Drei Tage in Mittenwalde, im baierischen Alpengebirge

Textdaten
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Autor: W. O. v. Horn
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Titel: Drei Tage in Mittenwalde, im baierischen Alpengebirge
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 125-131
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Drei Tage in Mittenwalde, im baierischen Alpengebirge.
Eine Reiseerinnerung aus dem Jahre 1852.
Von W. O. v. Horn.


Es war in den Junitagen des Jahres 1852, als ich von München herüber kam, um nach Insbruck hinab und weiter zu gehen. Der Marktflecken Mittenwalde machte durch seine Lage, tief im Schooße gewaltiger Berge, und durch sein sauberes, heiteres Aussehen einen so guten Eindruck auf mich, daß ich mich entschloß, einige Tage zu bleiben. Ueber meine Zeit stand mir die alleinige Verfügung zu, und da ich für meine Gesundheit reiste, so that ich gewiß wohl, da zu weilen, wo es mir gefiel. Ueberdies hatte ich des Stadtlebens in München gerade genug gekriegt und war von der Kunst wahrhaft übersättigt. Hier in dem schönen Bergorte, in der großartigen Bergwelt, im Schooße ländlicher Ruhe und Einfachheit wollte ich ausruhen, aufathmen, mich erfrischen und erholen. In dem Posthause war’s behaglich und ein alter, pensionirter Beamter, wie es mir schien, der mein Tischnachbar war, gefiel mir gut in seiner derben Einfachheit. Er hatte nichts zu thun und da half ich ihm in seinen Geschäften. Morgens gingen wir spazieren; Mittags saßen wir behaglich nach Tische zusammen, und gegen Abend liefen wir wieder hinaus in Gottes schöne Welt. Schon am ersten Tage waren wir so dicke Freunde, als hätten wir uns viele Jahre gekannt.

Dieser erste Tag meines Aufenthaltes in Mittenwalde war ein Sonntag. Schon um vier Uhr schlenderten wir nach der Scharnitz hinunter. Stämmige Bursche begegneten uns, beladen mit jungen Birken; blühende Mädchen mit Körben voll Blumen. Schon im Orte war eine ungewöhnliche Thätigkeit mit Putzen und Scheuern bemerklich gewesen.

„Was giebt’s denn morgen?“ fragte ich den Alten.

„Ei, wissen’s denn das nicht?“ fragte er. „Morgen ist hier die Frohnleichnamsprocession, die Sie in München freilich am Fasttage selbst viel herrlicher sahen.“

Nun war mir allerdings Alles erklärlich und ich freute mich auf den Anblick des ländlichen Festes nach dem großartigen Pompe in München. Der Alte führte mich auf einen Bergvorsprung, wo unter einer Lerchengruppe ein herrlich Plätzchen war. Man konnte das schöne Thal weit überschauen und hatte rechts Mittenwalde in seiner Berge Schooß vor sich. Da zog sich der mächtige Karwandelstock hinauf, um in seinen drei Thorspitzen sein Höchstes zu erreichen, besonders in der 10,000 Fuß hohen Zugspitze über Partenkirch, die das goldene, glänzende Kreuz trägt. Tiefer unten ragte der Franzosenstein empor. Zu dessen Füßen die Scharnitz liegt mit ihren Festungsresten, die an die Kämpfe mit Ney erinnern, und wo jetzt Oesterreich seine Mauthner stehen hat, die mit Luchsaugen nach Cigarren Jagd machen, und nur ihrer Fünfe frei passiren lassen; dort schließt der Wetterstein ab und gegenüber der stattliche Rechberg, allesammt des Karwandels ebenbürtige Gesellen und Nachbarn. Der Alte erzählte mir viel von den Kämpfen an der Scharnitz und manche interessante Episode aus dem Tyrolerkriege, und von dem Hasse der Baiern und Tyroler, der erst sehr allmälig sich mindere, obwohl er auch einmal wieder aufblitze, wo es dann freilich mitunter blutig ablaufe.

„Der Mensch hängt halt überall von seiner Umgebung ab,“ sagte er. „Auf der Ebene verläuft Alles einfach, stille, matt; aber in den wilden Bergen theilt sich auch dem Menschen etwas Wildes mit, Seine Leidenschaften sind stärker; sein Haß und seine Liebe sind tiefer, mächtiger, ich möchte sagen, gewaltig wie seine Berge, und sein Charakter ähnelt seinen Felsen. Glaubet mir, lieber Herr, wer hier lange gelebt, wie ich, der lernt das kennen aus vielfacher Erfahrung. Bös sind darum die Leute nicht; aber es ist nicht gut, den schlafenden Bären zu wecken. Ihr könnt das Morgen beobachten, wenn Ihr Lust tragt; denn nach dem Feste giebt’s einen Tanz. Kommen Tyroler aus dem Innthal herüber, von Zierl etwa, auf die’s die Mittenwalder Buab’n ohnehin aufgekreidet haben, dann fürcht’ ich schon, es wird sehr a’n harte Geschicht’n geben. Sie thun halt' immer gut z’samm’n und glei geht’s an’n Rauf’n.

„Hat denn dieser Lokalhaß eine besondere Quelle?“ fragte ich.

„Zwa für ani,“ sagte der Alte. „Schauen’s – er zeigte nach dem Rechbergstocke hin – dort liegen zwar viele Berge und Thäler zwischen der Martinswand, wo der alte Moxl ’mal gesess’n hat, und nit wieder abi konnt’, aber es ist ein Gebiet, wo die Gamsel’n noch z’haus sind in Rudeln. Hier z’Land hat der König das edle Thier gehegt und er that wohl dran, denn es wär’ bald aus mit ihm; aber drüben, auf der Tyrolerseit’n, darf sie der Jäger mit dem Stutz’n noch beschleichen. Nun, Jag’n is a Lust. Hob in mein’n jung’n Johr’n au manch’ Gamsthier drüben weg geputzt, und um die Schulter heim g’trog’n. Nun mögt Ihr denk’n, wie das lockt. Die drüben leiden’s nit, daß a’n Mittenwalder dort das Gamsel b’schleicht; thun’s aber doch. Da giebt’s harte Püffe und schon Mancher ist nit mehr heim komm’n, der Morgens frisch mit dem Stutz’n von Mittenwald hinaufstieg! Merkt’s, da liegt a’n Grund. Der andri sind die Dirndl’n.“ –

„Die Mädchen?“ fragte ich, mich wohl erinnernd, wie auch am Rheine alter Haß viele Generationen hindurch seine Wurzeln [126] durchschlug, weil die Bursche eines Ortes die schönsten Mädchen aus dem andern heimführten als ihre Frauen.

„Zweifelt Ihr dran?“ fragte er stutzig.

„Nein, Nein!“ rief ich. „Ich kenne Aehnliches aus den Bergen meiner Heimath. Fahrt nur fort, ich bitte!“

„Nun,“ sagte er, „es ist eine bekannte Geschichte, daß Mittenwald die schönsten Dirndl’n hat zwischen dem Loysachthal und dem Innthal – und da liegen hübsche Bergstöcke und Thäler dazwischen. Ihr könnt’s morgen selber schau’n. Schon von Alters her ist das so gewesen und die Tyroler, namentlich die Zierler, haben gar manch’ hübsch Dirnd’l hinüber geholt, als stattliche Hausfrau. S’ist aber auch kurios, daß die Zierler den mittenwalder Dirndl’n allemal besser gefallen, als die mittenwalder Buab’n und wir haben doch prächtige Buab’n, wie sie kaum drüben sind. S’ Weibsvolk is a’n kurios Volk,“ schloß er, „und s’ hat’s noch Keiner ausklugt. Aber s’bläst kalt aus den Karwandelschlucht’n,“ sagte er und stand auf. „I hob schon die Gicht!“ -

Er hatte Recht. Wir saßen ohnehin dem Thalwind preisgegeben auf unserm schönen Plätzchen. So gingen wir denn nach Mittenwalde zurück, wo jetzt Alles in regsamster, fröhlichster Thätigkeit war. Der Ort, der nur eine, aber breite Straße hat, war so rein gekehrt, daß man hätte mit weißen Strümpfen ohne Schuhe gehen können. Zu beiden Seiten des Weges waren die Maien aufgestellt, daß es wie eine Allee aussah. Unten im Orte baute und putzte man an einem Altar oder „Evangeli“, wie mich mein Begleiter belehrte. Schief der Post gegenüber, wo das Haus lag, dessen Vorderseite von des Giebels Spitze bis zu den Fenstern des Erdstocks mit Fresken bemalt ist, in denen die wundersame Phantasie des Malers sich abmühte, die Sätze des apostolischen Glaubensbekenntnisses bildlich zu veranschaulichen, baute man an einem Zweiten „Evangeli“, das aber viel stattlicher als jenes zu werden versprach.

„Himmel und Kinder!“ rief mein Gefährte, als wir uns durch die Gruppen der Kinder durchdrängen mußten, die vor Lust und Freude wegen des morgenden Festes zappelten, hüpften, sangen, und einen „Juchzer“ ausstießen, der jodelnd wirbelte.

„Aber wo stecken denn die schönen mittenwalder Dirndl’n in der allgemeinen Bewegung?“ fragte ich.

„Dalkete Frag’!“ rief er aus. „Habt Ihr denn nicht die Körbe voll Blumen gesehen, die sie heimtrugen? Die wachsen nicht von selbst zu Kränzen zusammen oder thun’s das bei Euch z’Land?“

Ich lachte herzlich über die derbe Zurechtweisung; denn das Wort: Dalk und das abgeleitete: Dalket bezeichnet ohngefähr das Gleiche wie Dummerjan, Esel und dergleichen Kraftausdrücke des Volks.

Als wir in die Post traten, war noch andere Gesellschaft da, Bürger des Orts, Gewerbtreibende und Beamte. Mehr denn Ein „Fässel“ des von Münchens zweiter, der Frohnleichnams-Saison, beschriebenem, unwiderstehlichem „Bocks“ wurde diesen Abend geleert und ich, als Rheinländer, hatte in Baiern schon Qualitäten errungen, die mich als ganz anerkennenswerthen Partner erscheinen ließen, ob ich es gleich nicht zu der Virtuosität gebracht, die ich hier, wie anderwärts in dem Lande, wo Gambrinus Alleinherrscher und Selbstherrscher ist, bewundern gelernt hatte; denn das übersteigt wirklich das Maß eines gewöhnlichen, ehrlichen, schlichten Begreifens! –

Es war spät, als ich mit Schrecken in das bauschige Federbette sank, das schier über mir zusammenschlug, und schon frühe weckte mich das hübsche Geläute. Da mein Alter mir gestern sagte, die Kirche sei klein und könne, so sehr sich auch alle Welt hinein und zusammendränge, nicht die Hälfte der Menschen fassen, die zur Prozession kämen, so mußte ich den Gedanken aufgeben, dem Gottesdienste in der Kirche beizuwohnen. Ich beschloß daher, zum Frühstück heimzugehen und dann, wenn meine Stube, davon drei Fenster nach der Straße gingen, geordnet sein würde, meinen Standpunkt an einem der Fenster zu nehmen, von wo aus ich die Kirchgänger und dann die Prozession recht ansehen konnte, zumal das „Evangeli“ grade gegenüber war, wo sie Halt machen mußte.

Als ich in das Gastzimmer trat, saß mein Alter schon da, schmauchte seine Pfeife und blickte in das Seidelglas mit Wehmuth, aus dem er schon die letzte Thräne Bock zum zweiten Mal geschlürft hatte.

Er reichte mir seine Hand zum „Guten Morgen.“ „Grüß’ Gott,“ sagte er. „Gut geschlafen? Ich warte schon eine halbe Stunde auf Euch und trinke derweil.“

„Warum denn?“ fragte ich. „Ihr sagtet ja gestern, in die Kirche sei nicht zu kommen?“

„Das bleibt wahr,“ erwiederte er; „ändert aber doch nichts. Will auch nit ’nein; denn zu Schnitz’l’n will i mi nit reiß’n und noch extra brot’n loß’n! – Ich komme zu Euch. Ihr habt ja doch die Stube vorn ’raus? Nicht?“

Ich bejahte und während ich mich zu meinem Kaffee setzte, zu dem ich köstliche mürbe „Stritz’l’n“ erhielt, begann er das dritte Seidel Bock zu bearbeiten und meinte, mit der Zunge am Gaumen schnalzend, es sei doch eine Sünde und Schande, Kaffee zu trinken, wenn es Bock gäbe; die Leute im „Reich“ seien doch ein „Dalket Gezücht“.“

Ich lachte und äußerte, es sei ebenso Sitte bei uns, wie hier das Biertrinken zum Frühstücke. Das wäre „Dalket“ bei uns.

Er zuckte die Achseln und schwieg, weil er trank, und uns beklagen mochte. „Seht,“ sagte er, „der Posthalter hat nicht mehr viel von dem edeln Stoff. Drum thu’ ich mein Theil jetzt weg. Wenn die Prozession vorüber ist, dann hat’s ein[WS 1] Ende und man muß wieder ein Jahr warten, bis es wieder Bock zu trinken giebt.“

Als ich gefrühstückt, ließen wir uns vier Seidel hinauftragen, um sie in Sicherheit zu haben. Dann legten wir uns in die Fenster. Es war Zeit, denn die Glocken begannen zur Kirche zu rufen. Männer, Frauen, Kinder, Alles eilte im Sonntagsputze zur Kirche. Die Kinder waren phantastisch aufgeputzt, trugen, die Mädchen nämlich, Körblein voll Blumen, und die Knaben bunte, kleine Standarten mit allerlei Heiligenbilder. Die Tracht war im Allgemeinen die Oberbaierns, besonders fand ich die ungeheuern Pelzmützen der Frauen wieder. Die Mädchen trugen die allerliebsten Ringelhäubchen, mit den zwei gegen den Nacken gekehrten Spitzen, wie man sie in und um München trägt; aber nun sah ich auch wohl, wie wahr das Wort meines Alten war. Ich hatte in den baierischen Alpen manch’ schönes Mädchen, manche prächtige Gestalt gesehen, aber in der That, die Töchter Mittenwalde’s waren durchweg die Schönsten, und durchweg; denn kaum einer Häßlichen begegnete das Auge. Dabei waren es nicht die durch die abscheulich kurze Taille entstellten Gestalten, nicht die gebückten, durch die Lasten, welche sie in der Umgegend Münchens tragen müssen; nein, die Kleiderform war kleidsamer, der Körperform zusagender und die Gestalten waren aufgerichtet und edel.

Niemand ging vorüber, ohne vor dem „Evangeli“, welches ein Heiligenbild zierte, seinen Knix zu machen oder das „Hütl“ zu lüften. Jetzt öffnete sich droben die Thüre an dem mit Fresken bemalten Hause, vor dem das „Evangeli“ stand, und heraus trat eine jugendliche Gestalt von den edelsten Formen. Sie war in tiefe Trauer gekleidet. Man sah kein Weiß an ihr, als an dem schneeweißen Hemde, dessen Aermel sichtbar waren, und an einer schmalen Krause, die den Hals umschloß. Dies Mädchen war die Krone, die Perle Aller.

Sie war schlank und groß; ihre Gestalt vom reinsten Ebenmaße; ihr Haar reich, glänzend, kastanienbraun. Nur einmal sah ich den Blick des großen, braunen Auges, aber sein Ausdrück war trübe; das Gesicht von wunderbarer Schönheit, aber bleich; kein Roth schimmerte durch die feine Haut. Sie ging gesenkten Hauptes der Kirche zu.

„Auf diesem jugendlichen Herzen liegt ein schweres, unheilbares Leid, und die schönste Lilie ist früh geknickt!“

Ich hatte laut gedacht, wie mir das manchmal begegnet, wenn mich etwas tief bewegt. Dann vergeß’ ich der Außenwelt gänzlich.

„Da habt Ihr den Nagel auf den Kopf getroffen,“ sagte der Alte, der stille hinausgesehen, das Mädchen auch mit Theilnahme betrachtet und meine lauten Gedanken auch gehört hatte. „Zweimal habt Ihr Recht; mit dem Leid nämlich und der Lilie!“

„Sind dem schönen Mädchen die Aeltern oder ist ihr der Bräutigam gestorben?“ fragte ich.

„Beide, Aeltern und Bräutigam,“ versetzte er.

„Du armes Herz!“ sagte ich und sah ihr nach. „So jung noch und so schwer geprüft!“

„Ja wohl,“ sprach mit mehr Gefühl, als ich ihm zugetraut hätte, der Alte. „Aber was würdet Ihr erst sagen, wenn Ihr die Geschichte des holdsamen Dirnd’l’s kenntet?“

„O erzählt mir sie, ich bitte!“ rief ich dringend aus.

„Ihr sollt sie hören,“ sagte er ernst, „aber erst heute Mittag [127] oder morgen, denn Ihr bleibt ja noch hier bis morgen, denn ich fürchte, heute kommen wir nicht dazu. Seht da die Buab’n!“ rief er und wandte sich zum Fenster.

Auch ich blickte hinaus.

Zwanzig bis vierundzwanzig junge Bursche schritten daher in militärischer Haltung, angeführt von einem Alten, der die Uniform eines Forstbeamten, die gestickte Mütze und den langen Schnurrbart trug.

Die Bursche trugen graue Jupen mit grasgrünem, stehendem Kragen, grüne, kokette Hütchen mit frischen Blumensträußern und Stutzen. Sie waren bestimmt, neben dem Himmel der Priesterschaft zu gehen und durch Salven die heilige Feier zu erhöhen.

Dafür hatten sie dann auf dem Schießstande heute Nachmittag ein Schießen, bei dem ganz hübsche Preise herausgeschossen wurden, zu deren Ankauf die Kirchen- und Ortskasse sich die Hand gereicht.

Das und Anderes berichtete mein Alter, der sich nun eine Pfeife anzündete und schon beim zweiten Seidel war. Ich rückte ihm mein zweites hin und folgte seinem Beispiel, indem ich eine Cigarre anbrannte.

Als meine Cigarre und mein Seidel zu Ende war, und auch das dritte ihm wohlgeschmeckt, sagte der Alte:

„Laßt uns hinabgehen und die zwei „Evangeli" betrachten, ehe die Prozession kommt!“

So wenig mich das auch anzog, so mußte ich folgen. Der Gang war kurz. Wir kehrten in meine Stube zurück, wohin er zwei neue Seidel sich bestellt hatte.

An die Geschichte aber brachte ich ihn nicht.

Ich will die Prozession nicht beschreiben, weil diese so ziemlich sich überall gleich ist. Ordnung im Aeußern, Andacht im Innern war unverkennbar, denn überall zeichnet sich das Gebirgsvolk durch Religiosität aus. Die Feier nahm den ganzen Morgen und selbst noch einen Theil des Nachmittags weg, denn erst um zwei Uhr gingen wir zu Tische, wo uns ein, wie man wenigstens sagte, auf Tyrolergebiet gewonnener „Gamselbrat’n," als große Seltenheit trefflich mundete. Er war von einem jungen, sehr zartem Thier. Nach Tisch gingen wir zum Schießen, das vor dem Orte stattfand und bis in die sinkende Nacht währte. Treffliche Schützen zeigten ihre Kunst und Fertigkeit, die wohl kaum den Tyrolerschützen, die ich später zu sehen Gelegenheit hatte, nachstanden.

Da das Raufen bei schwerer Strafe verboten ist, und Einer, der nur eine „Schildhahnfeder“ am „Hütl“ trägt (was freilich als Zeichen der Herausforderung zum Raufen gilt), sogleich von den wachsamen Gensd’armen „gefaßt" wird, wie mein Alter sagte, so ging der Tanz ruhig ab. Ich sah ihn nicht und zog es vor, die abendliche Kühle im Garten der Post zu genießen, statt meine Neugierde mit dem Einathmen des Staubes und dem Ertragen einer erstickenden Hitze abzufinden. Die Unterhaltung war lebhaft, und das Spielen einer Zither, begleitet von dem schönen Gesange einer jugendlich frischen Jünglingsstimme, machte mir große Freude, zumal die „Schnaderhupf’l’n,“ die der Zitherspieler sang, mitunter sehr ansprechend, sein „Jodeln“ aber unübertrefflich war, wie oft ich auch noch diesen eigenthümlichen, dem Alphorn nachgebildeten Gesang zu hören Gelegenheit hatte.

Früh am andern Morgen war ich auf den Beinen. Die Mittenwalder schliefen noch, nur meine schöne Nachbarin stand am Fenster mit dem bleichen Gesichte und den von Thränen gerötheten Augen. Sie erwiederte schwermüthig meinen Gruß. Das war das letzte Mal, daß ich sie sah, ihr Bild aber, das Bild tiefen, nagenden Schmerzes, hat sich mir unauslöschlich in die Seele geprägt. Ungestört in meinen Gedanken, machte ich einen herrlichen Spaziergang. Der Morgen war ungemein schön, der Himmel klar. Friede ruhte auf dem engen Thale. Von den Bergen her schallte der Gesang der Steindrossel in den mannigfaltigsten Modulationen. Lerchen trillerten, der Zeisig zwitscherte in den Erlen am Bache und der Ruf eines Schildhahns klang von ferne dazwischen. Auch das gehörte zu der fremden Landschaft und erhöhte ihren Reiz. Keine Menschenseele begegnete mir. Erst als ich zur gewöhnlichen Frühstückszeit zurückkehrte, war Mittenwalde lebendig geworden. Ich fand meinen Alten auf mich warten. Er hatte vom Wirthe gehört, daß noch ein einzig „Fäßle“ Bock übrig sei. Das hatte die anziehende Kraft bewährt.

Eine halbe Stunde später saßen wir in einer einsamen Laube des Gartens.

„Ich weiß wohl, was ich Euch versprochen habe,“ sagte er, „und will’s ehrlich halten. Die Zeit ist sehr gelegen dazu. Paßt mal auf:

„Sternhuber’s Caritas, so heißt das Dirnd’l, das Ihr die Krone und Perle Mittenwalde’s genannt habt, und das Ihr verglichen habt mit der früh geknickten Lilie, Sternhuber’s Caritas, sag’ ich, war wohl eine Perle! Herr, Ihr habt des Dirnd’ls Schönheit gestern bewundert, aber Ihr hättet die Caritas vor vier Jahren sehen sollen! Damals hat das Auge noch gelacht, das jetzt weint, damals hat’s noch gestrahlt, das jetzt so matt und trübe blickt, damals waren ihre Wangen noch, wie dort die eben aufgehende Moosrose – damals – ja damals gab’s auf Gottes Erde nichts Schöneres als sie. Sie war sechzehn Jahre alt, Herr! Da mögt Ihr’s Euch vorstellen, wie die Augen der Knaben nach ihr ausschauten. Nehm’s ihnen nicht übel!

„Aber es war ein „Jokrisch" Dirnd’l. Die hatt’ es Allen gethan, aber Keinen hat’s vorgezogen. Nur einmal ist’s ihm doch gegangen, wie allen Mädchen. Ihr kennt ja die Klaus droben am Karwandel? Seid ja vorübergefahren, als Ihr von Partenkirch hierher kamt? Dort ist eine Wallfahrt bei der Kapelle, und die ist besonders berühmt, weil das Muttergottesbild in der Kapelle ein wunderthätig Gnadenbild ist und schon Manchem sein Weh weggenommen hat. Wenn da der Jahrestag kommt, dann halten Ketten und Banden keinen Mittenwalder zurück, und was Leben und Athem hat zwischen dem Sternbergersee, dem Ammersee und dem Inn, so von München her, das kommt zum Feste und zur heiligen Bittfahrt.

„Die Klaus liegt so schön in dem grünen Thälchen, gegen Wind und Wetter geschützt, und der Klausbauer hat eine sehr gute Wirthschaft, und wo der liebe Herrgott eine Kapelle hat, da baut der Teufel einen Tanzplatz darzu. Das ist einmal so in der Welt,

„Dazumal strömte wieder alle Welt nach der Klaus, denn das Wetter war gar lustig. Bin auch dagewesen. Als die Bittfahrt vorbei war, hat das Jungvolk einen Tanz gehalten und waren Himmel und Leute da. Auch die Zierler Buab’n waren da, und leicht hätt’s kommen mögen, daß der Nazi und der Aegidi mit ihrem Anhang hätten Trutzliedl’n angestimmt zum Raufen, wenn nicht der gestrenge Herr Landrichter einen Riegel vorgeschoben hätte durch acht Haltfeste, nämlich Gensd’armen, und die waren stämmige Kerle, wie des Königs Hartschiere in München, die Ihr müßt ja gesehen haben, und in der neuen Uniform?

„Die hielten die Buab’n im Respekt.

„Aber Ihr werdet fragen: Wer der Nazi und der Aegidi seien? Das will ich Euch erst sagen.

„Ihr kennt das Haus da neben der Post, mit dem Erker, daran Ihr gestern die Inschrift gelesen, den Hausspruch mein’ ich, als wir spazieren gingen? – Nun, das gehörte damals des Arnold Krazenleitner’s Wittib, die Caritas hieß, und war des schönen Dirnd’ls Gothen und Baas von der Mutterseiten her. Sie war eine Frau schlicht und recht, nicht arm und nicht reich, mußte sich aber herum thun und drehen und wenden. Die hatte einen Sohn, den Nazi, der war zwei Jahr älter, als drüben das schöne Göthel. Ein Buab war’s, Herr, wie Milch und Blut, und dabei gewachsen wie eine Lerche, und wenn er Morgens jodelte und einen Juchzer that, so hörte man’s an der Scharnitz. Immer lustig, flink, fleißig und treu, wie Gold, war er, und hatte schwarze Augen, die fackelten. Wer wollt’s ihm verargen, daß ihm die schöne Caritas gefiel? Er war’s ja nicht allein, dem’s so ging. Aber es war nicht so ein flüchtig Wohlgefallen, sondern es war, wie’s im Schnaderhupf’l heißt:

Du herzig’s schön’s Dirnd’l,
Du liegst mir im Sinn;
Du liegst mir im Herzen
Sieben Klafter tief d’rin.

Und wo einmal die Lieb sieben Klafter tief sitzt, da weht sie der Karwandelwind nicht mehr ’raus, und nicht der Sirokko, der aus Italien ’rauf pfeift.

„Die Caritas wußt’s auch und war ihm freundlicher als allen Andern, und ich glaub’ fest, sie hatte ihn lieb, nicht von wegen der Verwandtschaft und Nachbarschaft, sondern vom Herzen ’raus von wegen seiner Schönheit, und weil er so gut war gegen seine Frau Mutter und überhaupt so brav. Er war auch gewiß eine gute Seel’, aber Pulver hatt’ er auf der Pfann’. Hui, wenn ihm [128] Einer quer kam, dann war er rasend und unbändig. Freilich war fünf Minuten d’rauf alles vorbei. Er that der Caritas Alles, was er konnte, und wenn sie ihn anlächelte, dann wär’ er in den Tod gangen, wenn sie’s verlangt hätt’. Ich laß mir’s nicht ausreden, daß sie ihn lieb hatte, denn ich weiß auch, wie viel Uhr es ist, wenn die Gamsel pfeift; aber sie ist immer gar ein spröd’ Dirnd’l gewesen, und sollt’s Niemand recht wissen, wie es um ihr Herz stand. Das war des Dirnd’ls Stolz. Es sollt’s halt Niemand merken, daß es wär’ wie andre Dirnd’ln und a’n Buab’n lieben thät.“

„Nun, und der Aegidi?“ fragte ich.

„Richtig,“ sagte er d’rauf, „es ist gut, daß Ihr mich wieder in’s Gleis bringt! Drüben zu Zierl, da wohnt ein Geigen- und Guitarrenmacher, der Prozelter heißt, ein fleißiger, geschickter Mann; hat aber fünfzehn Brotknapper, und das ist viel für einen Geigenmacher, auch wenn er noch so fleißig ist; aber alle fünfzehn waren sie hart wie Eicheln und Holzäpfel, und blühten, wie die Rosen, auch wenn sie nur dreiviertel satt hätten, und bildschön waren sie alle, absonderlich sein Aelt’ster, der Aegidi. Ich selbst muß sagen, wenn er neben dem hübschen Nazi stand, so hätt’ ich auch dem Aegidi den Preis zuerkannt. ’S war ein Blitzbuab, und seine blauen Augen sahen in’s Herz ’nein.

„Seltmals an der Klaus, da waren die Zweie und die Caritas auch. Als die Caritas den Nazi zum Tänzer hat und mal stehen bleibt, um zu verschnaufen, tritt der Aegidi zu dem Nazi, reicht ihm die Hand und sagt: „Grüß’ Gott, Nazi, Du hast das schönst’ Dirnd’l im Land, Nazi; darf ich mal mit ihr tanzen?“

„He!“ ruft da die Caritas aus, „Zierler, ich bin mein eigen und der Nazi hat kein Recht an mich. Wenn d’ mit mir tanz’n willt, mußt mi selber bitt’n!“

„Da zuckt der Nazi zusammen, als hätt’ ihn eine Natter gestochen. Er beißt die Zähne auf einander und läßt ihren Arm fahren und geht fort.

„Da wird das übermüthig Dirnd’l bleich vor Schreck.

„Thut nichts,“ sagt der Aegidi Prozelter; „faß’ Dir’s nicht z’ Herzen. S’ist ein Störriger, ich kenn’ ihn schon! Tanz’ mit mir, Du schön’s Dirnd’l! Du Lieb’s!“

„Da schaut sie ihm in die blauen Augen hinein, und sie sieht ihn doch zum ersten Mal, aber der hat’s ihr angethan, wie sie’s den Andern, und sie tanzt den ganzen Abend mit ihm und war nie so froh, und die Lieb’ saß im Herzen tief.

„Wie gesagt, es wär’ zu Mord und Todtschlag gekommen, wenn die Haltfeste nicht dagewesen wären, denn der Nazi schäumte vor Zorn, weil ihm die Caritas solche Schmach angethan und nun mit dem Aegidi alsfort tanzt und mit ihm scherzt und lacht und dann als mal nach dem Nazi blickt, als wollt’ sie ihm äffen und sagen: „Er ist mir lieber, als Du!“

„Es ging ohne Raufen ab, aber der Funken lag unter der Asche und brannte heiß fort. Vierzehn Tage sah der Nazi nicht ’nüber nach dem Haus mit den Bildern und war betrübt im Herzensgrund. Da begegnet ihm einmal die Caritas.

„Bist noch bös?“ fragt sie und lächelt ihn an, daß ihm schier das Herz bricht.

„Worüber?“ fragt er. „Bist ja Dein eigen und kannst den Zierler lieben, den Aegidi. Was liegt d’ran, wenn mir das Herz bricht!“

„O, Du Dalk!“ ruft sie aus. „Du dalketer Buab! Meinst, ich hätt’ den Aegidi lieb? Verstehst kein’ Spaß? Hab’ Dich ja nur hänseln wollen, Du Dalk?“

„Da durchzuckt’s ihn wieder bis in’s Mark. Er blickt sie an und sie lächelt wieder so, daß kein Mensch widerstehen konnt’.

„Caritas!“ ruft der aus – „ist das wahr? Hast mich doch lieb? Lieber, wie den Aegidi? – Sag’s noch einmal!“

„Du Dalk!“ ruft sie aus, „den Tauben und den Alten sagt man’s zwei Mal;“ und mit den Worten läuft sie fort, wie eine Gamsel, und der Nazi kann sie nicht einholen. Aber sie blickt noch mal um und nickt ihm zauberisch zu.

„Da steht er und fragt sich: „Ist’s wahr?“ Und es kommt wieder Freude und Lust in seine Seele und er jodelt wieder und man hört seine Juchzer weithin schallen; und sie lächelt ihm zu, und es ist Alles wieder gut und er meint, er hätt’ die Welt g’wonn’n!

„Noch Eins, Herr,“ fuhr der Alte fort, nachdem er aus seinem Seidel einen langen, starken Zug gethan, „noch Eins! Ich sagt’ Euch, des Nazi’s Mutter, die Krazenleitner’s Wittib, hätte nicht viel übrig, wenn’s Jahr um wär’ und dem Nazi könnt’ sie nicht viel geben, und ein Buab hat doch dies und das nöthig, eine Jupen, ein Hüt’l, Pulver und Blei, Tabak und Bier, und auch etwas für die Musikanten. Wo sollt’ das Alles herkommen? – Nun, drüben auf der Tyrolerseiten gibt’s Gamseln genug und hier hat sie der König gehegt und verhört. Da ist’s eine besondere Lust, ein zu bürschen, und das Wilddieben hält kein Mittenwalder für eine Sünd’. Da hat’s der Nazi gemacht, wie viele Andre auch; aber er ist ein besserer Schütz gewesen, als sie, und so oft er ging, bracht’ er ein Thier, ja manchmal zwei, daß er unter der Last krachte, und er konnt’ der Mutter noch Geld abgeben und hatte doch noch genug. Außerdem gab es noch einen Verdienst. Drüben im Tyrol verkauft der Kaiser den Tabak und die Cigarren, und die sind theurer und schlimm. Nun schmuggelte der Nazi hinüber Bündel Cigarren, und von Zierl kam Einer, der holt sie an der Stelle, wo sie der Nazi hintrug. Das warf ein Schönes ab, ein sehr schönes Stück Geld, Herr.

„Aber dem zierler Aegidi ging’s, was das Sackgeld betraf, wie dem Nazi. Er hatte in der Regel weniger, als Nichts, nämlich Schulden, und der alte Geigenmacher Prozelter mit seinem Rudel Brotknapper konnt ihm so wenig geben, als dem Nazi seine Mutter.

„Da lag auch nichts näher, als die Gamseljagd, zu der denn außerdem jedes Bergkind angeborne Lust trägt. Ich sag’ Euch, Herr, Ihr Leute aus dem Reich begreift so etwas nicht. Wenn Ihr Jagen geht auf ein Häsle oder Schnepfle, dann stolpert Ihr, wenn’s hoch kommt, über einen Kartoffelstock; aber den Gamseljäger umgiebt der Tod rechts, links, vorn und hinten, und das Thier ist schlau, hat seine Lauscher immer offen und seine Lichter sehen weit und seine Läufe sind flink, wie der Wind, und einen Wächter stellt’s aus, und wenn der pfeift, hui, dann geht’s über Grate und Gründe, über Gletscher und Schründe, und der Jäger hat nach tagelangem Spüren, Kämpfen und Mühen, für Todesgefahr und sauern Schweiß – das Nachsehen. Aber meint Ihr, das schrecke ab? – Fehlgeschossen! Grad’ das reizt, treibt, hastet und eifert. Und weiter geht’s und wieder in die Schneewelt hinein, thalab, bergauf – bis wieder eine Spur da ist. Und wer keinen guten Schutzpatron hat und dem heiligen Hubertus keine Kerze opfert, der mag d’heim bleiben und am Kachelofen hocken und das Jagen bleiben lassen. Hab’s erfahren in meinen jungen Jahren, Herr, und uf a’n Kerzen kam mir’s nit an und uf a’n Bissel Halsbrech’n a nit.

„Seit dem Fest an der Klaus trug aber der Nazi dem Aegidi einen Todeshaß, und ließ ihm sagen, er sollt’ ihm aus dem G’heg bleiben, sonst ging’s nicht gut ab, und sollt’ ihm auf der Gamseljagd nicht in Schußweit’ kommen, sonst könnt’ er ihn für a’n Gamsel halt’n! –

„Solch’ Trutzlied’l ohne Melodie und Weis’ gefiel dem Aegidi auch nicht baß; ließ daher zurück sagen: Das schöne Wild in Mittenwald steh’ ihm sicher; er würd’ sich’s schon selber holen und fürcht’ den dalketen Nazi nicht; und was die Jagd beträf’, so wär’ sein Stutzen gut und seine Kugel sicher, und es käm’ ihm auch nicht d’rauf an, eine Jupen für eine Gamseldecke und ein mittenwalder löcherig Hüt’l für ein Gehörn anzusehen.

„Das ging Schlag auf Schlag, Klapp auf Klapp, und der Krieg war erklärt. Beide aber gingen indeß um so lieber auf die Gamseljagd, weil’s noch ein ander Wild gab, als einen Gamsbock, und der Zorn im Herzen brannte, wie glühend Feuer und ließ ihnen keine Rast nicht.

„Einmal ist der Nazi ausgegangen früh Morgens und das Dirnd’l, die Caritas, hat ihm wieder gelächelt, so sakrisch, daß er einen Juchzer über den andern that und meint’, heut’ sei ein Glückstag für ihn; aber nirgends fand er Gamseln, und es war schon schier Mittag. Da streift er weiter in’s Tyrol ’nein, und plötzlich schaut er ein Rudel, das lag auf einer kleinen Matten, um die ringsum der Fels starrt, wie ein guter Mantel oder Schutzwand. Nur von unten auf, wo Lerchenwald und Gestrüpp war, konnt’ er anschleichen, aber es war ein halsbrechend Stück, denn der Abgrund war tief und das Gefels war zackig und kantig, und kein Weg noch Steg. Das hilft nichts; er muß ’nauf! Ohne Gamsel heim kommen, wär’ bittrer gewesen als Galle. Sie hätten ihn ja ausg’lacht. So steigt er denn ’nunter, wie ein Steinmarder, mit Todesgefahr, und endlich drüben ’nauf, ohne daß [129] der Wächter ihn merkt, und wie er in Schußweit’ war – paff! da kracht’s und der schönste Bock streckt sich und die andern sind fort.

„Horch, da kracht’s hinter den Felsen noch einmal. Der Nazi horcht, lädt sein’ Stutzen schnell und klettert vollends auf die Matte, bindet seinem Gamsbock die Läufe zusammen, hängt ihn um die Schulter, spannt seinen Hahn und lauscht.

„Grüß’ Di Gott, Nazi!“ ruft’s da auf einmal über ihm auf dem Felsgrat, und der Aegidi steht da und hat den Stutzen am Backen und der Nazi sieht grad’ in den Lauf des Stutzen. Da ist er plötzlich an die Backe gefahren mit dem Kolben und – paff! knallt’s. –

„Aber der Aegidi war einen Schritt zurückgetreten und die Kugel fuhr in die helle, blaue Luft hinein und Nazi war in seiner Hand.

„Hast Eini geschoss’n?“ rufen da Zweie, Dreie zu dem Aegidi herüber. Der schüttelt den Kopf und steht wieder auf der Kante, und unten auf der Matte todtbleich der Nazi.

„Was meinst!“ ruft er halblaut dem Nazi zu, „was ich jetzt thu’? Entweder schieß’ ich Dich todt, und dazu hab’ ich ein Recht, oder ich ruf’ den Gesellen, und dann wirst Du Wilddieb nach Zierl geführt und magst brummen, bis das Gericht das Urtel spricht, oder ich laß Dich laufen, Du Strauchmörder und Meuchelmörder. Was meinst? – Bet’ ein Ave und ein Paternoster! S’ist aus mit Dir!“

„Schieß!“ schrie unten der Nazi.

„Du bist einer Wittib Sohn,“ versetzt gutmüthig der Aegidi, und er war ein treu Gemüth, das muß wahr sein. „Die mußt Du ernähren. Ich will die Frau Mutter nicht schlagen im Sohne! Leg’ Dein Gamsel ab und mach’ daß Du fortkommst. Das ist meine Vergeltung!“

„Schieß!“ schrie wüthend der Nazi.

„Dalketer Buab,“ spricht der Aegidi, „denkst nicht an Deine alte Frau Mutter, die eine sehr kreuzbrave Frau ist? Du Gottvergeßner, Du!“

„Das traf das Herz des Nazi. Er stand eine Weile und [130] sann; dann legt er den Gamsbock auf die Matten, wirft einen Wuthblick auf den Aegidi und fort ist er, und die Andern merken nichts; denn als sie zu dem Aegidi kommen, steht er auf der Matten und hat den Gamsbock umhängen und lacht.

„Hast doch Einen geschossen!“ rufen sie, „Du Lügner!“ Aber er lacht und schüttelt den Kopf und sagt:

„Hab’ ihn einem Baier abgejagt!“

„Wo ist er?“ fragen sie.

„Fort!“ ist die Antwort, und Aegidi klettert ’nauf und weiter sagt er nichts. Er dankt seinem Patron für seinen Schutz vor Nazi’s Kugel, und ihm ist wohl, daß er nicht Rache genommen an seinem Todtfeind und denkt, er hab’s ihn versöhnt und vor Gott recht gethan.

„Da hat er aber bei dem Nazi falsch gerechnet, denn Nazi’s Haß war verdreifacht geworden, und die Schmach fraß an seinem Herzen, wie ein Geier, daß ihn der Aegidi geschont, aber den Gamsbock abgejagt. Er schoß zwar noch einen, „daß er nicht ausgelacht werde,“ als er gegen Abend heim kam, doch sein Blut kochte und er konnt’s nicht vergessen und nicht verwinden, und alle Tage wurmt’s ihm auf’s Neue.

„Mit dem Aegidi aber ging in der nächsten Zeit eine große Veränderung vor und er kriegt ihn nicht mehr auf der Gamsjagd, wie er gehofft. Sein Pater, der Prozelter, brachte einmal eine Ladung Geigen nach Insbruck, und kam da, ich weiß nicht wie, mit einem Offizier von den Mauthnern zusammen. Dem erzählt er Viel von seinem Aegidi, und wie er sehr ein braver Mensch sei und ein guter Sohn, und kennte alle Schliche und Schlüpfe im Gebirg und wär’ grad angetan für einen Grenz- und Mauthwächter und sei besonders bekannt in und um Mittenwalde, von dannen aus der Cigarrenschmuggel in’s Tyrol gehe, wie all’ nichts Gut’s.

Sagt der Offizier:

„Will denn Dein Aegidi das Mauthkäppi aufsetzen?“

„Warum nicht?“ fragt der alte Prozelter; „wenn Ihr’s fertig bringen könntet, Herr Leitnamt? – Auf eine gute Guitarre mit Mechanik, wie man sie jetzt macht, käm’ mir’s nicht an.“

„Der Mauthner schmunzelte vergnüglich, denn er konnt’ so ein Bissel klimpern zu einem Lied an den lieben Mond, wie’s so Sitte ist.

„Kann er auch ein Bissel etwas mit der Feder?“ fragte er weiter.

„Versteht sich,“ antwortete der alte Prozelter. „Er hat schon als Buab dem Schulmeister z’roth’n ufgeb’n, und war Primes uf der obersten Bonk. Thuet, was Ihr könnet!“

„Das versprach der Herr Leitnamt, und der alte Prozelter ging mit fröhlichem G’müth nach Zierl z’rück.

„Und was meint Ihr?“ Die Guitarre zog, und der Aegidi schlupt nach vier Wochen in das grau Röckle mit dem Sammetkrog’n, setzt das Käppi auf, läßt den Schnauzer wachsen, kriegt a’n Stutzen und a’n Sabel und kommt auf die Scharnitz, wo’s z’somm’n hocken und uf d’ Cigorr’n Jagd moch’n und faullenzen.

„Das muß wahr sein, der Aegidi war noch einmal so hübsch in der Uniform, und wenn er Sonntags in die Messe nach Mittenwalde kam, so sahen zwei Augen mit Liebesglanz und zwei mit Gift und Galle nach ihm. Wem sie waren, könnt’ Ihr schon denken. Der Aegidi wußt wohl, warum er den weiten Weg herauf kam, und die Caritas wußt’s auch und auch der Nazi.

„Recht war’s nicht von dem Dirnd’l, daß es Zweie lieb hatte und nicht recht wußt’, welchem es den Vorzug geben sollt’. Aber so ein jung Ding überlegt’s nicht, und wenn der Nazi kam, war’s ihm lieb und hold, und wenn der Aegidi das Dorf ’rauf kam, stand’s allemal am Fenster, und wenn er dann an’s Käppi griff und die drei Finger an’s Schild’l legte, nach Soldatenart, dann schlug eine helle Flamme aus dem schönen Gesicht’l ’raus und die Augen lachten und glänzten, wie zwei Sonnen. Nun meinte Jeder, er wär’ Hahn im Korb und wenn er hörte, der Andri wär’ bei dem Dirnd’l unterm Fensterl g’wesen, wurmt’s ihm g’waltig. Und immer waren Leut’ da, die es dem Aegidi hinterbrachten, wenn dem Nazi es einmal glückte, a Stünd’l zu verplaudern, und die es dem Nazi sagten, wenn die Caritas mit dem Aegidi freundliche Augen machte.

„Das ging so fort bis zum Frohnleichnamsfeste vor zwei Jahren. Da war der Aegidi hier und ein paar Kam’raden von ihm, und hatten Urlaub bis um zehn Uhr. Auch kamen noch Zierler zu ihm her. Und als der Tanz beginnen sollte, holt der Nazi die Caritas. Das hält der Aegidi nicht aus.

„Nun sitzen sie, ehe der Tanz anhebt, an zwei Tischen, hüben die Mittenwalder und drüben die Zierler, und auf dem Hüt’l des Nazi steckt plötzlich die Schildhahnfeder, und das war die Herausforderung zum Raufen.

„Gleich hoben die Trutzlied’l’n an, und ein Zierler singt:

Schärwenzel’, wie D’ willt
Und das Dirnd’l ist mein,
Und Du dalketer Buab, Du –
Laufst doch hinterdrein! –

Und nun jodeln sie alle in heller Lust dazu.

„Ihr müßt wissen, Herr, das ist in den Alpen von Baiern und im Tyrol so die Sitt’, daß solche Lied’l’n und Schnaderhupf’l’n gesungen werden von Einem in dem Trupp, der sie gleich zu machen versteht, und das geht so lang her und hin, bis es losbricht. Kaum ist das Gejodel der Zierler aus, so steht der Nazi auf, wirft’s Hüt’l grimmig in die Luft, fängt’s wieder und knallt mit dem Daumen und Mittelfinger. Dann singt er:

Do hör’ i a’n singen,
Der aber nicks kann!
Und wenn er Kurasch hätt’,
So faß’t er mi an!

Und im wüthendsten Jubel bricht das Gejodel der Mittenwalder los und hallt lange, lange fort.

„Die Musikanten, die merken, wo’s ’naus will und wissen, daß wenn’s ein Raufen giebt, ihr Verdienst am Ende ist, fangen rasch einen Huppser zu geigen und zu pfeifen an, und denken, das könnt’s verhindern, was sie fürchten; aber das war fehlgeschossen, denn wie der Blitz sind sie an einander und die Hiebe fallen mit geballter Faust, und sie fassen sich und hierhin fliegt Einer und dorthin Einer, daß Tisch und Bänke krachen und die Dirnd’l’n schreiend auf die hintern Bänke sich flüchten.

„Caritas steht da, bleich wie eine Leichen, und schaut und schaut nur aus nach dem Aegidi seinem Käppi, ob’s noch oben sei; aber immer verwickelter wird der Knäuel und immer wilder das Toben und Schreien. Da ruft plötzlich der Aegidi: „Ich bin gestochen!“ und fällt zu Boden. In dem Augenblick hört man einen gellenden Schrei und die Caritas sinkt ohnmächtig zusammen.

„Und wie der Blitz ist der Tanzplatz leer von den Mittenwaldern, und die Zierler heben den blutenden Aegidi auf und rufen nach dem Doctor.

„Der kommt und untersucht’ schnell und sagt: „Wenn in der Brust von Deinem Röckle nit a halbes Pfund Werg ein’gnäht wär’, thät Dir kein Zahn mehr weh Dein Lebtag. Der hat wacker g’stoß’n, aber das Messer ist nit eini gang’n weiter bis auf den Knoch’n, und in vierzehn Tag bist wieder heil.“

„Nun verbindet er ihn und die Zierler schaffen ihn auf die Scharnitz. Wer’s than hätt’? Ja, Herr, das wär’ eine kitzliche Frag’ und der Aegidi wußt’s wohl, daß es der Nazi war, denn er rang mit ihm, aber der Aegidi konnt’ sich nicht bewegen, weil sie sich zu sehr auf einen Knäuel gedrängt hatten; da nimmt der Nazi den Augenblick wahr, und stößt ihm das Messer in die Brust.

„Der Landrichter untersucht und untersucht, aber er bringt nichts ’raus und die Geschichten wird vertuscht und es bleibt still. Die Oesterreicher aber verbieten’s ihren Mauthnern, und Keiner darf mehr nach Mittenwalde, nicht einmal in die Meß.

„Nach vierzehn Tagen war der Aegidi heil, wie der Doctor gesagt und es kräht kein Hahn mehr nach der Geschichten. Nur die Caritas war lange krank, und seitdem durft’ ihr der Nazi nicht mehr kommen; sie haßt ihn aus dem Grund ihrer Seele und der Buab weiß wohl, wo’s herkommt und härmt sich und quält sich, daß er aussieht, wie ein Schatten.

„Glaubt nur nicht, Herr, daß die Zweie nun ihre Rechnung abgemacht hätten! Der Aegidi sieht im Geist, wie der Nazi um das Dirnd’l freien werde und der Nazi weiß, daß sie den Aegidi lieb hat und alle Beide hassen sich in den Tod ’nein.

„Dazumal grad wurde heillos geschmuggelt nach Insbruck ’nunter Cigarren über Cigarren, und der Aegidi, der auch seine Leut’ in Mittenwalde hat, weiß, daß der Nazi der ist, der den malefizigen Schmuggel treibt. Sie passen ihm alle auf, Tag und Nacht, aber den Schlaukopf kriegen’s nicht. Der weiß die Schliche, wie ein Iltis, der die Eier stiehlt. Es gilt ihm Geld zu erwerben, weil er doch die Caritas freien will, denn er ist stockblind vor Lieb’ [131] zu dem Dirnd’l. Auch ist ihm der Herr Vater und die Frau Mutter der Caritas geneigt und wollen’s zu End’ haben, daß nicht ihr Kind an einen Tyroler sollt’ kommen, den sie hassen, weil er das Käppi und des Kaisers Uniform trägt. Aber die Caritas will nicht, weil sie nun weiß, daß sie den Aegidi lieber hat, als den Nazi. Das giebt Hader im Haus. Und einmal trinkt der Herr Vater ein Bier in den Zorn, hier in der Post, und wird krank und stirbt und bald drauf will’s Gott, so stirbt auch die Frau Mutter, und die Caritas wohnt mutterseelenallein in dem großen, schönen Haus. Da ist denn des Nazi Frau Mutter bei dem Göthel alle Tag’ gewesen und hat ihm in den Ohren gelegen von wegen der Heirath mit dem Nazi, da ja ihr Herr Vater und die Frau Mutter selig geflucht hätten der Heirath mit dem Mauthmann. Und die Vettern und Basen kommen und nörgeln alle Tag, sie sollt, wenn das Trauerjahr um wär’, den Nazi nehmen, da sie ja doch nicht ledig bleiben könnt’ in dem großen leeren Haus – bis das Dirnd’l endlich Ja sagt, um des Quälens los und ledig zu werden.

„Nun kommt auch der Nazi mit seiner Mutter, aber wenn er zu ihr in die Stube tritt, so schüttelt sie sich vor ihm, wie wenn ein Frost über sie käm’ und sie sagt: „Geh’ wasch’ Dich! Hast Blut an den Händen! Hu, mich schuckert’s vor Dir!“

„Könnt’ Euch denken, daß da der Buab im Zorn fortgeht und sieht, daß aus der Heirath nichts werden könnte und nicht wieder kommt; aber todtglühender wird sein Haß gegen den Aegidi und hundertmal ruft er im jähen Grimme: „Er muß sterben von meiner Hand!“

„Und wenn er nun schmuggeln geht, nimmt er den Stutzen mit, weil’s ihm zu Muth ist, als müßt’ ihm einmal der Aegidi in den Weg komm’n. Und der Aegidi trägt gleichen Todhaß gegen den Nazi, und sucht Spionaschi in Mittenwald.

„Da hört er denn, sein Weg geh’ am Rechberg ’nauf, und drauf stieg er in’s Wiesenthal ’nunter und am Wurzelstock ’nauf und klettr’ dann um den Wurzelstock ’rum auf die Matten, wo er ihm den Gamsbock abgejagt. Da leg’ er den Bündel mit den Cigarren hin und von da würde, wenn’s Nacht worden, der Bündel von Zierlern abgeholt und er bliebe dabei sitzen, bis sie kämen, manchmal einen Viertelstag, wenn er nicht weiter geht auf die Gamseljagd und den Bündel zudecke mit grünen Lerchenästen.

„Nun wußt’ der Aegidi genug und sagt zum Leitnamt auf der Scharnitz: „Herr Leitnamt i hob den Cigarrenschmuggler auskundschaft, und will ihn fong’n!“

„Das sollst!“ sagt der Leitnamt, „und sollst a’n gut Fonggeld foß’n!“ Nun geht der Aegidi drei Tage auf die Lauer und allemal umsonst. Aber er wird nicht müd und denkt: „I fong’ di doch! Todt oder lebendig, was liegt mir dran!“ Denn die Wuth kocht auch in ihm alle Tage neu auf, da er hört, wenn’s Trauerjahr um wär’, führt’ der Nazi die Caritas heim, weil eben d’ Leut’ es anders nicht wußten – denn von dem Blut wußt Niemand und die Caritas lebt wie eine Nonne im Kloster und redt mit Niemand und war schier so bleich, wie sie heut ist, und so still und so maßleidig.

„Die Matten aber am Wurzelstock muß ich Euch g’nauer beschreiben. Sie ist nicht groß und rund um von drei Seiten steht der Fels wie ein Mantel drum, wie eine runde Wand und schließt sie ein, und überall ist von ihr abi ein grausamer Abgrund, und zwar rechts und links am Ende. Grad vornen ist Geröll und Gestrüpp und Lerchenbäume, daß man heraufklettern kann. Links und rechts aber, wo die Felswand sich umbiegt und niederiger wird, hatte der Nazi einen Gang gemacht, daß man auf die Matten konnte ohne Gefahr, nur durft man nicht schwindeln und nicht fehl treten, sonst ging’s viel Hundert Fuß hinunter, wohin keines Menschen Fuß kann und auch Keiner hin kommen ist, seit die Welt steht. Aber von beiden Seiten war der Pfad gemacht, links von unten aus dem Wiesenthal ’rauf und rechts auf den Felsgrat ’nauf, wo man gehen konnte eine weite Strecke und dann in einen Pfad kam, der links nach der Martinswand und rechts nach Zierl führt; ’s ist aber ein weiter, weiter Weg, und man muß ihn kennen, um nicht irre zu gehn in dem Schnee.

„Hinter der Felswand lag der Aegidi auch am vierten Tag wieder und nicht weit davon zwei andre Mauthner zu seiner Hülf’, wenn’s der Schmuggler mehre wären.

„Da ist’s dem Aegidi, als hört’ er Einen daherkraxen, und unter seiner Last keuchen und das Herz pocht ihm und der alte Haß fing an zu gähren und zu brennen im Herzen.

„Er hält sich ruhig, bis er hört, wie der drüben seine Last auf die Matten wirft. Da ist’s aus.

„Der Nazi war links ’rauf kommen und stand an der Ecke, wo er das Pfädlein über den Abgrund mit Steinen gebaut hat. Es ist noch früh am Tage, und er meint, er könnt’ noch ein Gamsel beschleichen. Daher nimmt er den Stutzen vom Rücken und thut Pulver auf die Pfannen und macht sich fertig. Als er eben die Pfannen zuknappt, tritt der Aegidi, den Stutzen in der Hand, den Hahn gespannt, rechts um die Felswand hervor und ruft mit gluthsprühenden, toddrohenden Blicken: „Hab’ ich Dich, Meuchelmörder und Schmuggler?!“ – Nazi erschrickt und blickt auf, und als er den Aegidi sieht, spannt er seinen Hahn und ruft:

„Noch nicht, dalketer Kostbeutel!“

„Kostbeutel schimpfen die Baiern die Oesterreicher, weil sie einen leinenen Sack auf dem Marsche anhängen haben, darin sie Brot, Pfeifen und allerlei Geschirr trag’n und den sie Kostbeutel heißen.

„Da schießt das Blut dem Aegidi in den Kopf.

„Leg’ den Stutzen ab!“ ruft er.

„Meinst, Du hättest einen Narren vor?“ ruft der Nazi. „Eher nicht, als bis Dir die Kugel im Herzen sitzt!“

„Und in demselben Augenblick fahren sie Beide wie der Blitz mit den Stutzen an den Kopf und es kracht hüben und drüben fast zugleich auf zehn bis zwölf Schritt – und Nazi schlägt hinterrücks über und stürzt hinunter in die greuliche Tiefe und Aegidi thut einen Schrei, springt in die Höhe und stürzt drüben hinab, von Fels zu Fels, von Zacken zu Zacken, bis er hängen bleibt an einem Felszacken, ein blutiger, zerschmetterter Leichnam. – Nazi hatte keinen Ton mehr von sich gegeben, ihm saß die Kugel im Herzen.

„Als die Mauthner die Schüsse hören, die schier Einer waren, da eilen sie herbei und stehen wie versteinert, denn da liegt ein Bündel und es ist kein Mensch zu sehen. Endlich blicken sie hinab auf ihrer Seite in den Abgrund und sehen den Aegidi hängen, wie er im Todeskrampf noch seinen Stutzen hält mit der einen Hand, während die andre schlaff hinab hängt. Einer geht auf die andere Seite. Da liegt des Nazi Hüt’l. Von ihm aber ist nichts auszuschaun.

„Keiner redet vor Schrecken und Trauer ein Wort; aber Ein Gefühl durchdringt sie: so darf der Aegidi nicht hängen bleiben. Er muß ein christlich Grab haben und auch der Nazi, wenn man ihn kriegen kann. Einer bleibt da. Der Andere läuft nach der Scharnitz, Hülfe, Laterne und Seile zu holen. Aber wie so der Mauthner dasitzt in stummer Trauer und Schrecken, da hört er einen Fall. Er springt auf und schaut nach dem Aegidi.

„Die Spannung seiner Muskeln hatte nachgelassen. Der Stutzen war in die Tiefe gefallen, und der Leichnam des armen Aegidi hat dadurch das Gleichgewicht verloren, und grade, wie sich der Mauthner vorbeugt, sieht er, wie er rutscht, und dann hinabfällt, wohin kein Sonnenblick kommt und wohin kein Seil hinabreicht.

„Da sträuben sich seine Haare und ein Schrecken des Todes ergreift ihn, daß er von dannen läuft, und erst zurückkehrt, als die Andern kommen und nun selber sehen, daß da kein Auffahren ist.

„Sie stehen eine Weile stumm da; dann sinken sie auf ihre Kniee, beten ein Paternoster, nehmen den Cigarrenbündel und eilen weg von der greulichen Matten, die seidem die Mordmatten heißt.“ –

Mein Alter schwieg und that einen Zug aus seinem Seidel, und mir war die Brust wie zugeschnürt. Der Posthalter trat zu uns und sah bewegt aus.

„Hab Ihr’s schon gehört,“ fragte er, „was drüben passirt ist?“

„Nein!“ rief der Alte: „was denn?“

„Nun, die Caritas hat um zehn Uhr einen Blutsturz kriegt, und so schnell auch der Doktor kam, gleich einen zweiten, und eben ist sie gestorben!“

„Wunderbar!“ rief der Alte: „Gestern war’s jährig, daß der Nazi den Aegidi gestochen hat.“

Er nahm seine Mütze ab und wir thaten desgleichen und wir beteten alle Dreie, für alle Dreie, um Gnade und Frieden.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: am