin, die noch bis zu ihrem Tode mit einem bezaubernden Lächeln, das ihr seelenvolles Gesicht wunderbar verjüngte, gar zu gern von jenem blauen lichten Himmel erzählte, der ihr einst, aus den Augen des warmherzigsten Dichters aller Zeiten, so überwältigend entgegen gestrahlt.