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Titel: Disciplin und Pflichttreue
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aus: Die Gartenlaube, Heft 3, S. 48
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[48] Disciplin und Pflichttreue. Das britische Kriegsschiff Orlando kreuzte in der Bucht von Tunis, die bei aller Pracht mittäglicher Natur ringsum als der Heerd tückischer Stürme und Windstöße berüchtigt und gefürchtet ist. Heut aber, am 3. November (vorigen Jahres), war der Morgen klar und schön, die lieblichen Küstenhügel mit den weißen Häusern zwischen dem Grün erglänzten im vollen Zauber der südlichen Sonne, die See lag spiegelglatt und tiefblau, – Alles lockte zu einem Ausflug an's Land. Auf einen solchen hatte sich das lustige Völkchen von Seekadetten, die auf dem Orlando den Dienst lernten, schon lange gefreut, und so machten sich denn ihrer eine Anzahl zu einer kleinen Lust- und Jagdpartie bereit. Der Urlaub ward vom Commandeur gern ertheilt und der erste Schiffslieutenant, ein strenger Mann des Dienstes, beauftragt, die Expedition zu leiten und die übermüthige junge Schaar in Zaum und Zügel zu halten. Unter seinen Befehlen stach das Boot um acht Uhr früh nach der Küste ab.

Ohne alles Abenteuer, glücklich und wohlbehalten kam man an’s Land, ließ sich unter einem Dattelpalmendickicht nieder, um von den mitgebrachten heimischen Leckerbissen ein fröhliches Frühstück abzuhalten, schoß dann ein paar arme Kaninchen und einige Seeraben und schickte sich halb drei Uhr Nachmittags zur Rückkehr nach dem Schiffe an.

Lustig tanzte das Boot über die sanften Wellen, lustig sangen die jungen Kehlen ein englisches Lieblingslied nach dem andern in die Bai hinaus, selbst der grimme Lieutenant thaute auf und theilte die Fröhlichkeit seiner Schutzbefohlenen, so gut ihm dies möglich wurde. Da erhob sich mit einem Male ein dumpfes Brausen in der Luft und jählings, ehe man sich noch besinnen konnte, was das hohle Getös bedeutete, kam er heran, der tollste Wirbelwind, den man sich denken kann, und im Nu war das Fahrzeug umgeworfen und seine Mannschaft über Bord gespült.

Merkwürdiger Weise konnten nur vier ihrer Mitglieder schwimmen, der Bootsmann, ein alter Matrose, ein Schiffsjunge und der jüngste von den Seecadetten, ein kleines Bürschchen von noch nicht siebzehn Jahren, Namens Kemble; allein es gelang doch Allen, sich fest an dem Rumpf ihres Bootes anzuhalten und so vor dem momentanen Untergange zu wahren. Minute um Minute verrann, der Sturm wuchs und wuchs, die Sturzwellen peitschten die Armen mit immer steigender Gewalt, das Schiffchen trieb immer weiter hinaus in die See, die Hände der Burschen wurden immer matter und konnten nur mit Aufgebot aller Kraft sich noch festklammern an den Wänden des Fahrzeugs. Der Bootsmann machte allerhand Rettungsvorschläge, deutete Dies und Jenes an, was man thun, was man wagen müßte, – umsonst, Niemand hörte auf ihn.

„So wollen wir wenigstens versuchen, das Boot in der gehörigen Direction zu erhalten,“ sagte der wettergebräunte Seemann. Man versuchte es, man stemmte sich mit höchster Anstrengung gegen das Boot, vergeblich; die Wogen rissen es bald hierhin, bald dorthin und überflutheten die mit dem Tode Ringenden immer von Neuem, so daß Niemand mehr wußte, wohin man Richtung halten sollte.

„Binden wir die Ruder zusammen,“ mahnte der Bootsmann weiter, „und wer schwimmen kann von uns, bugsire mit ihrer Hülfe die Anderen an's Land!“ Auch dazu konnte man sich nicht entschließen, auch dazu gab der Lieutenant keinen Befehl.

„So gehe ich allein,“ stieß der Bootsmann ärgerlich heraus und schwamm ab.

Der Lieutenant rief ihn zurück und befahl ihm, seinen Posten beim Boote nicht zu verlassen. „Wozu? Mein Bleiben kann Niemandem helfen. Herr Lieutenant, weiß Gott, es fällt mir schwer, meinem Vorgesetzten ungehorsam zu sein, zum ersten Male in meinem Leben, allein ich hoffe, die Umstände werden meine Insubordination entschuldigen.“

Dann wandte er sich an den kleinen Seecadetten, den kaum den Kinderjahren entwachsenen Kemble.

„Wollen Sie nicht mitkommen, Herr Kemble? Sie können ja schwimmen und sich retten. Und wenn’s alle wird mit Ihrer Kraft, dann bin ich noch da und werde Sie schon vollends auf’s Trockene bringen, kommen Sie, ’s ist keine Zeit zu verlieren.“

„Wir haben die Ordre, hier beim Boote zu bleiben,“ antwortete ernst der Jüngling, der, wie wir wissen, ein trefflicher Schwimmer war, „und jeder brave englische Seemann kommt unverbrüchlich den Befehlen seiner Oberen nach. Wir namentlich, die wir Officiere werden wollen, müssen mit gutem Beispiele vorangehen.“

„Wie sie wollen, Herr,“ erwiderte der Bootsmann kurz. „Nun, so folgt mir, Ihr Anderen, die Ihr schwimmen könnt; eilt, jetzt ist noch Rettung möglich."

Aber Keiner folgte, Alle blieben treu dem gegebenen Befehle, Alle, und doch war es für die Meisten die erste größere Seefahrt, die sie machten! War das nicht eine tapfere That, nicht auch ein Heldenthum, auszuharren im Angesicht des gewissen Unterganges, nur um die Pflicht, den Eid nicht zu verletzen? Und verdient nicht vor Allen der kleine Seecadett unsere Bewunderung, er, der noch nicht sechszehn Jahre alt, der noch ein Kind war und unverzagt den Andern mit seinem Beispiele voranging?

Der Bootsmann überließ sich dem Wasser. Es glückte ihm, die Küste zu erreichen, die Nacht aber, die er in den Wogen umhertrieb, muß furchtbar gewesen sein. Mit zerfetzten Kleidern, mit blutendem Gesicht und zerschundenen Händen ward er am andern Morgen, dem Wahnsinn nahe, am Ufer aufgefunden und nach dem Schiffe gebracht, wo er nach und nach die Kunde gab von der bejammernswerthen Katastrophe.

„So lange England noch pflichttreue Seemannen hat, wie es unsere Cameraden waren, so lange es noch Kembles giebt unter der britischen Jugend - so lange wird das Vaterland seine Nelsons haben, wenn der Augenblick kommt, wo es ihrer bedarf,“ schloß der Befehlshaber des Orlando den Trauergottesdienst, mit dem er auf dem Deck das Andenken der in den Wellen Begrabenen feierte, nachdem die üblichen Kanonensalven dröhnend über die wieder besänftigten Wogen gerollt waren zum Zeugniß des Unglücks und der Pflichttreue.