Textdaten
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Autor: H. M…n
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Titel: Ein Abend bei Heinrich Heine
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 8–11
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[8]
Ein Abend bei Heinrich Heine.
Fragment von H. M…n.

Welchen Eindruck die Frage Gerard de Nerval’s[1]: „Soll ich Sie Ihrem berühmten Landsmanne Heine vorstellen?“ auf mich gemacht hatte, ist mir unmöglich zu beschreiben. Die Verehrung, welche die Jugend der damaligen Zeit für den Dichter des „Buches der Lieder“ fühlte, wird der heutigen Jugend, welche schon einer vollständig verschiedenen Generation angehört, kaum verständlich sein, und die fieberhafte Aufregung, in der ich mich den ganzen Tag befand, welcher diesem für mich so bedeutungsvollen Abend voranging, ihr vielleicht ein mitleidsvolles Lächeln entlocken.

Gegen acht Uhr traf ich Gerard im Café Frascati und wir schlenderten, über Politik sprechend, der Wohnung meines berühmten Landsmannes, wie ihn mein Begleiter nannte, zu. Ich werde in diesen Zeilen noch öfter auf Gerard de Nerval zurückkommen, der eine so merkwürdige Erscheinung in der modernen französischen Literatur bildet, und ihn daher vorläufig nicht weiter schildern.

Als wir das Zimmer betraten, in welchem der kranke Dichter beinahe neun Jahre lang mit einem herzzerreißend schmerzhaften, langsamen, aber desto gewisseren Tode rang, beschlich mich eine Art von religiösem Gefühl, das hier im Tempel der Freigeisterei freilich nicht recht an seinem Platze war, gegen das ich mich indeß nur mit Mühe zu wehren vermochte. Heine saß in einem großen schwarzgrünen, ledernen Fauteuil und sein Kopf war in ein weißbezogenes Kopfkissen zurückgesunken; auf seinem Schooße ruhte ein aufgeschlagenes Buch und auf dem Tische neben ihm, auf dem eine mit grünem Schirm behangene Lampe brannte, ein Blatt Papier, worauf er eben einige Bemerkungen mit Bleistift geschrieben zu haben schien. Ich hatte schon viele Portraits von ihm gesehen, aber, wie es nur zu häufig ist, keins war dem Dichter ähnlich; denn der Ausdruck von tiefem Gefühl, welcher das schon ziemlich abgemagerte Gesicht des leidenden gewissermaßen beleuchtete, ist keinem Maler wiederzugeben möglich. Es war nicht das Gesicht, das ich erwartete, ein Gesicht, in dem der sarkastische Zug meiner Ansicht nach den sichtbaren Vorrang behaupten mußte – es war das Gesicht eines Poeten – eines Denkers, Niemand konnte sich täuschen. Gerard ergriff meine Hand und stellte mich Heine vor, und ich bemerkte ganz gut, welch einen unangenehmen Eindruck entweder mein Besuch oder meine Persönlichkeit auf diesen gemacht hatte, denn eine leichte Kopfbewegung und ein ermüdetes Lächeln waren die einzigen Zeichen des Willkommens, welcher mir geboten wurde. Einige Zeit lang unterhielt sich Gerard mit ihm über die glänzende Aufnahme, welche die von ihm selbst geleitete französische Uebersetzung seiner Gedichte in Frankreich gefunden halte, und ich drehte unmuthig meinen Hut zwischen den Knieen, mit mir selbst uneinig, ob ich mich empfehlen oder noch einige Zeit dableiben sollte. Plötzlich jedoch wandte sich der Dichter zu mir und fragte mit ziemlich accentuirter Stimme: „Und was sagt man in Deutschland zu der Idee, die mir gekommen ist, mich selbst zu verdolmetschen?“

„Ich bin seit einigen Jahren nicht in Deutschland gewesen,“ antwortete ich, „kann Ihnen daher Nichts darüber sagen.“

„Das ist schade,“ erwiderte er, „heute Morgen hatte ich den Besuch der Dichterin L. und des Professors S., die mir sagten, daß man sich sehr dafür interessirt hätte. Denken Sie Sich, Gerard, die gute Dame nannte mich ,Herr Doctor’, und ich lachte mich innerlich recht satt darüber, obgleich dieser Titel mir doch mit Recht zukommt. Wahrhaftig, lieber Herr, man hat in Deutschland ganz Recht, mich einen Renegaten zu heißen; denn wenn der König von Preußen mir den Hofrathstitel ertheilte, wäre ich fähig, mich darüber lustig zu machen, und für einen Deutschen ist das doch herzlich schlecht – nicht wahr?“

Ich wußte nichts zu antworten und begnügte mich zu lächeln. „Ja,“ fuhr er fort, sich zu gleicher Zeit an mich und an Gerard wendend, „ich bin ein sehr ungeschickter Mensch und sehe ein, daß ich in Deutschland täglich unpopulärer werden muß, denn mein Deutschland ist ein musterhaft tugendhaftes Land. Lachen Sie nicht, Gerard, Sie kennen es nicht, obgleich Sie es ein Dutzend Male bereist und Herrn von Goethe’s Faust übersetzt haben, wofür Ihnen der edle Herr eigenhändig einen Brief geschrieben hat, in dem er Sie becomplimentirt und Ihnen sagt, daß er sein Werk jetzt erst so recht beurtheilen kann, nachdem er es in Ihrer Uebersetzung gelesen.“

Er sank matt in sein Kissen. Nach wenigen Minuten aber sprach er weiter: „Ich sage Ihnen, Herr Gerard de Nerval, ich, der ich meine sieben Sachen so ziemlich allein übersetzt habe, daß ich jedesmal, wenn ich meine Uebersetzung lese, bei der Sie mich treulich unterstützt haben, mich beim Schopf nehmen und mich in irgend einem Krähenwinkel Deutschlands, wo man mich noch liebt, – wenn es nämlich noch solche Krähenwinkel giebt – auf einen öffentlichen Markt führen und rufen möchte: ,Haut ihn! haut ihn!’“

Gerard lachte, auch ich versuchte es, aber es wollte mir nicht gelingen. Wie konnte ich dem vordem angebeteten Idole gegenüber, das sich selbst persiflirte, heiter sein?

„Wahrhaftig,“ fuhr er fort, und seine Stimme wurde mit jedem Worte schneidender und mißtönender, „wahrhaftig, ich komme mir vor, als wenn ich mit der Casse meines literarischen Werthes aus Deutschland durchgegangen wäre und jetzt hier in Frankreich alle die Papiere versilbern wollte. Jedesmal, wenn ein Deutscher zu mir kommt, läuft es mir kalt über den Rücken, als wenn es ein geheimer Agent des deutschen Parnassus wäre, der meine Auslieferung von der französischen Regierung erlangt hätte und mich zurückzuführen gekommen wäre, dahin, ‚wo da ist Geheul und Zähneklappern‘, ich meine nach Deutschland.“

Sein Kopf, den er während dieser Worte mühsam in die Höhe gehalten hatte, fiel in sein Kissen zurück, und wie nach einer langen Arbeit schloß er ermüdet die Augen.

„Ja,“ begann Heine bald darauf wieder, ohne seine Stellung zu verändern, „sogar nach tausend Jahren werde ich noch verleumdet werden, und das dieser unglücklichen Uebersetzung halber. ,Sehen Sie, meine Herren!’ wird der Professor der älteren Literatur an einer Universität von Neuseeland sagen, ,jenes Zeitalter, wo die Menschen noch verschiedene Sprachen hatten, brachte eine Art von Geschöpfen hervor, die sich zu den Schriftstellern verhielten, wie der Affe zum Menschen, man nannte sie Uebersetzer. Diese Halbmenschen hatten nun die Aufgabe, die Werke eines Dichters denen, die nicht seine Sprache redeten, verständlich zu machen, und thaten das meistentheils wie die Affen, wenn sie ihren Mitaffen die Gebehrden der Menschen voräffen. Nun war da in jenem Lande, wo unsere Geologen in den Thälern ganze Schichten von versteinerten Nachtmützen aufgefunden haben und welches man Germanien nannte, ein Poetlein, Heine geheißen, welcher uns ein seltenes Beispiel von Geisteszerrüttung gegeben hat, indem er an seinen eigenen Werken zum Affen ward und sie den Franzosen vorgesticulirte!’ Ja, sehen Sie, Gerard, so wird es werden, und Sie haben einen großen Theil der Schuld auf Ihrem Gewissen.“

Ein unaussprechlich schmerzhafter Zug lagerte sich um Heines Mund, nachdem er dieses in fieberhafter Aufregung gesprochen; seine Augen schlossen sich wie vorhin und Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn.

„Ist Ihnen unwohl?“ fragte Gerard, der zu ihm herangetreten war.

Heine zeigte auf die in meiner Nähe herabhängende Klingelschnur, die ich zog. Eine Dame trat eiligst herein, warf nur einen Blick auf den Kranken, nahm dann von einer Console ein Fläschchen, von dessen Inhalt sie einige Tropfen in ein Glas Wasser fallen ließ, und näherte das so zubereitete Getränk den Lippen des Leidenden, welcher ein paar Schlucke davon trank. Einige Minuten später schien sich der Schmerz soweit gelindert zu haben, daß er die Augen wieder aufschlug und der Dame die Hand reichte, welche diese in der ihren behielt.

Aufmerksam betrachtete ich die Dame – ich errieth es, sie war Heine’s Frau. Heine’s Frau! Die, welcher es gelungen war, den wie ein Schmetterling von Liebe zu Liebe flatternden Dichter [9] zu fesseln! Wie viele von Heine’s Leserinnen und Verehrerinnen mochten gern an meiner Stelle gewesen sein, hätten gern sie gesehen, welche des Dichters letzte Liebe war! Damals war Frau Heine noch sehr hübsch und zeigte Anlage zur Corpulenz. Es war eine sehr einfache Frau, sehr einfach, sowohl in ihrem Aeußern als auch in ihrer geistigen Erscheinung. Keineswegs das Ideal eines Dichters, wohl aber eine Frau, die es zu verstehen schien, wie man einen Kranken pflegen muß. Und das hat sie getreulich gethan bis an das Ende des Dichters.

Heine’s Stimme erweckte mich aus meinen Betrachtungen; ziemlich beißend fragte er mich, ob ich den Hüter würdig der Ruine fände. Ich verstand ihn im ersten Augenblick nicht, auch ließ mir Gerard keine Zeit zum Antworten, indem er Madame Heine erinnerte, daß sie ihm gestern ein Buch für den Doctor Blanche hätte geben wollen, es aber vergessen habe. Sie antwortete, daß sie es nicht gefunden, und bat ihn, selbst nachzusehen in dem großen Bücherschranke, der im Nebenzimmer stand. Gerard verließ das Zimmer.

„Warum begleitest Du ihn nicht?“ fragte Heine seine Frau.

„Ich traue mich nicht,“ antwortete sie.

„Närrin,“ sagte Heine, „er ist ja heute gar nicht aufgeregt, er ist ja ruhig wie ein Lamm; gehe, mein Kind, geh, er könnte sich gekränkt fühlen.“

Frau Heine ließ die Hand ihres Mannes aus der ihren und schickte sich, obgleich zögernd, zum Hinausgehen an, vorher aber warf sie einen Seitenblick auf mich, den ich zu verstehen glaubte. Ich sagte darum zu Heine:

„Dürfte ich Sie bitten, mir zu erlauben, Herr Heine, Madame zu begleiten und mir Ihre Bibliothek anzusehen?“

„Das junge Deutschland,“ antwortete er mir, „scheint galant geworden zu sein. Gehen Sie mit ihr, und wenn Gerard sie beißen will, nehmen Sie einen Band meiner Uebersetzung und schleudern Sie ihn in des Ungeheuers Rachen; er wird sich die Zähne daran ausbeißen, denn diese Uebersetzung ist zäh, wie ein Dichterleben!“

„Was fehlt denn Gerard?“ fragte ich Frau Heine, als wir das Zimmer verlassen und in ein anstoßendes getreten waren.

„Wissen Sie nicht, daß er wahnsinnig ist?“ antwortete sie erstaunt.

„Wahnsinnig?“ rief ich.

„Ganz gewiß,“ antwortete mir Frau Heine. „Man kann es eigentlich nicht wahnsinnig nennen, denn ganze Tage lang spricht und handelt er wie ein vernünftiger Mensch, aber plötzlich, ohne den geringsten Grund, verliert er den Verstand, und dann redet er das tollste Zeug, das man sich nur denken kann, und darum läßt ihn auch der Doctor Blanche, in dessen Anstalt er wohnt, nur selten ausgehen.“

Man kann sich denken, welchen Eindruck das soeben Gehörte auf mich machte und wie sehr der Anblick Gerard’s, der gerade mit einem Buche aus dem andern Zimmer trat, mich ergriff. Ohne, wie ich Heine gesagt hatte, mir seine Bibliothek auzusehen, begleitete ich Gerard in das Vorderzimmer zurück, wo der kranke Dichter, der sich schon wieder erholt zu haben schien, in dem Buche blätterte, das er vor sich hatte. Wir setzten uns, und er begann wieder ein Gespräch mit Gerard über einige Sonette, die Letzterer vor einigen Tagen gedichtet hatte. Dieses Gedicht sollte den Titel „Jesus am Oelberge“ haben und die Qualen der Kreuzigung des Geistes durch den Zweifel schildern, welcher der körperlichen Marter voranging. Gerard declamirte einige Verse seines Gedichtes, die den höchsten Enthusiasmus des Kranken hervorriefen, welcher nach dieser Erregung einige Minuten lang in eine Art von Halbschlaf verfiel. Gerard starrte träumerisch vor sich hin, und ich war wie berauscht von dem Geiste der beiden Dichter, von denen der eine sterbend war, der andere wahnsinnig sein sollte.

„Sind Sie schon einmal auf der Leipziger Messe gewesen?“ fragte mich Heine plötzlich. Ich antwortete bejahend.

„Jeder Maler, der Scenen aus der biblischen Geschichte malen will, müßte die Leipziger Messe besuchen,“ fuhr er fort; „ich war einmal dort … ich besinne mich nicht mehr, wann; aber daß es im Anfange meiner literarischen Laufbahn war, weiß ich gewiß. Da sah ich Köpfe, die mir die Bibel besser erklärten, als alle Commentare. Es giebt unter den polnischen Juden eine Stufenleiter von der abscheulichsten, Ekel erregenden Häßlichkeit an bis zur vollkommen plastischen Schönheit, welche für das künstlerische Studium der heiligen Schrift vom höchsten Nutzen sein muß. Ich sah einmal vor einer Restauration auf einer leeren Kiste sitzend einen ungefähr fünfundzwanzigjährigen Juden, der mit einem so unaussprechlich traurigen Blick auf das bunte Gewühl um sich blickte, daß ich mir den jungen Daniel lebhaft vorstellte, wie er, vielleicht auch auf einer Kiste auf der Messe zu Babylon sitzend, verächtlich-traurig auf die lärmenden, lachenden, schimpfenden Juden herabsah, die ihr Leid, ihr Weh, ihre verlorene Freiheit und ihre harte Gefangenschaft vergaßen … wenn sie nur handeln konnten! Denn, täuschen Sie sich nicht, meine Herren! man hat dem Juden die Geldgier als Fundamentallaster aufgebürdet – dem ist nicht so. Das Laster aller Laster, welches den Juden beherrscht – besonders den polnisch-deutschen – ist die Handelsgier; er ist wie der Spieler, welcher nicht des Gewinnes, sondern nur des Spieles halber spielt.

Der Jude muß kaufen und verkaufen, sonst ist er unglücklich, und ich glaube fast, daß jedesmal, wenn das alte Testament von den Leiden des Volkes Gottes sprach, es meinte, daß es gerade einmal nichts zu handeln gehabt hätte. Würde die Regierung ein Gesetz erlassen, das den Christen allein den Handelsbetrieb gestattete – seien Sie versichert, daß die Juden sich massenhaft taufen lassen würden. Außer diesem kenne ich am Juden kein Laster, er ist gut, weichherzig, wohlthuend, sich aufopfernd und edel; handeln aber muß er, und wenn er auch nach dem abgeschlossenen Geschäfte den Gewinn vielleicht für wohlthätige Zwecke verschenken sollte, er wäre doch der Verzweiflung nahe, wenn eben dieses Geschäft ihm mißlungen wäre! Um jedoch wieder auf meinen Daniel zu kommen, ich kann Ihnen gar nicht sagen, welch ein tiefer, inniger, herber Leidensausdruck sein Gesicht überschattete.“

„Er dachte vielleicht an irgend eine Susanne,“ sagte ich.

„Ich glaube nicht,“ erwiderte Heine, „die Liebe existirt nicht bei diesen Juden, wohl aber ein exaltirtes Gefühl für Familie und Häuslichkeit, das in ihrem Herzen jene ersetzt. Wahrhaftig, meine Herren, ich habe auf der Leipziger Messe alle männlichen Typen der heiligen Schrift gesehen, und ich wiederhole es Ihnen, ich würde jedem Maler anrathen, eine Reise dorthin zu machen.“

„Haben Sie auch den Ihren Ideen entsprechenden Typus eines Judas gefunden?“ fragte ich.

Heine schwieg einen Augenblick. „Sie haben Recht,“ sagte er endlich, „der fehlte mir, und so wie ich die Juden kenne, so ist mir immer die Persönlichkeit dieses Schülers des Heilands unbegreiflich geblieben. Was er gethan, liegt so wenig in der jüdischen Natur, wie das Mordbrennen und das Wegelagern; und ich würde mich weigern, der Madame Ischarioth, seiner Frau Mutter, ein Zeugniß ehelicher Treue auszustellen, besonders da die römischen Centurionen, wie Josephus sagt, den schönen Jüdinnen sehr gewogen waren, was ihnen ihre Nachfolger, die heutigen Lieutenants, gewissenhaft nachmachen. Haben Sie den Muth, Gerard, dem Judas Ihres Gedichtes einige Tropfen römischen Blutes in die Adern fließen zu lassen?“

Doch Gerard hörte den Scherz seines Freundes nicht; seit einigen Augenblicken schon hatte ich bemerkt, daß sein Blick fest auf den Boden geheftet war und daß er mit den Fingern seiner Rechten krampfhafte Bewegungen machte … Heine richtete sich auf und warf einen forschenden Blick auf ihn. „Klingeln Sie!“ rief er hastig. Ich gehorchte – wiederum trat Frau Heine ein, doch kaum hatte ihr Mann mit dem Finger auf Gerard gezeigt, als sie sich schleunigst entfernte und einige Minuten später mit einem ältlichen, aber noch rüstigen Manne, den ich als den Portier des Hauses wiederzuerkennen glaubte, zurückkehrte. Dieser, welcher ganz gut zu verstehen schien, was er zu thun hatte, näherte sich Gerard und ergriff ihn bei der Hand.

„Wollen Sie Ihrem besten Freunde einen Dienst erweisen?“ fragte er. Gerard hob den Kopf in die Höhe und sah ihn scharf an.

„Ich kenne Sie nicht!“ sagte er mit rauher Stimme.

„Das glaube ich wohl,“ antwortete der Andere ruhig. „Herr Alexander Dumas schickt mich zu Ihnen; er befindet sich sehr unwohl in einem Hause einige Straßen von hier und bittet Sie, sich schleunigst mit mir zu ihm zu begeben.“

„Dumas krank!“ rief Gerard fieberhaft, sprang auf, griff nach seinem Hute und verließ ohne uns weiter im Geringsten zu beachten, von dem Andern gefolgt, schnell das Zimmer.

Ich saß da, ohne eine Silbe von Allem, was vorgegangen war, verstanden zu haben.

[10] „Und morgen wird der Unglückliche aufwachen,“ sagte Heine nach einer kleinen Pause, „ohne sich des heute Abend Vorgefallenen nur zu entsinnen. Würden Sie das Wahnsinn nennen? Die Geschichte mit einem plötzlichen Unwohlsein Dumas’, den er wie einen Bruder liebt, hat mir schon manchmal gedient. Jetzt führt ihn mein Portier zum Doctor Blanche, dessen Anstalt er bewohnt, und wenn die Krankheit seit einem Monate nicht wesentlich fortgeschritten, so ist er morgen schon wieder auf den Beinen.“

„Ich habe nie von alledem gewußt, obgleich ich Gerard seit zwei Monaten kenne,“ sagte ich.

Heine hatte seinen Kopf wiederum in’s Kissen zurückfallen lassen. Seine Augen waren nicht geschlossen, seine Hand nicht zusammengekrampft, kein Zeichen körperlichen Schmerzes war an ihm sichtbar, und doch las ich in seinen abgemagerten Zügen solch herben, herzzerreißenden Schmerz, daß ich Alles aufzubieten suchte, um ihn zu zerstreuen, und mich, wie es gewöhnlich bei solchen Gelegenheiten geht, sehr ungeschickt dabei benahm und die Sache verschlimmerte.

„Wie ist denn diese sonderbare Geisteskrankheit dem armen Gerard gekommen?“ fragte ich in der Absicht, ihn durch eine Erzählung nach und nach auf ein anderes Thema zu bringen. Er schwieg einen Augenblick.

„Nehmen Sie doch jenes Buch da vom Fenster,“ sagte er. „Es sind Schiller’s Gedichte, thun Sie mir den Gefallen und lesen Sie mir ‚das verschleierte Bild zu Saïs‘ vor.“

Ich gehorchte, suchte das Gedicht und las es. Als ich geendet hatte, sah mich Heine regungslos an. „Sie fragten mich, woher Gerard’s Geisteskrankheit komme,“ sagte er, „Schiller hat Ihnen geantwortet, wenn Sie anstatt ‚Wahrheit‘ – ‚Glück‘ setzen … Ja,“ fuhr er nach einer Pause fort, „wen Jupiter strafen will, macht er zum Dichter! Armer Gerard! Denken Sie Sich, lieber Herr, er hat in der ganzen literarischen Sippschaft keinen einzigen Feind … alle Börsen sind ihm offen und Niemand weiß, woher ihm sein Wahnsinn kommt, ich auch nicht, und doch errathe ich es! … Einen großen Dichter haben Sie heute Abend gesehen, er ist verrückt; kommen Sie einmal des Donnerstags her, dann will ich Ihnen Alfred de Musset zeigen, welcher in einer Flasche Absynth Vergessen und Tod sucht und ihn sicher bald finden wird. Ich habe ihn oft und hart angegriffen und muß doch eingestehen, daß er einer der größten Poeten unserer Epoche ist … nein gewesen ist; denn jetzt ist er nichts mehr als eine Ruine … Sie können Sich auch den Doctor der Jurisprudenz Heinrich Heine ansehen, welcher die Rückenmarkdarre hat, obgleich man ihm das Gegentheil einreden will – das ist auch einer der Dichter unserer Zeit, die an einer Art von poetischem delirium tremens sterben werden, und recht bald, so Gott will … Lieber Herr, thun Sie mir den Gefallen, wenn Sie einmal einen Sohn haben, der poetische Anlagen besitzt, geben Sie ihm so viel Grütze zu essen, daß er fett wird und seine ganze Poesie in seinem Fette verschwindet …“

Ich konnte es nicht länger ertragen.

„Schweigen Sie, schweigen Sie!“ rief ich, „Sie regen mich zu schmerzlich auf … und Sich gewiß noch mehr.“

Heine lachte.

„Armer junger Mann!“ sagte er, „leben Sie noch ein Jahrzehnt in der Welt und Sie werden über die Jeremiaden des sterbenden Poeten lachen, wie unser ganzes Geschlecht!“

Und er lachte weiter mit einem krampfartigen, mißtönenden Lachen, das mir das Mark in den Knochen erstarrte und machte, daß ich mich meilenweit fortwünschte.

Ich schauderte … es ist mir unmöglich, die Gefühle, die mein Gehirn verwirrten, wiederzugeben. Der Cynismus des Kranken erregte mir Abscheu, seine Schmerzen Mitgefühl, sein Geist Bewunderung. Als ich ihm darauf bemerklich machte, welchen Antheil das deutsche Publicum an Heine’s Leiden nehme, lachte er aus vollem Halse, d. h. so sehr es seine Krampfanfälle zuließen.

„Sie haben Recht,“ sagte er, „neulich war der große Schimpanse des Jardin des Plantes auch unwohl, und ganz Paris interessirte sich für den kranken Affen, und als er endlich starb, gab es Kindermädchen, die täglich den Garten besuchten, welche traurig den Kopf hängen ließen und seufzend ihren Gefreiten sagten: ‚Ach, solch einen Affen giebt es nicht mehr!‘ Ich werde eher in Deutschland vergessen werden, als der große Affe des Jardin des Plantes, und ich will Ihnen auch erklären weshalb und Deutschland gegen mich selbst vertheidigen. Ich hätte mir als lyrischer Dichter Ruhm erwerben können … und Deutschland hätte mich geliebt, als satirischer hätte es mich gefürchtet, als Polemiker hätte es auf mich gehört und mich gehaßt! Nun bin ich aber, Gott sei’s geklagt, so ziemlich Alles gewesen und Niemand weiß mich zu classificiren; da mein Deutschland sich aber nicht gern den Kopf über Kleinigkeiten, wie ich bin, zerbricht und zu viel zu thun hat, um die transscendentalen Ideen seiner Politiker zu begreifen, so macht es unter mein Dichten und Trachten einen Strich und sagt: diese Rechnung ist geschlossen! und geht zu einem anderen Conto über.“

Ich mußte malgré moi die Einfälle des Kranken belächeln.

„Bitte, holen Sie mir einmal aus dem Schranke dort Alfred de Musset’s Poesien,“ sagte er, „geben Sie das Buch her, hier … lesen Sie mir einmal diese Stelle vor. Ich kann den Menschen nicht leiden, und doch ist es mir ein Bedürfniß, seine Verse zu hören.“ Ich las … es war eine der besten und zugleich der schrecklichsten Poesien des verzweifelten Dichters. Es ist „Les voeux stériles“ betitelt und ist wahrscheinlich in Deutschland wenig bekannt. Das Gedicht ist an die Poeten und poetischen Naturen gerichtet und prophezeit ihnen, daß die Menge sie und ihre Gefühle immer verhöhnen wird, daß die Menge nur an Thatsachen, an „fließendes Blut“ glaubt, aber „tiefe, verzehrende Seelenschmerzen“ als poetische Erfindungen verlacht. Es ist unmöglich, eine Analyse dieses schaurigen Meisterwerkes zu geben, und diejenigen, welche sich für die Unterhaltung interessiren, die ich an diesem mir unvergeßlichen Abend mit Heine hatte, müssen es selbst lesen. Mit geschlossenen Augen hatte mir Heine zugehört und während meiner Lectüre in kleinen Zügen das vorher von seiner Frau bereitete Getränk geleert. Als ich geendet hatte, fragte er mich, ob ich das Gedicht schon früher gelesen. Ich verneinte es.

„So lesen Sie es, so oft Sie können,“ sagte er, „und wenn Sie ein Dichter sind oder Anlagen dazu haben, was ich fast befürchte, dann lesen Sie es täglich Morgens, Mittags und Abends, lernen Sie es auswendig und lehren Sie es Ihre Kinder; beinahe möchte ich Ihnen sagen, wie die Juden in ihren Gebeten: schreiben Sie es an die Pfosten Ihres Hauses und binden Sie es vor Ihre Stirn.“

„Und wenn das Alles nicht hilft?“ fragte ich schüchtern.

„Ja dann,“ sagte der kranke Dichter sehr ernst, „wenn es geschrieben steht … dann kann kein Musset helfen, dann, mein lieber Landsmann, kann ich Ihnen nur rathen, die Märtyrerkrone mit Würde zu tragen und“ – er lächelte beißend – „Ihr Geld keinem Schwindler anzuvertrauen! Und nun leben Sie wohl, lieber Herr, ich werfe Sie hinaus, aber, Sie werden mir verzeihen, ich muß mich schonen, denn ich erwarte noch einen Besuch und habe sehr viel gesprochen … Leben Sie wohl, und wenn Sie wieder nach Paris kommen, besuchen Sie mich – wenn ich nämlich dann noch sichtbar bin,“ setzte er mit einem mir gezwungen scheinenden Lachen hinzu.

Ich ging näher und reichte ihm die Hand … Heute darf ich es gestehen, hätte ich mich nicht mit Gewalt bezwungen, ich hätte geweint.

Eine Dienerin öffnete die Thür und meldete: „Frau von Girardin.“

„Da kommt mein seit einem ganzen Monate erwarteter Besuch!“ rief Heine.

Eine schlanke, noch jugendliche Figur mit einem höchst interessanten Gesichte trat ein und ging auf den Dichter zu, dem sie herzlich die Hand drückte.

„Ave, Delphina gratia plena, moriturus te salutat!“[2] rief Heine; „ich werde heute Abend sehr Pedant sein, liebe Madame, ich habe eine ganze Stunde mit einem Deutschen, dem hier, gesprochen.“

Erröthend verneigte ich mich und schritt der Thür zu.

„A propos!“ rief mir Heine nach, „da Sie wahrscheinlich einmal dem Verlangen unterliegen werden unsere Unterhaltung zu veröffentlichen, so thun Sie mir doch den Gefallen, Nichts von Ihrer eigenen Erfindung hinzuzusetzen und meine Gedanken so dem hochverehrten Publicum wiederzugeben, wie Sie solche von mir erhalten. Thun Sie mir den Gefallen, seien Sie ein ehrlicher Mensch … nicht wahr?“

Ich ging. –

[11] Einige Jahre später kehrte ich von den Antillen nach Paris zurück; ich suchte alte Bekannte auf und erkannte, wie wenig Heine sich in seinen Prophezeiungen getäuscht hatte. Er war seiner furchtbaren Krankheit erlegen.

Frau von Girardin war gestorben.

Alfred de Musset war der so lang gesuchte Tod in seinem letzten Glase Absynth geworden. An einem Laternenpfahl in einer entlegenen Straße hatte man eines Morgens einen Leichnam hängen gefunden. Es war Gerard de Nerval, der sich selbst die Schlinge um den Hals gelegt hatte.





  1. Gerard de Nerval, ein talentvoller Dichter der neuromantischen Schule Frankreichs, hatte u. A. Goethe’s Faust übersetzt, in seiner Lorelei seine Reise nach Thüringen und an den Rhein beschrieben und ging Heine zur Hand, als dieser seine Schriften in’s Französische übersetzte. „Gerard de Nerval war eine träumerische Natur,“ sagt Alfred Meißner, „die es nicht verstand literarisch zu speculieren, was seine Landsleute so gut können.“ Geistig zerrüttet, ohne einen Sou in der Tasche, wurde er in einer kalten Februarnacht an einen Laternenpfahl erhängt gefunden.
    Die Redaction.
  2. „Willkommen, anmuthvolle Delphina, ein Sterbender begrüßt Dich!“