Die wissenschaftliche Erforschung des Bodensees

Textdaten
<<< >>>
Autor: Kurt Lampert
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Die wissenschaftliche Erforschung des Bodensees
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 22, S. 702–706
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1899
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[702]

Die wissenschaftliche Erforschung des Bodensees.

Von Professor Dr. Kurt Lampert.

Eine wundervolle Frühlingssonne leuchtete über dem Bodensee; glitzernd lag die weite Wasserfläche da, hier und da gefurcht von den großen Salondampfern, deren Rauchfahne in aufgelösten Fetzen über den See hinflatterte; zahlreiche Fischerboote belebten die Fläche, die Netze einziehend, in deren Maschen das Silberkleid des köstlichen Felchen glänzte, hier und da blinkte das weiße Segel eines hübschen Segelbootes. Das eigenartigste Thun aber entfaltete ein kleines etwa 10 Meter langes Boot. Kaum war es unter kräftigen Ruderschlägen ein paar hundert Meter gefahren, so lag es wieder mehrere Minuten still. Rasch sich folgende Flaggensignale wurden von dem etliche hundert Meter entfernten Ufer prompt erwidert; auf dem Schiff machte sich eine eifrige Thätigkeit bemerkbar, dann wurde wieder weitergefahren, aber in Kürze begann das Spiel von neuem.

Näherten wir uns dem Schiff, so sahen wir mit Erstaunen seinen 8 m hohen Mast in Meter und Decimeter eingeteilt, und an Bord fiel eine große mit mancherlei Rädern und Kurbeln versehene Maschine auf, deren Hauptbestandteil eine große Trommel bildete, auf welche Stahldraht aufgewickelt war. Der Name des merkwürdigen Schiffes lautete „Sondeur“. Es war das Vermessungsschiff der „Vollzugskommission für die Herstellung einer Bodenseekarte“.

In seiner Nähe kreuzten einige Boote. Die Insassen des einen sahen dem wechselnden Spiel der Sondiermaschine zu, wie am dünnen Draht die 6 kg schwere Kugel in die Tiefe sank, bis das Aufstoßen auf Grund durch sinnreiche Einrichtungen an der Sondiermaschine den automatisch wirkenden Zählapparat bremste; in einem andern Boot wurde ein Netz hereingezogen und zwei Köpfe beugten sich erwartungsvoll über den Bordrand: wieder in einem anderen erzählte der geschichtskundige Graf Eberhard Zeppelin, dessen Schloß am Ufer des Schwäbischen Meeres steht, dem Gast von der Vorgeschichte und Geschichte des Bodensees, von den Pfahlbaufunden und den Heidelöchern bei Sipplingen, von dem kupfernen Kessel in Bodman, in dem der Ahnherr des heute blühenden Geschlechts als einjähriges Kind gerettet wurde, als der Blitz 1307 das Stammschloß zerstörte und alle Glieder der Familie umkamen, oder von den Glanztagen der schönen Mainau, als Kaiser Wilhelm I so gern hier weilte.

Führte in jener Zeit der Zufall einen Besucher des Bodensees nach dem genannten Bodman, jenem idyllischen Ort am äußersten Ende des Ueberlingersees, so begegnete er auch hier der Thätigkeit der Bodenseekommission. Im Badehaus war ein Apparat aufgestellt mit Zählwerk und automatischer Schreibvorrichtung; mit südlicher Lebhaftigkeit bemühte sich ein Herr, ihn in Gang zu bringen, und bald waren in schönen Kurven auf endlosem Papier vom See selbst geschrieben die geheimnisvollen Atemzüge verzeichnet, welche das mächtige Wasserbecken in regelmäßigen Zwischenräumen sich leise heben und senken lassen.

Neun Jahre sind jetzt vergangen seit jenen sonnigen Maitagen und der Abschluß der großen langjährigen Forschungsarbeit, von der wir einige Momente zu skizzieren versuchten, steht bevor. Wenn auch noch nicht alle Resultate publiziert sind, so gilt dies doch von der Mehrzahl, und wir können es versuchen, einen Ueberblick über das ganze Unternehmen und seine Resultate zu geben.

Die von den fünf Uferstaaten des Bodensees durchgeführte wissenschaftliche Untersuchung des größten deutschen Sees bedeutet einen Merkstein in der Geschichte der wissenschaftlichen Seeforschung. Seenkunde, Limnologie nennt sich dieser jüngste Sproß an dem sich stetig mehr verzweigenden Baum der biologischen Wissenschaften.

Als ihren Vater dürfen wir Professor Forel in Morges am Genfer See nennen; er hat die Wege gezeigt, in denen die Seenkunde zu wandeln hat, und in der Erforschung des Genfer Sees ein Muster gegeben. Zum erstenmal aber fand die Seenforschung staatliche Anerkennung, wenn wir so sagen dürfen, in der Vereinigung der Bodenseestaaten zur Erforschung dieses Seebeckens.

Die erste Veranlassung dazu war praktischer Art; auf Einladung Württembergs wurde eine Kommission eingesetzt, um Beratung zu pflegen über „Umfang und Methode von Bodenseetiefenmessungen und -Untersuchungen, sowie Herstellung einer Bodenseekarte.“ Bald aber erweiterte sich das Programm, und neben der „Kartenkommission“ entstand eine „wissenschaftliche Kommission“, welcher die Lösung der rein wissenschaftlichen Aufgaben zufiel. Nicht nur die für Herstellung einer Karte nötigen Vermessungen und Lotungen sollten vorgenommen werden, sondern auch die Physik des Bodensees, seine Wärme- und Lichtverhältnisse studiert werden, seine Pflanzen- und Tierwelt eingehende Untersuchung finden. Aus der ursprünglichen Kommission entwickelte sich durch Neuwahlen und Beiwahlen ein stattlicher Stab von Gelehrten; die ganze Leitung lag in der Hand des württembergischen Bevollmächtigten, als welcher zunächst der Vorstand des Statistischen Landesamts aufgestellt war, dem sodann Graf Eberhard von Zeppelin folgte, jüngst durch Verleihung des Doktortitels von der Universität Tübingen ausgezeichnet, ein Bruder des Grafen Ferdinand Zeppelin, der seine Theorie von der Lenkbarkeit der Luftschiffe nach der Erbauung eines Luftschiffes auf einem Floß im Bodensee in die Praxis umzusetzen im Begriff ist. Dem Ersteren verdankt die Wissenschaft auch die Redaktion der „Bodenseeforschungen“, in denen die Resultate dieses großen Unternehmens festgelegt sind; sie sind in den Schriften des „Vereins für Geschichte des Bodensees und seine Umgebung“ publiziert und auch als Sonderabdruck erschienen. Die Geschichte des Bodensees, seine topographischen und hydrographischen Verhältnisse sind vom Grafen E. Zeppelin selbst eingehend geschildert, die Temperatur-, Farben- und Lichtverhältnisse haben in Forel ihren Bearbeiter gefunden, dessen Aufsätze von Graf E. Zeppelin übersetzt sind, die Pflanzenwelt des Bodensees hat in lichtvoller Weise Kirchner geschildert, von Hofer stammt die Bearbeitung der Tierwelt, und in kleinen Mitteilungen hat noch der eine oder andere der Mitarbeiter im Gesamtwerk das Wort ergriffen. Zu diesem stattlichen Band der wissenschaftlichen Ergebnisse kommt noch als Hauptresultat die neue, aufs genaueste ausgearbeitete Bodenseekarte.

Es ist nicht leicht, aus der Fülle des Stoffes das Wichtigste herauszugreifen und ein gedrängtes Gesamtbild der in jahrelanger Arbeit gewonnenen Resultate zu geben. – Werfen wir zuerst einen Blick auf die geographische Lage des gewaltigen Beckens am Fuße der Alpen; im Norden schließt sich die charakteristische Moränelandschaft mit ihren schönen buchenbestandenen ovalen Hügelkuppen, ihren Rieden, Mooren, Weihern und kleinen Seen an; am Ostende des Sees erheben sich die Nagelfluhwände des Pfänders bei Bregenz; südöstlich öffnet sich in einer Breite von 8 bis 10 Kilometer die weite Ebene des oberen Rheinthales, im Süden schiebt sich zwischen dem Seeufer und dem Thurthal ein aus der Tertiärzeit stammender Rücken ein, der zum Teil sanftere Abdachungen, wie zwischen Romanshorn und Konstanz, zeigt, am Untersee aber in steilen Hängen unmittelbar aus den grün-blauen Fluten aufsteigt. Im Westen schließen die vulkanischen Höhen des Hegaus, der durch Scheffel unsterblich gewordene Hohentwiel mit seinen Genossen das nähere Landschaftsbild ab. In weiter Ferne aber grüßen von Süden und Osten die Alpen herein, Säntis und Scesaplana, die Höhen Vorarlbergs und die Allgäuer Alpen.

Es ist ein ungemein abwechslungsreiches Landschaftsbild, welches der Bodensee bietet, und früh schon mögen seine Ufer zur Besiedelung gelockt haben. Die Pfahlbaufunde, die bei Konstanz, bei Ueberlingen und an anderen Punkten des Bodensees gemacht wurden, lassen auch seine Geschichte im Dunkel der Prähistorie verschwinden.

Seine erste Erwähnung verdankt er den Römern; um das Jahr 40 n. Chr. spricht Pomponius Mela von zwei durch den Rhein unweit seines Ursprungs gebildeten Seen, dem lacus Venetus und lacus Acronius, womit jedenfalls die beiden Teile des Bodensees gemeint sind. In höherem Grade bürgerte sich nach Plinius’ Vorgang der Name lacus Brigantinus ein, gewählt nach der römischen Niederlassung Brigantium (Bregenz). Mit dem Sturz der Römerherrschaft wurde Brigantium in Schatten gestellt durch Konstanz, die Bischofsstadt, und durch die fränkische [703] Königspfalz Bodoma, das heutige Bodman. Beide standen nun Pate bei der Benennung des Sees. Die romanischen Sprachen führten den Namen lac de Constance, lago di Constanza ein, die deutschen Völker sprachen vom Bodmên-See, Bodemsee, woraus endlich Bodensee wurde. Gegenwärtig vollzieht sich wieder eine kleine Umtaufung, indem man besonders in wissenschaftlichen Publikationen sich angewöhnt, vom Bodan zu sprechen, wie man schon länger für den Genfer See, den lac de Leman, die Bezeichnung Leman gebraucht. Daß die einzelnen Teile des großen Seebeckens noch besondere Bezeichnungen haben, ist selbstverständlich; die wichtigste Unterscheidung ist die Trennung des Sees in Ober- und Untersee, welch letztere Bezeichnung bekanntlich dem südwestlichen Ausläufer des Sees zukommt, den der Rhein von Konstanz aus durchströmt und in dem die Insel Reichenau liegt. Sehr häufig wird der Untersee gar nicht mehr zum Bodensee gerechnet und unter Bodensee nur der sogenannte Obersee verstanden, der in seinem westlichsten Ende in den sogenannten Ueberlingersee, an dessen Ende Bodman liegt, ausläuft.

Es ist eine gewaltige Wassermasse, welche dieses Becken erfüllt; bei Mittelwasser mißt die Oberfläche des gesamten Sees nach den neuesten Berechnungen 538,46 Quadratkilometer, wovon auf den Obersee 475,48 entfallen. Wie bedeutend aber da die normalen jährlichen Schwankungen sind, besonders Hochwasser diese Zahlen ändern können, beweist z. B. das Hochwasser vom 17. Juni 1876, welches weitere 38,86 Quadratkilometer unter Wasser setzte. Sehr schwankend sind auch natürlich die Wassermengen, die dem See durch seine Zuflüsse, besonders den Rhein, zugeführt werden. Bei niederem Wasserstande ergießt der Rhein in den See nur 50 Kubikmeter Wasser in der Sekunde; wie anders aber, wenn der Föhn über die Alpen braust, den letzten Winterschnee mitsamt dem spätgefallenen Neuschnee schmelzt und zugleich endlose Regengüsse bringt: dann kann die sekundliche Wassermasse des Rheins bis 2100 Kubikmeter steigen, ja sie ist sogar auf 3000 berechnet worden. Diese bedeutenden Differenzen äußern sich im Niveauunterschied des Sees in beträchtlicher Weise. Nach einer 60jährigen Beobachtungsweite betrug die durchschnittliche Jahresschwankung 2,12 m. Bei Mittelstand beträgt die Meereshöhe 395 m über Berliner Normalnull.

Abweichend von diesen durch die verschiedene Menge der Zuflüsse bedingten Schwankungen sind die eigenartigen periodischen Niveauveränderungen des Bodensees, deren Spiel wir schon eingangs in Bodman gelauscht haben. Die Anwohner des Genfer Sees kennen die Erscheinung seit Jahrhunderten unter dem Namen „seiches“ und verstehen hierunter gewisse eigentümliche Aenderungen im Stande des Seespiegels. Sie sehen, wie das Seewasser ohne erkennbare Ursache am Ufer um mehrere Centimeter, ja um mehrere Decimeter in langsamer Bewegung, die vielleicht fünf Minuten, eine viertel oder eine halbe Stunde währt, sich hebt und sodann mit derselben Langsamkeit unter seinen ursprünglichen Stand zurückfällt, um in gleicher Weise neuerdings zu steigen und wieder zu fallen. Auch am Bodan lassen sich dergleichen Erscheinungen nachweisen, ja nach Forel würde jeder See, jeder Weiher dieses Ebbe und Flut vergleichbare Spiel zeigen; allein im Bodensee vermögen nur empfindliche Apparate uns das geheimnisvolle Leben der Wassermasse zu verraten, da die Niveauveränderungen nur ganz unbedeutende sind. So erklärt es sich auch, daß den Fischern des Bodensees, denen ihr Element so vertraut ist, die für alle Erscheinungen ihre eignen Bezeichnungen haben, dieses Phänomen entgangen ist und ein den „seiches“ entsprechender charakteristischer und volksgebräuchlicher Ausdruck für diese „Seeschwankungen“ fehlt.

Die Ursache dieser Schwankungen liegt nach Forel wahrscheinlich in einem dem Seespiegel gegebenen äußeren Anstoß hauptsächlich durch rasche Störung des atmosphärischen Drucks, so daß der ganze Wasserspiegel längere Zeit horizontal schwingt, bis er wieder seine Gleichgewichtslage erlangt. Doch bedarf die ganze Erscheinung noch sehr einer weiteren Erklärung.

Nicht zu verwechseln mit diesen „seiches“ sind andere Erscheinungen der Wasserfläche des Bodan, wofür die Anwohner ihre eigenen Bezeichnungen haben. So sprechen sie von „Rus“, oder „Ruuß“, wenn ein leichter Wind, eine Brise den ruhigen Seespiegel eben nur kräuselt, ohne daß die eigentliche schwingende Wellenbewegung eintritt; „Grund-Gewell“ ist, wie wir Graf Zeppelins treffender Definition entnehmen, die Fortpflanzung eines auf einem bestimmten Teile des Sees durch das Einfallen eines Sturmes erzeugten Gewells auf andere entferntere Seegebiete, an welchen die Ursache des Gewells, der Sturm, sich nicht oder höchstens in ganz untergeordnetem Maße geltend gemacht hatte. Oft auch bemerken wir an der Oberfläche des Sees Strömungen, die, ohne irgendwie durch Wind getrieben zu sein, flußähnlich mit ziemlicher Geschwindigkeit dahinziehen. Es ist das „Rinnen“ des Sees. Von all diesen oberflächlichen Bewegungen des Sees unterscheiden sich die „seiches“ durch das Rhythmische des Vorganges und durch dessen Ausdehnung auf die gesamte Wassermasse des Sees bis auf den tiefsten Grund. –

Wie tief ist das Schwäbische Meer? Fast ausnahmslos werden die Tiefen der Seen bedeutend überschätzt; wie gern und häufig spricht man besonders bei Gebirgsseen von unergründlicher Tiefe, und es ist fast wie eine Enttäuschung zu hören, daß das Senkblei vielleicht nur 50 m abläuft, bis es auf den Grund stößt; auch die Tiefe des Bodensees ist immerhin bescheiden. Auf der Kreuzung der Linien Utwyl-Immenstaad und Keßwyl-Fischbach liegt die tiefste Stelle des Obersees mit 252 m, während die größte Tiefe des Untersees gar nur 46,4 m beträgt. Die Spitze des Pfänders ist, wie Graf Zeppelin als anschauliches Beispiel erwähnt, nahezu dreimal so hoch über dem Spiegel des Sees, als dessen tiefste Stelle unter ihm.

Die Gestaltung des Seebodens mit eigenen Augen zu sehen, ist uns verwehrt; wir können uns trotzdem ein Bild von ihm machen; die Sonde, das Lot, muß uns zu Hilfe kommen. Aus Tausenden von Lotungen entwirft der Hydrograph ein Bild von den Unebenheiten des Bodens, den Untiefen, wo der Seeboden beinahe an die Oberfläche des Wassers reicht, oder den großen Einsenkungen, über welchen eine viele Meter hohe Wassersäule steht.

Am Bodensee ist eine Reihe von Lokalbezeichnungen für die einzelnen Teile des Seebodens gebräuchlich, die nun auch in die wissenschaftliche Fachlitteratur übergegangen sind. Im allgemeinen kann man bei jedem See zwei Hauptteile unterscheiden, die Uferzone und den Kessel des Sees. Die Uferzone kann wieder verschiedenartig eingeteilt werden. Ihr oberster Streifen ist der „Strand“; von ihm aus zieht sich etwa bis 2 m unter dem Wasserspiegel in Form einer leicht geneigten schiefen Ebene der mit gröberem oder feinerem Geröll bedeckte „Hang“ hin, der entweder ständig von Wasser bedeckt ist („untergetauchter Hang“) oder nur bei Hochwasser unter Wasser steht („überschwemmbarer Hang“) oder als „auftauchender Hang“ nur von den größten Sturmwellen erreicht wird.

Der Hang ist der Tummelplatz der Wellen; leise, träumerisch plätschern sie zu unseren Füßen, wenn kaum ein Hauch den blanken Spiegel rührt; brausend stürmen sie mit weißer Sturmhaube einher, wenn der Föhn die Fluten aufwühlt, und schlagen donnernd auf den Hang. Dieser ist fortwährendem Wechsel unterworfen. In rückläufiger Bewegung nehmen die Wellen Material mit in den See, um es bald wieder abzulagern. So bildet sich an den Hang anschließend eine nahezu horizontale Ebene, die der Sprachgebrauch des Bodensees die „Wyße“ heißt und die von wechselnder Breite ist. Immer mehr nähern wir uns dem Seekessel. Sein Beginn ist an das Ende der Wyße zu setzen; mehr oder weniger steil fällt hier der Rand des eigentlichen Seebeckens ab; der oberste Teil dieser Böschung wird noch überlagert von der Wyße, deren Abfall treffend als „Halde“ bezeichnet wird.

Auch für die Sohle des Seekessels hat der Volksmund einen Ausdruck geschaffen, der ebenfalls in die wissenschaftliche Sprache aufgenommen wurde, nämlich der „Schweb“. Daß die Bodenfläche des großen Kessels keine einfache Ebene ist, sondern ihre Erhöhungen und Vertiefungen hat, haben wir schon angedeutet.

In der Gestaltung der Sohle des Bodensees ist die auffallendste Erscheinung die von Ingenieur Hörnlimann bei den Sondierungsarbeiten gemachte Entdeckung, daß der Rhein auch in der Tiefe des Sees noch längere Zeit sein Bett beibehält; in ähnlichen Windungen wie ein oberirdischer Flußlauf läßt es sich in Form einer 400 bis 600 m breiten Rinne nicht weniger als 11,75 km lang verfolgen; die Sohle des Rinnsals ist bis 75 m tief zwischen die sie begleitenden Seitendämme eingeschnitten.

Eine Erklärung dieser merkwürdigen Erscheinung findet Forel darin, daß die während des größten Teils des Jahres kälteren [704] und sowohl deshalb, als auch wegen Belastung mit Sinkstoffen schwereren Gewässer des Rheins unter die wärmeren und leichteren des Sees untertauchen müssen. Thatsächlich sieht man an der Rheinmündung die trüben Wasser des Stromes unter Wirbelbildung unter die ruhenden Fluten des Sees tauchen, ein Phänomen, welches schon Ammianus Marcellinus im 4. Jahrhundert n. Chr. auffiel und heute beim Volk als „Brech“ bekannt ist.

Leider sind noch keine näheren Berechnungen über die Geschiebe und Schlammmassen vorhanden, welche dem See jährlich durch seine sämtlichen Zuflüsse zugeführt werden. Nach Angabe von Graf Zeppelin mögen dieselben aber immerhin 4 Millionen Kubikmeter betragen. Trotz dieser gewaltigen Masse dürfen immerhin noch etliche tausend Jahre vergehen, ehe die Trümmer, welche die Flüsse von den Bergen herabwälzen, die Tiefe des Seebeckens ausgefüllt haben und unser größter deutscher See einer geologischen Vergangenheit angehört. –

Früher begnügte sich die Erforschung der Seen im großen und ganzen mit der Feststellung der Lage, der Tiefe und des Wechsels des Wasserstandes. Die heutige Limnologie stellt andere Aufgaben und sucht eine Reihe weiterer physikalischer Fragen zu beantworten. Wärme und Licht, welche Rolle spielen sie im See? Wir wissen, daß sowohl die Wärme- wie die Lichtstrahlen nur wenig tief in das Wasser eindringen.

Es ergiebt sich also hieraus, wenn wir zunächst von der Wärme sprechen, daß wir eine Oberflächentemperatur und eine Tiefentemperatur zu unterscheiden haben. Die Messungen haben gezeigt, daß die Temperaturschwankungen, wie sie sich im Laufe des Jahres ergeben, normal nur bis 100 m abwärts eindringen; von da an zeigt der See ständig die Temperatur von etwa 4° C, bei welcher das Wasser die größte Dichtigkeit besitzt. In erheblichem Maß dringt aber die Erwärmung nur bis zur Tiefe von 20 m vor, indem die Temperaturabnahme von der erwärmten Oberfläche nach unten zu bis dorthin sehr langsam ererfolgt, so daß bis zu dieser Tiefe die Erwärmung sich sehr fühlbar macht, von da aber sehr rasch, eine allgemeine Erscheinung, welche man mit dem Namen „Sprungschicht“ belegt hat. Im Winter, zu welcher Zeit die Oberflächentemperatur sich stark abkühlt, haben wir demgemäß von oben nach unten die umgekehrte Temperaturfolge wie im Sommer. Die Zeit, während welcher das Wasser in den oberen Schichten unter 4° C besitzt, umfaßt 85 Tage, während die Zahl der wärmeren Tage, an welchen die Temperatur über 4° C steigt, 280 beträgt. Der Bodensee gehört demgemäß zum Typus der „gemäßigten warmen Seen“. Als Mitteltemperatur des Bodenseewassers an der Oberfläche im Verlauf eines Jahres wurden 10,11° C gefunden. Verglichen mit dem Jahresmittel der Lufttemperatur, welches nach 30jährigen Beobachtungen an verschiedenen Bodenseeorten auf 8,4° C zu berechnen ist, ist der See im Durchschnitt 1,71° C wärmer als die umgebende Lufttemperatur; im Winter ist natürlich die Differenz viel größer und betrug z. B. im Winter 1889/90 5,03° C; in der Mitte des Sees ist der Wärmeüberschuß stärker als am Ufer.

Es ist natürlich, daß hierdurch der See im Winter sich als gewaltiges Wärmereservoir geltend macht: die Masse der im Winter 1889/90 an die Luft abgegebenen Wärme berechnet Forel auf die ungeheure Summe von 180000000 Millionen oder 180 Billionen Wärmeeinheiten. Es würde dies einer Wärme entsprechen, die wir durch Verbrennen von 23000 Millionen Kilogramm = 23 Millionen Tonnen Kohlen erzeugen können.

Diesen großen Wärmemassen, die der See im Winter abgiebt, verdankt die Umgebung des Sees ihr angenehmes Klima, dessen Genuß nur öfters durch die starken Nebel gestört wird, die freilich auch wieder im See ihren Entstehungsort haben.

Wie die Wärmestrahlen, so dringen, wie schon gesagt, auch die Lichtstrahlen nur bis zu einer gewissen Tiefe in das Wasser ein, die aber von verschiedenen Faktoren abhängig ist und deswegen dem Wechsel unterliegt. Bei jeder Kahnfahrt machen wir ohne nähere Untersuchungen die Beobachtung, daß heute unser Auge den Fisch zu erspähen vermag, der mehrere Meter unter unserem Boot hinschwimmt, während wir morgen kaum einige Fuß tief zu blicken vermögen.

Stellen wir exaktere Forschungen über das Eindringen der Lichtstrahlen an, so bedienen wir uns verschiedener Methoden. Die einfachste, schon von alten Seefahrern seit alters angewandte, durch P. Scechi auch in die wissenschaftliche Forschung eingeführte Methode ist das Versenken einer weißen Scheibe, bis sie dem Auge entschwindet. Da die Lichtstrahlen, die das Bild der Scheibe im Wasser unserem Auge übermitteln, sowohl den Weg vom Auge bis zur Scheibe, wie wieder zurück zum Auge zurücklegen müssen, so ist das Doppelte der Sichtbarkeitsgrenze die Grenze, bis zu welcher die Lichtstrahlen in das Wasser eindringen, denn wie von der Scheibe zurück zum Auge, so machen sie auch noch den gleichen Weg von der Scheibe hinab in tiefere Wasserschichten. Als äußerste Sichtbarkeitsgrenze wurden im April 1890 bei Konstanz 111/2 m gemessen, so daß hier die für unsere Augen sichtbaren Strahlen bis 23 m eindrangen. Meist jedoch ist das Wasser lange nicht so klar und durchsichtig, und es hatten auch die verschiedenen Orte des Sees, Bregenz, Lindau, Friedrichshafen, Romanshorn, Konstanz, sehr verschiedene Beobachtungsresultate aufzuweisen. Im Jahresmittel ergab sich eine Sichtbarkeitsgrenze von 5,36 m, so daß das Erlöschen der Lichtstrahlen schon bei 10,72 m liegt.

Woher kommen die beobachteten Differenzen? Wir wissen aus hundertfacher Erfahrung, daß ein Wasser, welches verunreinigt ist, dadurch getrübt wird und weniger durchsichtig erscheint. Damit ist zugleich die Erklärung für die verschiedenartige Durchsichtigkeit des Wassers im Bodensee gegeben; stets schwebt in dem Wasser feines, stäubchenförmiges Schlammmaterial und stets lebt in ihm eine reiche schwimmende Tier- und Pflanzenwelt, die an mikroskopischer Kleinheit mit den Schlammteilchen wetteifert. Je dichter diese unorganischen und organischen Massen sich häufen, desto undurchsichtiger wird das Wasser. So muß die Sichtbarkeitsgrenze herabsinken im Frühling und Sommer, wenn die Erwärmung des Wassers eine lebhafte Vermehrung der schwimmenden Lebewesen mit sich bringt, während die Armut an Organismen im Winter das Wasser zu dieser Jahreszeit klar erscheinen läßt, und ebenso wird die Klarheit des Wassers zunehmen, je weiter man sich von der Mündung des Rheines entfernt, der stets unorganische Massen in Menge mit sich führt. Die zahlreichen Beobachtungen haben dies völlig bestätigt.

Für unser Sehvermögen erlischt das Tageslicht also schon in ziemlich geringer Tiefe des Wassers.

Herrscht nun thatsächlich undurchdringliche Finsternis von der durch unsere Versuche mit der weißen Scheibe ermittelten Tiefe ab? Die Antwort lautet: Nein! Es sind nur die optisch wirksamen Strahlen, die, soweit das unser Auge zu beurteilen vermag, in geringe Tiefen eindringen; das Licht aber ist zusammengesetzt aus einer Fülle von verschiedenen Strahlen; die Erkenntnis, daß die violetten Strahlen des Spektrums die chemisch wirksamen sind, hat zu dem genialen Gedanken Veranlassung gegeben, auch die Photographie in den Dienst der Limnologie zu stellen. Durch Versenkung von Platten mit einer lichtempfindlichen Substanz – im Bodensee wurde Chlorsilber angewendet – konnte ermittelt werden, bis zu welcher Grenze die chemisch wirksamen Strahlen eindrangen. Sie liegt tiefer als die Grenze des Eindringens der optisch wirksamen Strahlen. Die Umständlichkeit der Untersuchungen ließ nur wenige Versuche in dieser Richtung zu, allein dieselben ergaben, daß man die Grenze der Lichteinwirkung auf Chlorsilber auf ungefähr 30 m setzen darf. –

Eine besondere Aufmerksamkeit widmete die wissenschaftliche Kommission der Erforschung der Lebewelt des Bodensees. Auch dieser Zweig der Limnologie ist jüngeren Datums. Erst verhältnismäßig spät wandten sich Zoologie und Botanik dem planmäßigen Studium unserer Süßwassertiere und -Pflanzen zu, um fast mit Erstaunen zu bemerken, welch’ großes weites Feld hier noch brach lag.

Welche Fülle von Lebewesen pflanzlicher und tierischer Natur birgt nicht schon ein kleines oder mittelgroßes Wasserbecken! In breitem Kranz umsäumt das Ufer hohes Schilf mit seinen charakteristischen braunen Kolben. Hornkraut und Tausendblatt bilden unterseeische Wiesen und senden ihre Zweige bis zur Oberfläche, auf welcher sie in langen Ranken treiben. Laichkraut treibt seine blaßroten Blütenrispen zur Oberfläche empor, und wie weiße Flecken glänzen Hunderte der kleinen weißen Blüten des Hahnenfußes: etwas tiefer im See wachsen die Armleuchtergewächse, Algen, deren vielfach aneinandergereihte Zellen in wirbelförmigen Bildungen von Scheinzweigen uns höhere Pflanzen vortäuschen und deren gelblichrote Fruktifikationskörper bei durchsichtigem Wasser aus der Tiefe heraufleuchten. Stellenweise schwimmen auf dem See [705] filzige Massen von schmutziggrüner Farbe, ein unauflösbares Gewirr von Algenfäden, in stilleren Buchten aber glänzt inmitten die Königin aller Wasserpflanzen, die weiße Seerose, die jedem deutschen See ebenso zur Zierde gereicht wie ihre stolze Schwester, die Victoria regia den tropischen Sümpfen.

Wer im Kahn über die ruhende Flut hingleitet, dem kommt kaum zum Bewußtsein, welche Fülle von tierischen Organismen sich zwischen diesem Pflanzengewirr findet. Da tummeln sich räuberische Wasserkäfer und Wasserwanzen; Wasserschnecken kriechen an den Pflanzen umher, im Schlamm des Bodens steckt die Teichmuschel, die Steine sind besetzt mit langsam kriechenden Würmern, zwischen den Stengeln der Pflanzen spielen Hunderte von kleinen Fischchen, die in ganzen Scharen enteilen, wenn unser Kahn sich nähert, in größerer Entfernung steht ruhig im Wasser ein stattlicher Hecht, der gewaltige Räuber. Auf dem Boden erheben sich zwischen dem Schilf hier und da korallenartig verzweigte Gebilde; es sind Süßwasserschwämme, die wir freilich dem Aeußeren nach ebensowenig für Tiere halten würden wie die Moostiere, die knollenartig die Schilfstengel umgeben.

Zu diesen ständig im Wasser lebenden Tieren, die wir alle mit leichter Mühe vom Kahn aus beobachten und mit dem Netz fangen können, kommt noch die ganze Schar der Insektenlarven, die sich ebenfalls hier aufhalten. Die glitzernde Libelle, die mit schwirrendem Flug durch die Luft rast, verlebt ihre Jugend ebenso im Wasser wie die harmlose Eintagsfliege und die blutgierige Schnake; zahllos finden sich, kleinen Würmchen ähnlich, die Larven vieler Fliegen im Schlamm, und auf dem Schlamm kriecht in ihrem selbstgefertigten kunstvollen Gehäuse die Larve der mottenähnlichen Frühlingsfliege.

All dies reiche Leben ist an die pflanzenbewachsene Uferzone gebunden. Lenken wir unseren Kahn hinaus auf die freie Wasserfläche, so vermag unser Auge kein Leben im Wasser zu entdecken; nur hier und da verrät sich ein springender Fisch. Wenn wir das Netz zum Kahn hinauswerfen, werden wir vom Schiffer mit überlegenem Lächeln belehrt, daß wir hier nichts fangen werden.

Wir können ihn leicht eines Besseren belehren. Die Forschungen des letzten Jahrzehntes besonders haben gezeigt, daß auch das freie Wasser keineswegs des organischen Lebens entbehrt, ja daß eine Fülle tierischer und pflanzlicher Geschöpfe das Wasserbecken fernab vom Ufer bevölkert, von deren schier zahllosen Scharen und deren Bedeutung man früher keine Ahnung hatte. Stülpen wir das Netz um, welches einige Zeit hinter dem Kahn hergezogen wurde, und leeren seinen Inhalt in ein Glas mit Wasser, so wimmelt es darin von winzigen, halbmikroskopischen Tieren. Meist sind es kleine Kruster, die sogenannten Hüpferlinge und die Wasserflöhe, die in lebhaften Bewegungen hier durcheinander fahren. Nehmen wir das Mikroskop zur Hand, so sehen wir, daß außer diesen mit bloßem Auge gerade noch zu erkennenden Tieren noch weitere Lebewesen sich in unserem Fang befinden. Teils gehören sie zu den sogenannten Rädertieren, teils aber sind es pflanzliche Organismen, welche die Botanik zu den Algen rechnet; hauptsächlich sind die durch ihren wunderbar gezeichneten Kieselpanzer bekannten Diatomeen vertreten.

Diese ganze schier unsichtbare Schar von Pflanzen und Tieren des freien Wassers schwimmt ständig und kommt nie zur Rast und Ruh’. Wenn auch mit eigenem Schwimmvermögen begabt, so sind diese zarten winzigen Lebewesen doch ein leichtes Spiel des Windes und der Wellen, sie werden in der weiten Wasserfläche umhergetrieben. Die heutige Wissenschaft faßt daher alle diese kleinen Bewohner des freien Wassers unter dem Namen „Plankton“ (griechisch, das Umhergetriebene) zusammen, und dieser Name ist längst über die fachwissenschaftlichen Kreise hinausgedrungen, er ist dem einfachen Fischer bekannt und geläufig geworden, denn immer mehr hat sich die große Bedeutung des Plankton herausgestellt.

Einer der interessantesten Kruster dieses Plankton wurde von seinem Entdecker, Leydig, im Magen des Felchen, des köstlichen Bodenseefisches, aufgefunden, und spätere Forschungen haben erwiesen, daß der Felchen, der ebenfalls nur im freien Wasser sich findet und nicht zu den am Ufer sich aufhaltenden Fischen gehört, sich ausschließlich von diesem Kruster nährt. In markanter Weise zeigt dieser eine Fall die Bedeutung des Plankton für die Fischzucht; wir wissen heute, daß die pflanzlichen Teile des Plankton die Urnahrung für alle Tiere des Wassers darstellen und daß ohne Plankton die Fische nicht existieren könnten, denn auch die großen Räuber, die später von andern Fischen sich nähren, sind in ihrer zartesten Jugend auf die mikroskopisch kleinen Kruster des Plankton angewiesen.

Von der Fülle, in welcher diese winzigen, dem bloßen Auge kaum sichtbaren Wesen im Wasser vorhanden sind, bekommen wir gelegentlich einen Begriff; hier und da erscheint das Wasser mißfarbig und beinahe breiig; sehen wir näher zu, so finden wir, daß eine Tier- oder Pflanzenart die Ursache hiervon ist. Milliarden winziger Wesen bedingen in ihrer ungeheuren Zahl diese Erscheinung, die dann auch dem Laien die Existenz solcher winzigen Organismen verrät. Meist aber bedarf es eigener mühsamen Forschungen, um einen Ueberblick über die Menge zu erhalten, in welcher das Plankton vorhanden ist. Wir können hier nicht näher darauf eingehen und begnügen uns mit dem Hinweis auf eine von Br. Hofer auf dem Fischereitag in Friedrichshafen gemachte Angabe. Nach den Untersuchungen dieses Forschers ist die im Bodensee vorhandene Masse kleiner schwimmender Lebewesen auf nicht weniger als 2000 Doppelcentner zu berechnen.

Die wissenschaftliche Kommission des Bodensees hat sich das gründliche Studium aller Lebewesen des Schwäbischen Meeres, soweit es möglich war, angelegen sein lassen. Leider sind die betreffenden Arbeiten noch nicht völlig publiziert, indem noch die zweite Hälfte der Berichte über die „Vegetation des Bodensees“ aussteht.

Für die Verteilung der Pflanzen nach der Tiefe hin kommt ganz besonders die schon erwähnte Frage nach der Belichtung der tieferen Wasserschichten in Betracht. Am günstigsten sind die Bedingungen für die Bodenflora in dieser Beziehung am Ufer; hier [706] sehen wir sie auch am reichsten entwickelt, gegen die Tiefe zu nimmt sie allmählich ab. Wie O. Kirchner und C. Schröter, deren trefflichem Buch „Die Vegetation des Bodensees“ (Der Bodenseeforschungen neunter Abschnitt) wir alle diese Angaben entnehmen, mitteilen, hören die Blütenpflanzen im Bodensee bei 6 m Tiefe, die Armleuchtergewächse bei 30 m auf; von da an sind nur noch niedere Algen und Pilze konstatiert. Die chlorophyllhaltigen Algen, welche zum Assimilieren, zum Leben, des Lichtes bedürfen, können nicht weiter hinabgehen, als Lichtstrahlen eindringen. Wenn nun im Bodensee in einzelnen Fällen auch noch in größeren Tiefen assimilierende Algen gefunden worden sind, so steht die Erklärung hierüber einstweilen noch aus; entweder sind sie imstande, auch noch das äußerst schwache Licht, welches nur noch von den empfindlichsten chemischen Substanzen nachgewiesen wird, zu benutzen, oder sie leben, wie Kirchner vermutet, nicht dauernd in der Tiefe, sondern sind mit einem Steigvermögen ausgerüstet.

Die Vegetation der chlorophylllosen Pilze und Bakterien ist nicht an das Licht gebunden und erträgt zugleich sehr tiefe Temperaturen, so daß dem Vorkommen dieser Pflanzen in großen Tiefen nichts entgegensteht. In der That fand Professor Roth im Bodensee in der Tiefe von 60 bis 65 m, etwa 5 m über dem Grund, an Mikroben 31 bis 146 Stück im Kubikcentimeter.

Ueber das Resultat der zoologischen Erforschung des Bodensees ist erst kürzlich eine Publikation „Die Verbreitung der Tierwelt im Bodensee“ (der Bodenseeforschungen zehnter Abschnitt) von Prof. Dr. Bruno Hofer erschienen, die sich speziell mit der interessanten Frage der Verteilung des Plankton beschäftigt. Die größte Entwicklung sowohl der Art nach als auch der Masse nach fand Hofer im Beginn des Herbstes, zu welcher Zeit der See die größte Wärmemenge absorbiert hat. Sehr bemerkenswert ist der Nachweis Hofers, daß die oberste Schicht in der Tiefe bis zu 1 m, bei sehr hellem Wetter sogar bis 2 m nur ganz spärlich von Planktontieren belebt war; nur bei trübem Wetter fand sich die Oberfläche des Sees am stärksten belebt. Von der Oberfläche fand Hofer die Masse des Plankton nach der Tiefe zu ständig zunehmend, bis bei 20 m das Maximum erreicht wurde; von hier war wieder eine Abnahme zu konstatieren, bis bei 30 m, vielleicht auch etwas tiefer, die untere Verbreitungsgrenze des tierischen Plankton erreicht war.

Innerhalb dieser Verbreitung des Plankton konnte Hofer ferner eine genaue Verteilung der einzelnen Arten nachweisen. Während einige Arten sich ziemlich gleichmäßig im ganzen Plankton verteilt fanden, hielten sich andere fast ausschließlich in den oberen Schichten auf, und andere wiederum konnten fast nur in den tieferen Schichten nachgewiesen werden. Auch in anderen subalpinen Seen machte Hofer die gleiche Beobachtung, so daß es sich hier jedenfalls um eine Erscheinung von allgemeiner Bedeutung handelt.

Bei einigen Untersuchungen des Plankton im Winter fiel im Vergleich zu den im Frühherbst gewonnenen Resultaten zunächst die große Formenarmut der winterlichen Fauna auf; manche Arten fehlten ganz, andere traten sehr zurück. Die Tiefenverbreitung konnte zwar nicht völlig genau nachgewiesen werden, doch konnte Hofer konstatieren, daß das Plankton mit seinen letzten Ausläufern im Winter tiefer hinabreicht als im Sommer, was völlig mit dem Nachweis Forels stimmt, daß das Licht im Winter tiefer eindringt als im Sommer.

Besonders in der Erforschung der Pflanzen- und Tierwelt des Bodensees können die erlangten Resultate trotz ihrer Bedeutung noch nicht als völlig abschließend betrachtet werden; um einen völlig genauen Einblick zu erhalten in den Wechsel, dem die Lebewelt dieses gewaltigen Wasserbeckens in ihrer Verteilung und ihrer Masse im Lauf eines Jahres unterliegt, und in die Ursachen dieser Schwankungen würde eine ein ganzes Jahr und länger täglich fortgesetzte Untersuchung nötig sein; dies könnte natürlich nur geschehen, wenn einmal auch an den Ufern des Schwäbischen Meeres sich eine biologische Station erheben würde, wie sie seit einer Reihe von Jahren am Plöner See in Holstein besteht und seit dieser Zeit schon mehrfach Nachahmung gefunden hat.

Allein es wäre ungerecht, nicht mit großem Dank anzuerkennen, wie erstaunlich viel schon jetzt, dank der opferfreudigen Hingebung aller beteiligten Forscher, geleistet worden ist!

Die Erforschung des Bodensees, deren Bedeutung wir zu skizzieren versuchten und zu welcher sich fünf Staaten vereinigen mußten, deren Gebiete an dieses Wasserbecken stoßen, ist eine wissenschaftliche Großthat, welche in der Geschichte der Seenforschung einen ersten Platz einnimmt und allen Beteiligten zur größten Ehre gereicht.