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Titel: Der Kerker einer Königin
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aus: Die Gartenlaube, Heft 51, S. 816
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[816] Der Kerker einer Königin. Die Conciergerie in Paris ist gegenwärtig ein Gefängniß für Angeklagte, nicht für Verurtheilte. Der Eingang zu demselben befindet sich rechts von der prachtvollen Freitreppe des Justizpalastes. So breit und herrlich diese Treppe ist, so schmal ist dieser Eingang. Man muß erst einige Stufen hinabsteigen und befindet sich dann vor einer niedrigen Thüre. Diese wurde mir von einem Aufseher geöffnet und mir nach Ablieferung meiner Eintrittskarte ein Begleiter gegeben. Ich folgte ihm durch mehrere von qualmenden Lampen nur spärlich beleuchtete Gänge. Nach einigen Minuten blieb er vor einer stark verriegelten Thüre stehen. Er schob die Riegel von derselben weg, aber nur die untere Hälfte öffnete sich, so daß ich die Ermahnungen meines Führers, mich tief zu bücken, beherzigen mußte, um mich nicht am Kopfe zu verletzen. Ich duckte mich und trat in eine kleine, mit einem stark vergitterten Fenster versehene Zelle.

„Das ist das Gefängniß der Königin Marie Antoinette!“ sagte mein Führer. Dieser Kerker, in welchem die Königin sechsundsiebzig Tage, vom zweiten August bis zum sechszehnten October, zubrachte, hat kaum acht Fuß im Gevierte, und man begreift nicht, wie hier Tisch, Bett und Stuhl haben Platz finden können. Dem Eingang gegenüber befindet sich das vergitterte Fenster, das mehr dazu dient, die Finsterniß zu zeigen, als zu verscheuchen. Die Königin mußte ihre Augen gewaltig angestrengt haben, als sie hier ihre Kleidung und Wäsche ausbesserte. Sie hatte zwar sehr feine, mit Brabanter Spitzen besetzte Hemden; aber die Quantität entsprach der Qualität nicht. Sie besaß deren nämlich nur drei und sie wechselte dieselben erst nach zehn Tagen. Mit einer Nadel kratzte sie in die Mauer das Verzeichniß der Gegenstände ein, die sie zur Wäsche gab. Sie mußte, um ihre Garderobe nur einigermaßen in einem erträglichen Zustande zu erhalten, allerlei Mittel ersinnen. Als sie eines Tages ein Strumpfband brauchte, dröselte sie den gewirkten Teppich an ihrem Bette auf und strickte sich ein Strumpfband mit den gewonnenen Fäden. Zwei Zahnstocher mußten bei dieser Gelegenheit die Stricknadeln ersetzen. Zu solchen Erfindungen sah sich die Tochter der Maria Theresia genöthigt!

Außer der erwähnten Eingangsthür, die unverändert erhalten worden und während der Gefangenschaft der Königin streng verschlossen blieb, befand sich links in der Kerkerwand noch eine kleine Thür, die jetzt vermauert ist, damals aber durch eine spanische Wand geschlossen wurde, welche von dem wachthabenden Posten jeden Augenblick geöffnet werden konnte. Sie war auch meist geöffnet und die unglückliche Fürstin blieb immer streng beobachtet. Ich habe in Mainz einen alten Mann gekannt, der unter Ludwig dem Sechszehnten in der französischen Armee gedient und zu wiederholten Malen versicherte, daß er vor dem Kerker Marie Antoinettens Posten gestanden und sie mit der Ausbesserung ihrer Strümpfe beschäftigt gesehen. Ich hatte schon damals keinen Grund, an den Worten des Mannes zu zweifeln, und jetzt, nachdem ich seine Schilderungen des Gefängnisses mit meiner eigenen Anschauung vergleiche, bin ich von der Wahrheit seiner Behauptung fest überzeugt. Die Königin, stets den Blicken eines gemeinen Soldaten ausgesetzt, hatte nicht einmal den Trost der Einsamkeit. Der Boden des Kerkers ist mit Ziegeln gepflastert, und die Königin mochte in ihrer dünnen Kleidung während der Herbsttage von der Kälte gelitten haben. Sie hatte anfangs einige Hoffnung, die Freiheit zu erlangen. Der General Michonis führte nämlich den als Maurer verkleideten Herrn von Rougeville ein. Dieser ließ eine Nelke zu Boden fallen. In dieser Nelke befand sich ein Billet, welches der Königin mittheilte, daß man auf ihre Befreiung bedacht sei. Die Antwort der Königin auf diese Zeilen wurde jedoch von einem Gensdarmen ausgeliefert. Michonis büßte sein geheimes Einverständniß auf dem Schaffot.

In demselben Kerker hat auch die Dubarry die letzten Stunden ihres unwürdigen Lebens vertrauert.

Rechts von dem Kerker der Königin und nur durch eine jetzt durchbrochene Mauer getrennt, befindet sich noch ein anderer kleinerer Kerker, in welchem Robespierre mit zerschmetterter Kinnlade die furchtbare Nacht vor seiner Hinrichtung verbrachte. Diesem gegenüber befindet sich eine bogenförmige Oeffnung, die zu dem Saale führt, in welchem nach der bekannten Sage die Girondisten am Vorabend ihrer Hinrichtung das Banquet gefeiert haben sollen. Dieser Saal, oder vielmehr dieses weite Gewölbe ist jetzt in eine weite Capelle umgewandelt, wo jeden Sonntag die Gefangenen dem Gottesdienste beiwohnten. Der Kerker Marie Antoinettens hat einige Veränderungen erlitten. Die Wände sind mit neuen Tapeten bekleidet, und an der Wand rechts vom Eingang befindet sich eine Marmortafel, auf welcher in goldenen Lettern zu lesen ist, wie lange die Königin in diesem Kerker gefangen saß. In der Nacht, auf welche ihre Hinrichtung folgte, schrieb sie den schönen Brief an Diadame Elisabeth. Ich habe diesen Brief im Staatsarchiv gesehen. Er besteht aus zwei Quartblättern. Das Papier ist vergilbt und mehrere Tintenkleckse sind wahrscheinlich durch Thränen entstanden, welche der Schreiberin entfallen. Die Handschrift aber ist fest und sicher und verräth durchaus nicht, daß die Zeilen einige Stunden vor ihrer letzten Stunde geschrieben sind. Marie Antoinette hatte keine Zeit mehr, diesen Brief zu vollenden. Er bricht in der Mitte ab, er ist ein Fragment; er zeigt aber von der Energie der Frau, die mit seltener Fassung und Ruhe in den Tod ging.