Ehre wem Ehre gebührt (Die Gartenlaube 1868/51)

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Titel: Ehre wem Ehre gebührt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 815–816
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[815] Ehre wem Ehre gebührt. Die schöne alte Stadt Trient an der Etsch im Lande Tirol ist Jedermann bekannt durch die große Kirchenversammlung – das tridentinische Concil –, welche auf Betrieb Kaiser Karl’s des Fünften von 1545 bis 1563 hier abgehalten wurde und mit seinen Beschlüssen und Bannflüchen gegen die Ketzer die definitive Trennung von Protestanten und Katholiken vollzog. Weniger bekannt vielleicht ist unseren Lesern, daß seit Jahrhunderten die Bereitung eines Industrieerzeugnisses in Trient ihren Hauptsitz aufgeschlagen hat, dessen Name, gleich dem jenes Conciles, nur mit erfreulicherem Klange, durch die Welt geht. In Trient und in dem angrenzenden Wälschtirol überhaupt wird nämlich der größte Theil jener pikanten Würste fabricirt, die sich als Salami di Verona unter italienischer Flagge bei uns eingeschmuggelt haben, die wir aber hiermit als deutsches Product reclamiren wollen, denn trotz Garibaldi und Italianissimi lassen wir uns nicht irre machen, die ganze gefürstete Grafschaft Tirol bis zum Gardasee hinab nach wie vor für das deutsche Reich in Anspruch zu nehmen.

„Es liebt der Mensch, das Strahlende zu schwärzen“ etc., sagt Schiller; auch die edlen Salami sind diesem Schicksal nicht entgangen. Man redet den Trefflichen nach, sie entstammen dem Fleische dienstunfähig gewordener oder, noch schlimmer, ihren Leiden bereits erlegener Esel oder dem Wasenmeister verfallener Gäule. Eine schnödere Verleumdung ist indessen noch niemals erdacht worden, an all’ diesen Beschuldigungen ist kein wahres Wort, wie wir, seit Jahren in Wälschtirol lebend und mit dem betreffenden Industriezweige genau vertraut, im Nachstehenden zur Ehrenrettung der gekränkten Pseudo-Veroneser und zu Nutz und Frommen für Diejenigen darthun wollen, die jene lügnerische Behauptung einer gesunden und zu gleich leckeren Speise entfremdet.

Die Salami sind allerdings Veroneser Ursprungs; der Heimath Romeo’s und Julie’s soll der Ruhm gebühren, die Delicatesse erfunden und längere Zeit ausschließlich fabricirt zu haben. Auch heute noch wird sie in Verona verfertigt, doch in unbedeutendem Maße und von weit geringerer Qualität als in Trient und dessen Umgebung, die Etsch hinunter bis nach Roveredo. Das zwischen italienischer und deutscher Temperatur die Mitte haltende Klima des Etschlandes mag hauptsächlich die Ursache werden, daß die Salamifabrikation hier gedeiht wie sonst nirgendwo; wenigstens sind bis jetzt die Versuche, welche man angestellt hat, die Industrie in Wien und mehreren anderen Orten Oesterreich’s einzubürgern, gescheitert, obschon man die erforderlichen Arbeiter ebenso wie alles dazu nothwendige Material aus Trient verschrieben hatte. Ein gleichmäßiges, trocknes, klares Winterwetter mit zwei, höchstens drei Grad Kälte scheint allein das Gelingen des Productes zu bedingen.

Nur eine bestimmte Schweinerace ist es, deren Fleisch als Hauptbestandtheil zu den Salami verhackt wird; eine kleine durchaus schwarze Race mit sehr kurzem Haar und langen Hängeohren, welche man in den oberitalienischen und südtirolischen Bergen zieht, für deren Bewohner sie keinen unbeträchtlichen Erwerb bildet. Das Fleisch aller anderen Schweinegattungen, unserer deutschen wie der sogenannten ungarischen, ist nach vielfältiger Erprobung zur Erzeugung von Salami völlig ungeeignet.

Diese italienischen Schweine haben sich einer besonderen Erziehungsmethode zu unterwerfen, um ihren Wurstzwecken zu entsprechen. Die Zeit ihrer Kindheit verleben sie in der milden Luft der Thäler; sobald sie aber sattsam herangewachsen sind, verpflanzt man sie zur schließlichen Vervollkommnung, d. h. zur Mast, auf die Berge, deren aromatische Nahrung ihrem Fleische die Kraft und Würze verleiht, welcher man zur Salamibereitung bedarf. Für die Waare erster Qualität dient einzig und allein das Fleisch an Rippen und Lende; alles Uebrige giebt ein minder vorzügliches Fabrikat.

Ein anderer, quantitativ jedoch wesentlich untergeordneter Bestandtheil unserer Veronesen kommt aus dem nahen Pusterthale, von dem ausgezeichneten Rinderschlage, welchen man hier cultivirt und der sich durch die Zartheit und den Wohlgeschmack seines Fleisches vor vielen anderen Gattungen zur Mast empfiehlt, jedenfalls dem berühmten Schweizer Vieh nicht nachsteht. Die Salami sind Früchte des Winters, sie werden lediglich in den Monaten November, December und Januar bereitet, weil blos in dieser Zeit die Temperatur ihrer Fabrikation gemäß ist. Nach dem Schlachten der Schweine läßt man das Fleisch eine Woche lang der Kälte ausgesetzt, zerhackt es dann so klein, wie man es braucht, und breitet es nachher auf schiefen und eng neben einander befindlichen Stäben mindestens vier Tage [816] lang zum Trocknen aus. Jetzt erst beginnt die Mischung der eigentlichen Wurstmasse; auf je hundert Pfund Schweinefleisch kommen, bei den feinsten Salamiarten, nicht mehr als fünfzehn Pfund Rindfleisch.

Eine ziemlich umfängliche Maschinerie, die mittels eines großen Rades von zwei handfesten Männern in Bewegung gesetzt wird, füllt die Masse in die Ochsendärme. Die also hergestellte, gleichsam endlose Wurst wird in die einzelnen Formate „abgebunden“, wie sie in den Handel kommen, und hierauf in ein Gefäß mit warmem Wasser gebracht, damit sich das Gemeng zu einem festen Ganzen zusammenfügt. Endlich läßt man das Product drei Monate lang unter dem Dache von dem freien Durchzug der Luft bestreichen und vollendet damit die Reihe der Processe, welche es zu durchlaufen hat, bis es verkäuflich und genießbar wird. Tritt während dieses letztern Stadiums zufällig mildere Witterung ein, so muß ein guter Keller den Dachraum ersetzen; indeß geschieht dieser Wechsel immer nur auf Kosten der Güte des Erzeugnisses. Auch die Zubereitung der zur Umhüllung benützten Ochsendärme erheischt eine besondere Kunst. Sie müssen wenigstens zwei Jahre lang im Wasser gelegen haben, ehe sie die wünschenswerthe Feinheit und Dünnhäutigkeit erlangen.

Die Gartenlaube stellt sich die Aufgabe, jedem Vorurtheil und Aberglauben nach Möglichkeit entgegenzuarbeiten, wir glauben daher, sie werde auch gern dazu beitragen, einen Irrthum auszurotten, welcher in Bezug auf die Abstammung eines vielgenannten Genußmittels sich so hartnäckig festgesetzt und so weite Verbreitung gefunden hat. Es sei uns jetzt blos noch verstattet, die volkswirthschaftliche Bedeutung unseres Industriezweiges mit einigen Ziffern zu belegen, die wir neueren Erhebungen entnommen haben. In Wälschtirol allein fallen den Salami im Jahre über fünfzehntausend armer Rüsselträger, jeder im Durchschnitt von zweihundert Pfund Gewicht, zum Opfer. Diese Schweinelegion repräsentirt einen Gesammtwerth von etwa einer Million einmalhunderttausend[WS 1] Gulden. Außerdem werden jährlich an fünfhundert Ochsen zu Salamizwecken verschlachtet, welche, jeder zu vierhundert Pfund berechnet, die ansehnliche Summe von hundertundsiebenzigtausend Gulden ergeben. Das lange Trocknen an der Luft, dem die Waare unterliegen muß, bewirkt einen sehr nennenswerthen Gewichtsverlust, mehr als dreißig Procent.

Sechszehn Arbeiter können in der Woche etwa dreißig Centner Salami verfertigen. Von dem Fabrikate erster Qualität kostet der Centner an Ort und Stelle achtzig Gulden. Sieben Achtel der Waare geht nach dem Auslande, namentlich nach dem südlichen Deutschland, nach Ungarn und Frankreich, ja selbst direct nach Asien und Afrika. Nach Norddeutschland kommt verhältnißmäßig nur ein kleiner Bruchtheil des Exports, welcher, Jahr aus Jahr ein, ein hübsches Stück Geld, über drei und eine halbe Million Gulden, in’s Land bringt. Ob und in welchem Maße die Trichinenscheu den Verbrauch der Salami beeinträchtigt hat, vermögen wir nicht zu sagen; so viel wir wissen, sind jedoch Fälle von Trichinose in Oberitalien und Tirol noch nicht beobachtet worden.

Das Salamigeschäft endlich vertheilt sich auf wohl hundert Fabrikanten, von welchen zwei, der eine in Trient selbst, der andre in der unmittelbaren Nachbarschaft, als die Salamikönige zu bezeichnen sind.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. oder einhunderttausend; Vorlage: einmahunderttausend