Textdaten
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Titel: Dorffeste zur Osterzeit
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 193–195
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[193]

Dorffeste zur Osterzeit.

1. ’s Fensterln im oberbaierischen Gebirge.

Scheltet nicht, ihr strengen Alten, daß die Jugend schlicht
Will an euren Sitten halten! Alte, scheltet nicht!
Hieltet ihr einst Osterfeier still und siegsbewußt:
Heut’ sind’s noch dieselben Eier, ist’s dieselbe Lust.
Klettertet wie Nachtgespenster ihr nach keckem Brauch:
Heut’ ist’s noch dasselbe Fenster und die Liebe auch.
Ist der Treue Bund gelungen euch für lebenslang,
Ei, so gönnt’s auch euren Jung’n auf demselben Gang!
Fragt nur in den eignen Herzen die Erinnerung,
Und ihr wünscht zu Ernst und Scherzen auch die Jugend jung.
Auferstehung ist’s! Frohlocken schall’ empor zum Himmelszelt,
Und beim Klang der Osterglocken freue sich die ganze Welt!

Nicht überall steht dem bekannten Unruhestifter Amor ein leicht zugängliches Terrain zu Gebote, auf welchem er mit aller Gemächlichkeit seine Intriguen in Scene zu setzen vermag. In den Städten hat er den Ballsaal, wo er die Herzen förmlich zusammencommandirt, die Gesellschaften, in denen er die jungen Leute spielend an einander kettet, die Promenaden, wo er sie als hinterlistiger Führer stets in einen Engpaß zur Begegnung hineinlockt, die auf die Straßen herabgehenden Fenster, von denen er einen eigenthümlichen Fernsprechapparat construirt, und zuletzt gar noch das Eis, auf welchem er die für einander Bestimmten sich gegenseitig förmlich in die Arme wirft. In den Dörfern treibt er sein Wesen nicht minder, allein sein Geschäft wird ihm durchweg etwas saurer gemacht. Nicht als ob er an Erfolgen ärmer wäre, aber man behandelt ihn weniger gentil, und er muß oft eigene Wege gehen, um nicht die Zielscheibe des allgemeinen Spottes zu werden. Gewöhnlich lauert er vor der Kirchenthür [194] seinen erkorenen Opfern auf und schleicht dann auf vielverschlungenen Pfaden denselben nach. Ein Herr Papa vom Lande macht eben nicht viel Umstände und regalirt einen ihm nicht passenden Verehrer vielleicht gar mit ungebrannter Asche oder setzt den vorwitzigen Eindringling höchst unsanft vor die Thür, wo sich bekanntlich der einzige hartgepflasterte Fleck beim Hause befindet.

Buben und Mädel im Altbaierischen haben sich, wahrscheinlich in Berücksichtigung der vorerwähnten Fährlichkeiten, ganz eigenthümliche Gebräuche für die Werbezeit geschaffen, welche, wenn auch keineswegs zu den lobenswerthesten, doch zu den originellsten Erscheinungen im Volksleben zählen. Was für den städtischen Verehrer der Moment ist, in dem er auf die Kniee stürzt und eine Liebeserklärung declamirt, das ist für den Burschen in Oberbaiern der Augenblick, in dem er vor dem Kammerfenster seiner Erwählten steht.

Zu dieser Station des Herzenslebens führt aber ein beschwerlicher und gefährlicher Weg. Ist in seinem eigenen Hause Alles zu Bett gegangen, dann wartet er den ersten Schlaf seiner Angehörigen ab, um sich ungesehen und ungehört davonschleichen zu können. Durch den Stall und die Scheune kommt er in’s Freie; dort sucht er aber nicht die breite Straße oder benützte Wege auf, sondern verfolgt seinen Pfad über Zäune und durch Hecken, um keinem Verräther zu begegnen, denn daß ein Bauernbursche zu der Zeit, wenn Alles ruht, noch spazieren geht, glaubt nicht einmal der dümmste. Je näher dem Ziel, desto mehr Vorsicht ist nöthig, denn die Faust und das Messer eines etwaigen Nebenbuhlers mahnen, daran zu denken; möglicher Weise ist der Haushund los – ja einen argwöhnischen Hausvater alarmirt sogar die plötzliche Unruhe des Viehes im Stalle.

Endlich hat er den Gaden überstiegen und arbeitet sich klopfenden Herzens im Obstgarten hinter dem Hause von Baum zu Baum, bis er, bei der Scheune angelangt, das berühmte Kammerfenster in Sicht bekommt. Dort also, ein paar Mannshöhen über der Erde, schläft sein Glück! Vor ihrem Fenster steht der „Veigerl“-(Nelken-)Stock, dessen dickdoldige Blüthenköpfe ihm, von der Nachtluft bewegt, ermuthigend zuzuwinken scheinen. Ein südländischer Don Juan würde nun die Guitarre oder Mandoline hervorziehen und darmzupfend seine Klagen in wehmüthigen Accorden der Nacht und dem Liebchen anvertrauen. Das würde aber unserm Jungen höchstens eine Tracht Prügel und der Angebeteten eine Serie von „Watschen“ eintragen. Der baierische Bua ist daher behutsamer, er wirft vielleicht ein kleines Steinchen an das Fensterchen, um die Geliebte herbeizulocken.

Sie bekommt bei dieser plötzlichen Unterbrechung der Nachtruhe keine Nervenzufälle, sondern weiß genau, was dieses Telegramm zu bedeuten hat. Ist sie dem nächtlichen Ruhestörer gewogen, dann zeigt sie sich am Fenster, und er hat Aussicht zur Audienz gelassen zu werden. Im ungünstigen Falle hört sie absolut nichts oder sie richtet eine energische Aufforderung nach unten, worauf sich der Getäuschte schleunigst unsichtbar zu machen pflegt. Hat der vagabondirende Amor sein Ziel getroffen, dann öffnet sich langsam das Fensterchen – er weiß schnell eine Leiter oder ein Surrogat derselben zu finden und erklimmt auf diese Weise die Stufen zur Liebsten, bis er tête-à-tête bei ihr angelangt ist. Nun geht’s an ein Plaudern, über dem wohl einige Stunden der Nacht vergehen mögen, dann nimmt man Abschied, und der fahrende Ritter sucht wieder so unbemerkt, wie er gekommen, sein eigenes Heim zu erreichen.

Derartige Zusammenkünfte werden im Allgemeinen kaum für anstößig gehalten und schaden dem Rufe des Mädchens nicht, da sie als Einleitung zur Heirath gelten. Zu gewissen Zeiten drückt man sogar ein paar Augen zu, um den jungen Leuten den „alten Brauch“ nicht zu verkümmern. So holt sich um Ostern jeder Bub, der’s zu einem Schatz gebracht hat, sein Ostergeschenk, eine Anzahl gefärbter Eier, auf die Blumen und Herzen gemalt und zierliche Reimlein geschrieben sind, welch letztere natürlich Bezug auf die intimen Verhältnisse haben und entweder zärtlichen Inhalts oder mit Spott und Neckerei gewürzt sind. Wer dieses Geschenk nicht empfängt, darf sich keiner großen Gunst rühmen, wie überhaupt das Kammerfenster ein Forum für die Vergehen des Begünstigten bilden; ist sie „harb“, dann wird wochenlang nicht aufgemacht und die Geduld des Burschen auf eine harte Probe gestellt.

„Deandl, bist stolz oda kennst mi nöt, oda sän dös deine Fenster nöt?“ singt der jugendliche Liebhaber in einem der ältesten und bekanntesten Gebirgsdramas, um seine Ungeduld und seinen Unwillen zum Ausdrucke zu bringen. Gar zu hartherzig werden aber auch die ländlichen Schönen nicht sein, deshalb ist nicht zu fürchten, daß sich ein „gedratzter“ Bua ein Leid anthun möchte. Von der Kanzel und aus der Gerichtsstube erging – offenbar mit allem Recht schon manches Verdict gegen das Fensterln, dessen moralische Schattenseiten so unverkennbar sind, daß darauf gar nicht hingewiesen zu werden braucht – allein alle Autorität wurde umsonst daran gesetzt, diesen tiefgewurzelten Gebrauch auszurotten. Wenn auch alljährlich das Fensterln oder „Gasselgehen“ seine Opfer fordert und die Rauflust dadurch nur neue Nahrung gewinnt – ein Bua, der kein Kammerfenster weiß, an dem er ein paar Stunden plaudern kann, ist ein armer Tropf. Und wenn er oben auf seiner Himmelsleiter steht und in seine zwoa Sterndle guckt, sodaß der Mond dazu lachen muß – wenn sie Beide leise und eindringlich mit einander flüstern, während der Brunnen recht laut rauscht, daß Niemand das Pärlein hören möge – wenn die duftigen Nelken ihren Blumensegen dazu sprechen und Bua wie Deandle die ganze Welt vergessen, wie vermöchten sie da noch an den Pfarrer und an den Landrichter zu denken?


2. Siebenbürgische Ostergebräuche.

Unsere Sachsen in Siebenbürgen halten mit ihrem Deutschthum in echt bäuerlich beharrlicher Weise auch die alten Sitten und Gebräuche fest aufrecht, die ihren Ursprung auf dem Boden des alten Vaterlandes nicht verleugnen können. Zu ihren Osterlustbarkeiten gehören unter Anderem das Begießen und Eierspenden, das Hahnenschießen und Hahnenschlagen und das Eierschlagen und Eierstoßen.

Der Tag vor dem Feste ist ausschließlich der Vorbereitung für dasselbe gewidmet, denn nicht nur die Vorräthe für Küche und Keller, sondern auch die sorgfältigste Reinlichkeit in den Höfen und Ställen, in allen Stuben und Kammern, kurz die Schmuckheit der gesammten Haus- und Feldwirthschaft, der höchste Stolz des Bauern, nehmen den Eifer aller Erwachsenen in Anspruch. In naturgemäßer Folge davon ist der erste Feiertag nur der Kirche und der Ruhe geweiht, die auch die jungen Leute möglichst beachten, und nur den Kindern ist ihre laute Fröhlichkeit in ihren Spielen gestattet.

Der zweite Feiertag gehört, natürlich nach dem Gottesdienste, ebenso ausschließlich der öffentlichen Lust, wie der erste der ernsten Feier. Sogar in der Kirche predigt an diesem Tage nicht der Herr Pfarrer selbst, sondern „der Schulmeister“ hält vom Epistelstuhl aus eine predigtähnliche Ansprache an die Gemeinde.

Heute ist die Straße von Alt und Jung belebt. Ehe der Fest- oder der Tanzplatz die jungen Leute vereinigt, stehen und wandeln Mädchen und Bursche in getrennten Gruppen zusammen. Aber da ist’s auch die gelegene Zeit für die erste Festsitte. Mit einer Kanne voll frischen reinen Wassers sucht der Bursche sich an sein auserkorenes Mädchen hinanzuschleichen, und ist ihm das gelungen, so gießt er ihr das Wasser über den Kopf, jedenfalls die abkühlendste Liebeserklärung von der Welt. Das Mädchen schreit natürlich hell auf und läuft davon. Aber es ist nur der Schrecken, nicht der Zorn, der sie forttreibt, denn sehr bald kommt sie, daheim abgetrocknet, wieder und bringt ihrem Begießer ein buntes Ei, ja noch häufiger ladet sie ihn in ihr Elternhaus ein, wo ihm mit einem Gläschen Likör und Backwerk aufgewartet wird.

Dieses Begießen versetzt nicht blos die gesammte Jugend des Dorfs in Aufregung, sondern ordnet für diese schon am Morgen die Tanzpaare für den Abend.

Am Nachmittag strömt Alt und Jung auf die Festwiese zum Hahnenschießen. Wir müssen gleich im voraus bemerken, daß diese Art Volksvergnügen, die aus dem Capitel der Thierquälerei durch keinerlei Beschönigung herauszuretten ist, niemals unsern Beifall gewinnen wird und daß wir der Sitte des Vogelschießens, d. h. mit einem Schießziel, dem es einerlei sein kann, ob ihm eine Kralle, ein Flügel oder der Kopf weggeschossen wird, weil es von Holz geschnitzt ist, stets den Vorzug geben müssen vor dieser Schießerei nach einem lebendigen Hahn, der, an einen Pfahl mittelst einer Leine befestigt, in der Todesangst im Kreise herumflattert, aber seinen ungeschickten Peinigern sich durch die Flucht nicht entziehen kann.

[195] Zu besagter Festlichkeit muß alljährlich vor Allem ein Schützenhauptmann gewählt, Schußtaxe (in der Regel der Schuß zu 5 bis 10 Kreuzer) festgesetzt und ein alter Hahn beigeschafft werden, denn um einen jungen wäre es – nicht vom Humanitäts-, sondern vom ökonomischen Standpunkte aus – schade. Zum Schießen nach dem in möglichster Entfernung vom Schießstande aufgestellten Hahn tritt nun Mann um Mann heran, und es gehört zu den Freuden des Tags, wenn manches Gewehr so schwach geladen oder so wenig weittragend ist, daß die Kugel weit vor dem Ziel in den Boden fährt. Wenn es nun lange genug vergeblich geknallt hat, die Rohre heiß, die Pulvervorräthe dem Ende nahe sind, commandirt der Hauptmann zum letzten Reiheschießen, und wer nun schließlich dem armen Hahn das Lebenslicht ausbläst, wird als Schützenkönig in festlichem Zug heimgeleitet und giebt den treuen Genossen einen Eimer Wein zum Besten.

An anderen Orten, oder auch wohl gleichzeitig mit dem Hahnenschießen, erlustigt man sich am Hahnenschlagen, das übrigens auch bei uns so viel verbreitet ist, daß wir einer Schilderung desselben wohl entrathen können. An manchem Ort zieht man das ähnliche Topfschlagen vor; der Unterschied besteht nur darin, daß der oder die Schlagende mit verbundenen Augen mit einem langen Stocke nach dem innerhalb eines Kreises aufgestellten Topf, anstatt nach einem angebundenen Hahn, zu schlagen hat und daß im Glücksfall, statt daß ein armes Thier zum Krüppel oder todt geschlagen wird, nur die klirrenden Scherben herumfliegen.

Junge Mädchen und Frauen ziehen das lustige Eierschlagen vor. Im großen Kreise werden mehrere bunte Ostereier in’s Gras gelegt. Die Theilnehmerinnen am Spiel verpflichten sich, mit verbundenen Augen und mittelst einer Ruthe nur eine bestimmte Anzahl von Schlägen auf die Stelle zu richten, wo sie ein Ei vermuthen. Oft läßt man sie auch so lange zuschlagen, bis sie die Geduld verlieren und die Ruthe wegwerfen. Das getroffene Ei gehört der glücklichen Siegerin. Eben deshalb nehmen die schelmischen Mädchen gewöhnlich die wirklich mit Aussicht auf Erfolg bedrohten Eier geschwind weg und lassen die blinde Gefährtin auf’s leere Gras schlagen. Das gehört zu den berechtigten Eigenthümlichkeiten dieses Spiels.

Die Kinder, besonders die Buben, üben als ihr Osterspiel das Eierstoßen aus, indem ihrer zwei ihre Eier mit der Schmalseite an einander stoßen; wessen Ei bricht, der hat es an den Andern verloren – gerade wie bei uns.

Den Schluß und für die Jugend die Krone des Festes sucht man im Tanzhause, ebenfalls wie bei uns. Nur in Einem findet dort ein ländlich-sittlicher Unterschied statt. Wenn nämlich der Herr Schulmeister sich, zum Behufe von Kirchenmusik-Aufführungen, nicht eine Chor-Adstanten- (hier Adjuvanten-) Capelle eingeschult hat, die auch zum Tanze aufspielen kann, so greift man zur einheimischen Zigeunermusik, die zum Tanze zu spielen versteht, wie keine andere Capelle. Freilich müssen die Tanzbursche mit den Zigeunern tüchtig feilschen und fest unterhandeln, wenn sie nicht schließlich von den Schlaumeiern über’s Ohr gehauen werden wollen.

Das sind Osterfreuden unserer tapferen Sachsen, die ihnen bei ihrem schweren Kampfe gegen die magyarische Deutschenfresserei der Gegenwart noch recht lange und glücklich mögen erhalten bleiben.