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Chauvinisten und der russischen Panslavisten eingeleitet worden war. Der Besuch der französischen Flotte in Kronstadt (Ende Juli 1891) und seine Erwiderung zwei Jahre später im Hafen von Toulon waren demonstrative Akte zur Besiegelung dieses Verhältnisses.

IV. Dreibund und Zweibund in den neunziger Jahren.     Wendung Englands zu Frankreich und Herstellung der Triple-Entente.     Dreibund und Dreiverband bis jetzt.

Obgleich die Festlandsmächte also zum Anfange der neunziger Jahre in geschlossenen Kolonnen, wie es das Ansehen hatte, gegen einander aufmarschierten, kam es doch keineswegs zwischen ihnen zu einem feindseligen Zusammenstosse; im Gegenteile, die Situation entspannte sich. Trotz der Aufhebung des Rückversicherungsvertrages und trotz der französisch-russischen Allianz besserte sich allmählich das deutsch-russische Verhältnis; die Wirkung des neuen Zweibundes bestand vor allem darin, Frankreichs Aktionslust zu hemmen und seinen Reichtum dem russischen Anleihebedürfnisse zur Verfügung zu stellen. Das Wichtigste aber war, dass die Balkanfrage in ein neues Stadium trat, das die Reibungsflächen zwischen Österreich und Russland verminderte, indem sich beide auf dem Balkan Zurückhaltung auferlegten. Österreich entschloss sich dazu, um nicht Italien Anspruch und Anlass zu geben, über das Meer hinüberzugreifen, Russland, weil es für seine Expansionspolitik im ferneren Orient eine lockendere Sphäre zu finden hoffte; in der ostasiatischen Politik ging schliesslich Deutschland mit Russland, zeitweise selbst mit Frankreich zusammen, und zwar gegen England. So sehr waren jetzt Russland und Österreich auf der Balkanhalbinsel desinteressiert, dass sie im Mai 1897 ein geheimes Abkommen zur Erhaltung des Status quo daselbst schliessen konnten, dessen Spitze man in Italien, als es allmählich hier bekannt wurde, als gegen die eigenen albanischen Pläne gerichtet empfand.

Unter diesen Umständen bahnte sich eine ganz andere Konstellation der Mächte an. In die der achtziger Jahre, – Dreibund auf dem Festlande, sekundiert bis zu einem gewissen Grade zur See durch England, – ward jetzt Bresche gelegt. Das deutsch-englische Abkommen vom Sommer 1890 verlor unter dem Eindrucke des Zusammengehens Deutschlands mit Russland in Ostasien und der britisch-deutschen Interessengegensätze in Südafrika um die Mitte der neunziger Jahre seine Wirkung; zwar ward zum Ende des Jahrzehnts noch einmal der Versuch einer britisch-deutschen Annäherung gemacht; aber bald nach dem Regierungsantritte Eduards VII. stellte sich eine neue und jetzt um so tiefere und dauerhaftere Entfremdung ein, sowohl infolge der beiderseitigen Rivalität auf dem Weltmarkte, als auch deshalb, weil Deutschland nicht für ein engeres Zusammengehen mit England in Ostasien war, dessen Tendenz unzweifelhaft eine antirussische sein sollte: England entnahm daraus den Antrieb, aus seiner splendid isolation herauszutreten und andere Allianzen zu suchen, was ihm nur allzu gut gelang. Während sich also zwischen England und dem Dreibunde eine Kluft eröffnete, lockerte sich weiterhin dessen Gefüge, indem Italien mehr und mehr eine unsichere Haltung einnahm; in dieser Richtung wirkten die albanische Frage, die damals wieder eifriger betriebene, irredentistische Propaganda und die steigende Hinneigung zu Frankreich. Schon in der Kreta-Affäre von 1897/98 ging Italien statt mit dem Dreibunde mit England und Frankreich; der Handelsvertrag vom 21. November 1898 machte dem zehnjährigen wirtschaftlichen Kriege zwischen Italien und Frankreich ein Ende, und der Gegensatz beider Mächte in Nordafrika und im Mittelmeer ward durch den Tripolis-Vertrag von 1899 beseitigt, der Tripolis der italienischen Machtsphäre überwies. Immer heftiger wurden in Italien die Angriffe sowohl in der Presse wie auch in der Kammer gegen den Dreibund, und als dieser in den ersten Jahrzehnten des neuen Jahrhunderts vor seinem Ablaufe stand, war es keinesweges sicher, ob sich seine Verlängerung glatt abwickeln würde; wenn eine solche (1902) trotz der Sympathien des italienischen Ministerpräsidenten Zanardelli für Frankreich und die Irredenta und trotz der Agitation des französischen Botschafters Barrère zustande kam, so deshalb, weil die Anlehnung an Deutschland und Österreich für Italien wirtschaftlich mehr Nutzen brachte, als eine solche an Frankreich, und tatsächlich sind ja die Volkswirtschaft und die Finanzen Italiens im Zusammenhange mit seiner Zugehörigkeit zum Dreibunde mächtig erstarkt.

Eben dieses Verhältnis: Italien als unsicherer Kantonist im Dreibunde, Abkehr Englands von Deutschland und damit vom Dreibunde mit Wendung zu Frankreich und also zum Zweibunde,

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 342. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/358&oldid=- (Version vom 14.9.2022)