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Titel: Ehestandsdifferenzen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18 und 19, S. 303–306, 319–322
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[303]
Ehestandsdifferenzen.


Der „offene Abend“ in den schönen Räumen des Malers Arnold Hartung war vorüber, und wo eben noch eine heitere Gesellschaft plaudernd durcheinander gewogt hatte, stand jetzt die Zimmerreihe leer im hellen Lichtglanze. Man hätte sie für verlassen halten können, wäre nicht dann und wann ein Schall von Lachen und Gläserklirren durch die halb geöffnete Thür erklungen, die ganz zu hinterst in das hohe, mit alten Möbeln und Teppichen reich ausgestattete Atelier des Hausherrn führte. In der That saßen dort in der Nische neben dem mächtigen grünen Kachelofen die Intimsten des Hauses noch bei dem Reste der Bowle [304] zusammen, um den Abend mit einer gemüthlichen Plauderstunde zu beschließen. Meister Arnold lag behaglich im hohen Lehnstuhle, die Cigarre zwischen den Fingern, und unterhielt sich mit seinem alten Freunde, Professor Hilger, während auf der andern Seite des Tisches sich ein paar Gruppen um die anmuthige Hausfrau gebildet hatten. Zunächst ihre kürzlich verheirathete junge Schwester und deren Gemahl, welche letzteren Beiden heute in ganz ungewohnter Schweigsamkeit nebeneinander saßen, dann das ältliche Tantchen des Hauses und ihr alter Plagegeist, Doctor Aegidius Pfefferkorn, ein „hartgesottener Sünder“, wie sie ihn mit Vorliebe zu nennen pflegte, ohne deshalb aber seinen Neckereien im Geringsten aus dem Wege zu gehen. Links davon unterhielten sich ein schöner junger Mann und eine reizende Blondine lachend miteinander. Beide waren seit zwei Jahren als Schüler in diesem Atelier, und die Welt hatte sich nach langem vergeblichem Beharren endlich entschließen müssen, die Beiden als Paar aufzugeben. Olga Petroff, eine junge Russin, hatte offenbar nur ihre Kunst im Kopfe und Richard von Stetten mußte trotz aller verbindlichen Formen ein versteckter Weiberfeind sein, anders ließ sich die Sache nicht erklären.

„Nun, Doctor,“ sagte die Tante und füllte ihrem Feinde das Glas, „Sie strecken sich ja so bequem und behaglich am Ofen, daß man denken sollte, Sie hätten hier einmal die ‚vollkommene Existenz‘, die sonst nirgends zu finden ist, glücklich erwischt.“

„Jungfer Apolloine,“ erwiderte er, das Glas absetzend, „Sie sprechen in den Tag, oder vielmehr in die Nacht hinein, wie Sie’s verstehen, was freilich eine der allgemeinen weiblichen Gewohnheiten ist. Im Uebrigen gebe ich Ihnen zu bedenken, daß die wunderbarste Existenz, wie wir sie z. B. eben hier führen, keine vollkommene ist, sobald man weiß, daß sie in einer Stunde spätestens aufhört, ganz abgesehen davon, daß schon in den nächsten Minuten ein politischer Disput oder ein Kunstgespräch der Herrlichkeit ein Ende machen kann.“

„Ja, es ist schändlich,“ rief Richard, der den letzten Satz gehört hatte, mit der Hand durch seine krausen Haare fahrend. „Hier glänzen die Farben und der Schmuck der Damen, dort das Gold am Vorhange so frisch aus dem Dämmerlichte heraus, daß man meint, man könne sie morgen nur so auf die Leinwand werfen; die besten Ideen schwimmen hier in der Luft, und dann – gute Nacht! heraus aus all’ dem Zauber und hinunter in den kalten Mondschein, der Einem heimleuchtet in die frostige Junggesellenwohnung. “

„Nun hört den verrückten Menschen!“ rief Arnold laut lachend. „Klagt er nicht herzbrechend und brauchte nur die Hand auszustrecken, um es gerade so gut zu haben, wie andere Leute! Warum heirathest Du denn nicht, wenn Dir die Junggesellenstube anfängt frostig vorzukommen?“

„Aus Gründen, aus sehr guten Gründen,“ wehrte sich der junge Maler. Aber damit kam er übel an.

„Heraus mit Ihren Gründen!“ rief die kriegslustige Tante. „Ueber die habe ich mir schon lange den Kopf zerbrochen, aber heute müssen Sie einmal mit der Sprache heraus, da hilft Alles nichts.“ Die Hausfrau und ihre Schwester Agnes schlossen sich der Forderung der Tante lachend an, und Richard erklärte zuletzt, von allen Seiten in die Enge getrieben:

„Ja, sehen Sie, bis vor Kurzem war es nur eine allgemeine Ahnung, die mich bewog, mein allzu empfängliches Herz zu hüten. Ich konnte mit einem meiner Freunde sagen: ‚Ich habe Gründe, aber ich weiß sie nicht.‘ Aber nun stellen Sie sich mein Entzücken vor, als ich neulich in Chamfort’s Schriften meinen Grund finde, einen so herrlichen Grund, daß ich auf der Stelle wußte: dieser ist’s! und ihm nun mit vollem Bewußtsein nachlebe.“

„Darf man ihn erfahren, diesen Grund der Gründe?“ fragte Frau Agnes voll Neugierde. „Olga, Sie werden doch nicht fortgehen wollen, wo es so etwas zu hören giebt? Nun, Herr von Stetten, was sagt Chamfort?“

Der junge Mann warf einen raschen Blick auf die schlanke Gestalt, die gleichmüthig wieder Platz nahm, und antwortete dann: „Er sagt also: ‚Es geht mir wie jener Frau, die einen Sohn im Kopfe hatte, wie sie ihn nie bekommen sollte – so habe ich eine Frau im Kopfe, wie es Wenige giebt. Diese Frau hat mich vor Denen bewahrt, wie es Viele giebt, und dieser Frau bin ich großen Dank schuldig.‘ Ungefähr so ist es mir auch ergangen,“ schloß er mit künstlicher Unbefangenheit und richtete die Augen nach der Decke empor, während Olga sich abwandte, um ein leises Lächeln zu verbergen.

Der Doctor klopfte ihm auf die Achsel und sprach gravitätisch: „Du hast weise gehandelt, mein Sohn.“

Zu gleicher Zeit riefen die Tante und Frau Agnes wie aus Einem Munde: „Nein, das ist doch zu stark. Und das wagen Sie uns Allen zu sagen?“

„Warum nicht?“ versetzte der Sünder lächelnd, „ich hatte Sie ja natürlich Alle zu den Ausnahmen gezählt, und Sie werden sicherlich mit mir finden, wie Recht der alte Chamfort hat.“

In das nun beginnende Durcheinander von Entrüstung und Gelächter krähte des Doctors scharfe Stimme: „Redefreiheit, meine Herrschaften, Redefreiheit, und sprechen Sie lieber nach einander, als Alle zusammen! Jeder möge seine unverfälschte Meinung von sich geben, die meinige aber geht dahin, daß Einer, der auf’s Heirathen ausgeht, viel mehr Aussicht hat, Eine zu bekommen, wie es Viele giebt, als das Gegentheil, und daß man deshalb wohl thut, die Finger davon zu lassen.“

„Das sagt er nur, weil er selbst in einer so unglücklichen Ehe gelebt hat,“ zischte die Entrüstung der Tante zu Frau Agnes hinüber, aber im Eifer etwas zu laut, sodaß er boshaft lachend erwiderte:

„Wo sind denn die vielen glücklichen Ehen? Nennen Sie mir einmal ein Dutzend, wie die beiden hier! Oder soll ich Ihnen aus meiner Erfahrung – ein Arzt sieht ja so vieles mehr, als andere Leute – erzählen, wie das Glück wirklich aussieht, womit man der Welt Sand in die Augen streut?“

Franz Vollmer, der junge Ehemann warf seiner Frau einen raschen Blick zu, der nicht erwidert wurde.

„Sie übertreiben wieder einmal unglaublich, Doctor,“ sagte die Hausfrau, „so viel unglückliche Ehen, wie Sie meinen, giebt es nicht, aber leider viel gleichgültige, die besser sein würden, wenn die Menschen verstünden, glücklich zu sein.“

„Oder wenn die Frauen verstehen wollten, glücklich zu machen,“ erwiderte er, „die Interessen des Mannes zu theilen und wie der Schwindel sonst noch heißt, den sie Einem vor der Heirath so zuckersüß um den Mund streichen. Hinterher freilich thut man sich keinen Zwang mehr an, da kommen andere Eigenschaften zum Vorschein und entwickeln sich so riesengroß, daß der arme Geprellte, nach wiederholten vergeblichen Versuchen seinem Engel die Anfangsgründe menschlicher Logik beizubringen, sich in’s Unabänderliche ergiebt und, ohne zu mucksen, die Toiletten und Badereisen weiter bezahlt. Das heißt dann vor der Welt eine glückliche Ehe – mit Ausnahmen natürlich, mit Ausnahmen!“ schloß er in einem Tone der Hochachtung, welcher lächerlich genug von dem vorigen abstach.

„Aber er hatte sich umsonst angestrengt mit seiner verspäteten Höflichkeit. Die Lippen der jungen Frau bebten, und sie wollte eben etwas erwidern, als ihr Schwager sagte:

„Du redest Dich um Hals und Kragen, lieber Freund, und hast dabei nicht einmal das Verdienst der Neuheit, denn ungefähr so sprechen alle Ehefeinde seit alten Zeiten. Wir wollen lieber an Montaigne’s Satz erinnern: ‚Man beschuldigt leichter ein Geschlecht, als man das andere entschuldigt.‘ Wenn es in vielen Ehen übel aussieht, haben die Männer ebenfalls ihren Theil an der Schuld.“

„Warum nicht gar!“ und „ja, ja, so ist’s,“ riefen Franz und Agnes zu gleicher Zeit.

„Wenn die Frauen sich nach der Hochzeit verändern,“ fuhr diese mit hochgerötheten Wangen fort, „so soll man den Grund nur darin suchen, daß sich die Männer zuerst verändern, so sehr und so unglaublich, daß man wohl oder übel, nachdem man sich genug darüber gegrämt hat, sich in die Zeiten schickt und auch ein wenig anders wird, als früher.“

„Ein wenig!“ lachte der junge Kaufmann bitter auf.

„Sie könnten uns wohl die Geschichte zum Besten geben,“ sagte der Doctor trocken. „Das Aussprechen erleichtert ungemein.“

Agnes sah, ohne zu antworten, vor sich auf den Tisch, und Franz trommelte energisch mit den Fingern. Arnold, dem die Verstimmung der Beiden den Abend über aufgefallen war, sagte [305] mit verstelltem Ernste: „Sollte das vielleicht die Geschichte von der Rosenlaube sein? Erinnerst Du Dich noch, Felicitas?“

„Ob ich mich erinnere!“ antwortete lächelnd die schöne Frau. „Ich verdanke ihr ja mein ganzes Glück.“

„Potztausend, welche wunderkräftige Geschichte!“ rief der Doctor. „Ist sie für unsere profanen Ohren zu gut?“

„Keineswegs, ich möchte sie sogar allen jungen Frauen erzählen können – und solchen, die es werden wollen,“ setzte sie mit einem schalkhaften Blicke auf Olga hinzu, was ein kleines Aufwerfen der schönen Lippen zur Folge hatte. „Also – wir waren ein paar Monate verheirathet und von einer entzückenden Reise nach Italien zurückgekehrt. Arnold fand eine Menge Geschäfte vor, die ihn den Tag über ganz in Anspruch nahmen; ich freute mich nun auf den Abend und wartete mit stets neuer Sehnsucht auf die Stunde nach Tisch, wo wir plaudernd und kosend in der Sophaecke saßen und uns in tausend schönen Erinnerungen ergingen. Als er sich aber jeden Tag etwas rascher losmachte, seine Lampe anzündete und nach der Zeitung oder dem Skizzenbuche griff, als er auf jedes ‚Weißt Du noch?‘ antwortete: ‚Ja, ja, aber ich sage Dir, ich habe heute riesig gearbeitet‘ –“

„Verleumdung!“ rief Arnold. „So arg war es nicht.“

„Gerade so arg! – – da fing ich an, mir sehr verlassen und unglücklich vorzukommen, und ging den ganzen Tag mit verhaltenen Thränen herum. Auf meine zärtlichen Vorwürfe antwortete er mir einmal lachend mit Jean Paul’s Wort: ‚So lange ein Weib liebt, liebt es in Einem fort; der Mann hat dazwischen zu thun.‘ An diesem Tage beschloß ich, meine unverstandenen Gefühle in mich zu verbergen und mich darein zu ergeben, daß unser schönstes Glück nur wochenlang gedauert habe.“

„Des Lebens Mai blüht einmal und nicht wieder; mir hat er abgeblüht,“ recitirte der Doctor.

„Ja, so ungefähr,“ lachte sie. „Nun, an demselben Morgen fiel mir beim Abstäuben von Arnold’s Büchergestell ein alter Band von Justus Möser in die Hand, den ich mechanisch aufschlug; ich fand darin als Erstes einen ‚Brief einer alten Ehefrau an eine junge‘, der mir einen ganzen Wald von Lichtern aufgehen ließ. Es heißt darin ungefähr: ‚Nicht wahr, Sie wünschen wohl, daß Ihr Mann wie vormals einsam mit Ihnen auf der Bank in der Rosenlaube sitzen, Ihnen in das blaue Aeugelein sehen und, um einen Kuß auf Ihre schöne Hand zu drücken, knieen soll – meine Wünsche gingen wenigstens in dem ersten Jahre unserer Ehe auf nichts Geringeres, als auf dies. Aber das geht nicht an, der beste Mann ist auch der thätigste, und wenn unsere Männer von ihrer Vernunft in dieser Beziehung wohl geführt werden, so dürfen wir uns nicht darüber beklagen, daß sie sich nicht so oft wie ehemals mit uns am Silberbache und unter Louisens Buche unterhalten.‘ Dann erzählt sie, wie es auch bei ihr Thränen und Klagen gab, und läßt ihren Mann sprechen: ‚Ich sehe wohl, Du willst, ich soll noch wie vormals an Deiner Seite hängen und von Deinem Odem leben, aber dies ist mir unmöglich, wenn ich Dich auch in jedem Augenblicke mit Gefahr meines Lebens auf einer Strickleiter vom Glockenthurme herunterholen würde, falls Du nicht anders zu erreichen wärst. Mein Ehrgeiz will immer ein neues Ziel; ehe Du mein warst, brauchte ich alle Tugenden zu Stufen, um zu Dir zu gelangen; nun, da ich Dich habe, setze ich Dich oben darauf und Du bist bis dahin die oberste Stufe, von der ich weiter schaue.‘“

„Das war, was man eine starke Dosis nennt,“ sprach der Doctor und nahm eine Prise.

„Ja, und sie wirkte ganz gehörig. Erst traf es mich wie ein Blitz, daß Einer vor hundert Jahren so genau meine eigene Geschichte habe schreiben können – ich wußte noch nicht, daß es eine allgemeine ist – dann ärgerte ich mich unsagbar über den groben Ehemann und sein ungeschliffenes Gleichniß von der Treppenstufe. Aber endlich las ich doch weiter und fühlte immer deutlicher: die alte Frau hat Recht.“

„Was sagte sie denn noch?“ fragte Agnes so unbefangen wie möglich.

„Sie erzählt, wie sie sich ihrerseits mit einem herzhaften Entschlusse von den Liebesträumen ab und einer frischen häuslichen Thätigkeit zugewandt habe. ‚Wenn wir dann am Abende zusammen saßen und uns erzählen konnten, was wir den Tag über in Haus und Feld geschafft hatten, da waren wir oft froher und vergnügter, als alle liebevollen Seelen von der Welt. Und glauben Sie nicht, daß ich darum ganz auf das Vergnügen, ihn zu meinen Füßen zu sehen, verzichtet hätte; diese Gelegenheit findet sich weit eher, wenn man sie nicht sucht und sich zu entfernen scheint, als wenn man sich allemal, so oft es dem Herrn beliebt, in der Rosenlaube finden läßt.‘ Kurz, sie ist eine glückliche Frau, Mutter und Großmutter geworden und empfiehlt ihr Recept zur Nachahmung. Ich saß damals mit dem Buche auf dem Schooße lange Zeit, und es wollte mir gar nicht in den Kopf, daß der einzige Weg aus diesem Unglücke über meinen geopferten Egoismus gehen sollte. Aber allmählich kam ich zum Entschlusse, es einmal zu probiren, heiter und liebenswürdig zu sein, wenn er abgespannt heimkam, und seine Interessen, auf die ich eben noch so bitter eifersüchtig war, zu den meinigen zu machen. Das glückte mir so, daß ich bald ohne alle Verstellung an den Dingen mit Lust und Liebe Antheil nahm. Nun führten wir wieder lange Gespräche, wenn auch nicht mehr über unsere Empfindungen, und seither haben Mißmuth und Verdruß bei uns keine Stätte mehr gefunden – nicht wahr, Arnold?“ Sie reichte ihm die Hand über den Tisch, die er so herzlich drückte, daß man wohl sah, sie sprach wahr.

„Nun, es ist Ihnen geglückt, verehrte Freundin,“ sagte der Doctor, „aber Sie gehören eben zu den Ausnahmen und Arnold auch, obgleich mir das Complimentensagen sonst zuwider ist. Bei Andern geht es anders; dort würde sich auch Herr Justus Möser die Lunge umsonst lahm reden, denn da vermehrt sich der erste Verdruß in geometrischer Progression, bis zuletzt des Mißverstehens kein Ende und keine Rettung mehr ist.“

„Ja, das Mißverstehen,“ sagte Arnold, „das spielt allerdings eine Hauptrolle in allen Ehezwisten.“

„Nicht wahr!“ rief Agnes lebhaft. „Aber ein Mann sollte sich doch auch Mühe geben, seine Frau zu verstehen, so gut, wie sie ihn.“

„Die Mühe wäre ziemlich umsonst,“ bemerkte der bis jetzt schweigsame Philosoph. „Mann und Frau verstehen sich nicht eigentlich so, wie Freunde desselben Geschlechts, um so weniger, je mehr sie sich lieben, und vor allen Dingen lernen sie niemals ihre innersten Motive kennen. Das, was die Frau ‚ihren Mann kennen‘ heißt, ist nur eine Fertigkeit, ihn zu behandeln; in das Warum seiner Handlungen kann sie sich nicht versetzen, so wenig wie er in das ihrige, und Beide machen manchmal durch einen unverhofften Einblick darein die unliebsamsten Erfahrungen. Freilich täuscht sich Eines in seinen Voraussetzungen und Erwartungen so lange über das Andere, bis jedes von Beiden auf dem Erfahrungswege lernt, daß es ein von ihm grundverschiedenes Geschöpf ist, mit dem es zu thun hat – und nun respectirt es dessen Eigenthümlichkeiten –“

„Drücken Sie sich doch nicht so unaussprechlich kühl aus!“ fuhr der junge Maler dazwischen. „Das ist ja eben das Schönste von der ganzen Sache. Einen Freund verstehen und darum lieben – was ist dabei Besonderes? Aber nicht verstehen und doch lieben, über eine schlechte Behandlung wüthend sein und sie nach Kräften vergelten, umsonst nachdenken: warum hat sie dies gethan oder nicht gethan? und dabei noch toller verliebt sein als Tags zuvor, kurz –

‚Glück ohne Ruh’,
Liebe, bist du –‘“

„Sagt Chamfort!“ ergänzte lachend der Doctor. „Petre, Petre, ehe denn der Hahn zweimal kräht –“

Aber Richard hörte den Spott nicht. Seine Augen waren fest auf Olga gerichtet, welche die ihrigen mit einem muthwilligen Lächeln erhob. „Es war ja von der Ehe die Rede, nicht von der Liebe, und die Herren hier in Deutschland sprechen sich in der Ehe über das ‚nothwendige Mißverstehen‘ so viel weniger entzückt aus, daß ich zum Beispiel keine Lust hätte, die Erfahrung an mir selbst zu machen.“

„Also das ist Ihr ‚Grund‘?“ fragte der Doctor. „Schön, daß Sie Aufrichtigkeit mit Aufrichtigkeit erwidern und Ihre Antipathie gegen eine deutsche Ehe uns nicht verhehlen.“

„Sie meint es nicht so schlimm,“ begütigte Frau Felicitas.

„Doch, doch, ich meine es ganz so schlimm, wenn das überhaupt schlimm ist. Ich möchte keinen Deutschen heirathen, weil mir ihre berühmte Hochachtung vor den Frauen immer vorkommt [306] wie eine leere Redensart, die durch ihre Handlungen Lügen gestraft wird.“

„Hört, hört!“ rief Franz.

„Ja,“ fuhr sie erregter fort, „oder ist es nicht ein entsetzlicher Contrast, wenn man fortwährend die Frauen mit Schiller’schen Citaten öffentlich anschmeichelt, um sie dann, als wären sie hiermit abgefunden, auf Schritt und Tritt als Unmündige zu behandeln?“

„Ach,“ seufzte Doctor Pfefferkorn, „will’s da hinaus?“

„Nein, lieber Freund,“ antwortete sie mit einem vollen Blicke ihrer schönen Augen, „wir wollen uns heute nicht über die Emancipirten streiten, sondern annehmen, die Frauen seien die untergeordneten Geschöpfe, als welche sie hier im Lande der Idealität behandelt werden. Wie unfein ist es dann von den Männern, ihnen die hoffnungslosen Gebrechen ihrer Natur fortwährend vorzurücken! Man hält es für unerlaubt, einen Fremden wegen der Schattenseiten seiner Race aufzuziehen, aber Sie Alle werden mir zugeben, daß man hier zu Lande in den besten Kreisen die Beschränktheit der Frauen mit Vorliebe zur Unterhaltung wählt, und ich weiß nie, über was ich mehr staunen soll, ob über die totale Rücksichtslosigkeit, womit die Männer sprechen, oder über die lächelnde Zustimmung in den Mienen ihrer Zuhörerinnen. Das kommt bei uns nicht vor, und wenn Sie auch in Ihrem germanischen Bewußtsein auf die Slaven und Romanen hoch herabsehen, so haben diese wenigstens Eines vor den Deutschen voraus, die zartfühlende Rücksicht für ihre Frauen.“

„Ausgezeichnet!“ sagte der junge Ehemann spitzig. „Machen Sie schnell Reue und Leid, Doctor! Das Gewissen muß Ihnen nach der Rede des Fräuleins bedeutend schlagen.“

„Dieses Organ leidet bei mir an auffallender Unempfindlichkeit,“ erwiderte Aegidius Pfefferkorn sehr behaglich. „Ueberdies sind wir Freunde – nicht wahr, Fräulein Olga? – und haben als solche das Recht und die Pflicht, uns Unannehmlichkeiten zu sagen. Darin wenigstens halten es, wie ich glaube, alle Nationen gleich.“

Sie gab ihm lachend einen Schlag auf die Hand, welche sich ausstreckte, um die ihrige zum Friedensschlusse an seine Lippen zu führen.

„Und keiner der Herren nimmt den Handschuh auf?“ rief Richard im komischer Verzweiflung. „Ich darf nichts mehr sagen; ich habe heute schon zu viel Ungnade auf mein Haupt geladen. Aber so wehren Sie sich doch, Sie Vertreter der germanischen Cultur und Sitte!“

Der Professor legte sich schnell eine kleine Abhandlung über die geringere Differenz zwischen slavischen Männer- und Frauenköpfen zurecht und wollte eben beginnen, als Arnold mit seiner schönen, tiefen Stimme ruhig sagte: „Ich bin allezeit dafür, der Wahrheit die Ehre zu geben. In diesem Punkte hat sie Recht.

„Was!“ riefen sein Schwager mit dem Doctor zugleich.

[319] „Nicht, daß gelegentlich die ‚Frauenfrage‘ rücksichtslos discutirt wird,“ fuhr der Meister mit einem lächelnden Blick nach seiner Schülerin fort. „Das müssen sich diejenigen gefallen lassen, die als gleichberechtigt in die Schranken treten wollen, aber daß im geselligen Verkehr, wie im Innern des Hauses von vielen deutschen Männern ein Uebermaß von Formlosigkeit zur Schau getragen wird, was nahe genug an die Rohheit streift, das dürfte nicht zu leugnen sein. Das war’s auch, was ich vorhin unter der Schuld der Männer verstand.“

„Sollen wir’s vielleicht machen, wie die Franzosen, die den Hut in der Hand mit Madame sprechen, um sich hernach anderswo für den ausgestandenen Zwang zu entschädigen?“ rief Franz.

„Die Hand an den Hut, wenn Du Deiner Frau auf der Straße begegnest, könnte Dir nicht schaden,“ erwiderte Arnold, „und im Uebrigen ist auch bei uns die Grobheit kein ganz untrüglicher Maßstab der ehelichen Treue. Ueberflüssig ist sie jedenfalls und schädlich dazu, denn sie verdirbt den Ton im Hause, lehrt die Herren Söhne mit der Mutter gleichfalls respectlos umgehen und streut so viel Widerwärtigkeit in das Leben, daß die Leute zuletzt ohne eigentliches Unglück nicht mehr glücklich sind. Man sollte wirklich meinen, die Höflichkeit sei nur für Solche, die wir nicht lieben und unsere Nächsten hätten das ausschließliche Recht auf Rücksichtslosigkeit und übele Laune. Ja, ja, lieber Freund,“ fuhr er kopfnickend fort, als sein Schwager [320] wieder Einsprache thun wollte, „dort sitzt ein Haken, der schon manches Glück zerrissen hat. Und manche Vernunftehe ist über Erwarten gut ausgefallen, weil die Gatten sich von vorn herein einer gewissen Rücksicht befleißigten, die fortdauert, wenn die verliebten Leutchen, die sich noch vor drei Monaten wonnevoll Alles an den Augen absahen, schon dreimal am Tage über einander in Harnisch gerathen. Die guten Formen sind überall nothwendig, am nothwendigsten aber zwischen Freunden und Eheleuten, damit man nicht vor lauter Aufrichtigkeit in das plumpe Sichgehenlassen geräth, welches alle Grazie und Poesie ausschließt. Darüber wacht, ihr Frauen, und laßt kein häßliches Wesen im Hause aufkommen, zeigt Euren Männern den Weg zur ‚idealen Existenz‘, statt sie sechs Wochen nach der Hochzeit zu den unerfüllbaren Träumen zu legen! Wir selber danken es Euch am meisten, wenn Ihr diese Forderung erfüllt. Ihr versteht es ja, das so liebenswürdig zu machen, wie die hier, die Haus, Kinder und Mann am Fädchen hat und dabei noch thut, als wüßte sie gar nichts davon.“

„Sei still!“ sagte Felicitas und legte ihm die Hand auf den Mund, „solche Reden schicken sich gar nicht für einen alten Ehemann, wie Du bist.“

Während er sie an sich zog, sagte die Tante trocken: „Du hast gut lachen, könntest auch lange suchen, bis Du wieder so Eine findest.“

„Ganz meine Ansicht,“ rief Doctor Pfefferkorn. „Die Herrschaften betrachten ihren Ausnahme-Standpunkt auf dem Berggipfel als den allgemeinen. Aber sehen Sie doch einmal, was sich da drunten im Thal auf der großen Heerstraße fortwälzt in Schweiß und Staub und trostloser Mühsal, in ewig wiederholtem Kampf um das gemeine Tagesbedürfniß, fern von Ihren idealen Lorbeerhainen und Musentempeln, von kleinen Leidenschaften bewegt, mit elend ausgebrannter Liebe, wenn man Das, was sie zusammenführte, überhaupt so nennen kann – puh!“ er schüttelte sich, „und dann sprechen Sie weiter, wenn Sie das Herz haben, von Ihrer Weltverbesserung!“

„Gerade darum!“ sagte Felicitas tief erregt, „Arnold hat tausendmal Recht, gerade darum! Wenn die Menschen mühsam ringen und streben und um ihr tägliches Brod kämpfen müssen, so sollten sie nicht vergessen, daß der höchste Schatz des Lebens, ohne welchen alle Glücksgüter nur leerer Schein sind, nicht von äußeren Dingen abhängt, sondern Jedem zu Theil wird, der ihn zu heben weiß. Wie hundertfach ist es vorgekommen, daß zwei Menschen, die sich innig liebten, in den härtesten Schicksalen treu zusammen hielten und in ihrer Liebe glücklich waren! Warum sollen denn die kleinen täglichen Widerwärtigkeiten, die mit gutem Willen alle zu überwinden sind, mächtiger auf das Menschenherz wirken, als Noth und Tod?“

„Aus demselben Grunde, warum ein Löwe leichter zu erlangen ist, als ein Schwarm Mücken,“ versetzte der Professor. „Außerdem übersehen Sie, verehrte Freundin, die mächtige Wirkung der Zeit auf das menschliche Gemüth. Die Abkühlung ist natürlich, denn die Liebe hat ihre von der Natur bestimmten Stadien, welche der Einzelne ganz ohne sein Zuthun durchmacht, und es ist unmöglich, etwa im dritten oder vierten mit Gewalt das erste wieder erneuern zu wollen. Das letzte ist die Freundschaft, wenn die Beiden geistig harmoniren, und die Gleichgültigkeit, wenn dies nicht der Fall. Stillschweigend giebt man das in der Praxis zu, und weil eben die meisten Ehen von der einen Seite aus Verliebtheit, von der anderen mit Rücksicht auf die Versorgung geschlossen werden, so kommt dann, wenn die Illusionen verflogen sind und man sich in die guten Verhältnisse gewöhnt hat, das Mißbehagen und die gegenseitige Kritik. Allerdings spielt dafür bei uns die Eifersucht nicht entfernt die Rolle, wie bei den lateinischen Racen, wo der Einzelne es mit dem Wechsel der Person nicht genau nimmt, wenn es gilt, seinen Anspruch auf irdisches Glück durchzuführen.“

„Dazu kann sich die germanische Race gratuliren,“ sprach Doctor Aegidius voll Ueberzeugung. „Die Eifersucht ist und bleibt doch die abgeschmackteste aller Leidenschaften. Ueberflüssig, so lange man geliebt wird, höchst überflüssig, wenn dies nicht mehr der Fall, schadet sie nur der Verdauung und gewährt nicht einmal einen Genuß, wie andere üble Gewohnheiten. Nein, dieses Laster wäre nie das meinige gewesen.“

„Dafür haben Sie ein Dutzend andere,“ sagte seine Freundin.

„Nur schade, daß man mit allen Vernunftgründen gegen ein so natürliches Gefühl nichts ausrichtet!“ erwiderte die Hausfrau. „Ich meine damit nicht die tollen Ausbrüche einer grundlosen Eifersucht, sondern die schmerzliche Angst, zu verlieren, was man am meisten liebt, ohne dagegen ankämpfen zu können. Nur geben viele Frauen ihre Sache allerdings zu früh verloren, weil sie über ihren eigenen Werth zu kleinlich denken.“

„Die Frauen, warum gerade die Frauen? Wir sprechen ja im Allgemeinen,“ fragte boshaft der Doctor. „Oder sollten die Frauen bei uns mehr Ursache zur Eifersucht haben, als die Männer, während es anderwärts umgekehrt ist?“

„Allerdings,“ erwiderte Felicitas, „und den Grund werde ich Ihnen nicht zu sagen brauchen.“

„Nein,“ rief er voll Vergnügen, „aber ich werde ihn Ihnen sagen, und wenn Sie mir auch nachher mit vereinten Kräften den Kopf herunterreißen. Die meisten deutschen Frauen stecken nach der Hochzeit das Interessantsein gänzlich auf, weil es eben nur ein Mittel zum Zweck war und der Zweck erreicht ist. Die poetische Rose verwandelt sich äußerst schnell in eine nutzbare Kartoffel und ist als solche vor indiscreten Schmetterlingen sicher. Ader ein gewisses unangenehmes Gefühl davon hat man doch, und wehe, wenn dann einmal so ein fremder Vogel hereinkommt und die alten Ehemänner anfangen sich nochmals zu begeistern. So etwas kann lebensgefährlich werden.“

„Pfui, pfui, Sie abscheulicher Verleumder!“ erschallte es in großer Entrüstung, auch die Herren versäumten nicht, ihren tiefgefühlten Abscheu gegen die lästerlichen Reden des Doctors kund zu thun, der sich indessen sehr gemüthsruhig wieder das Glas füllte.

Unter den Aufgestandenen war Olga ein paar Schritte seitwärts getreten, und Richard benutzte die allgemeine Aufregung ihr leise zu sagen: „Kommen Sie, Fräulein Olga! Wir als die Unbetheiligten setzen uns dort unter die große Palme. Sie müssen mir noch einen Rath für mein Bild geben. Wenn die Leidenschaften hier den Siedepunkt erreichen, interveniren wir.“

Während die Beiden lachend dem Hintergrunde zuschritten, hatten die Anderen auf das Zureden der Hausfrau wieder Platz genommen, und sie selbst sagte eben: „Es ist auch zudem gar nicht wahr, die Untreue kommt bei uns sehr selten vor, und der Grund ist einzig und allein, daß Männer und Frauen pflichttreuer sind als anderswo.“

„Aber dadurch nicht liebenswürdiger,“ warf der Professor ein. „Man steift sich auf seinen tadellosen Lebenswandel und macht sich gegenseitig das Leben sauer –“

„Mit germanischer Gründlichkeit,“ ergänzte der Doctor unbeirrt, „wie ein Landregen, der nimmer aufhört. Aber wo ist die Frau, die nach einem ehelichen Spectakel, wenn der Mann meinetwegen grob und gefühllos – so heißt es ja wohl meistens? – gewesen ist, von selbst käme und sagte: ‚Ich bin Dir wieder gut.‘ Vor dieser Frau wollte ich knieen, aber so lange die Welt steht, ist das noch nicht vorgekommen.“

„Wäre auch noch schöner,“ rief die Tante erbost. „Das hieße ja ordentlich eine Prämie auf seine Grobheit setzen.“

„Das würde ihn sicherer davon curiren, als der bis jetzt beliebte Modus des Schmollens und Forttrotzens. Es muß einen unendlichen Genuß gewähren, dieses tagelange Herumgehen mit dem Gesichte voll Wetterwolken, die nur auf das Stichwort warten, um ihre Thränenschleußen zu öffnen.“ Er lachte vor sich hin.

„Ein gefährlicher Genuß ist’s,“ sagte Arnold. „Die erste Versöhnung nach kurzem Schmollen ist entzückend. Man glaubt, sich noch viel lieber zu haben als vorher, und im Anfange entschädigen solche Versöhnungsscenen für den vorausgegangenen üblen Eindruck. Nach und nach aber verlieren sie bedeutend an Reiz und Süßigkeit und werden zuletzt der Zeitersparniß halber weggelassen, während man sich die heftigen Reden nicht mehr abgewöhnt. Der Anfang entscheidet hier Alles. ‚Käthchen, hüte Dich vor dem Ersten!‘ pflegte ein gemüthvoller Russe zu seiner jungen Frau zu sagen – er gehörte jedenfalls einer früheren Generation an, Fräulein Olga,“ rief er nach der Palme hinüber. „Aber wo ist sie denn? Sie stand ja eben noch mit Richard dort.“

[321] „Er zeigt ihr das Gewächshaus,“ erwiderte Agnes ironisch, „man kann dort ungestört ein Kunstgespräch führen. Uebrigens, Herr Doctor Frauenfeind, lassen Sie sich sagen, daß das Gesichterschneiden nicht allein bei uns vorkommt. Ich kenne Männer, die auch drei Tage lang wie die Löwen im Hause herumgehen – da fragt es sich eben nur, wer Recht hat.“

„Nein, es fragt sich, wer nachgiebt,“ erwiderte ihr Gegner rasch, „und wenn die Frauen klug wären, würden sie niemals einen Ehrenpunkt aus dem Rechtbehalten machen. Sie verlieren nichts an ihrer Ehre durch’s Nachgeben, selbst wenn sie Recht haben, und werfen uns gerade damit den Zaum am sichersten über den Nacken. Ach, wenn sie es nur wüßten, wie leicht der Thron zu ersteigen ist, zu dem so Viele ihr Lebenlang auf der verkehrten Seite hinaufwollen!“

„Wir begehren gar nicht nach der Herrscherwürde,“ erwiderte Agnes vorsichtig.

„Aber nachgeben ist leichter gesagt als gethan, die Gelegenheit dazu sieht immer verdrießlich aus, und man möchte lieber auf eine dankbarere Weise tugendhaft sein. Da werden das Jahr durch Romane nach Dutzenden gelesen und wenn es so recht edelmüthig darin zugeht, sagt man sich mit glühenden Wangen: Gerade so würde ich’s machen. Wenn die Gelegenheit käme, daß ich um seinetwillen mit einem Federzuge eine Million opfern oder ihn mit Gefahr meines Lebens aus den Händen seiner Feinde retten könnte, dann sollte er sehen, der Undankbare, der mir gestern wegen eines abgerissenen Hemdenknopfes eine solche Scene machte. – – Aber es ist schrecklich, daß man sich heut zu Tage gar nicht mehr aufopfern kann.“

„Diesmal haben Ihre Uebertreibungen einen Grund,“ sagte Felicitas, „und aus diesem Punkte wären drei Viertel aller Ehestandsdifferenzen zu curiren. Die meisten Menschen ziehen geflissentlich alle Prosa des Lebens in die Ehe hinein und bewegen sich nun so zufällig darin fort, wie eben jeder Tag kommt, statt aus der höchsten und schönsten menschlichen Vereinigung die Widerstandskraft gegen die Kleinlichkeit des Lebens stets neu zu schöpfen. Was könnten die Ehen sein, wenn die Menschen und, ich muß es sagen, wenn besonders die Frauen den großen Begriff der Pflicht hätten, einer Pflicht, die nicht allein im Hemdenbügeln und Kochen, in den tausend täglichen Kleinigkeiten besteht, sondern in der geistigen Gemeinschaft, in völliger Hingabe der ganzen Person mit allen Kräften und Fähigkeiten an einen Beruf, der wahrlich, so erfaßt, zu dem höchsten menschlichen gehört! Wie ist es möglich, daß bei so Vielen die Begeisterung der Brautzeit, zu welcher sogar der Ledernste einige Anstrengungen macht, so bald, so kläglich erlischt, daß man selbst nicht daran zurückdenken mag? Was verstehen denn die Menschen unter ihrer ‚Idealität‘, von der sie doch alle gelegentlich sprechen, die besonders immer als Haupteigenschaft der Frauen gepriesen wird?“

„Wenn man eine Sache lang behauptet, fällt es zuletzt Niemandem mehr ein, nachzusehen, ob sie Grund hat,“ versetzte der Doctor. „Es ist mit anderen Dingen ebenso. Man geht in die Kirche: ‚Du sollst Deinen Nächsten lieben als Dich selbst.‘ Kleinigkeit! ‚Liebet Eure Feinde!‘ – natürlich, wer liebt sie nicht? Dafür sind wir ja Christen und hören das jeden Sonntag und lieben bekanntlich unsere Feinde, um uns dadurch von Heiden und Türken zu unterscheiden. Die höchste Leistung des Menschengemüthes haben wir ohne besondere Anstrengung mit vierzehn Jahren schon weg – in der Kirche natürlich, denn draußen – die geringste Beleidigung, und haushoher Zorn lodert in den frommen Herzen.“

„Das theologische Rüstzeug steht Ihnen ausgezeichnet,“ rief Agnes spöttisch.

„Finden Sie? Das freut mich. So darf ich auch wohl meinen Schluß dazu setzen, daß es mit der selbstverständlichen Idealität geht wie mit der selbstverständlichen Nächstenliebe – bei näherem Zusehen findet sich keine Spur davon.“

„Doch, doch,“ rief Felicitas lebhaft, „sie ist vorhanden, aber sie kennt nicht den rechten Weg, um herauszukommen. Man hat bei uns viel zu sehr die Gewohnheit, große Empfindungen und tägliches Leben zu trennen, statt einzusehen, daß im Gegentheil das Ideal auf Schritt und Tritt mit uns gehen kann und gehen muß, wenn wir den rechten Maßstab für Kleines und Großes behalten sollen. Dieselben verdrießlichen Frauen, die nicht um Alles eine Wäsche drei Tage aufschöben, wenn ihr Mann es wünschte, sie würden bei einer großen Gelegenheit ohne Zögern und freudig ihr Leben für ihn und ihre Kinder opfern, wie sie es factisch in kleinen Stücken das ganze Jahr über thun, freilich ohne dadurch Glückliche zu machen oder selbst glücklich zu sein.“

„Zwei gewichtige Worte,“ sagte der Professor. „Wenn nur der Weg nicht so schwierig wäre, Beides zu erreichen!“

„Eins folgt aus dem Andern“ rief Felicitas. „Ich stehe nicht an, es auszusprechen, was in mir schon längst als innigste Ueberzeugung lebt: Das Glück oder Unglück der Ehe liegt hauptsächlich in den Händen der Frau und glücklich machen heißt glücklich sein. In diesen beiden Worten ist Alles enthalten.“

„Wenn man sich liebt,“ sagte der Doctor. „Hilft Ihre Formel auch für die Fälle von ‚klein wenig oder gar nicht‘?“

„In diesen sogar glänzend, denn hier rettet sie vor dem Gefühle des verfehlten Lebens. Wenn eine Frau sich entschließen kann, die Frage, ob sie sich selbst glücklich fühlt oder nicht, einstweilen auf ein paar Jahre zu vertagen und inzwischen frisch anzugreifen und ihre Schuldigkeit im weitesten Umfange zu thun, ohne langes Besinnen und Grübeln, so wird sie nach Ablauf dieser Jahre gar keine Frage nöthig haben, um zu wissen, daß sie glücklich ist und einen dankbaren Mann zur Seite hat. Es giebt ein so ausgezeichnetes Mittel, das unnütze Bedauern mit sich selbst zu vermeiden und die Augen offen zu halten – die Frage: wo habe ich gefehlt? Wer sich gewöhnt, bei jedem beginnenden Verdruß darauf die Antwort zu suchen, der findet sie in den meisten Fällen und damit zugleich die Möglichkeit der Abhülfe. Das Andere aber ist – seinen Kampf schweigend kämpfen und keinen Dritten in die Verstimmung zwischen Eheleuten hereinblicken lassen. Die schwersten gehen vorüber; wenn Niemand davon weiß, sind sie nicht gewesen, und die Welt sieht nach wie vor eine glückliche Familie.“

„Das ist sehr wahr,“ sagte Franz reumüthig und faßte nach der Hand seiner Frau, die ihm willig überlassen wurde. „Die Menschen jagen immer nach Reichthum, Ansehen, äußeren Erfolgen und sind unglücklich, wenn sie ihr Ziel nicht erreichen und Niemand sie beneidet. Daß aber der Anblick eines glücklichen und friedlichen Hauses auch ein sehr beneidenswerther ist und daß es nur von ihnen allein abhängt, ein solches zu schaffen, daran denken die Wenigsten.“

„Die Wenigsten haben auch die Fähigkeit dazu,“ sagte der unverbesserliche Doctor. „Gehen Sie mir mit Ihrem Utopien! Wenn es Ihnen einmal glückt, alle ‚federlosen Zweifüßler‘ zu vernünftigen Menschen zu machen, dann kann das tausendjährige Reich gleich seinen Anfang nehmen, aber bis dahin ist’s noch weit.“

„Ich zweifle auch, daß wir Beide das erleben,“ erwiderte sie lächelnd, „und meine Wünsche beschränken sich auf viel erreichbarere Dinge. Ich möchte, daß unsere Mädchen wirklich gebildet und erzogen würden, wie sie es brauchten, um dereinst fest im Leben zu stehen mit hellem Kopf und einem Charakter, der durch vernünftiges Denken stark geworden ist. Ich möchte das gleichgültige Wesen ohne Geist und Grazie aufhören sehen, das so mechanisch weiter lebt und sich für gut hält, weil es nichts Schlechtes verübt, diesen geistigen Schlendrian, der zuletzt alle besseren Anlagen erstickt. So lange die Frauen von großen, allgemeinen Dingen nur hören und sprechen, um dem betreffenden Mann einen Eindruck zu machen, nicht aber um der Sache selbst willen, so lange man immer ‚Interessen‘ hat und dabei nie etwas lernt, so daß der Kopf mit Vierzig gerade so confus ist, wie mit Zwanzig, so lange ist die Frau freilich weit entfernt, die Stellung auszufüllen, welche ihr die moderne Sitte anweist. Wir haben bis jetzt den Schein statt des Seins, ich lebe aber der sicheren Hoffnung, daß die überall beginnende Reaction gegen das Halbwissen der Institutserziehung, welches schlimmer ist als Nichtwissen, eine bessere Geistes- und Charakterbildung anbahnen wird, daß die Zeiten einmal aufhören, wo der Mann über Beschränktheit und Empfindelei, als unvermeidliche weibliche Eigenschaften, den Kopf schüttelt und brummt: so sind sie eben. Wenn die Frauen einmal die reichen Bildungsmittel, die ihnen ohne alle Emancipation heute schon zu Gebote stehen, aufnehmen und verarbeiten, statt sich ihrer schnellmöglichst zu entledigen, um sich den Kopf mit nichtigem Kleinkram zu füllen, dann werden die Männer mit Ueberraschung erkennen, was es heißt, an seiner Frau die [322] ebenbürtige Gefährtin zu haben, die Freundin des Geistes und die Frau des Herzens. Wenn wir einmal so weit sind, dann wird die deutsche Ehe das sein, als was wir sie heute nur halbberechtigt preisen hören, die beste von allen. Glauben Sie mir, lieber Professor, einer solchen Ehe sind auch Ihre ‚Stadien‘ nicht gefährlich, denn das unsichtbare Band, das aus Geist und natürlicher Neigung zu gleichen Theilen gewebt ist, hält unzerreißbar fest. – Sie sehen,“ schloß sie mit dem anmuthigsten Lächeln, ich frage auch: Wo fehlen wir? Machen Sie es Alle ebenso, und vielleicht ereignet es sich dann einmal, daß unserer verstandesnüchternen Zeit die Erkenntniß aufgeht, es gäbe nichts Praktischeres, als das jetzt so sehr mißachtete Ideal, das unser Volk wie den Einzelnen in Zeiten der Noth innerlich groß und stolz und frei gemacht hat.“

Sie sah mit leuchtenden Blicken von Einem zum Andern und freute sich der Zustimmung, die auf allen Gesichtern zu lesen war.

„Amen! Hoffen wir!“ sprach der Doctor und stieß mit seinem Glase an das ihrige. Mitternacht ist längst vorbei, und mit der Theorie der Ehestandsdifferenzen wären wir im Reinen. Jetzt ist’s an Ihnen,“ wandte er sich zu Franz und Agnes, „die Sache praktisch zu betreiben, nur schade, daß wir nicht gleich mehrere Paare zu einer kleinen Versuchsstation beisammen haben!“

„Eines steht Ihnen noch zu Diensten,“ erscholl es hinter seinem Rücken, und im höchsten Erstaunen sich umdrehend, sah er Richard und Olga Arm in Arm unter der offenen Glashausthür. „Ja, verehrte Frau,“ fuhr der junge Mann zu Felicitas gewandt fort, während sich Alles fragend und glückwünschend um die Erröthende drängte, „Sie haben ihr den Ehrgeiz geweckt, und sie will nun der Welt zeigen, welch wunderbare Frau man sein kann, indem sie gegen ihre Grundsätze einen Deutschen heirathet, um ihn zum bessern Menschen zu erziehen.“

„Aber meiner Kunst bleibe ich dabei doch treu,“ rief ihm Olga neckend zu, indem sie dem Ehepaare die Hände entgegenstreckte.

„So lange Du kannst,“ erwiderte Felicitas und schloß sie in die Arme. „Wenn Du aber nicht mehr kannst,“ flüsterte sie ihr in’s Ohr, „dann denke, daß die Liebe für das Weib das Höchste ist, und sei glücklich darüber!“