Ein Abend im königlichen Institute zu London

Textdaten
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Titel: Ein Abend im königlichen Institute zu London
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 316–317
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein Abend im königlichen Institute zu London.

Das königliche Institut (Royal Institution) von Großbritannien ist eine Association von Personen der Wissenschaft und Freunde derselben zur Beförderung wissenschaftlicher Bildung. Zu diesem Zwecke werden regelmäßig jeden Freitag Abend öffentliche Vorträge gehalten, die durch ein Laboratorium, eine Bibliothek von 27,000 Bänden, einen großen Lesesaal, einen Zeitungssaal und ein Museum unterstützt werden. Das Laboratorium des Instituts ist von europäischer Wichtigkeit, da in demselben Davy und nach ihm Faraday ein halbes Jahrhundert lang experimentierten und arbeiteten, und manche ihrer Resultate wissenschaftlichen und praktischen Wert für die ganze Welt bekamen. Die Freitags-Versammlungen der Mitglieder, deren jedes zwei Freunde mitbringen kann, haben und erfüllen den speciellen Zweck, Männer von wissenschaftlichem und literarischem Verdienste zusammenzubringen und deren verschiedene Kenntnisse und Entdeckungen durch Unterhaltung und Discussion zum Gemeingute zu machen. Ein besonderes Theater im Auditorium giebt zugleich Mittel und Gelegenheit, neue Entdeckungen und Erfindungen durch Experimente und sonstige sachliche Illustrationen deutlich zu machen.

Anfangs Mai hatte ich die Gelegenheit, eine der Freitags-Versammlungen des Instituts (eines stattlichen Gebäudes in Albemarlestreet, Piccadilly) zu besuchen und einen sehr interessanten und wichtigen Vortrag des Dr. Stenhouse „über ökonomische Anwendung gebrannter Kohle für Gesundheitszwecke“ mit anzuhören. Eine große Treppe spaltet sich oben in zwei Theile, deren einer in die Bibliothek, der andere in das Theater des Auditoriums führt. Ich besuchte zuerst den Bibliotheksaal, der voll von Damen und Herren war, welche alle mögliche auf den Tischen umherstehende Kuriositäten und Apparate besahen, besonders die ausgezeichneten Buxbaumschnitzwerke, welche für pariser Ausstellung bestimmt sind. Im Auditorio waren die Plätze schon ziemlich dicht besetzt und zwar ebenso reichlich von Damen, als von Herren, so daß unter ersteren mehr Freundinnen der Wissenschaft sein mögen, als gewöhnlich angenommen wird. Auf dem Tische des Vortragenden lagen verschiedene Stücken Kohle und andere unansehnliche Dinge. Vor dem Tische standen mehrere irdene Gefäße mit Kohle gefüllt. Mit dem Glockenschlage Neun hörte das Gesumme der Unterhaltung auf, da der Herzog von Northumberland, Präsident des Instituts, mit Dr. Stenhouse hereintrat, letzteren vorstellte und neben Faraday Platz nahm, worauf Dr. Stenhouse sofort seinen Vortrag ohne Komplimente begann. Er sagte, daß es drei Arten von gebrannter Kohle gäbe, die hier in Betracht kämen, Holz, Braun- und Thierkohle. Alle drei Arten haben die charakteristische Eigenschaft, unersättlich vom Winde zu leben, d. h. Gase zu verschlucken. An der schwarzen Tafel hinter ihm waren die Quantitäten oder Raumtheile der verschiedenen Gase, die eine gegebene Quantität Kohlen verschlucken kann, in Zahlen angegeben, welche tatsächlich an Pharao’s Traum erinnern, der sieben fette Kühe von sieben magern verschlingen sah, ohne daß letztere dadurch im Geringsten dicker und fetter wurden. In früheren Experimenten (fuhr er fort) war nicht gehörige Rücksicht auf die verschiedenen Gas-Appetite der drei Kohlenarten genommen worden; er habe durch sorgfältige Untersuchungen gefunden, daß Holzkohle bei Weitem das meiste Gas verschlucke, nach ihr kämen Braun- und dann Thierkohle. Die hochweise englische Regierung wisse davon freilich nichts und habe deshalb erst unlängst 600 Centner Braunkohlen für’s Hospital nach Scutari gesandt, um die Krankheitsgase wegsaugen zu lassen. Das sei ein ächtes Stück Krim-Verwaltung, es hieße thatsächlich Kohlen nach Newcastle (oder Sand nach Berlin) fahren, da in der Türkei Holzkohle das gewöhnliche Heizungsmaterial ausmache. Dr. Stenhouse war zuerst durch John Turnbull in Glasgow, Fabrikanten chemischen Düngers und von Holzkohle, auf die wundervolle Tugend der Kohle, schädliche Gase zu verschlucken, aufmerksam gemacht worden. Er hatte in zwei Gefäße zwei Hunde in geriebene Holzkohle begraben, so daß diese höchstens drei Zoll dick bedeckt waren, und sie in sein warmes Arbeitszimmer gestellt. Hier standen sie Monate lang, ohne daß jemals die geringste Unannehmlichkeit gerochen ward. Nach fünf Monaten besah er sich seine beiden todten Stubenburschen bei Lichte: sie waren vollständig verweset. Dr. Stenhouse machte dasselbe Experiment mit demselben Erfolge. Nach fünf Monaten fand er nur noch etwas unzersetztes Fett von den todten Hunden. Hierauf machte er auf den Irrthum in den meisten chemischen Büchern aufmerksam, welche der Holzkohle eine Widerstandskraft gegen Verwesung zuschreiben, im Gegentheil befördere sie dieselbe, da der in den Millionen Poren der Kohlen lauernde Sauerstoff die durch die Verwesungsprozesse frei werdenden Gase und Substanzen immer sofort fasse und mit ihnen Verbindungen eingehe, so daß die schädlichen Gase durchaus nicht über das Bereich der Kohlen hinaus kämen. Dieser Prozess gehe in’s Unendliche fort, da die Kohlen nie satt würden. (Ich berichte Dr. Stenhouse’s Behauptung, obwohl ich in Paranthese bescheiden an der unendlichen Unersättlichkeit der Kohle zweifle.)


Er ging hierauf auf sein specielles Verdienst, den von ihm erfundenen, höchst einfachen, höchst wichtigen Luftfiltrirbeutel, die vollkommenste Luftreinigungsmaschine, über. Diese Maschine besteht aus zwei engen Drahtgitterwänden, gefüllt mit Holzkohle. Dieser Filtrirbeutel kann natürlich jeder Art von Öffnung, durch welche Luft eindringt oder eingelassen werden soll, angepasst werden, so daß Jeder im seinem Hause, so ungesund es auch liegen mag, ein wohlfeiles, sicheres und vollkommenes Mittel hat, sich stets mit frischer Luft von Außen zu versorgen. In Mansionhouse, wo der Lord-Mayor residirt und zugleich zu Gericht sitzt, gehen die Fenster des Gerichtslokales in eine enge, mit einer Uriniranstalt decorirten Straße, die deshalb die Nase der Gerechtigkeit oft so arg beleidigte, daß die Verurtheilten dafür büßen mußten und die höchsten Grade von Strafen diktirt bekamen, weil mildernde Umstände durch die schlechte Luft absorbiert wurden. Seitdem sich der Herr Lord-Mayor einen Stenhouse’schen Luftfiltrirbeutel in ein Fenster des Gerichtslokales hat machen lassen, riecht man nichts mehr von der Straße [317] draußen, und in reiner Luft wird nun reinere und humanere Gerechtigkeit gesprochen.

Dr. Stenhouse zeigte dann mehrere Arten seiner Holzkohlenluftfiltrirbeutel für einzelne Nasen und Lungen, Respirators.

Die gewöhnlichen Respiratoren von Draht geben in höchster Vollendung nur warme Luft, reinigen sie aber nicht, die Kohlenrespirators, beiläufig blos ein Drittel des Preises kostend, reinigen und wärmen die eingeathmete Luft zugleich. Auch sprach er sich gegen eine Patentirung seiner Erfindungen aus: er wolle die Preise von simpeln Mitteln zum Schutze gegen Krankheiten und Lungengifte aller Art nicht vertheuern, eine Erklärung, die mit großen Beifallsäußerungen aufgenommen ward. Er machte besonders auf den wohlthätigen Gebrauch dieser Respiratoren für Aerzte und Krankenwärter in Hospitälern und bei ansteckenden Seuchen aufmerksam, für alle Personen, die in Aquaducten, Cloaken, Minen u. s. w., in Industrien zu thun haben, die lungenverderbliche Gase absetzen. Dabei gab er wieder von der Krim-Regierungsweisheit ein hübsches Beispiel. Sein Freund, Dr. Sutherland, sei nach dem Hospitale zu Scutari abgegangen und habe die Regierung um fünfhundert solche Respirators gebeten, von den verschiedenen Departements aber einzeln dieselbe Antwort erhalten, daß die Pflicht, Respirators zu besorgen, nicht zu diesem Departement gehöre, also Summa Summarum zu keinem. Die Regierung wird auch die letzte Instanz sein, welche sich dazu versteht, reine Luft zu athmen oder sie wohl gar für Andere zu besorgen.

Für überfüllte Hospitäler, Auswanderungsschiffe, enge, überfüllte Straßen in London und andern großen Städten, feuchte und ungesunde Gegenden überhaupt werde der Holzkohlen-Respirator ein wahrer Heiland werden. Und so hoffe er schließlich, daß die Zeit nicht mehr fern sei, wenn auch die empfindlichste und schwächste Person ohne Nachtheil für die Gesundheit das Bett des an bösartigen Krankheiten Leidenden besuchen, Jeder ohne Nachtheil durch die giftigsten Sümpfe und die tödlichsten Klimate der Erde wandern und Jeder seine kostbare Lunge vor den Billionen Feinden, die überall gegen sie umher schwärmen, verassecuriren werde. Vorläufig kann Jeder seine Wohnung dadurch um Hunderte von Procenten verbessern, daß er eine Fensterscheibe einschlägt und sie nicht vom Glaser, sondern vom Drahtflechter wieder ganz machen läßt und zwischen zwei Scheiben von Drahtgaze Kohlen schüttet. Hält er dann die übrigen Zugänge der Luft ziemlich verschlossen, so daß alle Luft durch die Kohlen marschiren muß, ist er der Reinheit seiner Atmosphäre um so sicherer, vorausgesetzt, daß für gehörigen Abgang der schon zum Athmen verbrauchten, des Sauerstoffs beraubten und mit Kohlensäure u. s. w. versehenen Luft gesorgt wird, wofür in England das stets im offenen Kamine brennende Feuer der beste Ausfeger ist.

Nach dem Schlusse des Vortrages drängte ich mich etwas nach dem Centrum, um mir die Helden Faraday, Tyndall u. s. w. näher anzusehen und den ersteren zu fragen, was die großen Kohlenbecken eigentlich enthielten.

„Das eine ist das Grab eines großen Katers,“ sagte er, „in dem daneben schlummern einige Ratten, ohne sich vor ihrem Nachbar zu fürchten. Der Tod versöhnt selbst diese bittern Feinde.“

Ich habe hier als Laie nach einem einmal gehörten Vortrage berichtet. Die Sache ist aber so interessant und so wichtig für die große menschheitliche Grundbedingung des Wohlseins, daß ich die Herren Sachverständigen, die an diesem Organe mitarbeiten, bitte, sie aufzunehmen, sie bestimmter zu erklären und der Menschheit mundrecht zu machen. Das Beste, Nützlichste, Einfachste, Wichtigste, Notwendigste, Wohltätigste muß man immer noch sehr oft erklären und empfehlen, in sofern es neu ist, denn der Mensch hat im Allgemeinen eine wunderbare Ausdauer und einen unüberwindlichen Heldenmuth, sich gegen Alles zu wehren, was sich ihm als Wohlthat bietet, falls diese Wohlthat das Unglück hat, sich als früher noch nicht dagewesen darzustellen, als junger Anfänger, als paßloser, polizeilich nicht approbirter, von der Großmutter nicht geerbter, vor des deutschen Bundes schützenden Privilegien nicht decorirter Fremder aus dem fabelhaften Lande der Wissenschaft. Man filtrirt in ehrwürdiger Erbweisheit den Kaffee, um ihm die beste Blume zu nehmen und ihn zu verderben, aber ehe sich der Mensch einen Filtrirbeutel in’s Fenster macht oder wohl gar vor die Nase bindet, um sich die Luft, die er athmet und von der er ganz wesentlich lebt, zu filtriren und sich so eine wesentliche Lebensversicherungsanstalt in die Physiognomie zu stecken, ehe er das thut, stirbt er lieber, obgleich er hinterher aus reiner Faulheit und Gedächtnißschwäche vergißt, wieder aufzustehen und es mit einem filtrirten Leben zu versuchen. Daß der Mensch blos einmal stirbt, ist auch eine bloße alte, schlechte Angewöhnung. Wenn die Leute todt sind, denken sie, sie mußten die Mode auch mitmachen und todt bleiben, so langweilig dies auch sein muß. In der That stirbt der Mensch gar nicht, sondern fängt sofort, nachdem der Doctor den Todtenschein geschrieben, in allen möglichen Richtungen und Geschäftszweigen der Natur erlaubte und unerlaubte Gewerbe an, nur daß er der alten Mode wegen die Leute immer in dem Glauben läßt, er sei todt. Vielleicht weiß er’s auch nicht besser, aber Factum ist, daß die meisten Menschen, wenn sie todt sind, sich mehr Freiheit nehmen, sich mehr Theilnahme am Leben erlauben als vorher. Namentlich machen sie viel in Luft und Gas und mehr, als den Leuten von Fleisch und Blut gut ist. Letztere bedürfen daher der Respiratoren, damit erstere uns mit ihren Produkten nicht übermäßig versorgen.