Die unterbrochene Jagdpartie am Cap der guten Hoffnung

Textdaten
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Titel: Die unterbrochene Jagdpartie am Cap der guten Hoffnung
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 546
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[546] Die unterbrochene Jagdpartie am Cap der guten Hoffnung. Was ist aus den deutschen Fremdenlegionen am Cap der guten Hoffnung geworden? Einige wurden nach Indien gebracht, wo sie theils umkamen, theils neuerdings wieder auf ihr Cap zurückgebracht wurden. Wie’s ihnen dort geht, ist noch nicht bekannt. Wir können’s uns aber denken, wenn wir folgendes Jagd- und Lebensbild uns angesehen haben.

Ich wanderte vor etwa drei Jahren aus, erzählt uns ein Engländer, und zwar nach dem Cap, wo mir die Regierung eine „schöne Farm“ versprochen hatte. Die schöne Farm bestand in einem Stück absoluter Wildniß, die noch von keiner civilisirenden Hand berührt worden war. Aber durch Fleiß, Ausdauer und einige Hottentotten brachte ich ein Haus und mich selbst empor und Felder und Gärten darum herum. Ochsen und Schafe, die ich gekauft, zierten meine Wildnisse mit ihren Vließen und Farben, und ich träumte schon von Ruhe unter dem Schatten meiner Reben und Feigenbäume. So waren zwei Jahre ohne einen einzigen Ruhe- und Rasttag vergangen. Deshalb nahm ich mit Freuden die Einladung mehrerer Nachbarn zu einer Jagdpartie an. Sie holten mich ab, da meine Farm die letzte an der Kaffern- und Wildnißgrenze war. Wir ritten heiter und kräftig hinein in die herrenlose Herrlichkeit durch überwucherte Hohlwege und Meere duftigen Jasmins, wilden Geraniums und blühender Lorbeerwäldchen, durch kleine reißende Flüßchen und über felsige Abgründe, wo Hunderte von Affen heulend und zähnefletschend von einer Kante und Spitze zur andern sprangen, und uns wüthend mit Steinregen bombardirten. Endlich erreichten wir die große wellige Prairie, etwa dreißig Meilen von unserer Niederlassung, den „Blauen Lilien“, um uns frische, würzige Winde, über uns den heitersten Himmel, vor uns bunte, springende Heerden von Antilopen, einsame Büffel oder Gnu’s und Heerden schreckenbeflügelter Strauße.

Als wir in eine von Gras und Blumen überwucherte Gegend mit einzelnen Bäumen gekommen waren, entzückte mich nichts so sehr, als eine gigantische schneeweiße Kronleuchterlilie, so daß ich sofort an’s Werk ging, mir Zwiebeln davon auszugraben. Während ich emsig scharrte, bewegte sich das im Winde wehende, blumige hohe Gras etwas ungewöhnlich an einer Stelle neben mir. Knieend neben meiner bald ausgegrabenen Wurzel, beobachtete ich das seltsame Wehen und Wogen, bis plötzlich eine ungeheuere Schlange daraus hervorsprang, sich vor mir aufbäumte und mit ihren teuflischen, feurigen Augen, ihrer zitternden Kamm-Kapuze, ihrem offenen Rachen und dem leisen, nie zu vergessenden Gezisch, das in allen Windungen ihres Körpers mit zu zischen und zu zittern schien, mich in den Todesschrecken der Lähmung versetzte, den solche Scheusale auf Thiere und Menschen ausüben. Wir starrten uns gegenseitig an; ich war nicht im Stande, einen Finger zu bewegen. Selbst mein Herz stand still versteinert von dem Zauber ihrer entsetzlichen Schönheit. Endlich sprang ein wilder Schrei aus mir heraus, mit welchem ich auf, die Füße kam, die mich beinahe bewußtlos weit in die Ebene schleuderten. Der Schrei rief meine Gefährten zurück, aber sie starrten vor einem zweiten gellen Geächze zurück. Sie und ich sahen mein armes Pferd umwunden an Fuß und Hals von der scheußlichen Cobra da capello. Drei unserer Kugeln tödteten sie, ohne das Pferd zu treffen. Wir lösten das arme Thier aus dem Gewinde, aber eine Wunde an seiner Lippe gab ihm den Tod. Während wir mit Wasser und Waschungen, durch Streicheln und Liebkosen seinen zitternden Angstschweiß zu lindern suchten, stürzte es nieder und ächzte und wand sich und zuckte auf eine herzzerreißende Weise. Es starb unter entsetzlichen Qualen und Zuckungen, das getreue Thier, das mich so oft durch Sturm, Nacht und Gefahr, Hitze und Hunger getragen.

Während wir die Schlange ausstreckten, um sie zu messen, hörten wir von fern ein schwaches Stöhnen. Bei unsern erschütterten Nerven erschreckte dies uns ungewöhnlich, so daß wir schon nach einer zweiten Schlange suchten. Aber das zweite Gestöhn kam unzweifelhaft aus einem etwas abgelegenen Dickicht von Unterholz, und klang wie sterbendes Wehgeklage. Wir suchten vorsichtig und lange vergebens, bis einer meiner Genossen triumphirend einen starken, muskulösen, dunkelgelbbraunen Kaffer unter den offen liegenden Wurzeln hervorzog. Er schien bewußtlos, sterbend an einer blutenden Wunde und einer hochgeschwollenen Brause am Kopf. Wir verbanden und erquickten ihn, so daß er wieder zu sich kam und wir uns in einem Gemisch von Kafferisch und Holländisch mit ihm verständigen konnten. Die Wuth verzerrte seine Züge, er fletschte seine Zähne und sprühte Feuer aus seinen Augen, als er erzählte, daß sein eigener Häuptling, mit dem er auf einem Raubzuge in Wortwechsel gerathen, ihn so zugerichtet. „Wenn Ihr Euch beeilt,“ setzte er hinzu, „könnt Ihr vielleicht diesen Teufel Ketanun fangen, ehe er die „Blauen Lilien“ erreicht.“

„Blaue Lilien!“ Unsere Colonie! Ein Schrei des Entsetzens rang sich aus meiner Brust. Meine Farm war an der äußersten Grenze. Ich hatte Frau und zwei kleine Kinder ohne Schutz zurückgelassen. Mit einem Satze war ich im Sattel des nächsten Pferdes, doch ehe ich davonjagte, hatte ich Besinnung genug, meinem Freunde Thornton zuzurufen, daß er auf dem zweiten Pferde nach der nächsten Militairstation lagen sollte, während ich dem Dritten von uns, der nun kein Pferd hatte, empfahl, alle Jäger, Holländer oder Deutsche, die er zu Gesicht bekommen könne, zum Beistande zusammenzurufen. Wie der Wind flog mein Pferd über die ebene Prairie, aber noch ehe ich ein Drittel des Weges hinter mich gebracht, tauchte sich die Sonne in die Hügel des Westens und verschwand. Durch Nacht und Grauen, über riesige Ameisenhügel und durch sumpfige Gewässer trug mich stark und zuversichtlich mein muthiges, wenn auch keuchendes Thier, selbst einen steilen Abhang hinunter durch die dichten Speere harter Aloes, unter den Zweigen riesiger Euphorbias hin, durch Dschungels und Elephanten- oder Rhinoceros-Pfade bis zum Flusse Krnumbie. Die Mondessichel warf einen mattbläulichen Silberschleier über Berg und Thal und den sanft dahin gleitenden Fluß, der bescheiden und schmal zwischen steilen Felsenufern, dichten Dornbäumen und hohem Röhricht sich hinwand. Ich mußte außerhalb entlang reiten, um einen Durchbruch und „Ford“ zum Uebersetzen ausfindig zu machen. Dabei fing ein ungewöhnliches dumpfes Getöse an, die Stille umher zu unterbrechen. Nicht ein Lufthauch rührte sich; die Vögel waren eingeschlafen und die wilden Thiers noch nicht erstanden aus ihren Höhlen. Und doch dieses wilde, dumpfe Getöse, lauter und lauter. Könnte es von dem Kaffernangriff auf unsere Colonie herüberbringen? Aber noch manche Meilen lagen dazwischen, so daß ich dies kaum für möglich hielt. Kurz darauf kam ich in eine Biegung und übersah den ganzen, mondbeleuchteten Fluß, auch den gesuchten Uebergangspunkt, an welchem eben zwei schwarze Gestalten mit ihren Pferden überzuschwimmen begannen. Sie waren lustig dabei und lachten weitschallend durch die Nacht. Doch es erstarb plötzlich durch donnerndes Getöse, krachende Bäume, heulende Thiere und durch ihr eigenes schrilles Angstgeschrei, als sie eine hohe, brausende Mauer von Wasser den Fluß hinab aus sie zustürzen sahen, die sie sofort mit sich riß und in ihren wüthenden Wallungen begrub. Ich stand starr und bewegungslos vor Entsetzen, als die wüthenden Wassermassen donnernd, schäumend, zischend vor mir vorbei Bäume, Felsenstücke, todte und noch kämpfende Thiere mit sich fortrissen. Ich hatte öfter von diesen berüchtigten, furchtbaren „Freshets“ oder Wasserstürzen gehört, aber noch niemals einen gesehen. Sie kommen unverhofft aus heftigen Regengüssen in den Berggegenden, wo die Flüsse entspringen, oder ausgesprengten natürlichen Reservoirs.

Der Wassersturz, der jetzt hochschäumende, Tod und Verderben mit sich führende, eben noch so stille, liebliche Fluß war nun eine Mauer zwischen mir und den Meinigen, stärker als Eisen. Der tollkühne Versuch, hinüber zu kommen, war gleich Selbstmord. So brachte ich die ganze Nacht in der furchtbarsten Qual am diesseitigen Ufer zu, von Vorstellungen gepeinigt, welche mir Weib und Kinder in den Händen der Cannibalen zeigten, erschreckt vom hysterischen Gelächter der Hyäne, dem wehklagenden Gebell des Schakals, dem Gebrüll des Leoparden, dem Angstgekreisch von Thieren, die, von der Wasserwuth ergriffen, noch vergebens mit ihr rangen.

Ich mußte bis zum Morgen warten, warten vom Morgen bis zum Abend, ehe sich die Wuth des Wassern zu besänftigen begann. Mein Pferd war frisch von Ruhe und Weide. Es tauchte muthig mit mir in den noch reißenden Strom und schlug tapfer aus, um das entgegengesetzte Ufer zu erreichen. Zwei- oder dreimal verlor es die noble Geistesgegenwart im wilden Kampfe der Wogen, die es mit sich fortrissen, aber mit kühner, sicherer Hand und sanfter, bittender Stimme bracht’ ich’s wieder zu sich, so daß es kühn mit dem höher gehaltenen Kopfe und sträubender Mähne wilder zuschlug, bis es Grund unter den Füßen fühlte und wild keuchend emporsprang. Wir jagten beide athemlos nach unserer Heimathstätte, die als rauchender Aschenhaufen vor mir lag. Wie ein alter gebrechlicher Greis stieg ich langsam ab, und sank auf die Erde. Endlich besann ich mich, daß schwache Töne zu mir herklangen. Ich erhob mich, und sah Licht aus einer Hottentotten-Ruine. Es waren die Trümmer unseres Hirtenhauses. In ihr saßen meine Frau und die Kinder um ein Feuer. Kein Wort über meine beinahe wahnsinnig machende Freude. Der Hottentotthirt hatte die Kaffernbande von einem Hügel aus der Ferne herankommen sehen, war zu uns gelaufen und so der Retter meiner Lieben geworden, die mit ihm in Waldesdickicht geflohen und nicht eher wiedergekommen waren, als nach Abzug der Kaffern mit unsern Heerden. Thornton hatte sie mit einigen Truppen aus der Militairstation noch zu rechter Zeit erhascht, da sie am Krnumbien Flusse wegen des Wassersturzes aufgehalten worden waren, und ihnen alle Beute wieder abgenommen. Unter den Brandtrümmern unserer Colonie war große Freude, denn wir hatten unsere Lieben und unsere Heerden wieder. Haus und Hof standen nach einigen Monaten wieder, und werden jetzt durch den Kranz deutscher, militairisch starker Ansiedler geschützt.