Ein Ball in Paris (Fontane, 1905)

Textdaten
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Autor: Theodor Fontane
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Titel: Ein Ball in Paris
Untertitel: Dezember 1849
aus: Gedichte, Seite 327–332
Herausgeber:
Auflage: 10. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1905
Verlag: J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger
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Erscheinungsort: Stuttgart und Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
siehe auch in der Erstauflage (1851)
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[327]
Ein Ball in Paris.

(Dezember 1849.)

     Paris hat Ball: hin durch der Gassen Enge
Braust rasselnd der Karossen bunte Menge,
Die Quais entlang, entlang die Tuilerien[1],
Ein rastlos Jagen und Vorüberfliehn.

5
Halloh, die Peitsche knallt, die Rosse dampfen,

Schon dröhnt „La Grêve“[2] von ihrer Hufe Stampfen,
Und jetzt ein kurzes „Halt!“ – hell glänzt das Ziel,
Der prächtige Ballsaal des Hôtel de Ville.[3]

     Rings Fackelglanz; die Nacht ist lichter Tag,

10
Betreßte Diener springen an den Schlag,

Leis knistert auf der steingehaunen Treppe
Der Atlasschuh,[4] es rauscht die Seidenschleppe,
Der Mantel fällt, und jetzt in luftgem Shawl,
Selbst luftig, schwebt die Schönheit in den Saal.

15
     Drin wogt es schon; auf Klängen der Musik

Wiegt sich der Glanz der neuen Republik[5]:
Die Abenteurer und die Schleppenträger,
Die Vettern all und all die Stellenjäger
(Auf deren Brust das Kreuz der Ehre blitzt,

20
Weil nichts von Ehre drin im Herzen sitzt)

All sind sie da, und leichter schwebt ihr Fuß,
Trifft sie des Kaiserneffen[6] flüchtger Gruß.

[328]
     Der Kaiserneffe aber, klanglos hin

Zieht heut der Töne Macht an seinem Sinn,

25
Sein Aug’ ist todt rings für den Blumenflor,

Nach einem Punkt nur blinzelt Er empor:
Von wo herab in Purpur, goldgestickt,
Des Kaisers Bild auf ihn herniederblickt.

     Das Kaiserbild! traun in das Festgebraus

30
Aus seinem goldnen Rahmen tritt’s heraus,

Ein tiefer Ernst umschattet sein Gesicht,
Der Kronendurstge aber sieht es nicht,
Er sieht nur, wie der Goldreif blinkt und blitzt,
Der auf der Stirne des Allmächtgen sitzt,

35
Er sieht das Scepter nur der halben Welt,

Das Jener spielend fast in Händen hält,
Und zitternd nach des Glückes gleicher Huld,
Ruft er sich selber zu: „Geduld, Geduld!“

     So aber denken nicht die schlanken Schönen,

40
Die leicht hin schweben auf den leichten Tönen,

Mit Blüthen sind die Blühenden geschmückt,
Wie wenn man Rosen noch auf Rosen drückt,
Und schier als wär’ die Gabe zu genießen
Selbst nur ein stundenkurzes Blüthensprießen,

45
So jagt man hin voll fieberhafter Hast,

In ewger Furcht, die Stunde sei verpaßt.

     Ich tanze nicht; – im Durst nach Luft und Frische
Tret’ ich seitab in eines Fensters Nische,
Und hinter mir jetzt all den Saus und Braus,

50
Blick’ ich, aufathmend, in die Nacht hinaus.
[329]
Die lagert draußen schwarz und schwer und dicht,

Mit Eifersucht-umfinstertem Gesicht,
Und in des Saales Glanz und Pracht und Schein,
Starrt wie der Tod in’s Leben sie hinein.

55
     Doch lauter immer wird das laute Treiben,

Fest drück’ die Stirn ich an die feuchten Scheiben,
Da ist es mir, als ob mein Ohr es träf’:
„Kennst Du den Platz da draus? Kennst Du „La Grêve“?

     La Grêve! wie kalt das Wort mich überlief,

60
Und nächtge That vor meine Seele rief;

La Grêve! wo Haß nur, der nach Rache schnob,
Der Freiheit Zerrbild aus der Taufe hob;
La Grêve! wo man von Menschenliebe schwur,
Wenn mal auf mal das Beil herniederfuhr;

65
La Grêve! wo Blut aus so viel Quellen floß,

Daß es – ein Strom sich in den Strom ergoß.

     Und mir im Rücken jetzt erbraust es wilder,
Vor meinen Augen aber, grelle Bilder
Der Greuel all, die ringsumher geschehn,

70
Läßt mich die Nacht auf dunklem Grunde sehn.


     Horch! Weiberstimmen durch die Lüfte kreischen;
Da sind sie selbst; in Wollust zu zerfleischen,
Hat ihres Fleisches Wollust sich verkehrt,
Blut heißt jetzt was die Sinnlichkeit begehrt.

75
Manch Eine trägt den Säugling an der Brust,

Doch nirgends einer Mutter stille Lust,
Mit aufgelöstem Haar, halbnackt die Leiber,
So ziehn vorbei mir die Versailler Weiber.

[330]
Und jetzt, verhallt kaum ist ihr Schrei nach Brot,
80
Da naht ein zweiter Zug, den führt der Tod,

Er zieht als Mordgesell dem Zug vorauf,
Und trägt zwei Stangen und zwei Köpfe drauf;
Wild heulend folgen aus den Rhône-Landen
Die Lyoneser und Marseiller Banden,

85
Siegtrunken noch vom Sturm der Tuilerien,

Seh’ ich die Blutgen mir vorüberziehn.

     Vorbei, vorbei! jetzt aber Trommelklang
So dumpf, so hohl, – das ist ein Sterbegang;
Schon um den Platz wie eine Eisenkette

90
Legt sich der spitze Wald der Bayonette,

Und rasch, in Nacht herauf, steigt das Schaffot,
Vom Volk umtanzt in widerlichem Spott.
Zwei Männer schreiten herwärts, beide still,
Es winkt des Priesters Hand, die segnen will,

95
Und machtvoll übertönt es das Gewimmel:

„Des heilgen Ludwig Sohn, steig’ auf gen Himmel!“

     Ein Beilesblitz; (mein Auge schließt sich bang;)
Da hinter mir aufschreckt mich Beckenklang,
Und aus der Nische fort und ihrer Nacht,

100
Tret’ ich zurück jetzt in die Saalespracht.


     Drin wogt es noch. Auf Klängen der Musik
Schwebt nach wie vor der Glanz der Republik,
Noch immer senken taktvoll sich und steigen
Die Walzerpaare nach dem Strich der Geigen,

105
Noch immer aus des Contre-Tanzes Touren

Erblühen Arabesken und Figuren,
Und immer noch, rasch wie Gewitterhusch,
Braust der Galopp her im Orchester-Tusch.

[331]
     Wohl! rings dasselbe Thun noch und Beginnen,
110
Ich aber jetzt, mit nachtgeschärften Sinnen,

Schau durch das Maskenwerk und seinen Schein
Tief in das Herz der Wirklichkeit hinein.

     Sieh Jenen dort: es frömmelt sein Gesicht,
Mir sagt’s sein Aug’, daß er von „Tugend“ spricht,

115
Sieh, wie so süß er seiner Dame lächelt

Und Kühlung ihr mit seinen Blumen fächelt,
Sieh hin, – und denk dann an den Festeszug,
Wo der Hyänenmensch auch Blumen trug.

     Und jenen Zweiten sieh: wie Dantons[7] Brust

120
Hebt sich die seine stolz und selbstbewußt,

Ein jedes Härlein schwört auf diesem Haupt,
Daß es an nichts als an sich selber glaubt.

     Und jenen Hagren sieh! sag, kündet nicht
„La mort – sans phrase!“[8] dies steinerne Gesicht?

125
     Und Jenen da; vergiftet ist sein Blut,

Pestbeule draußen, drinnen Höllengluth;
„Stirb an Dir selbst, Tyrann! zu rein für Dich
Ist einer Corday[9] keuscher Messerstich.“

     Genug! Du aber Fürst, deß Blicke eben

130
Scheu wieder sich zum Wandbild dort erheben,

Du Kaiserneffe, der im Herzen still
Noch immer rechnet; ob’s nicht werden will?
Und über sich und seine Welt vergißt,
Daß rings die Welt ein droh’nder Krater ist, –

[332]
135
Sag an, wenn jener Schreckenszeit Gestalten

Bluthochzeit wieder in den Gassen halten,
Bist Du’s dann, der das losgelassne Thier
Voll Ruh empfängt, des Sieges sicher schier,
Und eh’s in Blut sich voll und satt geschlürft,

140
Das Fangseil rasch ihm über’n Nacken wirft, –

Bist Du’s? – Du schweigst. Der Kaiser aber spricht
Von seiner Wand herab: Du bist es nicht!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Tuilerienpalast
  2. Place de Grêve, heute Place de l’Hôtel-de-Ville
  3. Hôtel de Ville, Rathaus von Paris
  4. Atlas, Seidengewebe
  5. Zweite Republik
  6. Napoleon III. war der Neffe von Kaiser Napoleon.
  7. Georges Danton
  8. La mort – sans phrase! angeblicher Auspruch von Sieyès bei seiner Zustimmung zur Hinrichtung Ludwigs XVI.
  9. Charlotte Corday, Mörderin des Jean Paul Marat.