Ein Brief unsers Specialartisten

Textdaten
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Autor: Otto Günther
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Titel: Ein Brief unsers Specialartisten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 217, 220–222
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[220]
Aus den Landen des verlassenen Bruderstammes.
6. Ein Brief unsers Specialartisten.
Flensburg, am 12. März 1864. 

„Was lange währt, wird gut.“ Möchten Sie, verehrter Herr Herausgeber der Gartenlaube, und die Riesenarmee Ihrer Leser dazu, dies alte Sprüchwort auch stichhaltig finden, wenn Ihnen die Zeichnungen zu Gesichte kommen, die ich heute als einer Ihrer wohlbestallten „Specialartisten vom Kriegsschauplatze“ südwärts dirigire! Wohl hätten Sie schon früher Schöpfungen meines Bleistifts haben können, aber, was die englischen, französischen und süddeutschen illustrirten Blätter auftischen, Phantasiegebilde, die man zu Hause ganz gemüthlich selbst componiren und auf der Berliner und Wiener Wachtparade in aller Bequemlichkeit beschauen kann, wollten Sie nicht haben und mochte ich noch weniger Ihnen geben. So mußte ich denn erst wirklich auf dem Theater der Ereignisse und so recht im dicksten Getümmel sein, um Motive zu meinen Skizzen zu gewinnen. Daß aber die Künstlerfahrten Ihres Specialartisten einen ganz ordentlich militärischen Charakter gehabt und sich nicht allzuweit hinter den einprasselnden blauen Bohnen gehalten haben, das wird Ihnen schon aus meinen neulichen Zeilen ersichtlich gewesen sein.

Wahrhaftig, an Strapazen und Anstrengungen fehlt es nicht in diesem Winterfeldzuge bei dem anhaltenden scharfen Ostwind, dem ewigen Schneegestöber, dem selten nebelfreien Horizonte und einer Kost, die auch für den allergesündesten und ausgepichtesten Magen eine harte Nuß wird. Das unaufhörliche Einerlei von dicken Linsen und Erbsen will auf die Länge gar nicht „rutschen“, und doch ist’s ein Glück, daß von Kost überhaupt noch die Rede sein kann. Dazu grundlose Morastwege, in denen man bis zum Knie einsinkt, wochenlang nicht aus den Kleidern und nur ausnahmsweise einmal ein menschliches Bett. Alles Das hat Ihr tapferer Specialartist pflichtschuldig und berufsmäßig mit durchgemacht und sogar neulich mit auf Vorposten gelegen, in der vordersten Vedettenkette bei der Nübler Wassermühle, dicht dem Feinde gegenüber hinter demselben Verhau, welches die eine seiner heutigen Skizzen bis auf jede Einzelheit getreulich darstellt.

Mit dergleichen, meist aus Reisig und Holzbündeln gebildeten Verhauen oder Barrieaden schützen sich hier unsere Vorposten überall, damit der Feind sie nicht ohne Weiteres überrumpelt. Ganz ähnlich verbarricadiren die Feldwachen auch die von ihnen besetzten Häuser und Gehöfte, um im Nothfalle selbst einem numerisch überlegenen Angriffe mit Erfolg Widerstand leisten zu können.

Indeß alle diese Beschwerden lassen sich ertragen und werden von den Truppen mit Selbstverleugnung, ja mit Freudigkeit überstanden; dürften sie doch danach, jetzt vor den Düppeler Schanzen zu zeigen, wie der alte preußische Muth, die Tapferkeit aus den Schlachten des siebenjährigen Krieges und von der Katzbach und von Dennewitz, von Leipzig und von Belle-Alliance als Erbtheil fortleben im heutigen Geschlechte, – wenn man nur auch von

[217]

Vorposten bei der Rübler Wassermühle auf der Sonderburger Chaussee.
Originalzeichnung unsers Specialartisten Otto Günther.

[221]

Im preußischen Hauptlazareth zu Flensburg.
Originalzeichnung unsers Specialartisten Otto Günther.

[222] oben ernsthafte Anstalten machen wollte, diesen Geist der Welt offenbar werden zu lassen! „Ohne Düppel genommen zu haben, können wir mit Ehren nicht heim,“ habe ich aus dem Munde von Musketieren und Füsilieren, von Kanonieren und Bombardieren, von Gemeinen und Officieren mehr als einmal vernommen, und kein Einziger bebt vor dem Gedanken zurück, daß vielleicht über seinen in blutiger Verstümmelung zuckenden Leichnam die Stürmenden sich Bahn brechen müssen zum endlichen Siege.

Es liegt etwas merkwürdig Fortreißendes in dieser Begeisterung, dieser Kampfeslust, dieser Siegeshoffnung, und auch Ihr sonst höchst civiler Specialartist fühlt sich bereits angesteckt von derlei kriegerischen Gelüsten und betrachtet zu Zeiten den schmucken Revolver, mit dem er sich den Gürtel geziert hat, mit einem ganz eigenthümlichen Appetite. Aber wenn’s ihm ab und zu gar zu militärisch zu Muthe wird, da drängt sich ihm immer im rechten Moment die Kehrseite dieses flotten Kriegsbildes vor die Augen, jene Kehrseite, welcher er die größere seiner heutigen Zeichnungen gewidmet hat, – der Jammer und Schrecken des Lazareths, wie er ihn vor wenigen Tagen im hiesigen Haupthospitale der Preußen zu Gesichte bekam.

Das preußische Hauptlazareth befindet sich augenblicklich in der ehemaligen dänischen Commandantur, im de Meza’schen Hause zu Flensburg. Ich wollte einen armen Landsmann besuchen, der darin, wie ich hörte, an schwerer Verwundung, mit amputirtem rechten Oberschenkel, darnieder liegt. Zwar hatte man Hoffnung, daß ihm das Leben erhalten bliebe, aber welchem Leben und welcher Aussicht geht der Unglückliche entgegen? – Es war am Vormittage, während der gestatteten Besuchsstunden von 11–2 Uhr, als ich mich nach dem Hause des Elends auf den Weg machte. Mit einem erklärlichen Gefühle von Beklommenheit und Angst trat ich in den mir bezeichneten Saal ein, da zeigte sich mir ein durch seine Contraste so charakteristisches, gewissermaßen exotisches Bild, daß ich’s sofort für Sie auf’s Papier warf. Am ersten der reihenweise aufgestellten und von beiden Seiten zugänglichen Betten, das ich zu passiren hatte und in welchem ein schwer Kranker stöhnte, sah ich einen Mann und eine Frau beschäftigt, der Erstere offenbar in klösterlichem Gewande, in langem schwarzem Talare mit einem schwarzen runden Käppchen auf der Tonsur des Kopfes, die Dame in vollem Putz der heutigen Mode. Jener war ein sogenannter Alexianer, einer am Rheine heimischen geistlichen Brüderschaft angehörig, die sich die Krankenpflege zur Lebensaufgabe gemacht hat und ihre Mitglieder überallhin sendet, wo man, natürlich gegen Bezahlung, ihre Dienste begehrt.

Bekanntlich hat man einige Alexianer aus Köln und eine Anzahl barmherziger Schwester vom Niederrheine in das preußische Hauptlazareth nach Flensburg berufen und ihnen die Pflege von Blessirten und Kranken übertragen. Wie ich allgemein höre, versehen Beide ihr beschwerliches und oft genug auch für die stärksten Nerven kaum erträgliches Geschäft zur vollsten Zufriedenheit der Aerzte und der armen Leidenden selbst. Ueberhaupt aber verdient die Einrichtung der preußischen Lazarethe in Schleswig alles Lob: die Verwaltung ist vortrefflich, an tüchtigen Aerzten jetzt kein Mangel, die Ventilation der Zimmer, welche allwöchentlich gründlich gereinigt werden, läßt wenig zu wünschen übrig und die Kost darf eine den verschiedenen Körperzuständen der Kranken wohlangemessene genannt werden, wie man auch für die geistige Unterhaltung und Erholung der dazu fähigen Pfleglinge nach besten Kräften Sorge trägt, ihnen Bücher und Zeitungen verschafft und die für sie eingehenden Spenden und Gaben aus der Heimath pünktlich zustellt. Daß die Kost auf das Gewissenhafteste bereitet wurde und wohlschmeckend war, überzeugte ich mich mit eigenen Augen und eigener Zunge. Damit Sie selbst jedoch ein Urtheil über das in dieser Begehung Gebotene haben, lege ich Ihnen ein Exemplar des „Speisereglements“ bei, wie es in den in Flensburg bestehenden preußischen Lazarethen maßgebend und in jedem Zimmer angeheftet ist.[1] Daß auch der hochadelige und urchristliche neualte oder altneue Johanniterorden ein Lazareth etablirt und Diakonissinnen von Bethanien zur Pflege der siechen Leiber und Seelen herbeicitirt hat, wissen Sie. Dieses fromme Lazareth hat von einer sehr freundlichen Localität, der sogenannten Bellevue, Beschlag genommen.

Das österreichische Hauptlazareth in Flensburg hat sich in der früheren dänischen Kaserne eingehaust. Wie mir erzählt wird, soll die österreichische Lazarethverwaltung erst in der allerjüngsten Zeit die den berechtigten Anforderungen entsprechende Sorgfalt und Pünktlichkeit entwickeln, doch immer noch hinter den preußischen Leistungen zurückbleiben. Dagegen darf ich, so sehr mich auch landsmännische und Freundschaftsbande an die preußischen Truppen fesseln, Ihnen nicht verschweigen, daß sich, wie dem österreichischen Militär überhaupt, so den österreichischen Verwundeten insbesondere, die Sympathien des schleswigschen Publicums weit mehr zuwenden, als unsern Preußen. Die anspruchslose Gemüthlichkeit der Mannschaft, das allem Junkerhaften und Windigen fremde Wesen der Officiere, namentlich aber das taktvolle, liebenswürdige und bürgerfreundliche Benehmen des Feldmarschall-Lieutenants von Gablenz hat die Oesterreicher zu großen Lieblingen der hiesigen Bevölkerung gemacht, welche Alt und Jung, Vornehm und Gering förmlich hätschelt, während man oft genug Ursache hat, sich von der preußischen brüsken und exclusiven Officiermanier ebenso abgestoßen zu fühlen, wie von den Erlassen des Höchstcommandirenden und seines Civilcommissars, in denen das neupreußische Gebahren und das ganze unklare Spiel dieses Krieges ihren Ausdruck finden. [2]

Eben wollte ich nach einer trostlosen Viertelstunde am Bette meines in heftigem Wundfieber liegenden jungen Landsmannes den Krankensaal wieder verlassen, als ein Paar feingekleidete Damen eintraten, denen eine Dienerin einen schweren Korb nachtrug, welcher mit mancherlei Labsal und Erquickung für die Kranken gefüllt zu sein schien.

„Haben Sie häufig solchen Besuch?“ frug ich den neben mir stehenden Assistenzarzt, indem ich auf die still an uns Vorüberschreitenden deutete.

„O ja, ziemlich oft,“ war die Antwort. „Die Flensburger Damen interessiren sich recht lebhaft für unsere Patienten, – doch hauptsächlich nur für die verwundeten Dänen.“

„Wohl nicht möglich?“

„Gewiß. Die Thatsache läßt sich nicht wegleugnen, daß hier in Flensburg noch ein gut Theil von dänischen Sympathien vorhanden ist. Zum großen Theile aber verhält sich das hiesige Publikum vorläufig so meinungslos wie möglich und betrachtet zunächst den Krieg als eine herrliche Chance, sich Taschen und Beutel zu füllen.“ – Bisher war der Gesundheitszustand der verbündeten Truppen im Allgemeinen ein durchaus befriedigender, abgesehen davon, daß im österreichischen Heere Fälle leichter acuter Augenentzündung ziemlich häufig vorkamen. Allmählich aber beginnen die großen Strapazen, die mit einer Wintercampagne in ungewohntem rauhen Klima verbunden sind, ihre schlimme Wirkung zu äußern. Tag für Tag treffen Krankentransporte aus Jütland bei uns ein, meist Oesterreicher, und schon hält der Tod in unsern Flensburger Lazarethen, deren wir zusammen achtzehn zählen, eine reiche Ernte.

Uebermorgen marschire ich wieder mit in den Krieg, mit Zeichenmappe und mit Revolver wohlausgerüstet. So ein vierzehn Tage werde ich wohl bei meinen soldatischen Freunden unterkommen können und abermals getreulich die Beschwerden und Mühen, das Strohlager und die Erbsensuppe mit ihnen theilen. An Stoff zu weiteren Bildern soll mir’s da nicht fehlen, und sobald ich wieder in civilisirte Herberge heimgekehrt bin, werden Ihnen neue und, ich hoffe, interessante Zeichnungen zugehen – wenn nicht etwa vor den Düppeler Schanzen eine vorwitzige dänische Granate allen künstlerisch-kriegerischen Bestrebungen Ihres Specialartisten ein frühes Ziel setzt.


  1. Wir werden unter den „Blättern und Blüthen“ unserer nächsten Nummer diese Küchenverordnung wörtlich mittheilen, da sie unsern Lesern als ein Andenken an eine immerhin bedeutungsvolle und folgenschwere Zeit sicher nicht ohne Interesse ist.
    D. Red. 
  2. Auch noch von mancher andern Seite sind uns Mittheilungen geworden, welche den Gegensatz des österreichischen und preußischen Wesens, wie er sich im Benehmen der beiderseitigen Truppen ausspricht, grell beleuchten. Allein im Interesse der guten Sache, und um nicht einen schon so großen Riß noch zu erweitern, glauben wir auf Veröffentlichung jener Mittheilungen verzichten zu müssen.
    D. Red.