Dreibund und Dreiverband
Literatur:
Bearbeiten- F. H. Geffcken, Frankreich, Russland und der Dreibund. Aufl. II, o. J.;
- Daudet, histoire diplomatique de l’alliance franco-russe 1894;
- Bismarck, Gedanken und Erinnerungen II, 1898;
- L. Chiala, La triplice e la duplice alleanza. Aufl. II, 1898;
- Die Entstehung des deutsch-österreichischen Bündnisses in M. Busch, Tagebuchblätter III, 1899;
- L. Freiherr v. Chlumecky, Österreich-Ungarn und Italien, Aufl.II, 1997;
- Tardieu, La France et les alliances 1909;
- E. Brandenburg, Entstehung eines Weltstaatensystems, in Pflugk-Harttungs Weltgesch., Neuzeit Bd. III, 1910;
- G. Egelhaaf, Gesch. der neuesten Zeit, Aufl. III. 1911;
- Ed. v. Wertheimer, Graf Julius Andrássy, Sein Leben und seine Zeit, 3 Bände, 1913;
- H. Friedjung, Der Inhalt des Dreibundes, Der Greif, Jahrg. 1;
- F. Rachfahl, Kaiser und Reich, 1888–1913. 1913.
- In Betracht kommt auch S. Goriainow, Le Bosphore et les Dardanelles, mit Vorrede von G. Hanotaux, 1910.
Der Dreibund von 1882 ist eine Erweiterung des deutsch-österreichischen Schutzbündnisses von 1879, und dieses ist das gemeinsame Werk derjenigen beiden Staatsmänner, die damals die deutsche und die österreichische Politik leiteten, des Fürsten Bismarck und des Grafen Julius Andrassy; beide trafen sich mit ihren auf die Herstellung eines festen und guten Einvernehmens zwischen ihren beiden Reichen gerichteten Bestrebungen.
I. Die Vorgeschichte des deutsch-österreichischen Zweibundes von 1879.
BearbeitenDie Vorgeschichte der deutsch-österreichischen Allianz reicht weit zurück, man kann sagen, bis auf das Schlachtfeld von Königgrätz. Es war damals Bismarcks Bestreben, den Frieden so zu gestalten, dass in der Folgezeit ein deutsch-österreichisches Einverständnis wieder möglich würde. Als an der Stelle des deutsch-feindlichen Grafen Beust im Oktober 1871 der Graf Julius Andrassy die Leitung der auswärtigen Politik Österreichs übernahm, bahnte sich in der Tat eine deutsch-österreichische Annäherung an. Österreich fühlte sich damals isoliert und suchte Anlehnung; die junge französische Republik schien dafür nicht geeignet, und an Russland war nur auf dem Umwege über Preussen-Deutschland heranzukommen, da das Verhältnis zwischen diesen beiden Mächten damals noch das denkbar beste war. Andrassy entschloss sich zur Wendung zu Deutschland und damit auch zu Russland; so entstand (1872) das sog. „Dreikaiserbündnis“ zwischen Österreich, Russland und Deutschland. Andrassy rechnete von vornherein damit, dass es nicht von Bestand sein würde; er sah es schon damals lediglich als ein Übergangsstadium zu einem deutsch-österreichischen Zweibunde an.
Von Bestand konnte das „Dreikaiserbündnis“ schon deshalb nicht sein, weil die Balkanfrage einen Keil zwischen Österreich und Russland trieb. Das Ziel der russischen Balkanpolitik war die Gewinnung der Meeresstrassen, des Bosporus und der Dardanellen, die völlige Befreiung der christlichen Balkanvölker, zumal Vergrösserung von Serbien und Montenegro, Schaffung eines Grossbulgariens als russischer Schutzsstaaten. Solchen Bestrebungen widersetzte sich Österreich-Ungarn; es wollte kein grossslavisches Reich auf der Balkanhalbinsel, da es davon eine Rückwirkung auf die innerhalb seiner eigenen Grenzen gesessene südslavische Bevölkerung und insbesondere eine Gefährdung Dalmatiens besorgte; im Gegenteile trachtete Österreich-Ungarn, um seine Stellung an [338] der Ostküste des adriatischen Meeres zu befestigen, nach dem Besitze des Hinterlandes von Dalmatien, d. h. Bosniens und der Herzegowina. Als 1875 in diesen beiden Ländern ein Aufstand gegen die Pforte ausbrach, wurde die orientalische Frage wieder brennend, indem sowohl Russland als auch Österreich nunmehr die Gelegenheit für günstig erachteten, ihre Balkanpläne zu verwirklichen. Russland holte aus zu einem entscheidenden Vorstosse gegen die Pforte; da zeigte es sich bald, dass es sich dabei auf irgend eine Weise mit Österreich auseinandersetzen müsse.
Von Deutschland hing es ab, ob Russland freie Hand für seine Orientpolitik gegen Österreich haben würde. Der Hauptgesichtspunkt der Politik Bismarcks nach 1871 war die Sicherung Deutschlands vor den Gelüsten Frankreichs nach Revanche und Rückeroberung Elsass-Lothringens. Um die Mitte der siebziger Jahre hatte er nun allerdings nicht mehr den Eindruck, als ob in einem neuen deutsch-französischen Kriege noch ebenso, wie 1870/71, auf eine wohlwollende Neutralität Russlands gerechnet werden könnte; auch hatten sich die persönlichen Beziehungen der leitenden Staatsmänner, Bismarcks und Gortschakows, damals verschlechtert. Fernerhin glaubte Bismarck, falls es zu einem österreichisch-russischen Orientkonflikte käme, nicht dulden zu dürfen, dass Österreich dann seine Stellung als selbständige Grossmacht einbüsse, weil Russland dadurch ein auch für Deutschland schwer fühlbares Übergewicht in Europa erlangen würde. Im Sommer 1876 machte Russland einen Versuch, sich mit Österreich-Ungarn in der Balkanfrage auseinanderzusetzen Es fanden Verhandlungen zwischen dem Zaren und Gortschakow einerseits und Kaiser Franz Josef und Andrassy andererseits zu Schloss Reichstadt in Nordböhmen statt; ihr Ergebnis war das sog. „Resumé des pourparles secrets de Reichstadt de 8. juillet 1876“, worin Russland zwar bei einem unglücklichen Kriege gegen die Türkei Österreichs Hilfe in Aussicht gestellt, betreffend Bosnien und die Herzogowina jedoch für alle Fälle bestimmt wurde, dass Österreich hier ein Landgewinn erwachsen solle. Dieser Preis an Österreich für die Erlaubnis zum Angriffe auf die Hohe Pforte schien nun Russland doch wohl zu hoch, und so verlangte der Zar im Herbst 1876 von Bismarck peremtorisch eine Erklärung darüber, ob Deutschland im Falle eines russisch-österreichischen Krieges neutral bleiben würde. Kurz zuvor (im August 1876) hatte Bismarck dem Zaren ein Schutz- und Trutzbündnis angeboten; d. h. wenn Deutschland auf Russlands Hilfe gegen Frankreich rechnen konnte, wollte es seinerseits den russischen Orientplänen Vorschub leisten. Dieser Antrag war abgelehnt worden, und umsoweniger hatte Bismarck jetzt Lust, den des Zaren anzunehmen; er wich eine Zeitlang der Antwort aus und gab schliesslich (Mitte Oktober) den Bescheid, dass Deutschland eine Vernichtung der Grossmachtstellung Österreichs nicht dulden könne. Noch einmal, im November, liess er bei Gortschakow sondieren, ob Russland gegen Unterstützung im Orient auf einen Garantievertrag für Elsass-Lothringen eingehen wolle; Gortschakow winkte ab. Auf dem parlamentarischen Diner vom 1. Dezember und in seiner Reichstagsrede vom 5. dieses Monats betonte Bismarck darauf mit aller Deutlichkeit, dass Deutschland Österreichs Bestand und Integrität nicht antasten lassen würde.
Damit war die Situation geklärt. Russland sah, dass auf Deutschlands unbedingte Neutralität nicht zu rechnen sei. Es konnte daher an Österreich nicht vorbei, sondern musste sich auf der Grundlage des Resumés von Reichstadt bei ihm die Erlaubnis zum Kriege gegen die Türkei einholen; sie wurde erteilt durch die militärische Konvention zu Pest vom 15. Januar 1877 und die sog. convention additionelle vom 18. März zu Wien, die Österreich den Erwerb von Bosnien und der Herzegowina garantierte. Nun erst konnten die Russen losbrechen; als sie aber schliesslich mit rumänischer Hilfe den Sieg errangen, schlossen sie den Frieden von Santo Stefano (3. März 1878), der die Ansprüche Österreichs ignorierte und ein autonomes Grossbulgarien als russischen Schutzstaat schuf, der auch den Russen für ihre Flotte den Bosporus und die Dardanellen freigab. Dagegen protestierten Österreich und England, und auf dem Berliner Kongress (Sommer 1878) musste Russland in der Tat in allen diesen genannten Punkten zurückweichen: die Meeresstrassen blieben gesperrt; Bulgarien wurde verkleinert; Bosnien und die Herzegowina kamen an Österreich, und zwar lediglich aus Rücksicht auf die Pforte in der Form einer blossen Okkupation; im Sandschak Novi-Bazar erhielt Österreich militärisches Besatzungsrecht.
In Russland wurde die Schuld an diesem Ausgange des Krieges Deutschland zugeschrieben, das man der Undankbarkeit bezichtigte, da ja die Voraussetzung für die Ereignisse von 1866 und [339] 1870/71 die wohlwollende Neutralität Russlands unzweifelhaft gewesen war. Diese Verstimmung wurde noch dadurch gesteigert, dass Bismarck damals zu zweien Malen, während des Kongresses und bald nachher, ein ihm von Russland angebotenes Bündnis ablehnte. Russland stand damals ganz isoliert; Österreich und England waren seine ausgesprochenen Gegner, und auch Frankreich nahm in der Orientpolitik Stellung wider das nordische Reich; um so schmerzlicher empfand man die deutsche Absage. Für Bismarck war es dabei das Entscheidende, dass ihm ein Bund mit Russland für Deutschland nicht genug Schutz und Nutzen zu gewähren, dagegen der Bildung einer Koalition der übrigen Mächte Vorschub zu leisten schien, deren Bekämpfung lediglich im russischen Interesse gelegen hätte, so dass Deutschland dabei der gebende Teil gewesen und Russland gegenüber in eine Art von dienendem Verhältnisse geraten wäre.
II. Die Entstehung des deutsch-österreichischen Zweibundes von 1879 und seine Erweiterung zum Dreibunde 1882.
BearbeitenDurch den Berliner Kongress und die Ablehnung der russischen Bündnisanträge von 1878 war der Draht zwischen Berlin und St. Petersburg gerissen, und der Verlauf der Entwicklung zwang Bismarck bald, noch weitere Konsequenzen aus seiner bisherigen Politik zu ziehen, d. h. Österreich die Hand zum Bunde gegen Russland zu reichen. Die Reibungsflächen zwischen Russland und Deutschland vermehrten sich, zumal bei der Ausführung der Berliner Kongressbeschlüsse; auf russischer Seite beschwerte man sich über die dabei tätigen deutschen Kommissare; schliesslich ging man zu Drohungen über, als deren Höhepunkt ein direkter Brief des Zaren (vom 15. August 1879) an Kaiser Wilhelm I. erscheinen musste. Sie bestärkten zusammen mit den grossen Rüstungen, die Russland eben damals an seiner Westgrenze vornahm, und die nur gegen Deutschland oder Österreich gerichtet sein konnten, und bei dem Einflusse, dessen sich der als Deutschenhasser bekannte Kriegsminister Miljutin in Russland damals erfreute, Bismarck in der Überzeugung, dass sich dieses auf einen „Krieg mit Europa“ einrichte. Gegen diese Gefahr glaubte Bismarck ein festes Bündnis mit Österreich begründen zu müssen, und auf seine Anregung hin fanden erste Besprechungen darüber zwischen ihm und Andrassy vom 26. bis zum 28. August in Gastein statt, die Mitte September in Wien fortgesetzt werden sollten. Es gab dabei freilich eine Hauptschwierigkeit für Bismarck, nämlich den Kaiser Wilhelm für den Plan zu gewinnen. Dieser war mit seinem Neffen, dem Zaren, aufs innigste befreundet, und Alexander II. hatte inzwischen eingesehen, dass er mit seinem Briefe vom 15. August den Bogen überspannt hatte. Er gab darüber beschwichtigende Erklärungen ab, und es fand darauf am 3. September zu Alexandrowo bei Thorn eine Zusammenkunft der beiden Kaiser statt, durch die Wilhelm I., von des Zaren Liebenswürdigkeit ganz bestrickt, in eine so „russische Stimmung“ versetzt wurde, dass Bismarck mit Mühe und Not die Vollmacht zur Fortführung der Verhandlungen mit Österreich erlangen konnte: während Andrassy Russland als Gegenstand des deutsch-österreichischen Schutzbündnisses besonders und sogar allein genannt wissen wollte, sollte Bismarck zum mindesten ein solches nur ganz allgemein hin abschliessen dürfen; trotzdem akzeptierte Bismarck im Wiener Vertragsentwurfe, der nach dreitägiger Verhandlung am 24. September zustande kam, die österreichische Fassung. Lange und heftig sträubte sich Wilhelm I. gegen die Vollziehung des Traktates; es bedurfte des entschiedenen Eintretens des Kronprinzen und Moltkes, sowie des Demissionsangebotes nicht nur Bismarcks, sondern auch des gesamten Staatsministeriums, bis sich der Monarch dazu (am 16. Oktober 1879) verstand.
Vollauf war sich Bismarck der weltgeschichtlichen Bedeutung des deutsch-österreichischen Bündnisses bewusst, das somit zustande gekommen war. Es war sein Wunsch gewesen, dass es als ewig und unauflöslich festgestellt würde. Daher wollte er, dass es von den zuständigen drei Parlamenten, dem deutschen, österreichischen und ungarischen Reichstage, sanktioniert würde, – das schien ihm eine Rückkehr zu dem Zustande zu sein, wie er bis 1866, bis zur Auflösung des deutschen Bundes bestanden hatte, und dadurch wäre in der Tat die 1848er Idee vom engeren und weiteren Bunde verwirklicht worden. Dieser Gedanke war nun freilich schon dadurch unausführbar geworden, dass der deutsche Vorschlag eines allgemeinen Schutzbündnisses dem österreichischen einer nur antirussischen Defensivallianz weichen musste; auch wollte man in Österreich-Ungarn nicht die [340] auswärtige Politik in die parlamentarische Machtsphäre gerückt wissen, und wer könnte dafür garantieren, dass sich nicht einmal im Wiener Reichsrate eine Mehrheit findet, die vom Bündnisse mit Deutschland loskommen will? Immerhin wurde diesem ein höherer Grad von Bestand und Festigkeit dadurch verliehen, dass es nach Ablauf seiner vertragsmässigen Dauer, falls nicht eine ausdrückliche Kündigung erfolgen würde, von selber auf eine bestimmte Frist weiterlaufen, dass also sein Erlöschen einer ausdrücklichen Kündigung bedürfen sollte. Es gab Österreich eine Deckung gegen eine russische Offensivpolitik, auch auf dem Balkan; für Deutschland lag sein Hauptwert in dem Schutze, dass es gewährte, wenn einmal eine künftige franko-russische Allianz soweit gehen sollte, einen Angriffskrieg gegen das neue Reich zu unternehmen.
Zum Zweibunde gesellte sich nach wenigen Jahren als dritte Macht Italien. Von vornherein hatte es nicht den Anschein, dass es so schnell dazu kommen würde. Zwischen Österreich und Italien bestand wegen der irredentistischen Agitation, die auf die Erwerbung der italienischen Volks- und Sprachgebiete der Donau-Monarchie gerichtet war, ein ausgesprochener Gegensatz; auch regten sich in Italien alte und festeingewurzelte Sympathien für das stammverwandte Frankreich, und es herrschte in Italien Neigung, sich einer russischen Kriegspolitik anzuschliessen, wenn ihm dafür Landgewinn zumal an der adriatischen Ostküste geboten würde. Erst der Ausbruch eines wirtschaftlichen und dann auch politischen Gegensatzes zwischen Frankreich und Italien trieb diese Macht an Deutschland heran. Es begann ein Zollkrieg, der insonderheit den italienischen Weinbau durch Beschränkung der Ausfuhr nach Frankreich schädigte; massgebend wurde sodann die Begründung des französischen Protektorates über Tunis; denn hier hatte Italien grosse Interessen, hier waren unter der europäischen Bevölkerung die Italiener am stärksten vertreten; es wurde auch durch dieses Ereignis Italiens Mittelmeerstellung bedroht. Demgegenüber suchte Italien Anlehnung an Deutschland, und Bismarck war dazu bereit, wenn Italien auch mit Österreich als Deutschlands Bundesgenossen eine Allianz schlösse. In der Tat schloss Italien (1882) zwei Verträge, einen mit Deutschland und einen zweiten (unter Berücksichtigung der Balkanverhältnisse) mit Österreich, der für dieses Reich den Vorteil brachte, dass dadurch die irredentistischen Treibereien im Zaume gehalten wurden. Auch diese Traktate hatten einen rein defensiven Charakter; sie sollten Italien seinen Gebietsstand garantieren; zugleich sagten sich Deutschland und Italien im Falle eines französischen Angriffes Beistand zu, während für Österreich und Deutschland nur ein russischer Angriff casus foederis blieb. Die Mitte des Festlandes war also durch ein grossartiges System von Defensiv-Allianzen gleichsam zu einer festen Bastion zur Erhaltung des Friedens in Europa ausgebaut worden, und die imposante Stellung des Dreibundes wurde noch durch die Versicherung Englands verstärkt, „eine Veränderung des status quo im Mittelmeere nicht dulden, also eventuell Italiens Besitzstand verteidigen zu wollen.“ So fand der kontinentale Dreibund faktisch eine Ergänzung zur See durch England. Das war ganz im Sinne Bismarcks, der damals gerade ein gutes Verhältnis mit England anstrebte: bei dem damals vorhandenen italienisch-französischen Gegensätze musste ein Zusammengehen Englands mit Italien eine gewisse Spannung zwischen Frankreich und England bewirken, die durch kolonialpolitische Differenzen in Afrika noch verstärkt wurde.
III. Dreibund und Rückversicherungsvertrag. Französisch-Russischer Zweibund.
BearbeitenDie Konstellation der grossen Mächte, wie sie soeben geschildert wurde, hat sich mehrere Jahre hindurch erhalten: Deutschland, Österreich, Italien auf dem Festlande geschlossen zueinanderhaltend, zur See sekundiert durch England; im Gegensatze zu ihnen Russland und Frankreich, beide freilich getrennt marschierend. Wenn sich die beiden zuletzt genannten Mächte nicht nach dem Vorbilde des Dreibundes förmlich aneinander schlossen, so lag das an der Antipathie des absolutistisch gesinnten Zaren gegen die radikale Republik, deren häufige Ministerwechsel ihm zudem Misstrauen einflössten. Auch gab sich Bismarck Mühe, Russland davon zu überzeugen, dass die deutsche Politik frei von allen aggressiven Tendenzen sei. Er begünstigte die Politik Russlands in Asien gegen England und strebte selbst eine Wiederherstellung des „Dreikaiserbündnisses“ an; den Höhepunkt dieser Tendenzen bezeichnen der deutsch-russisch-österreichische Vertrag vom März 1884, durch den sich die drei Mächte auf drei Jahre bei Angriffen von anderer Seite [341] wohlwollende Neutralität zusagten, und die Dreikaiserentrevue von Skierniwice im September desselben Jahres. Die Unvereinbarkeit der österreichischen und russischen Interessen drückte, wie früher, so auch jetzt, von vornherein solchen Versuchen den Stempel der Unmöglichkeit auf. In den Balkanwirren, die um die Mitte der achtziger Jahre durch die russischen Versuche einer Einmischung in Bulgarien hervorgerufen wurden, und die den österreichisch-russischen Gegensatz sofort wieder erweckten, hat Bismarck alles sorgfältig vermieden, was in Russland verletzen konnte. Noch stand Italien damals fest zum Dreibunde; russisch-französische Lockungen, es davon durch das Angebot von Trient oder des Trentino abzuziehen, fanden keine Aufnahme. Anfang 1887 wurde der Dreibund erneuert, und zwar dieses Mal durch ein einziges Vertragsinstrument, so dass er jetzt „zum ersten Male eine wirklich Triple-Allianz war.“ Als eben solche sollte er sich auf fünf Jahre erstrecken; doch sollte daneben und in Zukunft das deutsch-österreichische Bündnis wie früher mit automatischer Selbstverlängerung weiterlaufen; es bedurfte also (im Gegensatze zum Verhältnisse zwischen allen drei Bundesstaaten) keiner besonderen Verlängerung. Es wird berichtet (mit welchem Recht, bleibe dahingestellt), dass damals Österreich auch die Erklärung abgegeben habe: es wünsche die Erhaltung des status quo auf dem Balkan; solle es sich trotzdem zu einer Erweiterung seines Gebietes daselbst genötigt sehen, so solle Italien sich gleichfalls auf dieser Halbinsel festsetzen dürfen. Soviel ist sicher, dass Italien damals seine Augen auf Albanien, zumal Valona, geworfen hatte und bei territorialen Vergrösserungen Österreichs auf der Balkanhalbinsel auch seine Ansprüche daselbst geltend zu machen trachtete. Da war es für Österreich ratsamer, von einer Erweiterung seines Gebietes hierselbst abzusehen: denn wenn im Zusammenhange damit Valona italienisch wurde, so wurde das adriatische Meer ein italienisches Binnengewässer und Österreich der freie Ausgang zum Mittelmeere versperrt.
Förmlich war zwar also der Dreibund erneuert und befestigt; in Wahrheit schob nun freilich die Balkanfrage einen Keil zwischen Österreich und Italien, und ganz ähnlich ward es mit dem Verhältnisse zwischen Österreich und Deutschland bestellt. Die Wahl Ferdinands von Koburg (Juli 1887) zum Fürsten von Bulgarien wider den Willen Russlands fand zwar Österreichs, aber nicht Bismarcks Billigung, der in dem Unternehmen des Koburgers lediglich „eine frivole Gefährdung des Friedens“ erblickte. Als er trotzdem beim Zaren der geheimen Begünstigung Ferdinands durch gefälschte Schriftstücke verdächtigt wurde, überzeugte er (November 1887) Alexander III von der Grundlosigkeit dieser Anschuldigung, und es kam sogar dabei der sog. „Rückversicherungsvertrag“ zustande: Deutschland und Russland sicherten sich darin (allein für sich, nicht mehr wie 1884 in Gemeinschaft mit Österreich, wodurch die Sache ein anderes Gesicht bekam) für drei Jahre wohlwollende Neutralität für den Fall zu, dass die eine von ihnen durch eine dritte angegriffen würde. Dadurch wurde Deutschland für den Fall eines Angriffes durch Frankreich der Rücken gegen Russland gedeckt, und Deutschland musste seinerseits bei einem Angriffe Österreichs gegen Russland neutral bleiben. Durch seine Allianz mit Österreich war ja nun freilich diesem gegenüber zur Hilfeleistung nur im Falle eines russischen Angriffes verpflichtet; immerhin wurde durch den neuen Vertrag, da ja Offensive und Defensive Begriffe von zweifelhafter Natur sind, ein unklares Verhältnis geschaffen; man konnte fragen, ob er dem Geiste des Bündnisses von 1879 entspreche, und jedenfalls musste dessen Wert grundsätzlich und auf die Dauer durch ihn für Österreich stark vermindert werden, zumal da Bismarck in der Tat in der Folgezeit im allgemeinen den Kurs mehr zu Russland als zu Österreich hielt. Schliesslich ist er ja auch darüber (noch mehr als über seine innere Politik) zu Falle gekommen. Als im Winter 1889/90 eine russisch-österreichische Entzweiung drohte, fand der junge Kaiser, dass Bismarck mehr zu Russland stehe, als sich mit seinen eigenen Absichten vertrug, die auf unbedingte Bundeshilfe gerichtet waren. Der Rückversicherungsvertrag wurde, als er 1890 ablief, nicht mehr erneuert, und nun vollzog sich die endgültige Festlegung der Gruppierung der grossen Mächte des Festlandes, wie sie sich allmählich seit dem Frankfurter Frieden vorbereitet hatte. Der Dreibund wurde, und zwar noch vor seinem Ablaufe, nämlich 1891, auf sechs Jahre mit der Bestimmung verlängert, dass er ohne weiteres, wenn bis 1897 keine Kündigung erfolge, noch sechs Jahre in Kraft bleiben solle, also bis 1903. Und auf der andern Seite wurde nunmehr der russisch-französische Zweibund perfekt, der ja schon lange gleichsam in der Luft gelegen hatte und durch die gemeinsamen Kriegstreibereien der französischen [342] Chauvinisten und der russischen Panslavisten eingeleitet worden war. Der Besuch der französischen Flotte in Kronstadt (Ende Juli 1891) und seine Erwiderung zwei Jahre später im Hafen von Toulon waren demonstrative Akte zur Besiegelung dieses Verhältnisses.
IV. Dreibund und Zweibund in den neunziger Jahren. Wendung Englands zu Frankreich und Herstellung der Triple-Entente. Dreibund und Dreiverband bis jetzt.
BearbeitenObgleich die Festlandsmächte also zum Anfange der neunziger Jahre in geschlossenen Kolonnen, wie es das Ansehen hatte, gegen einander aufmarschierten, kam es doch keineswegs zwischen ihnen zu einem feindseligen Zusammenstosse; im Gegenteile, die Situation entspannte sich. Trotz der Aufhebung des Rückversicherungsvertrages und trotz der französisch-russischen Allianz besserte sich allmählich das deutsch-russische Verhältnis; die Wirkung des neuen Zweibundes bestand vor allem darin, Frankreichs Aktionslust zu hemmen und seinen Reichtum dem russischen Anleihebedürfnisse zur Verfügung zu stellen. Das Wichtigste aber war, dass die Balkanfrage in ein neues Stadium trat, das die Reibungsflächen zwischen Österreich und Russland verminderte, indem sich beide auf dem Balkan Zurückhaltung auferlegten. Österreich entschloss sich dazu, um nicht Italien Anspruch und Anlass zu geben, über das Meer hinüberzugreifen, Russland, weil es für seine Expansionspolitik im ferneren Orient eine lockendere Sphäre zu finden hoffte; in der ostasiatischen Politik ging schliesslich Deutschland mit Russland, zeitweise selbst mit Frankreich zusammen, und zwar gegen England. So sehr waren jetzt Russland und Österreich auf der Balkanhalbinsel desinteressiert, dass sie im Mai 1897 ein geheimes Abkommen zur Erhaltung des Status quo daselbst schliessen konnten, dessen Spitze man in Italien, als es allmählich hier bekannt wurde, als gegen die eigenen albanischen Pläne gerichtet empfand.
Unter diesen Umständen bahnte sich eine ganz andere Konstellation der Mächte an. In die der achtziger Jahre, – Dreibund auf dem Festlande, sekundiert bis zu einem gewissen Grade zur See durch England, – ward jetzt Bresche gelegt. Das deutsch-englische Abkommen vom Sommer 1890 verlor unter dem Eindrucke des Zusammengehens Deutschlands mit Russland in Ostasien und der britisch-deutschen Interessengegensätze in Südafrika um die Mitte der neunziger Jahre seine Wirkung; zwar ward zum Ende des Jahrzehnts noch einmal der Versuch einer britisch-deutschen Annäherung gemacht; aber bald nach dem Regierungsantritte Eduards VII. stellte sich eine neue und jetzt um so tiefere und dauerhaftere Entfremdung ein, sowohl infolge der beiderseitigen Rivalität auf dem Weltmarkte, als auch deshalb, weil Deutschland nicht für ein engeres Zusammengehen mit England in Ostasien war, dessen Tendenz unzweifelhaft eine antirussische sein sollte: England entnahm daraus den Antrieb, aus seiner splendid isolation herauszutreten und andere Allianzen zu suchen, was ihm nur allzu gut gelang. Während sich also zwischen England und dem Dreibunde eine Kluft eröffnete, lockerte sich weiterhin dessen Gefüge, indem Italien mehr und mehr eine unsichere Haltung einnahm; in dieser Richtung wirkten die albanische Frage, die damals wieder eifriger betriebene, irredentistische Propaganda und die steigende Hinneigung zu Frankreich. Schon in der Kreta-Affäre von 1897/98 ging Italien statt mit dem Dreibunde mit England und Frankreich; der Handelsvertrag vom 21. November 1898 machte dem zehnjährigen wirtschaftlichen Kriege zwischen Italien und Frankreich ein Ende, und der Gegensatz beider Mächte in Nordafrika und im Mittelmeer ward durch den Tripolis-Vertrag von 1899 beseitigt, der Tripolis der italienischen Machtsphäre überwies. Immer heftiger wurden in Italien die Angriffe sowohl in der Presse wie auch in der Kammer gegen den Dreibund, und als dieser in den ersten Jahrzehnten des neuen Jahrhunderts vor seinem Ablaufe stand, war es keinesweges sicher, ob sich seine Verlängerung glatt abwickeln würde; wenn eine solche (1902) trotz der Sympathien des italienischen Ministerpräsidenten Zanardelli für Frankreich und die Irredenta und trotz der Agitation des französischen Botschafters Barrère zustande kam, so deshalb, weil die Anlehnung an Deutschland und Österreich für Italien wirtschaftlich mehr Nutzen brachte, als eine solche an Frankreich, und tatsächlich sind ja die Volkswirtschaft und die Finanzen Italiens im Zusammenhange mit seiner Zugehörigkeit zum Dreibunde mächtig erstarkt.
Eben dieses Verhältnis: Italien als unsicherer Kantonist im Dreibunde, Abkehr Englands von Deutschland und damit vom Dreibunde mit Wendung zu Frankreich und also zum Zweibunde, [343] – wurde in der Folgezeit noch mehr festgelegt, und zwar vornehmlich unter dem Einflusse der Marokkofrage. Noch 1898 war es zwischen England und Frankreich zu dem für dieses Letztere beschämenden Zusammenstosse wegen der Faschoda-Angelegenheit gekommen, und ein erster Versuch Delcassés (1901 bis 1903), durch einseitiges Abkommen mit Spanien das französische Protektorat in Marokko einzuführen, scheiterte am Widerstande Grossbritanniens. Aber allzugross war in England das Streben nach neuen Allianzen, als dass man hier nicht schliesslich doch Marokko als Brücke zu einem Einverständnisse mit Frankreich gegen Deutschland benutzt hätte; so kamen die englisch-französisch-spanischen Geheimverträge von 1904 zustande, denen zufolge Marokko zwischen Frankreich und Spanien aufgeteilt wurde, wogegen Frankreich den Engländern in Ägypten freie Hand gab. Deutschland, das wichtige Interessen in Marokko hatte, erhob dagegen Einspruch, dass ohne sein eigenes Zutun über dieses Land verfügt wurde. Auch hier rückte Italien vom Dreibunde ab; durch seinen Tripolisvertrag mit Frankreich in der nordafrikanischen Politik gebunden, tanzte es in der Marokkofrage seine „Extratour“, wie sich Bülow ausdrückte. Das trat besonders deutlich auf der Konferenz von Algeciras 1906 hervor, und die französisch-italienische Flottenverbrüderung im Herbst 1906, an der sich auch ein englisches Geschwader beteiligte, liess an intimer Herzlichkeit nichts zu wünschen übrig; sie brachte jedenfalls die (mit den formalen Allianzen keineswegs im Einklange stehende) faktische Gruppierung der Mächte zu sichtbarem Ausdrucke.
Wurde so der Dreibund ziemlich brüchig, so verstärkte sich nunmehr andererseits der Zweibund zum „Dreiverbande“. Wie England und Frankreich in Nordafrika, so hatten sich England und Russland noch um die Jahrhundertwende in Ostasien entgegengearbeitet. Nachdem aber hier Japan die Geschäfte Englands besorgt und Russland unschädlich gemacht hatte, löste sich diese Spannung, und der Einfluss Frankreichs auf seinen Alliierten Russland, sowie die „Einkreisungspolitik“ Eduards VII. gegen Deutschland führten auch England und Russland nunmehr zusammen. In der Konvention vom 31. August 1907 über die Abgrenzung der beiderseitigen Interessensphären in Persien opferte die grossbritannische Politik Russland Nordpersien und ihre Absichten auf Tibet. In der Balkanfrage ging fortan die Tripleentente gemeinsam vor, während im Dreibunde zunächst der alte Riss noch klaffte. Im Zusammenhange mit der jungtürkischen Revolution und der Einführung des Konstitutionalismus im osmanischen Reiche machte Kaiser Franz Josef der wesenlosen Suzeränität der Pforte über Bosnien und der Herzegowina ein Ende, indem er (am 5. Oktober 1908) die blosse Okkupation dieser Länder in eine förmliche Annexion verwandelte; wenn er dabei auf den Sandschak Novi-Bazar verzichtete, wo er ja das militärische Besatzungsrecht hatte, so spielte dabei augenscheinlich die Rücksicht auf eventuelle Kompensationsforderungen Italiens bezüglich Albaniens mit. Serbien protestierte gegen die Einverleibung Bosniens und der Herzegowina und begehrte seinerseits „territoriale Kompensationen“, in der Hoffnung auf Rückhalt bei Russland und dadurch bei der gesamten Triple-Entente. Und während bei dieser völlige Einhelligkeit obwaltete, war der Dreibund uneins; sichere Anzeichen weisen darauf hin, dass Italien damals nicht abgeneigt war, Österreich-Ungarn in den Rücken zu fallen. Aber gestützt durch Deutschlands energischen Beistand, setzte das Donaureich seinen Willen durch: Serbien musste im Frühjahre 1909 abrüsten und demütig zu Kreuze kriechen. Wenn Österreich und Deutschland nur wollten, diktierten sie Europa ihren Willen. Ähnlich war der Verlauf der Balkankrisis von 1912/13, um dass dieses Mal im Dreibunde Übereinstimmung herrschte. Österreich und Italien stimmten darin überein, keinen Ländergewinn auf der Balkanhalbinsel anzustreben, sondern ein autonomes Albanien zu schaffen. Tatsächlich ist auch der Dreibund Anfang 1913 wieder erneuert worden, und es ist jetzt, wie es scheint, eine wirkliche Festigkeit erzielt worden. Diesem nunmehr innerlich geschlossenen Dreibunde gegenüber nutzte den Serben bei der erneuten Überspannung ihrer Ansprüche die Hoffnung auf Russland ebensowenig, als vier Jahre zuvor, und es ist den Balkanvölkern jetzt, wie es scheint, doch zum Bewusstsein gekommen, dass die russische Politik der jüngsten Vergangenheit nicht sowohl auf eine selbstlose Förderung der Balkanstaaten ausgeht, wie vielmehr darauf, diese für einen Krieg mit Österreich in ihr Gefolge einzufangen und für sich selbst nutzbar zu machen. Ein solcher liegt aber keineswegs in ihrer aller Interesse, und in seiner eigenen Lage dürfte Russland für einige Zeit zu einem solchen keinen besonderen Antrieb erblicken, nachdem es ihn bisher nicht gewagt hat.
[344] So scheint denn der Dreibund jetzt wiederum fester und einiger, als lange Jahre zuvor. Schwieriger ist es zu sagen, wie es augenblicklich mit dem inneren Zusammenhalte des Dreiverbandes bestellt ist; doch sprechen mancherlei Anzeichen dafür, dass der Höhepunkt der englisch-deutschen Spannung überwunden, dass die englische Politik nicht mehr in dem Grade, wie vorher, von der Tendenz getragen ist, unter Hintansetzung aller ihrer anderen Interessen und sonstigen natürlichen Gegensätze zu den übrigen Mächten allein die Niederhaltung und künftige Niederwerfung Deutschlands ins Auge zu fassen. Und Eines ist sicher: weder England noch auch Russland werden sich von Frankreich als Vorspann für dessen Revanchegelüste gebrauchen lassen, vielmehr sich ihrer als Vehikel bedienen, um Frankreich mit sich fortzureissen, wenn ihnen einst daran liegen sollte, ihres Interesses halber gegen Deutschland und den Dreibund loszugehen. Ob sich ihnen dafür in absehbarer Zeit ein Anlass bieten wird, ist eine Frage, auf welche die Antwort nicht in den Bereich der Geschichte gehört; wer die gegenwärtige Lage der Dinge mit kühlem Blicke betrachtet, wird wohl mehr zu der Überzeugung hinneigen, dass ein kriegerischer Zusammenstoss zwischen Dreibund und Dreiverband zur Zeit nicht gerade als eine aus der bisherigen Entwicklung sich unabweisbar ergebende Notwendigkeit betrachtet zu werden braucht.