Ein Besuch beim Scheik von Lischana in der Wüste Sahara

Textdaten
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Autor: Gustav Rasch
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Titel: Ein Besuch beim Scheik von Lischana in der Wüste Sahara
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aus: Die Gartenlaube, Heft 20, S. 313–315
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein Besuch beim Scheik von Lischana in der Wüste Sahara.

Auf der Oase Biscara war es, dem alten Präsidium der Römer, welches fünfzig römische Meilen von den Salinae Nubonenenses entfernt lag, der größten Palmenoase in der Wüste Sahara, wo über hundert und sechszigtausend Palmen stehen. Der französische Obercommandant des Kreises von Biscara, Escadronschef Forgemol, hatte mir in Folge eines Schreibens des Marschalls Mac Mahon, Generalgouverneurs von Algerien, Briefe an den Scheik von Lischana, Barek ben Lachmar, und an den Marabut Sidi Ali ben Amor, der in der alten berühmten Araberstadt Tolga wohnt, zwei zur Gruppe Siban gehörigen Palmenoasen, und außerdem die Begleitung von zwei Spahis zu meiner Sicherheit zugesagt. Um vier Uhr Morgens waren die Spahis mit den Pferden vor der Thür meiner Wohnung in Biscara. Mein Pferd trug heute einen glatten englischen Sattel aus dem Stalle des gefälligen Commandanten, da ich mich auf den hohen Arabersätteln, in denen man wie in einem Stuhle sitzt, nicht zurechtfinden konnte. Nach einer Viertelstunde trabten wir über den Platz, wo die Araberzelte stehen und die Kameele lagern, an den Palmenhainen entlang, in westlicher Richtung der großen Wüste zu. Das Thermometer stand bereits auf achtzehn Grad Réaumur, obschon die Sonne noch nicht aufgegangen war. Einer von den Spahis sprach fertig Französisch und sollte mir als Dolmetscher dienen. Beide waren mit Flinten und Säbel bewaffnet, da es in der Sahara seit einigen Tagen etwas unruhig aussah.

Nach einer halben Stunde lagen die Palmenwälder hinter uns. Rechts stiegen die letzten Ausläufer des Auresgebirges in der Form nackter Felsen und wüster Sandberge in die Höhe, links dehnte sich die große Wüste Sahara, das Sandmeer, in ihrer ganzen Größe und Majestät bis zum Horizont aus. Wenn der Blick des menschlichen Auges so weit reichen könnte, hätte ich bis nach Tombuktu und nach dem märchenhaften Sudan sehen müssen. Ein ungeheures Sandmeer von gelbröthlicher Färbung, an den Rändern, wo es den durchsichtig blauen afrikanischen Himmel zu berühren scheint, bläulich schimmernd, das alte Gätulien, das Land der Kameele und der Strauße, der Antilopen und Gazellen, in welches der Löwe von den Abhängen des Atlas noch heute bei Nacht hinabsteigt, um sich Beute zu holen! – Der Boden, über den wir abwechselnd in Trab und Galopp hinsprengten, um während der Morgenkühle eine so große Strecke wie möglich zurückzulegen, bestand aus Sand und Lehm, dann und wann mit Geröll bedeckt oder von großen salzhaltigen Steinen durchzogen, hier und da mit kurzem Gestrüpp bewachsen. Todtenstille ringsum, zuweilen von dem sonderbaren Schrei der Kameele unterbrochen, welche in dem Gestrüpp weideten und in der Ferne aussahen wie lebendig gewordene Hügel, welche sich bald hoben und bald niedersenkten. Der Spahi erzählte mir von Sidi Okban, der Palmenoase, auf welcher der älteste muselmännische Tempel in Afrika steht, den ich nach einigen Tagen besuchen wollte, von der Expedition nach Tuggurt, welche er mitgemacht hatte, von arabischen Hochzeiten und Beerdigungen, vom Koran und von Mahomet, während der Andere die eintönige arabische Melodie, welche Jeder kennt, der in Afrika gewesen ist und die man in jedem maurischen Kaffeehause zum Klange der Tambourins und der zweisaitigen Guitarre alle Tage von Neuem hört, vor sich hinsang. Dann stieg die Sonne am östlichen Himmel über die Palmenkronen Biscara’s in die Höhe und bedeckte das Sandmeer mit einem feurigen Glanze, welcher den Augen wehe that.

Der Boden wurde immer unebener. Sandberge wechselten mit Erdrissen, in denen man Häuser und Thürme hätte versenken können, und mit großen Strecken fliegenden Sandes. Dann kamen wir an das Ufer eines breiten Flusses. Es war der Wed-el-Kantara, der auf den Abhängen des Auresgebirges entspringt und durch die Felsenschlucht el Kantara, welche man den „Mund der Wüste“ nennt, in die Sahara fließt.

Wir durchritten ihn mit den Pferden. Ich hielt einige Minuten in der Mitte des Stromes, um die kühlere Luft einzuathmen, welche über dem Wasser schwebte. Scenerie, Boden und Höhenzüge blieben auf der andern Seite des Flusses ganz dieselben. Der Spahi erzählte mir, daß man so vier Monate reiten müsse, um nach Tombuktu zu kommen, und fragte mich, ob ich nicht auch nach Tombuktu reisen wolle; der Marabut von Tolga, dem ich am folgenden Tage einen Besuch abstatten würde, könne mir bis nach Tombuktu an alle Marabuts unterwegs Empfehlungen geben. Ich sagte ihm, ich wolle mir die Reise nach Tombuktu doch erst noch überlegen, und dachte an die schattigen Buchenwälder in Deutschland, wenn ich in der kühlen Morgenfrische unter ihren Laubkronen hinritt und Millionen Thautropfen auf dem Grase funkelten. Wie war solch ein Morgen duftig und frisch und erquickend, wie sangen die Vögel im Laube der prächtigen Bäume und wie stieg die Lerche jubelnd zum Himmel! Hier wehte mich ein heißer Odem an, wie der Odem aus einer Feueresse, hier sang kein Vogel sein Morgenlied, hier glänzte kein Thautropfen im Grase – nur brennender Sand, soweit das Auge blickte, nur wüste Steinmeere und hinabgeschurrte Bergabhänge in der Ferne. Nein, ich werde nie nach Tombuktu reisen, schon die Tuareks wohnen mir zu weit in diesem Meer von Sand.

Immer ging’s weiter, im Schritt, im Trab, im Galopp, wie der Boden es eben erlaubte. Araber im weißen, fliegenden Burnus, das weiße Tuch mit kameelhaarenen Stricken um den Kopf gewunden, begegneten uns, Kameele zogen vorüber, mit Datteln und Wolle beladen, Gerippe gefallener Esel bezeichneten den Wüstenpfad, wieder sangen die Spahis ihre traurige und eintönige Melodie; endlich, endlich, nach vierstündigem Ritte, sah ich am Horizont im Westen lange Reihen von Palmenkronen. Es ist doch nicht die Fata Morgana, die mich täuscht? Nein, es ist Wirklichkeit. Der Spahi streckte die rechte Hand nach Westen aus und sagte: „Lischana.“

Meine Augen brannten und meine Zunge lechzte. „Wie weit?“

„Anderthalb Stunde.“

Und wieder ging es vorwärts im Schritt, im Trab und im Galopp, wie es gerade gehen wollte. Und wieder flogen arabische Reiter an uns vorüber im flatternden weißen Burnus. Und immer röther glühte das Sandmeer, und immer heißer brannte die Sonne. Aber auch immer näher kam der grüne Palmenwald. Schon konnte ich die Tausende von Kronen auf den schlanken, hohen Stämmen unterscheiden. Endlich „Allah, dem Gnadenhort, sei Dank und Preis, die Wanderung ist vollbracht, das Ziel erreicht.“ Ich ließ mein Pferd im Schritt gehen. Da standen wir am Saume des Palmenwaldes. Ein zu beiden Seiten mit Mauern von ungebrannten Ziegeln eingefaßter enger Weg führte in den Palmenwald und in das Araberdorf Lischana, welches mitten im Palmenwalde liegt.

Einzeln ritten wir hintereinander. Ueber die Mauern blickte ich in die Palmengärten, in denen eine wunderbare Vegetation [314] herrschte. Dicht standen sie hintereinander, die hohen, schlanken Bäume, oft zu vier zusammen, als wären sie aus denselben Wurzeln in die Höhe gewachsen, mit den Kronen sich berührend, der Grund von Hunderten von Wasserrinnen durchzogen, dazwischen Aprikosenbäume mit ihrem hellgrünen Laube, von Cactus- und Aloehecken eingerahmt. Dann kamen wir in das Dorf. Wieder jene hohen, fensterlosen Mohrenhäuser mit den terrassenartigen Dächern, welche mit den Erkern und Vorsprüngen zusammenstoßen; wieder jene finstern, zuweilen durch gewölbte Bogen unterbrochenen Straßen, wie ich sie schon mehrmals in den arabischen Städten und Dörfern durchwandert hatte, manche Häuser mit Thürmchen und Zinnen. Alle Häuser mit ihren Pfeilern, Säulen und Erkern waren hier von ungebrannten Ziegeln aufgeführt und ohne jenen weißen Gypsanstrich, welchen die arabischen Häuser in den Städten tragen. Aber die dunkelgrünen Palmenkronen blickten hier über die Erker und Terrassen in die Straßen und nickten mit ihren Kronen. Endlich hielten wir vor einem großen, palastartigen Hause. Ein gewölbter, von Säulen getragener Gang, zwischen den Säulen Nischen mit Steinbänken, führte zu dem Hausthore. Auf den Bänken in den Nischen lagen weiße Gestalten, träumend oder im süßen Nichtsthun, wie das so arabische Sitte ist. „Hier wohnt der Scheik von Lischana,“ rief der Spahi und hielt mir den Steigbügel. Ich sprang vom Pferde.

Eine schmale Steintreppe führte in den obern Stock des Hauses. Das Haus hatte keinen innern Hof, wie die Maurenhäuser in den Städten. Durch eine Bogenthür traten wir in das Empfangszimmer des Scheiks. Es war ein weites, hohes und kühles Gemach, zwei runde Säulen trugen die Decke, deren Querbalken starke Palmenstäbe bildeten, während die Zwischenränme zwischen den Querbalken mit Palmenzweigen ausgefüllt waren. Die Wände hatten den in arabischen Häusern gewöhnlichen Gypsanstrich Palmenmatten bedeckten den Steinboden. Zwei mit bunten Teppichen belegte Divans füllten die Ecken des Saales aus, während in der dritten Ecke ein Kamin angebracht war. Als wir eintraten, erhob sich ein Mann von dem Divan und hieß uns willkommen. Der Spahi überreichte den Empfehlungsbrief des Commandanten von Biscara, der in arabischer Sprache geschrieben war. Der Araber nahm ihn und sagte mir, nachdem er ihn gelesen hatte, sein Bruder, der Scheik, sei augenblicklich nicht zu Hause, doch würde er ihn sofort von dem Besuche benachrichtigen und ihn holen lassen. Er hieß mich nochmals willkommen und lud mich ein, auf dem Divan auszuruhen. Dann erschienen zwei arabische Diener und brachten Datteln, Feigen, Mandeln und Milch zur Erfrischung, während der Spahi wieder vor das Haus gegangen war, um sich um die Pferde zu bekümmern.

Nach einigen Minuten trat ein hagerer, großgewachsener Araber mit scharfen Zügen und brennenden dunkeln Augen in das Gemach. Er redete mich in geläufigem Französisch an, sagte mir, daß er ein Verwandter des Scheiks sei und Hamond heiße. Der Commandant von Biscara habe ihn von meinem Besuche in Lischana benachrichtigt und ihn ersucht, mir während meiner Anwesenheit als Dolmetscher zu dienen. Dann erschien der Scheik. Er war ein Mann von hoher Gestalt, in der Mitte der vierziger Jahre, mit schönen, klugen Augen und schwarzem Bart. Er war in einen weißen Burnus von feiner Wolle gekleidet, unter dem er eine blaue Tunika trug. Ueber dem Burnus trug er um den Hals eine Schnur rother und schwarzer Korallen. Er hieß mich nochmals willkommen und sagte, daß das Mittagessen in einer halben Stunde bereit sein werde. Nach Tisch wolle er mir Lischana zeigen. Währenddem kam der Bruder des Scheik, der mich zuerst empfangen hatte, mit noch zwei andern Brüdern zurück, welche ebenfalls den fremden Gast sehen wollten. Der Scheik und Hamond blieben stehen, die Andern ließen sich mit gekreuzten Beinen auf die Palmenmatten nieder, welche den ganzen Boden des Saales bedeckten. Mit Hülfe des Dolmetschers Hamond unterhielt ich mich mit dem Scheik und seinen Verwandten darauf von den Sitten des Landes. Der Scheik hatte drei Frauen, auch seine Brüder hatten jeder mehrere Frauen, Hamond besaß nur eine Frau. „Es ist mehr als genug,“ fügte er lächelnd hinzu. Hamond hatte längere Zeit in Algier gelebt, dort die französische Sprache erlernt und viel Verkehr mit den Franzosen gehabt, trotzalledem hielt er die untergeordnete Stellung der Frau bei den Arabern für vollkommen gerechtfertigt. „Ich kann meine Frau tödten, wie eine Fliege,“ sagte er, „denn sie ist mein Eigenthum.“

„Und weshalb ist sie Dein Eigenthum?“

„Ich habe sie gekauft. Wir kaufen unsere Frauen von ihren Eltern. Man zahlt fünfhundert, eintausend, zweitausend, auch dreitausend Franken, wenn ein Mädchen jung, schön und arbeitsam ist. Du weißt, die Frau erwirbt bei uns für den Mann, während die Männer wenig oder gar nicht arbeiten.“

„Bei uns im Norden ist es umgekehrt,“ sagte ich lachend, „da kosten die Mädchen aus vornehmen Häusern, wenn man sich mit ihnen verheirathet, viel Geld, und der Mann muß Alles erwerben, was die Frau braucht. Deshalb lassen wir uns eine Mitgift geben.“

Unsere Unterhaltung wurde durch die Meldung unterbrochen, daß das Mittagessen aufgetragen sei. Es war ganz in arabischer Weise bereitet. Ich verzehrte es, auf dem Divan sitzend, auf einem europäischen Tische, der übrigens das einzige Möbel im Hause des Scheik war, welches mich an Europa erinnerte. Der Spahi bediente mich, der Scheik saß neben mir, sich durch Hamond oder durch den Spahi mit mir unterhaltend, ohne am Mittagessen Theil zu nehmen. Währenddem lagerten sich die Brüder und Vettern des Scheik mit gekreuzten Beinen auf den Palmenmatten; dazwischen stellte man Schüsseln. Sie aßen sämmtlich mit den Fingern, ohne Gabeln, Messer oder Löffel zu gebrauchen. Für mich waren kleine Holzlöffelchen herbeigeschafft worden. Zuerst erschien ein Fricassee von Lammfleisch, zu dem Kuchen aus Gerstenmehl gegeben wurden. Dann kam das bekannte arabische Gericht Kuskus, aus grobgemahlenem Weizenmehl bestehend. Der Kuskus war mit Butter und mit Lammfleisch gekocht. Der Scheik nahm die besten Stücke Lammfleisch aus der Schüssel und steckte sie mir mit der Hand in den Mund. Auf den Kuskus folgten Fleischklöße, dann Huhn und hierauf Hammelfleisch. Das Dessert bestand aus Granaten, Datteln und Feigen. Alle Speisen waren außerordentlich stark gewürzt, aber recht gut und schmackhaft zubereitet. Nach Tisch wurde Kaffee in kleinen Porcellanschalen gereicht.

Nachdem wir gespeist hatten, forderte der Scheik mich auf, mit ihm einen Spaziergang durch das Städtchen zu machen. Ich wollte noch an demselben Abend nach der Oase Tolga weiter, um den dortigen Marabut Sidi Ali ben Amor zu besuchen und bei ihm die Nacht zuzubringen, und befahl deshalb den Spahis, mich mit den Pferden am Ausgang des Städtchens auf dem Wege nach Tolga zu erwarten. Dann begann ich meinen Spaziergang mit dem Scheik, von Hamond und den Brüdern des Erstern begleitet. Die Anwesenheit der Fremden war unterdessen auf der Oase bekannt geworden. Hunderte von Neugierigen standen auf der Straße und begleiteten uns auf unserm Spaziergange. Das Städtchen hatte überall denselben Charakter, wie in den Straßen, welche ich durchritten hatte, um nach dem Hause des Scheik zu kommen. Die hohen Palmenkronen blickten allenthalben über die Mauern und Häuserterrassen in die Straßen. Die Datteln von Lischana gehören zu den besten Datteln, welche die Wüste Sahara hervorbringt. Vor der Pforte der Moschee ließ ich dem Scheik und unserem zahlreichen Gefolge, welches auf Hunderte von Personen angewachsen war, durch Hamond erklären, daß wir in Europa beim Betreten einer Kirche unsere Ehrfurcht durch Abnehmen des Hutes zu bezeigen gewohnt seien und ich deshalb auch heute den Sitten meines Landes folgen werde, um mir das Ausziehen der Stiefeln zu ersparen. Freundlich wurde von Allen eingewilligt, und während Alle die Schuhe auszogen, betrat ich mit dem Hute in der Hand den Tempel Mahomet’s. Als wir eingetreten waren, knieten alle Araber nieder, verbeugten sich dreimal gegen die Kaaba in der Richtung nach Mekka und berührten dreimal mit dem Haupte den Boden. Die Moschee war düster und bestand aus sechs Schiffen. Mehrere Säulencapitäle waren aus Römersteinen gebildet.

Der Scheik von Lischana begleitete mich mit seinen Brüdern und Hamond bis zur Grenzmark seines Ortes, nachdem er mich vorher nach den Ruinen der Oase Saatscha geführt hatte, welche bekanntlich im Jahre 1849 von den Franzosen nach einer wahrhaft heldenmüthigen Vertheidigung während dreiundfünfzig Tagen im Sturm mit ungeheueren Opfern genommen wurde. Er war ein verständiger, kluger und durchaus nicht franzosenfreundlich gesinnter Mann und sprach mit Stolz von der ruhmvollen Vertheidigung Saatscha’s, an der fast alle Bewohner Lischana’s Theil genommen hätten. Bei den ersten Palmen der Oase Farfar erwarteten mich die Spahis mit den Pferden. Der Scheik bat mich, [315] ihn, wenn ich aus Tolga nach Biscara zurückkehre, noch einmal zu besuchen. Daß auch ich mit Ruhm von der Vertheidigung Saatscha’s gesprochen und das Recht der Nationalität anerkannt hatte, schien mir sein Herz gewonnen zu haben. „Ich werde Dich besuchen, Scheik von Lischana,“ sagte ich, „aber gieb mir einen Beweis Deines Vertrauens, oder vielmehr Deiner aufgeklärten Denkungsart; denn Du bist ein kluger Mann. Zeige mir Deine Frauen.“

Die arabischen Frauen zeigen sich bekanntlich niemals einem Fremden. Sie gehen selten aus und verhüllen sich, wenn dies durchaus nothwendig ist, mit einem weißen Tuche dan Gesicht.

Der Scheik sah mich lächelnd an. „Du bist ein Europäer,“ sagte er, „und kommst niemals wieder nach Lischana. Von Dir habe ich nichts zu fürchten. Ich werde Dir meine Frauen bei Deiner Rückkehr zeigen.“

„Sei ruhig, Scheik Barek ben Lachmar,“ sagte ich, „von mir hast Du nichts zu fürchten. Ich liebe ein Mädchen im Norden, welches schön und klug und gut ist – und bei uns liebt man nur eine Frau.“

Dann bestieg ich mein Pferd und sprengte mit den Spahis in den Palmenwald von Farfar.

Nach zwei Tagen ritt ich zurück nach Lischana. Der Scheik kam mir mit Hamoud im Palmenwalde von Farfar entgegen. Es war ein heiterer, etwas kühlerer Morgen, als an dem Tage, wo ich von Biscara nach Lischana ritt. Ich schickte die Spahis mit den Pferden voraus und setzte mich mit dem Scheik und dem Dolmetscher unter eine hundertjährige Palme. Der Morgenwind flüsterte in den Kronen der prächtigen Bäume und ein Vogel sang in dem frischen Laube der Mandel- und Pfirsichgebüsche. Scheik Barek ben Lachmar erzählte mir von seiner Liebe zu seiner schönen achtzehnjährigen Cousine Halima, welche er seit Kurzem geheirathet hatte, nachdem er schon mit zwei Frauen vermählt war. Die erste hatte er aus Familienrücksichten geheirathet, die zweite hatte ihn durch ihre Schönheit bestochen. Geliebt hatte er sie nie. Mit der ersten hatte er eine sechszehnjährige Tochter, mit der zweiten einen Knaben von fünf Jahren. Zum ersten Male war die Liebe, als er seine schöne Cousine sah, welche in Constantine bei ihren Eltern erzogen war, in sein Herz eingezogen. Er kaufte sie für viertausend Franken von ihren Eltern. „Ich hätte meine Pferde, meinen Sohn, mein Haus, mein Leben für Halima gegeben,“ sagte er und seine Augen blickten glänzend in die Palmenkronen. „Ich will jetzt meine beiden ersten Frauen von mir sanft entfernen und nur mit Halima leben. Du hast neulich recht gesagt, Herr, das Menschenherz kann nur eine Frau lieben.“

Dann standen wir auf und gingen nach Lischana. Vor dem Hause des Scheiks standen viele Menschen. Sie sahen ängstlich und bestürzt aus. Vergebens fragten wir, ob im Hause Etwas vorgefallen sei. Niemand antwortete. Der Scheik stieg rasch die hohe Steintreppe hinauf, eiligen Schrittes folgte ich und Hamoud. Wn traten Alle zugleich in das Frauengemach, welches dem Saale, wo ich vor einigen Tagen arabisch gespeist hatte, gegenüber lag. Das Gemach war mit Rosenduft erfüllt, in der Mitte blickte der blaue afrikanische Himmel durch die Oeffnung hinein, durch welche man auf das terrassenförmige Dach des Hauses stieg. Die beiden Frauen des Scheik und seine Tochter stürzten uns mit entsetzten Gesichtern entgegen. „Wo ist Halima?“ rief der Scheik. Die Frauen zogen ihn nach dem hintern Ende des Gemaches. Dort lag Halima auf einem mit bunten türkischen Teppichen bedeckten Divan, in deren kunstvoller Bereitung die Sahara noch geschickter ist als Constantinopel. Ihre schönen Füße waren mit silbernen Spangen geschmückt, die Arme zierten über den feinen Handgelenken goldene, mit Perlen besetzte Armbänder. Das glänzend schwarze Haar war mit seidenen Bändern durchflochten und mit einem bunten, turbanartigen Tuche umwunden, welches reich mit Gold gestickt war. Den schönen Hals bedeckten kostbare Perlenschnuren mit Goldmünzen. Aber Halima’s dunkle Augen waren geschlossen, auf ihre hohe, freie Stirn hatte der Engel des Todes sein unverkennbares Stigma gedrückt. Der Scheik riß ihr den goldgestickten, seidenen Kaftan auf und legte seine Hand auf ihr Herz. Das Herz schlug nicht mehr. Halima war, während der Scheik mir nach dem Palmenwalde von Farfar entgegenging, an dem Stich eines der Scorpionen, welche sich auf den Oasen in der Sahara aufhalten und deren Biß sofort tödtlich ist, plötzlich gestorben. – Selbst erschüttert schied ich von meinem tiefgebeugten Gastfreunde und schweigend neben meinen schweigenden Gefährten ritt ich andern Morgens durch die Wüste heimwärts.

Gustav Rasch.