Textdaten
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Autor: H. P.
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Titel: Der photographirte Mond
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 546–547
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[546] Der photographirte Mond. Es ist bekannt, welche große Hoffnungen und Erwartungen man an Daguerre’s Erfindung, Lichtbilder zu fixiren, auch für die Astronomie knüpfte. Wiederholt wurde die Ansicht ausgesprochen, daß, wenn man das Bild eines Himmelskörpers auf der Silberfläche fixirt habe, dieses dann, durch stark vergrößerte Mikroskope betrachtet, zu großen Entdeckungen führen müsse. Namentlich versprach man sich in dieser Richtung hin sehr viel von wichtigen Aufschlüssen über die Beschaffenheit des uns am nächsten befindlichen Planeten, des Mondes. Die Hoffnungen sind nicht erfüllt worden und konnten nicht erfüllt werden, denn es war natürlich, daß, wenn man ein solches Daguerreotyp des Mondes unter dem Mikroskop beobachtete, in gleichem Maße, wie sich das Bild vergrößerte, auch das Material, auf welchem sich das Bild befindet, vergrößert werden mußte. Die Unebenheit der Silberfläche, die Risse und Grübchen in derselben, die Amalgamkügelchen, durch welche das Bild erst sichtbar gemacht worden war, traten, auch selbst bei mäßiger Vergrößerung, so merkbar hervor, daß das Bild selbst dadurch ganz undeutlich erschien. Es sind solcher Monddaguerreotypen mehrere dargestellt worden, aber sie haben fast alle geringen Werth. Eines der besten besitzt die Königsberger Sternwarte, welches Dr. Wichmann durch Berkowsky fixiren ließ. Die Herstellung eines solchen Mondbildes ist nicht so leicht, als es Manchem erscheinen mag. Der Mond namentlich verändert ziemlich rasch seine Stellung gegen die Platte, auf welcher sein Bild fixirt werden soll, und man würde daher ein sehr mangelhaftes Bild von ihm erhalten, wenn der Daguerre’sche Apparat auf die gewöhnliche Weise aufgestellt würde, da in der Zeit, welche zur Hervorrufung des Bildes erforderlich ist, die scheinbare Bewegung des Mondes groß genug ist, um die Herstellung eines klaren Bildes zu verhindern. Da wir die Macht Josua’s nicht besitzen, der Sonne und Mond still stehen lassen konnte, so bleibt nichts übrig, als dem Apparat selbst eine Bewegung zu geben, durch welche das Bild des Mondes auf ein und derselben Stelle der Platte, auf welcher es fixirt werden soll, erhalten wird. Die meisten Sternwarten besitzen ein solches Mittel, es sind dies Triebwerke, welche mit einem Fernrohre so verbunden sind, daß letzteres [547] den Gestirnen gleichsam in ihrem täglichen, scheinbaren Laufe folgt und daher ein einmal in das Gesichtsfeld gebrachter Stern in demselben bleibt, so lange er über dem Horizont steht. Ein solches Triebwerk, verbunden mit einem achtfüßigen, sogenannten Heliometer, besitzt auch die Königsberger Sternwarte, und an die Drehungsaxe dieses Instrumentes wurde der Daguerre’sche Apparat so befestigt, daß das Mondbild während der zu seiner Aufnahme erforderlichen Zeit auf ein und derselben Stelle der vorbereiteten Silberplatte sich erhielt. Das Bild hat etwa 2 Zoll im Durchmesser, ist klar und deutlich, zeigt die sehr feinen Lichtunterschiede der Mondscheibe, so daß es, mehr als eine Zeichnung im Stande wäre, den Charakter des Vollmondes treu wieder gibt Die Betrachtung des Bildes unter dem Mikroskope führt eben zu keinen Resultaten, denn schon eine schwache Vergrößerung zeigt die Unebenheiten der Platte. Könnte man solche Bilder von größerem Durchmesser herstellen, so würden sie allerdings von Nutzen sein, aber die Mittel, über welche wir jetzt zu gebieten haben, gestatten dies nicht. Zwar haben schon wiederholt unsere Tagesblätter Nachrichten gebracht, daß es gelungen sei, solche große Mondbilder mit Hülfe der Photographie zu erzeugen, aber die Nachrichten bestätigten sich niemals. So wurde vor einigen Jahren mitgetheilt, daß die Gesellschaft der englischen Naturforscher Photographien vom Vollmonde hätte aufnehmen lassen, welche 6 Fuß im Durchmesser hätten. Andere zeigten einzelne Gebirgstheile in noch größerem Maßstabe. Auf diesen treuen Nachbildungen, heißt es in jenen Mittheilungen weiter, bemerkt man, daß die ganze Mondscheibe von langen, schmalen und glänzenden Streifen durchzogen ist, welche in ununterbrochener Folge über die Höhen, Thäler, Berge und Krater gehen und die man noch nicht zu erklären und zu deuten weiß. Es braucht wohl kaum hinzugefügt zu werden, daß auch diese Nachricht jeder Wahrheit entbehrt. Viel Aufsehen erregten die Photographien, welche durch Secchi in Rom, Director der Sternwarte des Collegio Romano, zuerst nach Deutschland kamen. Sie stellten die Ringgebirge des Copernikus im Monde dar, und zwar in bedeutender Vergrößerung. Man behauptete, es seien unmittelbar vom Monde aufgenommene Photographien, später stellte es sich aber heraus, daß es Photographien nach einer Handzeichnung waren, welche mit großer Genauigkeit auf der Sternwarte in Rom, mit Benutzung eines 31/2füßigen Refractors, bei 1000maliger Vergrößerung aufgenommen worden war.

In neuester Zeit ist die Aufmerksamkeit von Neuem auf die Mondphotographien gelenkt worden. Es kommen nämlich jetzt solche Photographien auf Glasplatten vor, welche letztere mit einer dünnen Collodiumschicht versehen sind, auf welcher das Bild fixirt ist. Auf jeder Glasplatte befinden sich zwei solcher Mondbilder in gewisser Entfernung von einander, da sie für das Stereoskop bestimmt sind. Sie stellen den Vollmond dar und haben nicht ganz zwei Zoll Durchmesser. Im Juliheft des Dingler’schen Journals theilt der bekannte Verfasser des Müller-Pouillet’schen Lehrbuchs der Physik, Dr. Joh. Müller in Freiburg, unter der Ueberschrift: „Stereoskopische Mondphotographie“ Folgendes mit: „Dieser Tage kamen mir für das Stereoskop bestimmte Ansichten des Vollmondes zu Gesicht, welche bei etwas starken Contrasten zwischen Hell und Dunkel im Stereoskop einen ausgezeichneten plastischen Effect gaben. Dieser Umstand erregte mir Zweifel, ob diese aus Paris stammenden Bilder wirklich Photographien des Mondes seien. Um darüber zur Gewißheit zu gelangen, verglich ich die beiden Bilder und fand sogleich die auffallendsten Verschiedenheiten, welche eben den stereoskopischen Effect bedingen. Ein Gebirgsring z. B., von welchem strahlenförmig weiße Streifen ausgehen, war in dem einen Bilde ohngefähr um einen Centimeter weiter vom Mondrande entfernt als im andern. Da uns aber der Mond stets dieselbe Seite zukehrt, so können zwei wirkliche Mondphotographien nie eine so bedeutende Differenz zeigen; die beiden fraglichen Photographien sind also gar keine Mondphotographien, was auch die Untersuchung mit der Loupe aus das Unzweifelhafteste bestätigt. Wahrscheinlich sind diese Photographien nach einer Kugel gemacht, welche dem Vollmond ähnlich angemalt war.“

Wenn Dr. Joh. Müller keinen andern Grund hat, die erwähnten Photographien als nicht wirkliche Mondphotographien zu bezeichnen, als den angeführten, so ist dies ein Irrthum. Auf jenen Bildern ist der Unterschied in der Entfernung der einzelnen Flecken von dem Mondrande allerdings vorhanden, trotzdem sind es aber doch wirkliche Mondphotographien. Die Originalbilder, sogenannte negative Bilder auf Glas, wurden mit Hülfe eines Spiegelteleskopes in London von dem Secretair der astronomischen Gesellschaft, de la Rue, daselbst aufgenommen. Die ursprünglich kleinern Bilder wurden mit Benutzung des photographischen Apparates vergrößert und als positive Bilder hergestellt von dem Photographen Robert Howlett in London. Die meisten dieser positiven Bilder sind dann von Paris aus verbreitet worden, gewöhnlich von kleinen Mondkärtchen begleitet, auf welchen die Namen der bedeutenderen Mondflecken verzeichnet sind. Eine in englischer Sprache abgefaßte Notiz, mit der Ueberschrift „Stereograph vom Monde“, enthält die sehr überflüssigen Bemerkungen, daß, wie das Bild nachweise, der Mond kugelförmig sei, daß er keine Atmosphäre, kein Wasser, noch lebende Wesen besitze etc. Von dem, was dem Bilde Werth gibt, ist eine Notiz nicht vorhanden. Die verschiedenen Bilder, welche ich sah, und von denen auch Exemplare auf der Messe in Leipzig ausgeboten wurden, stammen, wie es deutlich erkennbar ist, alle von einem Originalexemplar.

Als Bilder des Mondes haben diese Photographien eigentlich wenig Werth, die feineren Abstufungen zwischen Licht und Schatten fehlen, und man erhält im Stereoskop durchaus kein den Charakter des Vollmondes gebendes Bild, wohl aber ist der plastische Effect ein vollständiger, man sieht vollkommen deutlich den Mond als einen sphärischen Körper. Es ist dies aber auch ganz begreiflich, denn die beiden Bilder stellen wirklich etwas von einander verschiedene Kugelhälften des Mondes dar. Wie konnten diese aber erhalten werden, da, wie Dr. Joh. Müller richtig bemerkt, der Mond uns stets nur seine eine Hälfte zukehrt? Wir wollen dies kurz erörtern.

Der Mond dreht sich bekanntlich in derselben Zeit einmal um seine Axe, in welcher er seine Bahn um die Erde zurücklegt; diese Umdrehung ist eine ganz gleichförmige, seine Bewegung um die Erde dagegen sehr ungleichförmig. Wäre dieses nicht der Fall, wären beide Bewegungen ganz gleichförmig, so würden wir stets immer genau dieselbe Seite des Mondes sehen, aber bei den bestehenden Verhältnissen ist es anders, und obgleich uns allerdings der größere Theil der andern Mondhälfte stets verborgen bleibt, so sehen wir doch zeitweise einen kleineren Theil derselben. Da sich uns diese Erscheinung gleichsam als eine Verschiebung der Mondflecken bemerkbar macht, sodaß Flecken, welche man in der Mitte sah, nach einiger Zeit mehr nach Westen stehen, dann wieder nach der Mitte gehen und über diese nach Osten hin sich bewegen, so hat man diese Erscheinung die Libration oder Schwankung des Mondes genannt. Man unterscheidet die Libration in Länge, durch welche die Verschiebung der Flecken in der Richtung von Osten nach Westen geht, und eine Libration in Breite, durch welche eine Verschiebung der Flecken von Norden nach Süden und umgekehrt erfolgt. So sehen wir in Folge der Libration Flecken am östlichen Rande verschwinden, am westlichen neue zum Vorschein kommen, dann letztere wieder zurück und jene wieder hervortreten. Wir sehen zuweilen den Nordpol und den Südpol des Mondes im Rande liegen, bald den einen oder den andern uns etwas zugewendet und den entgegengesetzten Pol dann gar nicht. Ein Mondort kann so durch die Libration im äußersten Falle um 11 Grad von seinem mittleren Ort verschoben werden.

Von der Gesammtoberfläche des Mondes sind uns 3/7 beständig sichtbar, 3/7 bleiben uns beständig unsichtbar und 1/7 ist abwechselnd sichtbar und unsichtbar.

Hieraus geht also hervor, daß allerdings Mondphotographien dargestellt werden können, bei denen eine sehr verschiedene Lage der Flecken sich zeigt, freilich müssen sie zu verschiedenen Zeiten aufgenommen werden. Dies ist nun bei den besprochenen, für das Stereoskop bestimmten Mondphotographien wirklich der Fall: das eine der Bilder zeigt den Vollmond, wie er am 1. November 1857, das andere, wie er am 29. März 1858 war, und gerade dadurch kommt es, daß diese zu verschiedenen Zeiten aufgenommenen Bilder eine so plastische Erscheinung des Mondes im Stereoskop geben.

Die Untersuchung der fraglichen Bilder mit der Loupe zeigt übrigens ebenfalls sehr deutlich daß sie von einer „wie der Vollmond gemalten Kugel“ unbedingt nicht aufgenommen sein können, denn so unvollkommen diese Bilder auch sind, so läßt sich doch an ihnen erkennen, wie treu sie die Oberfläche des Mondes an einzelnen Stellen wiedergeben.

Eine genauere Kenntniß der Oberfläche des Mondes werden Bilder solcher Art freilich nicht verschaffen, und sie bieten für das Stereoskop eben auch keine merkenswerthe Bereicherung. Die Bilder scheinen aber doch von einer ganz andern Seite her der Astronomie einen wesentlichen Dienst zu leisten, den man wohl bis jetzt nicht ahnte.

Früher nahm man an, der Mond sei eine Kugel, die wohl Unebenheit habe wie die Erde, aber nicht wie diese an den Polen eine Abplattung. Wenigstens haben die genauesten Messungen eine solche Abplattung nicht nachweisen können. Später stellte man aus theoretischen Gründen die Behauptung auf, daß der Mond in der Richtung gegen unsere Erde eine etwas längliche Gestalt habe, also der ganze Mondkörper eiförmig sei. Hieraus will man auch die oben erwähnte Schwankung des Mondes in die Länge erklären. Die Angaben über die Größe dieser Erhöhung des Mondes nach unserer Erde hin sind verschieden; directe, beiläufig gesagt, sehr schwierige Messungen der Mondoberfläche haben noch zu keinen genügenden Resultaten geführt. Der berühmte Berechner der complicirten Mondbahn, Hofrath Hansen in Gotha, hat auf dem Wege der Theorie diese Erhöhung nahe an acht geographische Meilen gefunden. Die besprochenen stereoskopischen Mondbilder werden hier ganz unerwarteter Weise Aufschluß geben. Jeder, der diese Bilder im Stereoskop aufmerksam betrachtet, erkennt leicht, daß die uns hier sichtbare Mondhälfte nicht als eine Halbkugel erscheint, sondern in eiförmiger Gestalt. Diese ausfallende Erscheinung veranlaßte den jetzt in Gotha sich aufhaltenden talentvollen russischen Astronomen Gussew aus Wilna, an diesen Bildern Messungen vorzunehmen. Die höchst schwierige, difficile Arbeit ist noch nicht vollendet, hat aber doch bereits zu dem Ergebniß geführt, daß die Bogenlinien keiner Kugelfläche angehören, sondern einer eiförmigen. Nach einer vorläufigen Berechnung des genannten Astronomen, begründet auf die Messungen an den erwähnten Bildern, würde die Erhöhung des Mondkörpers nach unserer Erde hin bedeutender sein, als früher theoretisch festgestellt wurde, sie würde danach etwa 14 geographische Meilen betragen. Die Messungen gründen sich auf die durch die Libration bedingte Verschiedenheit der beiden Mondbilder, d. h. auf die verschiedene Lage der Mondflecken, und lassen bezüglich der erlangten Resultate keinen Zweifel zu. Herr Gussew wird nach Beendigung seiner Arbeit die Resultate derselben in einer astronomischen Zeitschrift veröffentlichen. So hat also die Photographie der Astronomie doch einen sehr erheblichen Nutzen gebracht, freilich einen gänzlich unerwarteten, ungeahnten.

Unerklärlich bleibt nur noch, woher es kommt, daß das Bild des Mondes, wie es sich hier im Stereoskop darstellt, die erwähnte Erhöhung der uns sichtbaren Halbkugel so merkbar zeigt. Der Durchmesser der Mondkugel ist 4681/2 geographische Meilen; man sollte glauben, daß der Unterschied von 14 Meilen, welche die Erhöhung nach unserer Erde betragen soll, nicht so sichtbar sein könnte, wie es bei dem stereoskopischen Bilde wirklich der Fall ist.

H. P.