Textdaten
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Autor: E. Fritsche
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Titel: Drei deutsche Musiker
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 485, 491–492
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[485]

Vincenz, Franz und Ignaz Lachner.

[491]
Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Drei deutsche Musiker.

(Zu dem Bilde S. 485.)

Es ist heute nicht mehr vollständig, das stolze Kleeblatt der Brüder Lachner: einer von ihnen, Franz Lachner, der älteste und musikalisch bedeutendste, ist am 20. Januar vorigen Jahres gestorben, ein 86jähriger Greis, einer der letzten, über deren Jugendtagen noch die Sonnen Beethoven und Schubert gestrahlt hatten. Der jüngste aber, Vincenz, feiert am 19. Juli d. J. seinen achtzigsten Geburtstag.

Das Städtchen Rain im oberbayrischen Kreise Schwaben und Neuburg ist der Geburtsort der Künstler: Franz wurde 1803, Ignaz 1807 und Vincenz 1811 geboren. Ihr Vater war daselbst Organist, Orgelbauer und zugleich Uhrmacher. Von elf Kindern blieben ihm acht am Leben, seine spärliche Besoldung als Organist reichte nicht entfernt aus, die starke Familie zu ernähren, und so waren die Brüder in ihrer Jugend nicht auf Rosen gebettet.

Das rastlos und streng verfolgte Ziel des auf allen Instrumenten gewandten, tüchtigen Vaters war die musikalische Erziehung seiner Kinder. Kein Tag verlief ohne Schläge; wurden die Züchtungen allzu hart, so kam wohl die Mutter herbei, um Einhalt zu thun, aber sie wurde regelmäßig mit den Worten abgewiesen: „Sei still, das verstehst Du nicht, die Stunde ist 12 Kreuzer werth.“

Mit dem fünften Jahre begann der Unterricht auf einem Klavier, das man bequem unter dem Arme forttragen konnte, mit dem achten Jahre ging es an die Orgel, und auch die Schwestern mußten an diesem Unterrichte theilnehmen – zwei Schwestern bekleideten später jahrelang besoldete Organistenämter in Augsburg und Rain – nebenher wurde der Gesang, das Spiel auf Violine, Violoncello und anderen Instrumenten geübt. Wenn die Kinder soweit herangebildet waren, nahm sie der Vater mit in die benachbarten Städte, wo sie durch kleine Konzerte, durch Musizieren in den Wirthshäusern und sogar aus der Straße ihr Brot verdienen helfen mußten. Bei einer solchen Gelegenheit geschah es auch, daß sie auf dem Nachhausewege von Augsburg nach Rain auf der Landstraße dem späteren Kaiser Napoleon III. und seiner Mutter Hortense vorspielten und von ihnen einen Louisd'or erhielten, gewiß eine seltene Ausbeute.

Der Vater Lachner starb früh und ließ seine Familie in Noth und Sorgen zurück. Indeß konnte auf der tüchtigen musikalischen Grundlage, welche er seinen Kindern gegeben hatte, mit gutem Erfolg weiter gebaut werden, so daß es den Söhnen möglich wurde, durch Verwerthung ihrer musikalischen Fertigkeiten und mit Hilfe mildtätiger Unterstützungen sogar das Gymnasium in Augsburg und das Studienseminar in Neuburg a. D. zu besuchen. Mit siebzehn Jahren sehen wir Franz nach München übersiedeln, um sich dort ganz der Musik zu widmen. Hier genoß er eine geraume Zeit lang den Kompositionsunterricht Kaspar Etts und erwarb seinen Lebensunterhalt als Kontrabassist am Isarthortheater und durch Unterrichtgeben. Im Jahre 1822 ging er ohne jede sichere Aussicht nach dem damaligen Mittelpunkt der musikalischen Welt, nach Wien, um in die Nähe des großen Beethoven zu gelangen. Freilich mußte er sich in Ermanglung der nöthigen Mittel zur Reise auf einem Floß verdingen, und so landete der Kunstjünger als Ruderknecht am Ziele seiner Wünsche. Etwas Tabak, der einzige Luxusartikel, welchen er mit sich führte, brachte ihm noch um die Hälfte seiner geringen Barschaft, da er an der Grenze wegen Schmuggel zur Strafe gezogen würde.

In Wien angekommen, fand Franz in der ersten Zeitung, die er zur Hand nahm, das Ausschreiben eines Probespiels zur Bewerbung um das Organistenamt an der protestantischen Kirche, und zwar sollte dasselbe gleich am nächsten Tage stattfinden. Lachner meldete sich und erhielt von den dreißig Bewerbern als der letzte und beste Spieler die Stelle. Bald wurde er auch durch Zufall mit Franz Schubert bekannt, und dieser führte ihn in einen Kreis hochstrebender junger Männer ein, von denen wir hier nur Moritz Schwind, Eduard Bauernfeld, Anastasius Grün, Franz Grillparzer und Lenau nennen.

Mit Beethoven, der damals auf der Höhe seines Ruhmes stand, kam Franz Lachner dreimal in persönlichen Verkehr; das erste Mal im Klaviersaal des Fabrikanten Streicher; das zweite Mal bei dem Komponisten und Musikschriftsteller Abbé Stadler, wo Beethoven nach der Vorstellung Lachners kurz erwiderte: „Ich hab' ihn ja schon gesehen!“; das dritte Mal suchte Lachner Beethoven in seiner Wohnung auf, wo er ihm eine seiner Kompositionen – die Sonate in A-moll für Klavier – vorlegen durfte. Beethoven las das Werk aufmerksam durch, verbesserte hie und da eine Stelle und entließ Lachuer mit freundlich ermunternden Worten.

Nicht lange darauf begleiteten Franz und Ignaz Lachner die irdischen Reste des Unsterblichen zu seiner letzten Ruhestätte. Schubert, der an ihrer Seite ging, sagte wehmütig: „Wer wird der Nächste sein?“ – Er sollte es selbst werden; schon anderthalb Jahre später, im November 1828, verstummte sein liederreicher Mund für immer.

Frauz hatte inzwischen, wie aus dem eben Gesagten zu ersehen ist, seinen Bruder Ignaz nachgezogen. Es ist überhaupt eine rührende Wahrnehmung, wie der älteste Bruder als Pfadfinder und Bahnbrecher immer vorangeht und seinen jüngeren Brüdern den Weg in bessere Stellungen ebnet. Im Jahre 1825 kam Ignaz nach Wien. Dieser hatte es schon in frühester Jugend zu einer solchen Fertigkeit im Violinspiel gebracht, daß er mit sechs Jahren ein Konzert von Pleyel wiederzugeben imstande war. Zwölf Jahre alt, hatte er sich in Augsburg durch sein Spiel die Herzen dreier wackerer Männer gewonnen, welche für die Ausbildung und Erziehung des jungen Virtuosen Sorge trugen. Wie von Augsburg nach München, so war er seinem Bruder Franz nun auch nach Wien gefolgt und hatte bald die Organistenstelle an der reformierten Kirche erhalten. Gleichzeitig wurde er Violinist des kaiserlichen Theaters am Kärntnerthor, wo sein Bruder unterdeß Vicekapellmeister geworden war.

Im Jahre 1828 rückte Franz an die Stelle des ersten Kapellmeisters vor, mit Konradin Kreutzer als zweitem zur Seite, und 1830 wurde Ignaz dritter Kapellmeister neben den beiden Genannten. Unterdeß finden wir auch den jüngsten Bruder Vincenz auf kurze Zeit in Wien; auf der Durchreise nach Posen hatte er daselbst einen dreiwöchigen Aufenthalt genommen und zu Kompositionsstudien bei seinem Bruder Franz benutzt; 1831 kehrte er zu dauerndem Ausenthalt nach Wien zurück. Ignaz folgte im gleichen Jahre einem Rufe als Hofmusikdirektor nach Stuttgart, wo er elf Jahre lang verblieb; im Jahre 1842 sehen wir ihn in gleicher Stellung in München neben seinem Bruder Franz, später in Hamburg und Stockholm und vom Jahre 1861 bis 1875 als ersten Theaterkapellmeister in Frankfurt a. M. wirken. Nachdem er hier sein fünfzigjähriges Künstlerjubiläum gefeiert hatte, zog er sich von der öffentlichen Thätigkeit zurück. Zur Zeit lebt er, 84 Jahre alt, bei seinem Sohne Karl, Direktor der Kunstgewerbeschule zu Hannover.

Iu Wien war Franz bis 1834 verblieben; in diesem Jahr folgte er einem Rufe als Hofkapellmeister nach Mannheim, während Vincenz in [492] seine verlassene Stellung einrückte. Auf der Reise von Wien nach Mannheim hatte Franz seine Dmoll-Symphonie in München unter großem Beifall zur Aufführung gebracht. Dieser Aufführung verdankte er die Berufung als Hofkapellmeister dorthin, im Jahre 1836. Abermals war Vincenz der Nachfolger seines Bruders, er verblieb volle 37 Jahre in Mannheim, wo er sich große Verdienste um die Musikpflege in Baden und in der Pfalz erwarb. Seit seiner im Jahre 1873 erfolgten Pensionierung lebt er in Karlsruhe; er hat sich durch eine rege weit verzweigte Thätigkeit auf musikalischem Gebiete trotz seiner 80 Jahre eine überraschende Frische bewahrt.

Franz Lachner hatte unterdessen Gelegenheit gehabt, seinen Ruf durch eine glänzende Wirksamkeit an der Münchener Hofoper und überhaupt im musikalischen Leben der bayrischen Hauptstadt immer weiter auszudehnen. Er wurde zum Generalmusikdirektor ernannt, und die Universität München verlieh ihm – nachdem er sich schon von seiner öffentlichen Thätigkeit zurückgezogen hatte – den philosophischen Doktorgrad honoris causa, die Stadt München den Ehrenbürgerbrief. Als Mitte der sechziger Jahre der Wagnerkultus in München zur Blüthe gelangte und seine damaligen Vertreter im Feuereifer ihrer Sturm- und Drangperiode, zugleich gestützt auf die Gunst des jungen Königs, ihren neuen Ideen mit Macht Geltung zu verschaffen suchten, da hatte die Stunde Franz Lachners geschlagen. Zwar hatte er noch den „Tannhäuser“ und den „Lohengrin“ zu musterhaften Aufführungen gebracht, doch als es zu persönlichen Begegnungen der beiden Meister Lachner und Wagner kam, da wollte eine ruhige Uebereinstimmung sich nicht herausbilden. Lachner stand der neuen Richtung zu fremd gegenüber; auch ließen es deren Vertreter wohl da und dort an der erforderlichen Rücksicht gegen den auf der Höhe seines Schaffens und Ruhmes stehenden älteren Meister fehlen, kurz, er suchte im Jahre 1865 um seine Pensionierung nach, erhielt aber nur einen längeren Urlaub, und erst 1876 trat er in den Ruhestand, nachdem er am 2. Februar desselben Jahres zum letzten Male die Oper „Die Stumme von Portici“ geleitet hatte.

Die künstlerische Bedeutung der Brüder Lachner liegt besonders auf zwei Gebieten, auf dem des Dirigenten und dem des Komponisten. Als Dirigenten haben die Brüder Lachner eine eigene Schule gebildet, nicht bloß für die Wiedergabe der klassischen Werke, sondern auch für die der nachfolgenden Zeit. Im Orchester groß geworden, besaßen die Brüder Lachner eine gründliche Kenntniß aller Instrumente; die unbeugsame Strenge aber, welche sie selbst in ihrer Jugend erfahren hatten, übertrugen sie auf die Leitung der ihnen anvertrauten Anstalten und erzielten so jene vorzügliche Schulung und Zucht, ohne welche wirklich gute Leistungen nicht geboten werden können. Wenn R. Schumann von dem bekannten Konzertmeister des Leipziger Gewandhauses, Ferd. David, gesagt hat, der höre Unreinheiten und falsche Noten durch einen Berg, so gilt dies nicht weniger von den Brüdern Lachner, denen die Natur ein so feines musikalisches Ohr gegeben hatte, wie es nur selten zu finden ist. In der Stabführung galt ihnen als oberster Grundsatz: die Zeichen eines Operndirigenten sind als ein nothwendiges Uebel zu betrachten und alle Bewegungen des Taktierens sind auf das kleinste Maß zu beschränken, zur Unterstützung dient das Auge. Vincenz insbesondere verstand es, alles zu vermeiden, was die Aufmerksamkeit der Zuhörer auf ihn als Dirigenten hätte ablenken können.

Als Komponisten haben die Brüder Lachner zusammengenommen das ganze weite Feld von der Oper, der Symphonie und dem Oratorium an bis herab zum einfachsten Lied bearbeitet und befruchtet. Franz beherrschte alle Gebiete und seiner veröffentlichten Werke sind kaum weniger als zweihundert. Von Ignaz besitzen wir keine Symphonien und von Vincenz keine Opern.

In allen ihren Werken aber fußen die Brüder auf klassischem Boden, und auch hier erkennen wir die gute Nachwirkung der strengen Jugenderziehung. Sie waren gewohnt, sich den Gesetzen der Kunst unbedingt zu unterwerfen, und die Form galt ihnen nicht weniger als der Inhalt.

Der innige Bund, welcher das treffliche Kleeblatt in brüderlicher Liebe und in der Liebe zur Kunst bis in ein hohes Alter vereinte, ist durch den Tod Franz Lachners für das zeitliche Leben getrennt; blicken aber die beiden überlebenden Brüder, von denen der jüngste jetzt sein achtzigstes Lebensjahr vollendet, auf ihre Vergangenheit zurück, so dürfen sie es mit Stolz und in dem Bewußtsein thun, daß ihnen ein gütiges Geschick das schönste Los beschied, welches dem Menschen werden kann: aus Armuth und Noth zu den Höhen der Kunst und des Ruhmes emporgestiegen zu sein durch eigene Kraft. E. Fritsche.