Textdaten
<<< >>>
Autor: E. P.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Drei Salons
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 632–634
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[632]
Drei Salons.

Diese bangen, diese süßen
Zauberhaften Töne müssen
In das Land der Schatten dringen
Und die Todten wiederbringen.
 Lenau.

Ein Zauber ohne Gleichen strömt von den Compositionen Chopin’s aus. Wer jemals geliebt und gelitten, erliegt ihm ohne Rettung. Der Pulsschlag jener echten großen Leidenschaft, die so selten geworden in der Welt, durckzuckt sie mit hinreißender Gewalt. Wir empfinden mit einem Schauer des Entzückens, wie nur das Herz, ein großes, glühendes Herz der Boden sein konnte für diese wilden und schönen Blüthen der Chopin’schen Muse, und fühlen uns immer von Neuem versucht, eben deshalb ihrem ersten Keimen und Knospen nachzuforschen.

Wo tauchten sie denn zuerst auf, jene Mazurken, Walzer und Polonaisen mit ihren seltsamen bezaubernden Harmonien und Dissonanzen, und der Lust und dem Leid ihrer Accorde? –

Die Aristokratie Warschaus hatte an einem schönen Novembertag des Jahres 1825 eine Schlittenfahrt veranstaltet zu Ehren eines hohen und seltenen Gastes, des Fürsten Anton Radziwill, der auf der Reise nach Nieborow, seinem Schlosse, einige Tage in der alten Warszawa Rast hielt. Im Schlosse selbst war die Dienerschaft des Grafen bereits am Morgen eingetroffen und Alles war zum Empfange der Gäste bereit, als die Schlitten in der Dämmerung in dem Schloßhofe anlangten. Als die Nacht hereinbrach und man sich in dem Speisesaal des Schlosses versammelte, da hätte wohl Niemand in jenen Duftgestalten, aus Flor und Spitzen gewebt, jene pelzumhüllten Schlittenerscheinungen wiedererkannt, die kleinen Zofen hatten, trotz aller Versäumnisse, ihre Schuldigkeit gethan, eine Schaar Feen schien auf die arme Erde herabgeschwebt zu sein.

Die Gräfin Potocka in rosa Atlas, eine reizende junge Frau, machte die Honneurs mit bezaubernder Grazie, und der Fürst Radziwill saß neben ihr und der schönen Fürstin Czartoriska, deren herrliche Gestalt und üppiges Haar an die Frauen des Giorgione erinnerte. Die Stimmung der vornehmen Gesellschaft war eine ungezwungen heitere, und mit sichtlichem Interesse flogen die Blicke des hohen Gastes über diese glänzende Versammlung hin.

Es war bereits gegen das Ende des Soupers, als die Gräfin sich zur Fürstin wandte mit der Frage: „Wo ist unser Fréderic Chopin? Ich sehe nur Ihren Sohn drüben im Speisezimmer der Jugend, nicht aber seinen Freund.“

Die Fürstin neigte langsam das schöne Haupt und antwortete: „Wie können Sie denken, mon aimable amie, daß Chopin sich der Tafelstunde erinnern sollte in dem Schlosse, wo Sobiesky starb! War er doch bei dem Gedanken, diese geweihte Stätte betreten zu dürfen, wie im Fieber. Gleich nach dem Aussteigen lief er auf die Terrasse, wo der Held auf- und niederzuwandeln pflegte. Ich sah ihn seitdem nicht wieder!“

„Dann ist Ihr Schützling auf meinen Wegen gewandelt,“ sagte Fürst Radziwill, „denn auch ich hätte fast die Tafelstunde vergessen, auch ich feierte das Andenken des großen Mannes, und es war im Ahnensaal, als die zierliche Gestalt eines Knaben an mir vorüberstreifte. Wer ist der Glückliche, der sich der Huld der schönsten Frauen Polens erfreut?“

„Ein Musikgenie, ein Kind von fünfzehn Jahren aus Zelazowa Wola, der Spielgefährte und Studiengenosse meines Sohnes Borris, der mit zärtlicher Liebe an ihm hängt,“ antwortete die Fürstin. „Sein Herz für sein Vaterland und seine Freunde entzückt mich nicht minder als sein Talent. Ich hoffe –“

Ein Ausruf des Fürsten unterbrach sie. „Verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht erschrecken, aber ich bin plötzlich selber fassungslos. In diesem Augenblick bemerke ich, daß mich ein Unfall betroffen: ich verlor ein theueres Kleinod. Sehen Sie hier diese Kette. Sie trug eine Kapsel mit dem Bilde meines Kindes. Und heute ist Elisabeth’s Namenstag!“

Man suchte und ertheilte Befehle an die Dienerschaft, die Tafel wurde aufgehoben, der Fürst zog sich bleich und aufgeregt in seine Zimmer zurück – das Fest schien zerstört. Wohl eine Stunde verging, die Gesellschaft fand sich in dem Musiksaal wieder zusammen; von Zeit zu Zeit trat einer der Diener an den Grafen oder die Gräfin heran, um zu melden, daß alle Nachforschungen vergebens.

Die Hauptperson des Festes fehlte, man stand in rathlosen oder leise flüsternden Gruppen beieinander und eine bange Besorgniß wehte wie ein kalter Lufthauch durch die prächtigen Räume. Durfte man sich unter diesen Verhältnissen der gehofften Freude des Tanzes hingeben, ohne die Rücksicht auf den vornehmsten Gast zu verletzen? Und ohne Tanz war doch kein Fest denkbar. Wie viele Herzen hatten schon in der sichern Erwartung auf einen improvisirten Ball höher geschlagen! Welche Pläne und Hoffnungen, welche Fülle von Freuden wurden durch diesen kleinen grausamen Zufall zerstört!

Da wurde plötzlich die Thür des Saales aufgerissen und ein Knabe von etwa fünfzehn Jahren erschien auf der Schwelle. Hoch und schlank aufgeschossen, in einfach dunkler polnischer Tracht, frappirte sein Kopf in diesem Moment durch eine ungewöhnliche Schönheit. Das zarte, feingeschnittene Gesicht glühte, die großen Augen leuchteten. „Ich habe das Bild auf der Terrasse Sobiesky’s gefunden!“ rief er mit dem Ausdruck des Triumphs und eilte auf die Gräfin zu, „o seht nur her!“ Er hielt ihr eine goldene Kapsel entgegen, deren Deckel aufgesprungen war. Ein Mädchenkopf, der Kopf eines bezaubernden Kindes wurde sichtbar. „Saht Ihr je etwas Lieblicheres?“ fragte er aufgeregt. „Es ist ein Engel!“

[633] „Welch’ ein Glück, mein Liebling! es ist die kleine Elise Radziwill und Du mußt selber hinauf gehen zum Fürsten, ihm sein Kleinod zu bringen. Geh’, Fréderic!“ drängte die Gräfin, freudig erregt.

Aber die gewohnte Schüchternheit des Knaben war unter diesen Worten wieder zurückgekehrt, seine Erregung schwand, tiefe Blässe überzog sein Gesicht, die langen Wimpern senkten sich wieder. „Ich will keinen Dank,“ sagte er dann kurz. . „Bitte, gebt es ihm statt meiner!“ Noch einen langen Blick auf das süße Kindergesicht werfend legte er seinen Schatz in die schöne Hand seiner Schützerin.

„Nun so geh’, mein Kind, zum Flügel, man wartet schon längst auf Dich voll Ungeduld, wir dürfen jetzt ohne Vorwurf tanzen und fröhlich sein!“

Eine Schaar reizender Frauen drängte sich um den Knaben. „Lieber Chopin, kommen Sie!“ baten süße Stimmen und glänzende Augen. Man zog ihn fort an das Instrument.

Eine Viertelstunde später zeigte der Tanzsaal ein lebensvolles Bild. Am Flügel saß der junge Chopin und spielte die Tanzweisen seines geliebten Vaterlandes, und die vornehmen Paare wirbelten durcheinander. Wie oft hatte er schon so gespielt! Sie wollten ja Alle nur zu seinem Spiel tanzen, alle die schönen Aristokratinnen in dem Salon der Fürstin Czartoriska, Potocka und anderer Königinnen der großen Welt. – „Seine Finger sprühen Funken!“ sagte man scherzend von ihm, „wehe, wenn sein eigenes Herz einmal in Flammen aufgeht, wie er jetzt unsere Herzen in Flammen setzt; es würde eine Feuersbrunst werden, die Niemand löschen kann!“

Und die schlanken Finger glitten über die Tasten bald im Mazurka-Rhythmus, bald im Polonaisentempo, oder im Walzertact, und die Augen glitten träumerisch über jenes Wogen und Schweben der prächtigen Gestalten. Er sah alle das „Neigen von Herzen zu Herzen“, von dem der Dichter sagt:

„Ach, wie so eigen schaffet es Schmerzen! –“

In solchem Gewirr widerstreitender Empfindungen wurden sie geboren, jene Tänze Chopin’s, aus dieser bewegten Fluth stiegen sie auf, die Perlen jener Weisen, die man so liebte und bei deren Klängen ein so wunderbarer Rausch die Tänzer erfaßte.

Wie schön diese kleinen Hände spielten, wußten damals nur Wenige. Die Meisten sagten: „er allein spielt so, daß wir dazu tanzen können, wie wir eben mögen!“ Wie viel Liebesglück sah der junge Chopin unter seinen Augen aufblühen und welken, wie früh und mit welcher tiefen heimlichen Trauer lernte er erkennen, daß Alles vergeht und stirbt – und das Schönste am schnellsten: der Frühling und die Liebe. —

An jenem Abend im Tanzsaal des Schlosses Willanow stand eine hohe Männergestalt lange schweigend und regungslos hinter dem Flügel, und zwei ernste Augen verfolgten mit dem Ausdruck von Bewunderung die schlanken Finger, die da über die Tasten glitten. Fürst Radziwill, der geistvolle Musikfreund und Kenner, lauschte staunend dem Spiel des Knaben. Mit dem Sonnenschein der Freude auf der edlen Stirn sah die Fürstin Czartoriska ihn später lange mit dem jugendlichen Freunde ihres Sohnes reden, und sah das Knabenantlitz freudig aufleuchten. Erst am andern Tage erfuhr sie aus Chopin’s Munde, wie der Fürst ihm gedankt für das wiedergefundene Kleinod. Anton Radziwill übernahm die fernere musikalische Ausbildung des Knaben auf dem Conservatorium zu Warschau unter der Leitung des vortrefflichen Elsner.

Am Abschiedstage spielte Chopin noch stundenlang vor seinem scheidenden Gönner im Salon der Fürstin Czartoriska, und in dem Boudoir der gefeierten Frau lauschten verschiedene Freunde des Hauses diesem seltenen Genuß, denn der wunderliche Knabe war sonst nie zu bewegen, außer zum Tanz, vor einem größeren Kreise zu spielen.

Aber auch der Fürst Radziwill setzte sich an den Flügel, um seinen dankbaren Zuhörern Bruchstücke aus jener wunderbaren Schöpfung „Faust“, die damals seine Künstlerseele erfüllte, zu geben, und er erklärte dem erregten Chopin den Zusammenhang des Ganzen und den Bau des Einzelnen. Die ergreifenden Osterchöre schwebten daher und die Augen des jugendlichen Hörers schimmerten freudig bei diesen Klängen aus einer besseren Welt.

„Sie müssen später nach Frankreich und Italien gehen und dann Rast halten bei mir in Berlin,“ sagte endlich der Fürst, „dann sollen Sie das ganze Werk hören und in vollendeter Ausführung, wie ich hoffe! Geben Sie mir die Hand darauf, daß Sie kommen!“

Und eine schlanke, zarte Hand sank in eine kraftvolle Männerhand.

„Werde ich dann,“ fragte der Knabe stockend, „auch den kleinen Engel sehen?“

„Sicher! Aber er dürfte dann wohl ein großer Engel geworden sein,“ lautete die lächelnde Antwort.

„Darf ich das Bild noch einmal sehen?“

„Da ist es!“

Und der Fürst zog die Goldkapsel hervor, der Deckel sprang auf und zwei dunkle Augen vertieften sich noch einmal in das holde Kindergesicht.

„Wir lieben uns sehr,“ sagte er mit einer Stimme, die vor Rührung bebte, „diese meine einzige Kleine und ich, und können uns nicht lange missen. Gott segne sie!“




Etwa sieben Jahre später saß Fréderic Chopin in Berlin im Salon des Fürsten Anton Radziwill, nicht mehr der scheue Knabe, ein ernster, junger Mann, ein aufgehendes Künstlergestirn ersten Ranges. Diesmal flogen nicht polnische Frauen mit ihrer Grazie unter den Klängen seiner Weisen an ihm vorüber, man saß in lautlosen Gruppen umher und lauschte jenen wunderbar schwermüthigen Weisen, die Chopin Notturno’s, „Träumereien der Nacht“ nannte.

Die Aristokratie der Geburt und des Geistes und die Vertreter der Kunst waren in dem Musikzimmer des fürstlichen Hauses versammelt, dessen Honneurs die liebenswürdige Fürstin machte. Man sah den alten Zelter dort und den jungen Humboldt, Bernhard Klein und Louis Berger, Varnhagen und dazwischen eingestreut wie Blumen die reizenden Frauen.

Neben dem Flügel stand eine schlanke Mädchengestalt, das Köpfchen ein wenig geneigt, in einem einfachen, weißen Kleide, das bis zur Spitze der kleinen Füße herabfloß. Die rosigen Lippen waren halb geöffnet zu einem träumerischen Lächeln, der ganze Ausdruck des holden Gesichtes zeigte ein Gemisch von Wehmuth und Entzücken. Tief gesenkt deckten die langen Wimpern die seelenvollsten Augen, ihr Blick hing unverwandt an jenen Händen, die eben die letzten Tacte des C-moll-Notturno’s spielten. Die ganze Erscheinung erinnerte an die zarte Schönheit einer eben erblühten weißen Rose. Es war die Prinzessin Elise Radziwill. Und als Chopin geendet, begegnete er zwei Augen, die in hellen Thränen standen. Und tiefer noch als damals beim Anschauen jenes Kinderbildes empfand die Künstlerseele vor dieser Mädchengestalt: „sie ist ein Engel!“

Die Prinzessin Elise Radziwill war die erste deutsche Frau, die den Zauber dieses wunderbaren Spieles und der wunderbaren Schöpfungen Chopin’s voll empfand und sich ihm rückhaltlos überließ. „Nie hörte ich solche Melodieen und nie werde ich Herzergreifenderes hören,“ sagte sie wiederholt, und während seines Aufenthaltes in Berlin hatte Chopin keine begeistertere Verehrerin dort, als die junge Fürstin. Fast jeden Abend verlebte der Schützling Radziwill’s im Musiksaale seines hohen Gönners, und man musicirte dort bis tief in die Nacht hinein. Dort war es auch, wo Chopin den Fürsten Cello spielen hörte, mit wahrer Meisterschaft, und den größten Theil des „Faust“ und die Gretchenlieder sang die süße Stimme der Prinzessin.

Schöne helle Tage zogen an dem jungen Musiker vorüber; es gab Stunden, wo er den Schmerz des Scheidens aus der theuern Heimath, an der seine Seele so leidenschaftlich hing, vergaß. Aber sie nahmen ein Ende; Chopin zog weiter nach Frankreich.

Eine weiße Rose schenkte die Prinzessin dem neuen Freunde beim Abschied. „Auf Wiedersehen!“ lächelte sie ihm zu.

Kaum zwei Jahre später lagen Kränze von weißen Rosen auf den Särgen von Vater und Tochter. Fürst Radziwill, der Componist der Osterchöre, starb in der Osternacht des Jahres 1833 und wenige Monate später folgte ihm sein geliebtes Kleinod.




Wieder sind Jahre im schnellen Fluge dahingezogen. Chopin spielt in einem kleinen Salon. Die Fenster stehen weit offen; eine helle Nacht, die glühende Nacht des Südens liegt auf der Erde. Eine fremdartige Vegetation ist es, die dem Auge begegnet, denn der Boden, auf dem die kleine grünumrankte [634] Villa steht, die Chopin eben bewohnt, ist die Insel Majorca im mittelländischen Meere. Palmen, untere denen nun einmal Niemand ungestraft wandelt, ragen stolz in die Luft, üppige Blüthenranken schlingen sich um die Säulen der Veranda, Blumen in den brennendsten Farben duften auf den Beeten, ein Gewirr von Riesenblättern bildet ein natürliches Laubendach. Der Himmel ist von den zerflatternden Schleiern eines vorübergezogenen Gewitters bedeckt, aber große Tropfen, wie unaufhaltsame Thränen, fallen nieder. Der Musiker ist allein. Im Zimmer herrscht süße Dämmerung; eine mattleuchtende Ampel hängt von der Decke herab. Von der Wand herüber schimmert eine gelbseidene Ottomane, auf dem Marmortische steht eine Schale mit Blumen und Ranken, die weit herabhängen, Tabourets in allen Ecken, zwischen Fenster und Flügel ein Schreibtisch, bedeckt mit Büchern und Papieren, ein Flacon dazwischen, darüber hingeworfen ein Battisttuch mit Spitzen besetzt. Vor dem etwas zurückgeschobenen Sessel liegt ein Sammetkissen und darauf stehen zwei kleine türkische Pantoffeln. Frauen- oder Kinderfüße haben sie abgestreift, diese zierlichen rothen, mit Goldfäden und Perlen gestickten Gehäuse. An den Wänden hängen Ansichten von Venedig, Portraitskizzen und Zeichnungen bunt durcheinander, über dem Flügel aber ein Aquarell: der Profilkopf einer Frau mit dunkelm Haar und Augen, die das Zimmer mit seltsamem Licht zu erfüllen scheinen.

Der einsame Spieler warf dann und wann einen Blick auf jenes Bild, das, vom Lichte der Ampel getroffen, zu leben und zu athmen schien, dann wieder neigte er sich und schaute, ohne die Hände von den Tasten zu nehmen, hinaus in die verschleierte Landschaft, die der Nacht entgegenträumte, und lauschte dem langsamen Tropfenfall. Es schien ihn zu quälen, dies eintönige Geräusch, eine Wolke lag auf seiner Stirn und die feinen Lippen zuckten. Ob er es wohl übertäuben wollte mit den mächtigen Klängen des F-moll-Concertes, der schönen Gräfin Potocka gewidmet, die jetzt über die Tasten rauschten? Der letzte Satz war es, der jetzt auftrat in seiner stolzen und melancholischen Schönheit.

Wie ganz anders, wie seltsam verwandelt klang heute das Spiel Chopin’s im Vergleich zu jenem Abend im Salon des Fürsten Radziwill, als die reizende Mädchengestalt der jungen Prinzessin neben ihm am Flügel stand! Damals war es schmerzliche Träumerei, ein Gewebe von Sehnsucht und Hoffnung, Wünschen und Verlangen, jetzt war die Erfüllung da, jeder Ton sagte es klar. Jenes wunderbare „Glück ohne Ruh“ war eingezogen in das leidenschaftlichste aller Herzen.

Fréderic Chopin stand damals vielleicht noch nicht auf der Höhe seines Ruhmes, obgleich Paris ihn anbetete und die Augen des musikalischen Deutschlands sich bereits bewundernd auf ihn richteten, aber er stand auf der Höhe seines Glückes. George Sand, die genialste Frau, hatte ihn nach Majorca begleitet, um selber die Genesung des so schwer erkrankten, von den französischen Aerzten aufgegebenen Freundes zu überwachen. Und er genas auch unter diesem Himmel oder – unter diesen Augen, die Liebe vollbrachte wieder eines ihrer stillen ewigen Wunder, der Todgeweihte wurde dem Leben erhalten, der Kranke erholte sich schneller, als sein geliebter Dämon es zu hoffen gewagt. Sie durften ja Beide ein Traumleben führen, wie es schöner nicht gedacht zu werden vermag – ein märchenhaftes Dasein, fern von einer lärmenden und kalten Welt, auf einer seligen Insel, wo Liebe, Musik und Poesie ihre Schleier um die Glücklichen webten, und die ideale Natur Chopin’s glaubte trotz Allem, was er in so früher Jugend gesehen, an eine Ewigkeit dieser berauschenden Seligkeit, denn

„– das Ende würde Verzweiflung sein!
Nein – kein Ende – kein Ende!“

Und während er noch dahin fuhr auf jenem goldenen Strome

„von dem Glanze selig blind!“

schlug eine schöne unruhige Frauenhand schon das Buch für immer zu, das den Titel trug: „Zwei Glückliche auf Majorca“. Ach, sie setzte schon die Feder an, um ein neues zu beginnen: „Die Rückkehr nach Paris“. George Sand sehnte sich zurück in jene bewegte Welt, die sie vor wenig Monden um des Freundes willen verlassen, und während er noch seine süßesten Träume träumte, war sie längst erwacht und sann darüber nach, wie sie es ihm sagen wolle, das grausame Wort: „Wir müssen heimkehren – oder scheiden!“

Noch immer fielen draußen die Tropfen, noch immer war die Geliebte nicht heimgekehrt von ihrem Spaziergange, regelmäßige Streifzüge, auf denen er sie ja, seiner Schwäche wegen, nie begleiten durfte. So lange hatte sie ihn noch nicht allein gelassen! Es war so todeseinsam um ihn her und wie Todesfurcht legte es sich auf seine kranke Brust. Geisterhaft schaute das Bild auf ihn nieder. Und der Gedanke stand auf: „Wie wenn sie stürbe und ihn auf einmal verließe – wie wenn sie nie wiederkehrte?“ Seine schmerzliche Wehmuth löste sich in Thränen, die Thränen wurden zu Tönen, die Finger Chopin’s berührten die Tasten, die bleiche Stirn senkte sich tiefer und tiefer: das wunderbare Präludium in Dēs-dur entstand in jener Stunde, mit seinen niedertropfenden Ges und As.

Er hörte nicht, der Träumer, wie sich Schritte nahten, wie die Thür geöffnet wurde und sie auf der Schwelle erschien, die Heißersehnte, um die er ahnungsvoll schon jetzt weinte, wie sie leise zum Flügel schlich, das schöne, üppige Weib, eine Blüthenranke durch das Haar gewunden, im leichten weißen Kleide mit dem Goldgürtel, in dem ein kleiner Dolch blitzte, Blumen in den Händen, den breitgeränderten Strohhut am Arme, helle Tropfen in den Locken. Sie war gekommen mit dem festen Entschluß ihm zu sagen: „laß uns eilig heimkehren, ich ertrage diese Luft und diese Ruhe nicht länger.“ Und noch Vieles war es, so Vieles, was sie ihm sagen wollte! Und nun stand sie wie gebannt plötzlich diesen Klängen gegenüber, und mußte zuhören, wie er um sie weinte, und glühenden Tropfen gleich fiel ihr Ton um Ton auf’s Herz. Und als der letzte verhallt war, da ließ sie die Blumen aus ihren Händen auf die Tasten fallen, schlang die Arme um den Freund und flüsterte halb lachend, halb seufzend: „Freund, armer Freund, ich habe Dich zu lange allein gelassen und nun siehst Du Gespenster! Verzeihe mir!“

Wo war das Dunkel nun geblieben, wo die Todesfurcht und die Thränen? In rosigem Licht schwamm ja das strahlende, geistvolle Angesicht der geliebten Frau vor seinen Blicken und ihre Lippen hauchten berauschende Worte in sein Ohr.

Draußen fielen noch die Tropfen, wer achtete länger darauf? Die kleinen Frauenfüße ruhten wieder in den goldgestickten Schuhen, und die üppige Gestalt auf den Polstern der Ottomane; Fréderic Chopin aber saß neben seiner Scheherazade und bat leise: „nun erzähle Du mir eine Geschichte und geh nicht wieder von mir!“




Wer sähe sie nicht auftauchen und vorüberschweben in den verschiedenen Schöpfungen Chopin’s, jene Frauengestalten, die für sein Herz und Leben bedeutungsvoll geworden? Wie sie verführerisch lächeln und im Tanze sorglos dahinfliegen, jene reizenden Polinnen aus dem Salon der Fürstin Czartoriska und dem Schlosse Willanow! Wie Fieber zuckt und glüht es in jedem Tacte seiner Mazurken, Walzer und Polonaisen. Aus dem Adagio des Concerts schauen uns die dunkeln Augen der Gräfin Potocka an, die wunderschönen Rahmen der Notturnos umschließen das Engelsgesicht der Prinzessin Elise, und in seinen Balladen erscheint manch anderer bezaubernder Frauenkopf ohne Namen. In jenem B-moll-Scherzo aber, diesem Byron’schen Gedicht in Tönen, mit seinem wilden Jubel und verzweifelnden Weh grüßt sie herüber, jene gefährliche, hinreißende Frau, die ihn „im Dunkeln allein gelassen“ – aber länger als an jenem Abend auf Majorca, und um die er geweint in seinem Des-dur-Präludium und – bis zu seinem Tode.

E. P.