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Titel: Egypten unter Mehemed Ali
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 18-22; 26; 29–30 S. 69, 74–75, 78-79, 84, 86-87. 101–103, 114–115, 118–120.
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[69]

Egypten unter Mehemed Ali.


seit dreißig Jahren sind die Blicke der Europäer auf Egypten gerichtet. Dieses Land, so wichtig durch seine Lage, die es zum Mittelpunkte der ganzen alten Welt bestimmt, hatte fast alle Bedeutung verloren, als die großartige Unternehmung der „Armee des Orients“ die europäische Politik aufs Neue auf dasselbe aufmerksam machte. Der Feldzug der Franzosen in Egypten, wenn auch in seinem Hauptzwecke verunglückt, ist für Europa und für Egypten selbst nichts desto weniger höchst folgenreich geworden – die bündigste Rechtfertigung gegen den Vorwurf der Abentheuerlichkeit, welcher oft nur das Wort ist, womit kurzsichtige und engherzige Menschen das Große und Geniale einer von ihnen nicht begriffenen Staatsphilosophie herabwürdigen. War man gewohnt, im Gefolge der Heere nichts als einen Schwarm habgieriger Harpien zu erblicken, welche das Blut der eroberten Länder aussaugten, so war die Armee des Orients mit ihrem Vereine von Künstlern und Gelehrten, mit ihren mathematischen und physikalischen Apparaten, ihren Buchdruckereien u. s. w. eine Erscheinung, wie sie die Welt seit Alexander dem Macedonier nicht mehr gesehen hatte. Kaum liegt ein Menschenalter zwischen uns und dem achtundzwanzigjährigen Helden, welcher der Urheber des Plans zu diesem Feldzuge war, und schon reden wir wenig mehr von den großen Thaten in den Schlachten bei den Pyramiden, bei Abukir, bei Heliopolis, aber Denen’s Werk bleibt eine ewige Verherrlichung des Feldherrn und seines Instituts von Egypten: denn Jahrhunderte hatten für alte Kunst und Wissenschaft, deren Denkmale hier, in dem Mutterlande der Civilisation, schon Pythagoras und Platon aufsuchten und bewunderten, nicht so viel gethan, als diese wenigen Jahre. Und wirft man einen Blick auf Handel und Schifffahrt, hat Bonaparte nicht, indem er Egypten für Europa wieder gewann, ein zweiter Columbus, eine neue Welt für uns entdeckt, die sich von den Mündungen des Nils in das unermeßliche Afrika, von der Landenge Suez bis zu den Gestaden des Indischen Ozenan erstreckt? Dem eifersüchtigen Scharfblick brittischer Staatsmänner konnte die Wichtigkeit Egyptens, die es unter den verschiedensten Gesichtspunkten hat, nicht entgehen: es handelte sich hier nicht um eine entlegene Provinz von einigen tausend Quadrat-Meilen, welche von einer feindseligen Bevölkerung bewohnt, ein auf die Dauer vielleicht mehr lästiger als vortheilhafter Besitz gewesen wäre. Egypten, gelegen in dem eng umschlossenen Bezirke des mittelländischen Meeres, beinahe im Angesicht der französischen Küste, unter einem Klima, das sich zur Hervorbringung fast aller Erzeugnisse der Tropenländer eignet, auf einem Punkte, den die Natur selbst zum Stapelplatze des asiatisch-afrikanischen Verkehrs mit Europa bestimmt zu haben scheint, indem die große Karavanenstraße von Mekka nach Sennar sich durch das Nilthal zieht, die vom Indus und Euphrat nach den Märkten von Smyrna und Konstantinopel eben so gut dahingeleitet werden könnte, – dieses Land in den Händen einer Macht, wie Frankreich, hätte dem gesammten europäischen Kolonialwesen eine Revolution vorbereitet, für England aber unfehlbar den Ruin seiner kostspielig zu behauptenden Niederlassungen an den Küsten entfernter Meere herbeigeführt. Eine noch unmittelbarere und nicht weniger wichtige Folge von dem Gelingen der französischen Unternehmung wäre gewesen, daß Napoleon statt seines Kontinentalsystems ein System des mittelländischen Meeres gegen das brittische Monopol errichtet und dem Welthandel Englands dadurch ein Ziel gesetzt hätte. Alle diese schönen Plane scheiterten durch den Verlust der Flotte auf der Rhede von Abukir und durch Menou’s Unfähigkeit; scheinen indessen nie ganz aufgegeben worden zu seyn. Jedenfalls verlor die Aufmerksamkeit der Politik seitdem Egypten nicht aus den Augen. Gern wären die Engländer in die Fußstapfen der Franzosen getreten, wie ihr Versuch vom Jahre 1808 beweist, und sie mögen es Mehemed Ali noch nicht vergessen haben, daß er es war, an dessen Widerstande die Unternehmung unter Admiral Lewis scheiterte.

[74] Bis auf die neueste Zeit dauert der Einfluß fort, den die europäische Politik auf das Schicksal dieses Landes ausübt. Trotz ihrer widerstreitenden Interessen kamen die Kabinette von St. James und von St. Cloud darin überein, daß sie, solange es möglich war, die Herrschaft der Mamelukken aufrecht zu halten suchten, deren Vielherrschaft ihren Eroberungsplanen leichteren Erfolg versprach, als die Alleinherrschaft Mehemed Ali’s. Auf der andern Seite erkannte aber auch letzterer die ganze Gefahr des fremden Einflusses auf diese unruhigen Häuptlinge und es gab kein Mittel weder der Gewalt noch der List, weder der Intrigue und Bestechung, noch der Treulosigkeit und Grausamkeit, das er nicht anwandte, um sich seiner furchtbaren Feinde zu entledigen. Seit der Restauration scheint Frankreich seinen Absichten auf Egypten entsagt zu haben und die damit verbundenen Vortheile auf dem Wege der Civilisirung dieses Landes erreichen zu wollen. Mancherlei Umstände und Verhältnisse vereinigten sich, um den Franzosen bald daselbst ein bedeutendes Uebergewicht über die Engländer zu verschaffen. Aus welchen Gründen man sich diese Erscheinung zu erklären habe, ob aus dem ehrenvollen Andenken, in welchem bei den Bewohnern Egyptens die Franzosen noch von ihrem Feldzuge her stehen, so daß z. B. die Namen Bonaparte, Dessaix, Kleber, in die Mährchen der Araber übergegangen sind; oder aus der persönlichen Achtung des Paschahs gegen den französischen Charakter, welche sich [75] von den uneigennützigen Diensten eines französischen Kaufmanns, Namens Lyon, aus Marseille, herschreiben soll, laßen wir dahin gestellt seyn.

So wahr es ist, daß bei einem orientalischen Despoten – und einen solchen, keinen Monarchen im europäischen Sinne, sehen wir in Mehemed Ali – die Erklärung vieler seiner Regentenhandlungen blos in persönlichen Eindrücken und Beweggründen zu suchen ist: so glauben wir doch bei dem Beherrscher Egypten’s voraussetzen zu müßen, daß er zu sehr Politiker sey, um den menschlichen Gesichtspunkt vorherrschen zu lassen. Mehemed Ali kennt Europa, und noch mehr – er braucht Europa: er ist Kaufmann und König; mit der Civilisation seines Landes muß auch seine Macht steigen. Dieß weiß er; die gute Meinung der Europäer für sich zu gewinnen, ist deswegen eben so sehr eine Aufgabe seines Ergeitzes, als seines wohlverstandenen Vortheils. Um Schiffe zu bauen, Heere zu discipliniren, Manufakturen einzurichten, kurz um immer reicher und mächtiger zu werden, bedarf er der Kunst fränkischer Baumeister, fränkischer Taktiker, fränkischer Fabrikarbeiter. Je menschenfreundlicher, je artiger, je weniger paschamäßig er sich gegen diese Leute beträgt, desto leichter und wohlfeiler erhält er ihre Dienste; je gewissenhafter und zuverläßiger er in der Erfüllung von Verbindlichkeiten ist, die er übernommen hat, desto mehr Kredit gewinnt er. Ein Mann, der seine Eroberungsplane über Sennàr und Dàrfur, Arabien und Griechenland ausdehnt, kann in Finanzverlegenheiten gerathen. Wenn er dann und wann auch seine Egyptier brandschatzt, so läßt sich doch diese Operation nicht zu oft wiederholen, weil ihnen dadurch nicht bloß die überflüßigen Säfte entzogen, sondern die Lebensgeister selbst angegriffen werden. Nur der Handel mit Europa sichert ihm unversiegbare Geldquellen, die seine großen Unternehmungen möglich machen. Da er aber die Vortheile dieses Handels allein und ohne Konkurrenz seiner Unterthanen genießen will, so beruht derselbe auch allein auf seinem Kredit. Wir sind überzeugt, daß, wenn der Pascha von Egypten oder der Großsultan im Falle wären, Anlehen in Europa aufnehmen zu müssen, dem ersteren die Sache weit leichter werden würde, als dem letztern, wiewohl offenbar Mahmud’s Regierung, die nicht besser scheint, als sie ist, und wahrscheinlich also auch unter jedem Nachfolger in der gewohnten Weise fortgesetzt wird, mehr Garantie gibt, als die Mehemed Ali’s, die den Wohlstand und die ganze Lage Egypten’s von der zufälligen Persönlichkeit seines Fürsten abhängig macht, ohne daß sie durch Begründung fester politischer und moralischer Institutionen im Lande selbst und im Volke eine bessere Zukunft vorbereitete.

[78] Kaufmännische und gelehrte Reisende haben uns Mehemed Ali von der günstigsten Seite geschildert, als einen neuen Peter den Großen, als einen egyptischen Napoleon, der dort die Aera der Civilisation eröffnen würde. Seit er sich in den verheerenden griechischen Kampf eingelassen, wo Ibrahim Pascha eben nicht menschlicher verfährt, als Khurschid, Dram Ali oder Reschid Pascha, hat sich bei Vielen dieser panegyrische Enthusiasmus in das absolute Gegentheil verwandelt, und Mehemed Ali ist ein blutgieriger Tyrann, ein Barbar genannt worden. Warum müssen die Menschen sogleich Alles übertreiben und können in Liebe und in Haß, im Bewundern und im Verachten nie auf der Mittellinie sich halten? Die Gelehrten, die ihre Schätze aus den Gräbern der Todten, die Kaufleute, die sie aus den Magazinen des mächtigen und klugen Pascha’s schöpften – was giengen sie die Leiden der armen Fellàs an? Wollte H. Salt oder H. Belzoni oder H. Caillaud Nachgrabungen veranstalten, so hatten seine Hoheit die Gnade, einen Ferman zu bewilligen und es konnte an dienstpflichtigen Arbeitern nicht fehlen. Natürlich war dafür Mehemed Ali ein doppelt weiser, ein doppelt gepriesener Fürst, ein Beschützer der Wissenschaften und Künste, ein vorurtheilsfreier Freund der gebildeten Europäer. Und wenn die fränkischen Kaufleute sich mit dem Pascha in den Gewinn des sauern Schweißes seiner Unterthanen theilten, so erzählten sie Niemand, daß Egypten ein Land sey, wo die Menschen nie der Frucht ihrer Mühen froh werden, indem sie blos für den Pascha arbeiten, an den sie das, was sie zu verkaufen haben, um einen von ihm willkürlich festgesetzten Preis abgeben müssen, während derselbe wiederum der einzige Kaufmann ist, von dem sie ihre Bedürfnisse beziehen können.

Uns deucht, ein Fürst, der nur die Schätze, die er in seinen Koffern verwahrt, nicht aber den Wohlstand seines Landes als den wahren Reichthum zu schätzen weiß, sey noch weit entfernt von einem wahrhaft aufgeklärten Verwaltungssystem. Mehemed Ali haust in Egypten wie ein Landwirth, der von seinem Gut blos für den Augenblick den höchsten möglichen Ertrag zu ziehen sucht, ohne Rücksicht, [79] ob er dadurch Menschen und Vieh zu Grunde richtet und den Boden selbst aussaugt. Wollten wir Mehemed Ali blos nach unsern Begriffen beurtheilen, so würden wir ihm sowohl im Guten als im Bösen wahrscheinlich zu viel thun. Aber lassen wir ihn seyn, was er ist, einen Türken, der sich von der Nützlichkeit mancher europäischen Einrichtungen überzeugt, dabei aber nie das natürliche Gepräge seines Volkscharakters aufgegeben hat; so dürfte vielleicht für Sultan Mahmud in mancher Beziehung die Vergleichung mit seinem Vezier nicht ganz so ungünstig ausfallen, als Manche glauben. Gewiß ist der erstere, als er mit der Ausrottung der Janitscharen seinen Reformationsplan ins Werk setzte, zwar nicht glimpflicher, aber auch nicht weniger besonnen und consequent verfahren als Mehemed Ali mit seinen Mamelukken, und es fragt sich, ob nicht das Reich des jungen Mahmud mit verjüngter Kraft aus den gegenwärtigen Erschütterungen hervorgeht, da es auf jeden Fall einen Nationalwillen zur Basis hat, wenn das künstliche Gebäude der Macht des bereits alternden Veziers[1] in sein ursprüngliches Nichts zurücksinkt?

Die ersten Jahre Mehemed Ali’s in Egypten, wohin er, als Bimbaschi, schon zur Zeit der französischen Invasion gekommen war, gaben ihm Gelegenheit, seine militärischen Talente, besonders aber jene Künste zu üben, welche in despotisch regierten Ländern, wo es keine Standesbegriffe giebt, dem Niedrigsten aus dem Volke den Weg zu den höchsten Staatswürden bahnen. Als die Franzosen das Land räumten, und nun der hartnäckige Kampf ausbrach – zwischen den Statthaltern der Pforte, die nach dem ungetheilten Besitze der Macht, und den Mamelukken-Häuptlingen, die wenigstens nach der Wiedereinsetzung in ihre frühern Vorrechte und Besitzthümer strebten, da war Mehemed Ali nichts als Soldat und schien auch nichts anderes seyn zu wollen. Daß er sich seiner Leute annahm, wenn der hartherzige Pascha, der eben kein Geld hatte, ihnen den Sold ungerechter Weise vorenthielt, und daß ihn die Soldaten dafür liebten, Blut und Leben für ihn zu lassen schwuren – beides war ganz in der Ordnung. Wenn er ein anderesmal die Vereinigung seines Truppencorps mit den Mamelukken dem Vortheil der Pforte für angemessener hielt als den Krieg, den der Pascha führte und der im Grunde den Wohlstand des Landes eben nicht beförderte, handelte er da nicht als ein treuer Unterthan seines Oberherrn, des Sultans, indem er sich weigerte, einen unfähigen Beamten bei seinen verderblichen Maßregeln zu unterstützen! Die Albaneser, die Einwohner von Kairo, die Scheyks, die Ulemas, vielleicht sogar die Mamelukken selbst, überzeugten sich bald, daß kein Mohammed Kusruf, kein Taher, kein Ali Gezairty, kein Kourschid Pascha[2] dem schwierigen Posten eines Statthalters von Egypten gewachsen sey, sondern einzig und allein Mehemed Ali, der Liebling der Soldaten und der Beschützer des Volks. Obgleich insgeheim von einem unersättlichen Ehrgeiz verzehrt und ungeduldig den Augenblick erwartend, wo der Genuß der Macht seine höchsten Wünsche krönen sollte, lehnte Mehemed Ali, wie er sich den Schein gab, ganz unbefangen die ihm vom Divan von Kairo übertragene Gewalt ab, und harrte mehr als zwei Monate lang des bestätigenden Hattyscherpf’s, in welcher Zeit er sich jedes Regenten-Aktes enthielt. Sein Benehmen gegen den bisherigen Statthalter, den er in der Citadelle von Kairo belagert hielt, könnte uns zu einem Manne befremden, dem es so sehr darum zu thun war, seine Achtung und Ergebenheit gegen die Pforte an den Tag zu legen, und seine Treue und seinen Gehorsam von jedem Verdacht der Usurpation rein zu bewahren. Allein die türkische Staatskunst, die überhaupt in neuerer Zeit manche überraschende Proben ihrer Geschicklichkeit gab, hat zu fein ausgesponnene Begriffe, als daß sie die Auflehnung gegen einen Pascha und die Auflehnung gegen den Sultan selbst für einerlei Verbrechen hielte.

Entlegene Provinzen, wohin der Arm des Oberherrn nicht unmittelbar reicht, sucht die Pforte hauptsächlich dadurch in Abhängigkeit zu erhalten, daß sie kleinere Aufstände gegen ihre mächtigen Vasallen begünstigt, manchmal sogar durch geheime Emissäre selbst veranlaßt. Gelingt dem kühnen Empörer sein Versuch, so wird es ihm nicht schwer, sich das, was er durch List oder Gewalt errungen, durch die gesetzliche Autorität der Pforte bestätigen zu lassen. Im entgegengesetzten Falle wird er, selbst wenn er der geheime Schützling der Pforte wäre, geopfert und die Sache hat keine weitere Folge.

[84] Indessen ist eine Politik, die sich solcher Mittel bedienen muß, daß sie die Sicherheit des Reichs blos in der fortdauernden Zerrüttung desselben findet, ein starker Beweis, wie tief die ottomannische Macht gesunken ist und wie schwach die Fugen sind, in welchen das Ganze noch zusammen hängt; aber zugleich dient dieses System wenigstens zur äußern Aufrechterhaltung des Ansehens der konstantinopolitanischen Centralregierung, indem sie selten einen Empörer so sehr auf das Aeußersten treibt, daß er geradezu und unumwunden den Befehlen des Sultans Trotz zu bieten wagte. Man hat gesehen, wie Ali Pascha von Janina, nachdem er schon geächtet und von dem Mufti mit dem Fluch und der Exkommunikation belegt war, sich noch alle Mühe gab, den Schein des Verbrechens der Felonie von sich abzuwälzen und nie anders als mit der tiefsten Ehrfurcht die Befehle seines Souveräns empfing, die er aber ohne seinen Kopf aufs Spiel zu setzen, nicht befolgen konnte. Dieß war ihm freilich nicht zuzumuthen in einer Zeit, wo der fromme Muselmann nicht mehr, wie ehedem, vom Glück der seidenen Schnur träumte, und dieselbe wie ein ein gütiges Geschenk des Todesengels betrachtete, der ihn nur auf so schnellerem und ehrenvollerem Wege zu den Freuden des Paradieses beförderte. Ebenso würde Mehemed Ali nicht ohne die höchste Noth zur offenen Empörung schreiten; Befehle des Sultans würde er zu umgehen suchen, er würde theilweise gehorchen, intrigiren, bestechen, kurz Zeit gewinnen. Mehemed Ali ist ein Türke, und als solcher ist er zu sehr überzeugt von dem Legitimitäts-Rechte der Familie Osmann’s, daß es ihn wohl nach möglich größter Machtvollkommenheit, nie aber nach förmlicher Unabhängigkeit gelüsten kann. Das Chalifat des Sultan’s, das dieser doch nicht vermöge seiner Abstammung vom Propheten, sondern nur als Schirmherr von dem Grabe desselben ausübt, würde Mehemed vielleicht, da seine Truppen die heiligen Städt Mekka und Medina besetzt halten, bei weiterer Verfolgung seiner ehrgeizigen Plane nicht im Wege stehen. Der Sultan von Egypten könnte eben so gut Chalife seyn als der Sultan von Konstantinopel.

Ein flüchtiger Blick, den wir auf die Geschichte der Muselmänner werfen, zeigt uns, daß die Macht und der kirchliche Einheitsbegriff des Chalifats dem Aufkommen neuer Souveränetäten zwar immer ungünstig, nie aber absolut hinderlich war. Als Mahadi Obeidallah das fatimitsche Chalifat in Egypten stiftete, bestand zu gleicher Zeit das abaßidische Chalifat zu Bagdad; und als ein unbescheidener Frager die Abstammung des Chalifen Moëz von den Aliden in Zweifel zog, so wies er auf seinen Säbel mit den Worten: das ist mein Stammbaum; und warf eine Hand voll Geld unter das Volk und sagte: das ist mein Adel. In der Folge schwang sich ein Usurpator auf den Stuhl des egyptischen Chalifen – der große Saladin. – Diese Beispiele, die sich noch mit vielen ähnlichen vermehren ließen, beweisen in Bezug auf Mehemed Ali wenigstens so viel, daß es keine religiös-politische Gründe seyn können, welche ihn von dem letzten Schritte zur Unabhängigkeit abhalten, da solche Gründe selbst der mahommedanischen Heldenzeit größtentheils fremd waren. Daß der Sultan die Macht nicht hätte, ihn mit Gewalt in der Botmäßigkeit zu halten, daß europäische Staaten ihn bei seinem Unternehmen unterstützen würden, ist kaum zu bezweifeln. Allein Mehemed Ali begnügt sich mit der faktischen Unabhängigkeit; als osmannischer Türke erkennt er in dem Osmaniden Mahmud seinen erblichen Herrn, und der Hülfe der Europäer traut er wahrscheinlich nicht. In der That gibt dem egyptischen Reich eine, ob auch nur lose Verbindung mit der Türkei, eine gewisse Sicherheit, die es bei völliger Unabhängigkeit entbehren müßte, indem dann jeder Feind Egyptens einen nicht unmächtigen Verbündeten an der hohen Pforte hätte.

[86] Die Geschichte Mehemed Ali’s ist so reich an glänzenden Partien, daß nicht leicht der Sterblichen einer zu finden seyn dürfte, dem das Glück freundlicher gelächelt, den der Beifall der Mitwelt jubelnder begrüßt hätte. Wie das Glück auch an ihm seine Launenhaftigkeit bewies, werden wir in der Folge sehen. Nach Bewältigung des finstern Dämons der Zwietracht, der seit Jahrhunderten Unheil brütend auf dem schönen Lande der Pharaonen lag, warf Mehemed Ali den Kriegsmantel von sich; unbekannt mit jener Eifersucht, die im Oriente so häufig königliche Väter bewegt, ihre präsumtiven Nachfolger von den Geschäften entfernt zu halten, schien er gerne die noch zu erkämpfenden Lorbeere seinen tapfern Söhnen zu überlassen, sich selbst den edleren und bleibenderen Ruhm des weisen Gesetzgebers und Regenten vorbehaltend. Kaum sechszehn [87] Jahre war Tussun Pascha alt, als ihn der zärtliche Vater an die Spitze der Armee stellte, welche die schwierige Aufgabe hatte, die Wechabiten in Nedjd zu züchtigen. Diese fanatische Sekte, die sich berufen glaubte, den Islam auf seine ursprüngliche Reinheit zurückzuführen, war seit mehr als zwanzig Jahren der Schrecken Arabiens, der Türkei und Persiens. Wie alle Muselmänner bekennen sie sich zur Lehre von der Einheit Gottes, aber sie verwerfen jeden Priesterdienst, jede kirchliche Autorität, als einen Abbruch an der Ehre Gottes jede Verehrung von Heiligen, Mohammed und Ali nicht ausgenommen. Man sah sie wiederholt Mekka’s sich bemächtigen, wo man die Gräber Abraham’s, Ismaël’s und mehreren Patriarchen zeigt, Medina’s, wo die Reste des Propheten ruhen, Kerbeleh’s, so die Schyïten an der Begräbnisstätte Hossein’s, des Sohnes Ali’s, beten. Eine unermeßliche Beute fiel ihnen in die Hände – der ganze Reichthum, womit muselmännische Frömmigkeit diese Wallfahrtsorte ausgestattet hatte. Tussun Pascha, zwar nicht immer glücklich, beendigte den wechabitischen Krieg (1811–1815) durch den ehrenvollen Frieden von El-Raß. Da aber Mehemed Ali die völlige Vernichtung der gefährlichen Sekte beschlossen hatte, so wurde schon im folgenden Jahre unter dem Oberbefehl Ibrahim Pascha’s ein neuer Feldzug gegen sie eröffnet, dessen ausgezeichnete Erfolge den Ruhm des egyptischen Veziers unter seinen Glaubensgenossen auf den Culminationspunkt brachten. Wie zuvor Tussun, der Eroberer der heiligen Städte, so wurde jetzt Ibrahim, der Besieger des wechabitischen Fürsten, Abdallah-Ebn-Suhud, den er gefangen mit sich führte, zu Kairo im Triumph empfangen, siebentägige Feste folgten und der stolze Vater huldigte freudig dem Verdienste seines Sohnes. Durch das Glück des wechabitischen Kriegs befestigte sich Mehemed Ali in der Gunst des Sultan’s, dem als Beherrscher der Gläubien alles an der Unterdrückung der tempelräuberischen Ketzer lag, und indem er die Sicherheit des lang unterbrochenen Karavanenhandels wieder herstellte, förderte er zugleich seine commerciellen Interessen.

Durch den äthiopischen Krieg suchte er darauf einen dreifachen Zweck zu erreichen: nähmlich die Entfernung und Beschäftigung einer meuterischen Soldateska, die Vernichtung der letzten Trümmer der Mamelukken, die sich nach Unter-Nubien und später nach Dongola geflüchtet hatten, endlich die Rekrutirung seines Heers aus Ländern die von einem kräftigen, ausdauernden, genügsamen Menschenschlage bewohnt, schon der „Armee des Orients“ eine Anzahl guter Soldaten geliefert hatten. Mehemed Ali’s jüngster Sohn, Ismaël, wurde mit der Leitung des Unternehmens beauftragt. Im Anfange gieng alles vortrefflich von Statten: Nubien, Sennâr, Dârfur, Kordofân wurden erobert; der ganze Krieg war aber im Grunde nichts als ein Raubzug und eine Menschenjagd, und so endete auch Ismaël Pascha wie ein Räuber; er wurde ermordet. Die Goldminen, nach denen Mehemed Ali jenseits der Wasserfälle des Nils durch französische Gelehrte suchen ließ, wurden nicht gefunden, die Neger, die er ihren Familien entriß und in seine Negerskaserne nach Syene schleppen ließ, um aus ihnen ein eigenes den türkischen Sitten fremdes Korps zu bilden, starben zu Tausenden und zuletzt erlag unter den beständigen Anfällen der Eingebornen, die sich von allen Seiten erhoben, fast die ganze egyptische Armee, nachdem sie mehrere hundert Stunden weit in das Innere Afrika’s vorgedrungen war. – Mehemed Ali’s Eroberungen waren keine Eroberungen für die Civilisation, sie haben noch kein Land glücklich gemacht: ein Doppelwesen scheint sie zu leiten, der Verstand des Europäers und das Herz des Barbaren.

[101] Mehemed Ali’s Verehrer, deren er in Europa so viele hat, werden unserem Tadel entgegnen: es sey ungerecht, die Grausamkeiten, welche seine Söhne, oder deren halbwilde Kriegsknechte begangen, auf sein, des Vaters, Rechnung zu setzen. Dieß zugegeben, dürfen wir doch fragen, warum der weise Vezier diese Jünglinge, (die er zu Erben seiner großen Entwürfe bestimmt hatte, die das von ihm begonnene Werk der Wiedergeburt Egyptens vollenden sollten,) statt ihren noch zarten und empfänglichen Gemüthern Sinn für die Künste des Friedens, Achtung für Recht und Sitte, Wohlwollen gegen die Menschen, Freude an einer freien Thätigkeit im Ackerbau, im Handel und in den Gewerben einzuflößen, vielmehr in den Feldlagern aufwachsen ließ, wo, bei dem frühen Bewußtseyn prinzlicher Machtvollkommenheit, zwar die männlichen Tugenden der Tapferkeit und Selbstständigkeit sich entwickeln konnten, zugleich aber auch ein Vulkan von Leidenschaften ausbrechen, und unter den blutigen Scenen des kriegerischen Lebens jedes sanftere Gefühl der Humanität erstickt werden mußte?

Wir gestehen, daß uns dieß keinen hohen Begriff von Mehemed Ali’s Erziehungsweisheit gibt. Eifrigst besorgt, überall seine Familie im fürstlichen Glanze dem Volke zu zeigen, – ein Blendwerk, dessen die Legitimität nicht bedarf, das aber zu den gewöhnlichen Künsten der Emporkömmlinge und Usurpatoren gehört – umgab er seine Söhne fast noch als Kinder, ehe sie eine andere Pflicht kannten, als die des Gehorsams gegen ihren Vater, mit dem gefährlichen Pompe, der sie zu den unbegränztesten Ansprüchen berechtigte, mit einem förmlichen Hofstaate, mit Großoffizieren und Kammerherren, mit Leibwachen und Truppen, und bestellte sie zu Statthalern von Provinzen, zu Herren über Eigenthum, Leib und Leben seiner Unterthanen, und zu Anführern großer Heere. Wenn er ihnen aber die wichtigsten Staatsangelegenheiten übertrug, kann da Jemand im Ernste glauben, der Pascha werde Alles ihrem freien Selbstermessen überlassen, er werde ihnen nicht vertraute Rathgeber zur Seite gestellt haben, sie gegen die Folgen des jugendlichen Leichtsinnes oder der Unerfahrenheit zu schützen? So ist es also doch der Vater, den wir für die bösen Thaten seiner Söhne verantwortlich machen müssen, während wir geneigt sind, den Grund ihrer guten Handlungen in ihnen selbst zu suchen. Tussun und Ismaël Pascha sind nicht mehr, und die Freude, die Mehemed Ali an ihnen im Leben hatte, konnte nicht größer seyn, als sein Schmerz über ihren frühzeitigen Verlust: so kurz und glänzend war ihre Laufbahn. Aber welch ein Glanz war es, der sich über diese Laufbahn verbreitete? Wenn auch Züge von Edelsinn und Menschlichkeit, die an den ritterlichen Geist der alten Araber erinnern, wohlthuende Lichtstrahlen auf Tussun’s und Ismaël’s vorübergehende Erscheinung werfen, so erkennen wir darin weniger eine freie sittliche That, als die Wirksamkeit der mütterlichen Natur, die auch in ihren verwilderten Kindern den Samen des Guten pflegt, so wie sie erquickende Oasen in die unfruchtbare Wüste gelegt hat. Doch müssen wir zu ihrer Ehre anführen, daß die Eigenschaften, die ihren Bruder Ibrahim zu einem vollkommenen Türken machen, der unbeugsame Stolz, die gefühllose Grausamkeit, die intrigante, trugvolle, rücksichtslose Politik, in geringerem Grade ihr Erbtheil waren. Mehemed Ali’s und Ibrahim’s mächtigste Leidenschaft ist diejenige, welche ihnen die Befriedigung aller übrigen Leidenschaften verspricht, die Herrschsucht. Wie bei Augustus und Tiberius, zeigt sich die Verschiedenheit ihrer Persönlichkeiten zwar bei der Wahl ihrer Mittel zur Erreichung dieses Zweckes, wobei dann die natürliche Charakterhärte des Einen mit der erkünstelten feinen Haltung des Andern auffallend kontrastirt. Wesentlicher aber möchte vielleicht der Gegensatz seyn, in den sie durch ihren religiösen Charakter zu einander treten. Obwohl ein pünktlicher Beobachter der Vorschriften des Propheten theilt Mehemed Ali die Verfolgungssucht seiner Glaubensgenossen nicht; Ibrahim aber kostet es Mühe, seinen Haß und seine Verachtung gegen den ungläubigen Raja oder Franken zu verbergen. Ohne Zweifel ist Mehemed Ali eines religiösen Fanatismus schon wegen des Grades von Begeisterung, der dazu gehört, nicht fähig. In Ibrahim’s Leben kommen Handlungen vor, die sich einzig und allein daraus erklären lassen; bei Mehemed Ali dürfte die Politik als Erklärungsgrund seines Thuns und Lassens in den meisten Fällen hinreichen. Als Ibrahim, im Begriff gegen die Wechabiten zu Felde zu ziehen, von seiner Familie Abschied nahm, hieng seine Muttter eine Juwelenschnur von unschätzbarem Werthe um seinen Hals, mit dem Befehl, dieselbe bei seiner Ankunft in der heiligen Stadt auf des Propheten Grab nieder zu legen. Andächtig vollzog er den frommen Auftrag seiner Mutter, zu deren reichem Geschenke er die kostbarsten Spenden aus seinem eigenen Schatze fügte. „Siehe mich, [102] o heiliger Prophet,“ sprach der junge Krieger, „Ibrahim, den Sohn Mehemed Ali’s, an deinem Grabe, der dich um Schutz und Hülfe fleht in dem Kriege, den er beginnt. Rüste meinen Arm aus, mit der Kraft zu siegen, und meinen Geist mit der Einsicht, daß er den Sinn der Frevler durchschaue, und ihre Plane vereitle. Meine Feinde sind ja auch die deinigen?“ Darauf that er das Gelübde, seinen Sklaven die Freiheit zu schenken, sich des Weins und anderer geistiger Getränke zu enthalten, und vertheilte freigebig Almosen unter das Volk, das ihm in die Moschee gefolgt war. Nach Hause gekommen ließ er die Freilassungsurkunden ausfertigen, und gab Befehl, alle Wein- und Rhumflaschen zu zerbrechen, die sich in den Vorräthen der Armee befanden. Mochte sich Ibrahim in solchen Augenblicken frommer Anwandlungen zu Werken der Selbstverleugnung, und sogar der Großmuth gestimmt fühlen: so war doch Nichts im Stande, die düstere Grundfarbe seiner Seele zu erhellen, und es zeigt sich an ihm der Charakter der religiösen Schwärmerei, der ihn, je strenger er gegen sich selbst war, desto härter und liebloser gegen Andere machte, in seiner vollsten Kraft. Die ungläubigen Griechen konnte er, in der Art, wie er den Krieg gegen sie führte, nicht barbarischer behandeln, als die ihm und seinen Soldaten durch Sitte, Sprache und Religion zum Theil verwandten Wechabiten. Wurde ein Platz erobert, der einigen Widerstand geleistet hatte, so erfolgte in der Regel ein allgemeines Blutbad, Brand und Zerstörung; und die wenigen Wehrlosen, die durch ihr Alter oder Geschlecht dem Verderben entgangen waren, mußten es für eine hohe Gnade halten, wenn sie unter den Ruinen ihrer vormaligen Häuser einen Zufluchtsort suchen durften. Derajeh, die Hauptstadt von Nedjd,[3] war durch Capitulation eingenommen worden. Der Fürst der Wechabiten hatte sich, um für die Stadt und seine Familie, die schon zum Theil in der Gewalt des Siegers waren, Schonung zu erhalten, freiwillig in die Gefangenschaft begeben, Ibrahim ihm alle seine Bedingungen zugesagt; aber nach der gewöhnlichen Politik der Türken, die sich nicht verpflichtet glauben, gegen sogenannte Rebellen Treu und Glauben zu halten, bekümmerte sich Ibrahim wenig um die Erfüllung seiner Versprechungen. Denn kaum war Abdalla ebn Suhud auf dem verhängnißvollen Weg nach Kairo, von wo er bald seine letzte Reise nach Konstantinopel antreten sollte – Ibrahim selbst war schon abgezogen und hatte einige hundert Einwohner mit Weibern und Kindern, für die Verbannung bestimmt, mit sich genommen; noch hofften aber die übrigen, der Pascha werde sich mit Schleifung ihrer Festungswerke begnügen,) – da erschien der Befehl zur Zerstörung der Stadt. Die Dattelbäume wurden umgehauen, die Brunnen ausgefüllt, die Bewohner ausgetrieben und die Häuser verbrannt. Da man sich gerade in der heißen Jahreszeit befand, so bildete der Anblick der Zerstörung mit dem der erstorbenen Natur ein gräßliches Schauspiel. In weniger als 20 Tagen war eine Stadt von 13,000 Einwohnern vertilgt. Die Bevölkerung, die in den benachbarten Ländern ein neues Vaterland suchte, kehrte jedoch, nach der völligen Entfernung der Feinde, zurück, um das Bollwerk der Anhänger des Theismus wieder aufzubauen.

Ibrahim dachte nicht daran, seine Eroberungen in Nedjd behaupten zu wollen. Da sie ihm nur dadurch möglich geworden waren, daß er die Freundschaft einiger arabischen Stämme durch Geld und Versprechungen zu gewinnen gewußt hatte, so hieng ihre Behauptung von der gewissenhaften Erfüllung seiner eingegangenen Verbindlichkeiten ab. Er fand es seinem Vortheile angemessener, die Feinde durch Zerstörung ihrer festen Plätze und Verwüstung ihrer Ländereien auf lange Zeit unschädlich zu machen, als einen Zuwachs an Gebiet zu erlangen, das in Folge seiner entfernten Lage, mitten in unwirthbaren Einöden, und wegen des unruhigen Geistes seiner Bewohner mehr Verwaltungskosten zu erfordern schien, als es Gewinn versprach. Indessen hatten die Engländer, deren Handel im persischen Meerbusen seit geraumer Zeit durch die Raubzüge der Wechabiten stark beeinträchtigt wurde, auf die Nachricht vom Ausbruche des türkischen Krieges, eine Expedition von 3000 Mann in El-Katif ans Land gesetzt, und boten Ibrahim ihre Hülfe an. Letzterer, der bereits auf seine bisherigen Verbündeten, die Beduinen, nicht mehr rechnen konnte, da er ihnen nicht gehalten, was er versprochen hatte, trug um so mehr Bedenken, das Anerbieten der Engländer anzunehmen, als er nicht Lust hatte, seine Eroberungen mit ihnen zu theilen. Außer den heiligen Städten blieben im Besitz der Türken noch einige feste[4] Grenzplätze, z. B. Tâyef, Dschidda, Janbo, sowie die Engpässe von Saffra und Dschididde, die den Weg nach Egypten beherrschen. Ibrahim, dessen Soldaten durch die ausgestandenen Mühseligkeiten und Entbehrungen aller [103] Art erschöpft waren, ließ seine Armee ihren Rückzug auf Medina beschleunigen, und er selbst widmete sich nun ganz den Pflichten seiner Religion. Seine wiederholte Andacht am Grabe des Propheten, seine Wallfahrt nach Mekka, sein großes Opfer auf dem Berge Arafât, wo er 3000 Schafe schlachtete, die er, im Fall seiner Rückkehr als Sieger, vor dem Feldzuge gelobt hatte. Alles dieß und so vieles Andere zu erwähnen, hätte für uns keinen Werth, wenn nicht die Rolle, welche Ibrahim in Morea spielt und gespielt hat, den Ereignissen auch seines frühern Lebens ein gewisses fortdauerndes Interesse gäbe.

[114] Mit freudiger Rührung betrachtet Mehemed Ali zu Kairo von der Moschee des Sultans El-Guri aus den Triumphzug seines Sohnes, der aus dem heiligen Krieg heimkehrte. Gewiß konnte an solchen Tagen des muselmannischen Ruhmes, die als Siegesfeste der Religion zugleich Feste seines Vaterglückes waren, Mehemed Ali sich eines aus persönlichem und religiösem Stolze gemischten Gefühl’s – einstimmend in den Jubel der Tausende, welche, um gegen des Propheten Feinde zu ziehen, nach Egypten gekommen waren – nicht erwehren. Aber weder unter dem Freudentaumel eines bigotten Volkes, das nie zu Ausschweifungen geneigter ist, als wenn es Glaubenssiege feiert, noch als zwei Jahre später beim Ausbruch der griechischen Revolution das Rachegeschrei durch alle Provinzen der Türkei erscholl und zu den ungeheuersten Leidenschaftlichkeiten hinriß, vergaß Mehemed Ali ein Benehmen zu beobachten, das seiner Stellung und seines europäischen Rufes würdig war, indem er nicht nur die Ruhe in seinen Staaten während der ganzen Zeit dieser religiös-politischen Convulsionen stets aufrecht zu erhalten wußte, sondern auch der Beschützer so mancher Verfolgten aus Syrien, Kleinasien und Griechenland wurde, die an den Ufern des Nils eine gastliche Aufnahme fanden. Wenn indessen Mehemed Ali der Verfolgswuth unduldsamer Scheykhs oder fanatischer Soldaten ein Ziel setzte, so dürfen wir darin nicht bloß den Mann von freisinnigen Ansichten erblicken, sondern vor allem den Mann, der sein Interesse verstand und in Bezug auf dasselbe kein besserer Muselmann als Christ oder Jude seyn wollte. Es gibt Bilder, die so beschaffen sind, daß, je nachdem man sie von einer Seite, und von einiger Entfernung erblickt, der Gegenstand, den sie vorstellen, ein ganz anderer, und sich selbst nicht mehr gleich zu seyn scheint. Eine solche Erscheinung ist Mehemed Ali, eine Erscheinung, die, wenn wir sie von Europa aus betrachten, uns einen weisen und menschenfreundlichen Fürsten zeigt – eine Illusion, die in der Nähe verschwindet.

Egypten mit einer Bevölkerung von 2½ Millionen Einwohnern und einem natürlichen Reichthume für viele Millionen, ist in seinem jetzigen Zustande in jeder Hinsicht ein höchst unglückliches Land; allenthalben herrscht gesetzlose Willkür, und wenn auch der Einzelne von den Einfällen benachbarter Horden, die früher das Land plünderten, nichts mehr zu fürchten hat, wenn er sogar vor den eigenmächtigen Erpressungen der Regierungsbeamten, worauf diese, ehe sie Besoldung erhielten, gewissermaßen angewiesen waren, jetzt gesichert ist, so erliegt er dagegen unter der Generalschatzung des einen Despoten, die den Kern seiner Lebensthätigkeit verzehrt. Mehemed Ali ist auf dem geraden Wege, wie einst Joseph unter den Pharaonen, das ganze Land zur Domäne des Herrschers zu machen: seine Finanzverwaltung läßt diesen Zweck deutlich durchblicken. Nachdem Alle, welche die wiederholt umgelegten Abgaben nicht erschwingen konnten, ihre liegenden Güter dem Fiscus hatten überlassen müßen, beraubte er die zwei ersten Klassen der Grundeigenthümer, die Multezim[5] und die Scheykhs, mit Einemmale ihrer Besitzungen, indem er sie auf einen Gehalt im Betrag ihres aus den Steuerregistern ausgemittelten reinen Güter-Ertrags setzte. Da der Gehalt aber blos lebenslänglich ist, so befreit jeder Todesfall den Fiskus von einer dieser Lasten, und die reichsten Familien sinken nach und nach zu Proletariern herab. Es giebt zwar nur Eine Steuer, den Myry oder die Grundsteuer, und Mehemed Ali hat, um sie genau zu regeln, unter der Leitung des Florentiner Ingenieurs Massi, eine Landesvermessung veranstaltet; aber die Größe dieser Steuer steht mehr in einem Verhältniß zu den enormen Bedürfnissen des Veziers als zu den Kräften seiner Unterthanen. [115] Der Landmann ist so wenig der Herr der Früchte seiner Arbeit, daß er nicht eher darüber verfügen darf, als bis die Regierung die Auswahl der für die Ausfuhr bestimmten Artikel getroffen hat, die er um einen von ihr bestimmten Preis und auf Abrechnung am Myri erlassen muß. Der ganze Bedarf für die Hofhaltung des Veziers und für seine ersten Beamten wird dem Landmann nur mit der Hälfte des Werths vergütet; bleibt ihm dann noch außer seinem eigenen Bedarf etwas übrig, dann darf er es auf den Markt bringen und verkaufen: da aber der Erlös kaum zur Bezahlung seiner Steuer hinreicht, so bleibt ihm selbst nichts übrig. Im Monat März staunt man über den Reichthum der Erndten in Vergleichung mit dem erbärmlichen Zustande der Dörfer. Nur die unerschöpfliche Fruchtbarkeit des Bodens und die Bedürfnißlosigkeit seiner Bebauer erklärt, wie es möglich ist, daß Egypten immer noch eine so bedeutende Bevölkerung hat.

Wie der Landmann, so arbeitet auch der Gerwerbsmann nur für den Vortheil des Fiskus. Einst hatte Egypten einen Manufactur-Handel mit Lein- und Baumwollenwebereien, mit Seidenzeugen, Golddraht, Matten, Leder, Rosenwasser, Indigo u. s. w., der einem Theil der Bevölkerung einen jährlichen Gewinn von 30,000 Beuteln (zu 500 Thlr.) abwarf. Jetzt, da die Handwerker um Taglohn für den Vezier arbeiten, der viele von ihnen mit Gewalt aus den Dörfern Oberegyptens in seine Arbeitshäuser versetzt hat, haben die Fabrikate an Dauerhaftigkeit wie an Feinheit bedeutend verloren. Von dem großen Fabrikwesen, das Mehemed Ali unter der Leitung von Europäern in Kairo, Bulâck, Mehallet el-Kebyr, Mansura und an andern Orten eingerichtet, und worauf er 40,000 Beutel verwendet hat, sind eben so wenig bedeutende Resultate anzuführen. Außerdem daß der beständige, fast unmerkliche Sandstaub den Mechanismus der Spinn- und Webmaschinen stört und die Hitze das Holz austrocknet, ist der Hauptgrund, warum diese Institute nicht aufkommen, daß Mehemed Ali seine Egyptier nicht dafür zu interessiren weiß. Mit dem Seidenbau geht es nicht besser. In Uâdez Tumlât hatte man 3000 Feddâns[6] Land mit 1,050,000 Maulbeerbäumen angepflanzt, die von 1000 Radbrunnen bewässert wurden. 2000 Fellahs mit 6000 Ochsen besorgten die Wässerungen; eine Kolonie von 500 Syriern das Uebrige. Allein die falsche Behandlung der Maulbeerbäume, denen man zu viel Wasser gab, hatte die verspätete Entwicklung des Laubwerks zur Folge, wodurch die Insekten aus Mangel an Nahrung umkamen. So war bis jetzt der Ertrag von einem Unternehmen, das 45,000 Beutel gekostet hatte, höchst unbedeutend. Indessen läßt sich Mehemed Ali durch den bisherigen schlechten Erfolg dieser großen Dinge, durch die er sich die Bewunderung Europas verdiente, nicht entmuthigen, und weiß sich auf andere Weise zu entschädigen. Der Betrag des Myry belauft sich nicht ganz auf die Hälfte seiner Total-Einkünfte, welche man zu 50,000,000 Fr. annehmen darf. Bringt man noch den Betrag der Einnahme von seinen Douanen in Suez, Koffeir, Derâuf, Syuth, Alt-Kairo, Bulâk, Damiette, Alexandria und auf dem Kanal Mahmudyeh, so wie einige Auflagen auf bestimmte Gegenstände, z. B. auf den Handel mit Fischen, in Alt-Kairo und Bulâk, mit Vieh zu Embaheh und auf dem Platz Rumeyieh, auf Schauspieler, Erbschaften, Nilschiffahrt mit ungefähr 8 Millionen Fr. in Berechnung, so kann man die Summe, die er von seinem Alleinhandel als Nettogewinn bezieht, ohne Anstand zu 16 bis 18 Millionen anschlagen. Im Fall eines Defizits endlich hilft sich Mehemed Ali damit, daß er seine Freunde zu freiwilligen Geschenken auffordert, und von den Andern beliebige Steuern erhebt.

[118] Es dürfte zwar Manches gegen die Logik einzuwenden seyn, die von dem Wohlstand und Glanz der Hauptstadt auf das Glück eines Landes schließt; bei Egypten gerathen wir indessen auf keinen Fall in Versuchung, diesen Fehlschluß zu machen. Nichts kündet in Kairo Mehemed Ali’s Größe oder seinen Wunsch an, ein verehrtes Andenken zu hinterlassen. Man hört und sieht nirgends von einer gemeinnützigen Anstalt, die er gegründet, von einer Maßregel fürs allgemeine Beste, die er beschlossen hätte. Wie? Hat Mehemed Ali nicht eine Anzahl junger Egyptier nach Paris geschikt, wo sie unter Jomard’s Leitung eine europäische Bildung erhalten? Hat er nicht in Bulâk ein Lyceum errichtet, in welchem französische und italienische Sprache, Zeichnen und Geometrie gelehrt wird? Wohl hat er alles dieß gethan; wenn er aber für sein complizirtes Handels- und Verwaltungssystem zu Aufsehern und Schreibern eine Menge Leute braucht, die gewisse Kenntnisse besitzen müssen, und er sie diese Kenntnisse erlernen läßt, so möchten wir ihn deswegen weder einen Freund der Wissenschaften noch einen wirklich wohlwollenden und aufrichtigen Beförderer der Gesittung Egyptens nennen. – Die Spuren eines verheerenden Krieges sind noch nicht verwischt, einige Paläste, die Mehemed Ali, nach der Bauart der Häuser in Konstantinopel, für sich und die Seinigen erbauen ließ, könnte man leicht ihrer Lage und ihrem Aussehen nach für einen Theil der Ruinen halten, in deren Mitte sie liegen. Diese Gebäude, mit großen Kosten errichtet, außen und innen mit Malereinen verziert, eignen sich für das brennende Klima Egypten’s nicht. Die leichtgezimmerten, mit einem einfachen Firniß überkleideten Wände vermögen den Zugang der Hitze nicht abzuhalten, und das Holz dient gewöhnlich nur einem Heer von Insekten und Mäusen zur Nahrung und zum Aufenthalt. Denkt man sich nun noch Gärten ohne Wasser und ohne Lauben hinzu, so hat man eine vollkommene Vorstellung von der Herrlichkeit dieser Paläste, welche die Türken seit einigen Jahren in und um Kairo aufgeführt haben. Auch hierin zeigt sich Mehemed Ali wieder ganz als Türke, daß er in Egypten wie in Rumelien leben will. – Besucht man die Bazars, wo es von Menschen wimmelt, so glaubt man sich in eine der bevölkertsten Städte der Erde versetzt, und ahnt nicht, daß es in dieser Mutter der Welt (ommel dunyâ), wie die Araber Kairo nenen, mehr als 6000 völlig verfallene Häuser giebt, daß seit 25 Jahren die Bevölkerung der Stadt um 50,000 Menschen abgenommen hat.

Von der ersten Pflicht einer vernünftigen Regierung, für das Gedeihen der Bevölkerung zu sorgen, weiß Mehemed Ali nichts; unbegreiflicher Weise erkennt er nicht einmal, wie innig sein eigenes Interesse, als einziger Grundeigenthümer, damit verbunden ist. Den Stand der Bevölkerung kann man in der Regel als Maßstab des Wohlstandes eines Landes ansehen: je mehr Hände, desto mehr Ertrag. Jede Regierung besitzt eine Menge Mittel, wodurch sie diesen Zweck erreichen kann. Wenn aber Mehemed Ali Egypten mittelst seiner europäischen Weisheit so bewirthschaftet, daß seinen Hörigen nach Abzug ihrer Staatslasten kaum das Nothdürftige, und oft nicht einmal soviel bleibt, so setzt er sich damit in geraden Widerspruch mit jenem Zwecke. In Egypten ist der fünfte Theil des fruchtbaren Bodens aus Mangel an Arbeitern unbenutzt; fünfzig Stämme arabischer Hirtenvölker wohnen an beiden Ufern des Nils, die sich, seitdem der Vezier ihren Räubereien Einhalt gethan hat, kümmerlich vom Ertrag ihrer Heerden nähren. Warum giebt er ihnen kein Grundeigenthum, und macht sie zu nützlichen Ackerbauern? Freilich müßte er ihnen das neue Loos, das er ihnen anböte, von der günstigsten Seite zeigen, damit sie willig auf ihre wilde Freiheit verzichteten: denn sonst dürften sie diese immer noch dem Glück der von ihnen verachteten Fellahs vorziehen. Er müßte daher nicht gleich im Anfang die höchst möglichen Zinse von seinem Kapital ziehen wollen. Allein Mehemed Ali ist nicht der Mann, welcher einen Weg einschlägt, auf dem er nicht unmittelbar zum Ziele gelangt; seine Rechenkunst reicht nicht über das Jahresbudget hinaus, und darin giebt es keine Rubriken für Ausgaben zur Verbesserung des gesellschaftlichen Zustandes. Man kann Mehemed Ali nicht zumuthen, daß er mit Gesinnungen des Wohlwollens und der Menschenliebe seine Völker beherrscht, daß er sich um ihr Wohlseyn, um ihre [119] Zufriedenheit bekümmere, daß er ihnen die öffentlichen Lasten zu erleichtern suche, daß er sich für die Aufrechthaltung der Gesetze, und die Unparteilichkeit der Rechtspflege bemühe, daß er selbst sich der Ungerechtigkeit enthalte, seiner eigenen Willkühr, Habsucht und Grausamkeit Schranken setze; aber der Mangel einer Gesundheitspolizei in Egyten ist ein Vorwurf gegen die Regierung Mehemed Ali’s, den wir nicht übergehen können. Ein Drittel aller Kinder stirbt an Pocken; warum wird die Impfung nicht eingeführt? Fast jedes Jahr richtet die Pest ihre Verwüstungen an; warum denkt man nicht an Mittel dieses Uebel durch Hinwegnahme seiner Hauptursachen zu vernichten? So ist in Kairo das Judenquartier ein Kloak, worin die Pest gewöhnlich zuerst ausbricht; um die Dörfer herum bilden sich durch das Austreten des Nils Sümpfe, welche die Atmosphäre vergiften. Eine ähnliche Bewandniß hat es mit der Art, wie man die Todten neben den Wohnungen der Lebenden begräbt, indem man vielleicht kaum ein paar Händevoll Erde auf sie wirft, so daß sie oft von Hunden und Raubthieren wieder ausgescharrt werden; die Hütten der Landbewohner sind feuchte und dumpfe Löcher, in welche keine frische Luft kömmt; – sollten, fragen wir, diese und andere Dinge sich nicht eignen, die Aufmerksamkeit einer weisen Regierung eine Zeitlang zu beschäftigen, da die Abhülfe solcher Uebelstände wenigstens ein Mittel wäre, die Bevölkerung auf ihrem gegewärtigen Stande zu erhalten? Ohnehin wird man auf Vermehrung derselben durch freiwillige Ansiedlungen von Einwanderern bei dem gegenwärtigen Systeme nicht rechnen dürfen; die gewaltsamen Ansiedelungen von Negern, die man aus dem innern Afrika geraubt, und nach Oberegypten versetzt hat, konnten zu keinem Resultat führen, da die meisten durch Mißhandlungen, Hunger und Elend umkamen.

Wir haben noch einiger Klassen der Einwohnerschaft Egyptens Erwähnung zu thun: der Armenier in Egypten, seit der türkischen Eroberung (1517), ungefähr 2000 an Zahl; der griechischen Katholiken, aus Syrien abstammend, ungefähr 4000; der schismatischen Griechen, meist Abkömmlinge älterer Kolonien, (sie sprechen arabisch), ungefähr 5000; der Kopten, worunter 5000 vom römisch-katholischen Ritus, 160,000 mit einem Patriarchen, 100 Kirchen und 20 Klöstern; der Juden, nur in Kairo und Alexandria 3500; endlich der Franken, deren sich in Kairo und Bulâk 400, in Alexandria 800 befinden. Die egyptischen Christen, mit Ausnahme der Kopten, und die Juden leben als Kaufleute und Handwerker, nur in den Städten, wo sie theils eigene Quartiere bewohnen, theils ihren Aufenthalt nach Belieben wählen. Früher, da sie den Großhandel in Händen hatten, besaßen manche von ihnen große Reichthümer; jetzt müssen sie sich mit dem Kleinhandel und einigen Zweigen der Industrie begnügen, die dem Monopolisten Mehemed Ali entgangen sind. In Bezug auf die Religion werden sie nicht angefochten, und überhaupt mit den Mahommedanern ziemlich auf gleichem Fuße behandelt; denn Rajas im türkischen Sinne giebt es in Egypten nicht. Die Kopten, nach ihren Gesichtszügen die Nachkommen der alten Egyptier, beschäftigen sich, wie die Fellahs, mit dem Ackerbau, wenige ausgenommen, welche Gewerbe treiben. Sie genossen unter der Herrschaft der Mamelukken mancherlei Vorzüge, die sie unter dem Gleichheitsprinzip des jetzigen Despotismus größten Theils verloren haben; doch behaupten sie noch immer mit großer Anhänglichkeit gewisse nationale Einrichtungen, welche die Regierung nicht antastet. Wichtige Männer in Egypten sind die Franken, theils als Handelsfreunde des Veziers, theils als Vorsteher seiner Institute und Verkündiger seines Ruhms in Europa, daher man sie häufig im Palaste der Finanzverwaltung, welcher die Stelle der Börse vertritt, den Agenten des königlichen Alleinhändlers aufwarten sieht. Die Türken, welche den eigennützigen Grund ihrer Dienstbeflissenheit zu würdigen wissen, behandeln sie eben nicht immer mit der schuldigen Auszeichnung. Indessen leben sie hier wie in der ganzen Levante als eine Art Kolonie unter der Autorität der Konsuln ihrer Nationen und unter den Gesetzen des Mutterlandes; sie zahlen der egyptischen Regierung keine Abgaben. Lange Zeit, (seit Colbert’s Ministerium) waren die Franzosen[7] nebst einigen Venetianern die einzigen europäischen Kaufleute in Egypten; seit Anfang des jetzigen Jahrhunderts nahmen die Engländer am dortigen Handel Theil. Die Leichtigkeit, womit Mehemed Ali auf Credit verkauft, hat Leute aus allen Nationen, darunter auch manche bloße Glücksritter, dahin gezogen, deren Betragen eben nicht geeignet war, die Achtung gegen den Namen des Europäers zu vermehren. Dennoch dürfen die Franken, unter allen Umständen, auf eine gewisse Freundschaft des Veziers rechnen; er ist zu klug, um seine für ihn so vortheilhaften Handels-Verbindungen mit Europa abzubrechen, deren Aufhören einen bedeutenden Ausfall in seinen jährlichen Einnahmen zur Folge haben würde. Ein Beweis, wie sehr er sich von der Wichtigkeit dieses Verkehrs überzeugt hat, ist der Mahmudyehkanal, [8], den er, um die Getreideausfuhr aus dem Innern des Landes nach Alexandria zu erleichtern, mit so ungeheuern Kosten bauen ließ. Das Theurungsjahr 1816/17, in welchem die Nachfrage nach egyptischem Getreide sehr stark war, gab die erste Idee zu diesem Unternehmen, das in der unglaublich kurzen Zeit von ungefähr 3 Jahren vollendet wurde. Durch die Nachläßigkeit der Landbewohner, denen die Erhaltung der Kanäle (mit Ausnahme der größern) obliegt, waren viele nach und nach verschlammt: so war es namentlich mit der unter dem Namen des Bogâz von Rosette bekannten Nilstraße der Fall, welche theils durch Wassermangel, theils durch den Einfluß der Ebbe [120] und Fluth von Tag zu Tag gefährlicher, und für den schnellen Transport immer unbequemer wurde. Die mit der Ausführung beauftragten türkischen Ingenieurs giengen rasch zu Werke. Nachdem sie kaum das Nivellement gemacht, trieben sie dreimal hundert tausend Arbeiter aus den sieben Provinzen Unteregyptens zusammen, und ließen auf geratewohl graben. Die Ungeschicklichkeit dieser sogenannten Ingenieurs, die nicht einmal angeben konnten, was eigentlich zu thun war, die weder für Anschaffung der nöthigen Werkzeuge, noch für den Unterhalt der Mannschaft gesorgt hatten, macht es begreiflich, daß die Arbeiten nur langsam vorschritten. Schon waren mehr als dreizehn tausend Menschen aus Hunger, Entkräftung, an der Pest oder unter den Stockschlägen der Treiber umgekommen, als endlich die Unternehmung in die Hände von Europäern kam, und dadurch einen regelmäßigen Gang gewann. Erst von jetzt an wurden die Arbeiter bezahlt.[9]

Die Hauptschwierigkeit bestand in der Aufführung einer 800 Kassabbeh langen Scheidemauer zwischen dem See von Abukir und dem See Mareotis, die auf Grundpfählen errichtet werden mußte, was eine dem Türken völlig fremde Bauart war. – Um einen andern 34,670 Metres langen Kanal, dem Mehemed Ali den Namen Skander gab, zu graben, wurden 80,000 Fellahs ausgehoben. Zum Beweis, wie diese Leute angestrengt wurden, bemerken wir, daß in den fünf ersten Tagen der Kanal auf eine Ausdehnung von 20,590 Metres fertig ward.

Man könnte diese riesenhaften Werke als die glänzendste Seite von Mehemed Ali’s Regierung herausheben, in der Art aber, wie sie unternommen und ausgeführt wurden, sind sie nur gräuelhafte Denkmale seines grenzenlosen Despotismus, und wie die Pyramiden noch stehen, nachdem die Namen ihrer königl. Gründer vergessen sind, werden auch sie den Namen Mehemed Ali’s nicht auf die Nachwelt bringen. Mehemed Ali steht jetzt am Ziele seiner Laufbahn: um sich und seine Familie reich und mächtig zu machen, hat er zwanzig Jahre vollauf gearbeitet, seine Hand tief in Blut getaucht, Arabien, Afrika und Griechenland verwüstet, Flotten ausgerüstet, Heere disciplinirt, sein eigen Land ausgesaugt; – und nun sind seine Schätze erschöpft, seine Eroberungen verloren, seine Flotten zerstört, und nichts ist übrig geblieben und hat Frucht getragen, als der Same des Fluches, den er reichlich über Egypten ausgestreut hat. Der Sieg von Navarin hat seinen Plan, Egypten zur europäischen Macht zu erheben, vereitelt und Europa vor der Gefahr gerettet, daß vielleicht dereinst ein neuer Barbareskenstaat das mittelländische Meer beherrschte. Möge nun Ibrahim, um seine Sklaven, die er auf die Bazars von Kairo liefert, statt aus Griechenland, aus Aethiopien zu holen, seinen vormals[10] projektirten Eroberungszug durch die Wüsten Afrika’s nach der Ebene von Mandara bald antreten und über Fezzan und Tripolis glücklich in sein Vaterland zurückkehren.


  1. Mehemed Ali ist 1769 in der rumelischen See-Stadt Cavale geboren; Mahmud ist 16 Jahre jünger. Beide waren ungefähr in gleichem Alter, als sie der Welt zeigten, daß sie keine gewöhnlichen Menschen seyen. Die Katastrophe der Janitscharen ist noch in frischem Andenken; Mehemed Ali, d. 1. Apr. 1806 zum Pascha von Egypten erhoben, vollendete die Zerstörung der Mamelukken-Herrschaft d. 1. März 1811.
  2. Die Vorgänger Mehemed Ali’s; von denen Khurschid derselbe ist, der später den Krieg gegen Ali Pascha von Jannina zu Ende brachte und wegen Unterschlagung der Schätze des Tyrannen von Epirus in Larissa hingerichtet wurde.
  3. Nedjd’s Bevölkerung rechnete man zu 50,945 waffenfähigen Männern, und zu 231,020 Weibern und Kindern, die in 13 Provinzen und in 15, bei der Provinzialeintheilung nicht mitbegriffenen, Städten und Dörfern wohnten. Dazu kamen noch 14 Stämme Beduinen, die, an den Grenzen umherziehend, die Oberherrschaft des Souveräns von Nedjd anerkannten. Diese Stämme, wovon fünf die Partei der Türken ergriffen, konnten mit 41,100 Mann Fußvolk und 8620 Mann Reiterei ins Feld rücken. – Ein Umstand, der dem Unternehmen Ibrahim’s sehr zu Statten kam, war, daß diese Beduinen im Allgemeinen, als Hirtenvölker, den Untergang des Wechabitischen Staats nicht ungerne sahen. Die weiteren statistischen Nachrichten sehe man in Mengin’s histoire de l’Egypte sous le gouvernement de Mohammed Aly. Tom. II. pag. 163 f., welchem Werke auch ein Umriß der Geschichte der Wechabiten angehängt ist.
  4. Bekanntlich haben, nach Nachrichten im österr. Beobachter vom 22. Oktober v. J. aus Alexandria, die Araber unter dem Scherif von Mekka, Namens Jekpa, die meisten dieser Plätze wieder genommen. Ist übrigens Jekpa der Neffe Gâleb’s, des vorigen, von Mehemed Ali 1813 hinterlistiger Weise verhafteten und nach Salonik verbannten Scherifs: so können wir den Grund dieser Bewegungen nicht wohl im Wiederaufblühen des Wechabismus suchen.
  5. Multezim bedeutet Eigenthümer. Während der Regierung der Mamelukken fand in Bezug auf das Grundeigenthum eine Art Lehenseinrichtung statt. Die Multezim, zuerst Lehensträger, wurden allmälig Eigenthümer, und hatten ihre Pächter und Unterpächter. Die Scheykhs waren im Genuß gewisser Güter, von deren Ertrag jedes Dorf die Erhaltung der Moscheen, der öffentlichen Schulen, der Canäle, der Cisternen und andere allgemeine Ausgaben zu bestreiten hatte.
  6. Der Feddân, dasjenige Flächenmaß, welches bei der Berechnung der Grundsteuer gebraucht wird, wurde in neuerer Zeit herabgesetzt, während die auf dem Feddân haftenden Steuern, die nämlichen blieben, und besteht gegenwärtig aus 3 Kassabehs zu 3 Metres 64 Centimetres.
  7. Zu Alexandria gibt es 3 französische Häuser, 2 englische, 1 maltesisches, 4 toscanische, 4 venetianische, 1 deutsches, zu Kairo 3 französische Faktoreien, 1 englisches Haus, 4 toscanische, 2 venetianische und 2 österreichische.
  8. Girol. Segato e Lorenzo Massi, saggi pittorici, geografici, statistici, idrografici, catastali sull’ Egitto. Firenze 1827. Caillaud Voyage à Meroë etc. Tom I. Chap. XVII.
  9. Die ganze Strecke des Kanals betrug 21,988 Kaßabeh (zu 3 metres 64 centimetres) = 80,253 metres; da für den Kaßabeh 400 Piaster bezahlt wurden, so beträgt dieß eine Summe von 8,795,200 Piastern, wozu man noch ungefähr die gleiche Summe für Ankäufe der Materialien, Besoldung der Aufseher, Maurerarbeit u. s. w. rechnen darf.
  10. Caillaud Voyage à Meroë etc. Tom. II. p. 324.