Die technischen Hochschulen (1914)

Textdaten
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Autor: Georg Helm
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Titel: Die technischen Hochschulen
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aus: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band, Neuntes Buch, S. 14–21
Herausgeber: Siegfried Körte, Friedrich Wilhelm von Loebell, Georg von Rheinbaben, Hans von Schwerin-Löwitz, Adolph Wagner
Auflage:
Entstehungsdatum: 1913
Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Reimar Hobbing
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Erscheinungsort: Berlin
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[1064]
Die technischen Hochschulen
Von Geh. Hofrat Prof. Dr. Helm, Dresden


Entwicklungsgang.

Die letztverflossenen 25 Jahre müssen Deutschlands technischen Hochschulen wie eine Zeit der Erfüllung erscheinen, eine Zeit der Erfüllung jenes Strebens, das all die großen Techniker und Lehrer im Innersten bewegte, deren Wirken an der Schwelle deutscher wissenschaftlicher Technik steht – die Weisbach, Redtenbacher, Grashof, Reuleaux, Schlömilch, Zeuner mit ihren vielen Arbeits- und Sinnesgenossen, wie sie von dem nun bereits alternden Geschlecht deutscher Ingenieure als die Bahnbrecher alles tieferen technischen Denkens in Deutschland gefeiert worden sind. Und dieser Aufschwung der technischen Hochschulen hat eine erhöhte Bedeutung über die Kreise der Technik hinaus, eine hochzielende Bedeutung für die deutsche Kultur, denn es ist eine Sache deutscher Bildung, die in ihm zum Austrag gelangt ist.

Im 8. und 9. Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts hatten sich die deutschen polytechnischen Schulen und Polytechniken über ihren früheren Standpunkt gewerblicher Fachschulen hinausgehoben. Seit den Anfängen des deutschen Eisenbahnwesens hatten sie bereits die Aufgabe übernommen, für die technischen Staatsprüfungen vorzubereiten; daraus schon mußte sich ihr Bestreben entwickeln, von ihren Studierenden eine Vorbildung zu fordern, wie sie von den Beamten entsprechender höherer Dienstzweige verlangt wurde, und demgemäß sich mit ihren Bildungsmitteln und ihrer Organisation als gleichberechtigt neben die Universitäten zu stellen. Seit etwa 1870 haben sich die bis dahin unter mannigfach schwankenden Einflüssen stehenden, zwischen allgemeiner realistischer Bildungsanstalt und gewerblicher Fachschule hin und her strebenden polytechnischen Schulen enger aneinander geschlossen und in gemeinsamen Tagungen ihrer Vertreter ihre historischen Rückstände gegenseitig ausgeglichen. Beim Beginn der Regierungszeit Kaiser Wilhelms II. ist in dieser Hinsicht alles Wesentliche erreicht.

In Aachen, Berlin, Braunschweig, Darmstadt, Dresden, Hannover, Karlsruhe, München und Stuttgart bestehen um 1890 bereits in allen Hauptzügen gleich organisierte Hochschulen mit Lehr- und Lernfreiheit, wie freier Rektorwahl, die grundsätzlich von ihren Vollstudierenden Gymnasialreife verlangen, die in mehrere den Fakultäten der Universitäten nachgebildete Abteilungen für Hochbau, Ingenieurbau, Maschinenbau und Chemie, teilweise auch für Bergwesen, Land- und Forstwirtschaft, Pharmazie und Lehramt gegliedert sind, über den Erfolg der Studien Diplome erteilen und zu den technischen Staatsprüfungen vorbereiten. Die Diplomprüfungen [1065] zerfallen in zwei Teilprüfungen, die inmitten und am Ende des drei- bis vierjährigen Studiums abgelegt werden, während die entsprechenden Teile der Staatsprüfung noch durch dreijährige Praxis ergänzt werden müssen, bevor die Hauptstaatsprüfung abgelegt werden kann.

Mangelnde Anerkennung.

Aber so sehr das Erreichte die Wünsche derer befriedigte, die am Aufbau mitgewirkt hatten – Eines blieb noch aus: In den der Technik fernerstehenden Kreisen fehlte es an innerer Anerkennung des äußeren Fortschrittes. Die Arbeit des Technikers, wie die exakte Forschung überhaupt, so groß ihre Erfolge waren, in der deutschen Gesellschaft blieb sie geringer bewertet; ist doch zum Beispiel noch heute in den Ersten Kammern einiger deutscher Landtage wohl nach überliefertem Rechte die Wissenschaft der Universitäten ständig vertreten, nicht aber die Technik.

Wie oft auch klar schauende Geister auf eine neue, der gegenwärtigen Kultur gerecht werdende Anschauungsweise hingewirkt hatten – so mächtig und nachhaltig hat nichts den stumpfen Widerstand der Welt zurückgedrängt, als die Haltung des Kaisers. Seinem wiederholten persönlichen Eintreten, seinen gelegentlichen Anregungen wie nachdrücklichen Mahnungen ist es nicht allein zu danken, daß die auf moderner Grundlage ruhende Bildung in unserem höheren Schulwesen mehr und mehr als gleichberechtigt mit der aus der Antike hervorgewachsenen anerkannt wurde, sondern daß sich auch das Bewußtsein verbreitete, exakte Forschung und technisches Schaffen seien in ihrer menschlichen, wie in ihrer nationalen Bedeutung den höchsten geistigen Leistungen gleichzuwerten und hätten Anspruch auf dieselben akademischen Rechte.

Dazu kommt die alte Hohenzollernüberlieferung, wie sie sich seit der Zeit des großen Kurfürsten in manchen von ihrer Zeit nicht verstandenen und wieder verlassenen Versuchen kundgibt, nämlich das Bestreben, den in der wirtschaftlichen Entwicklung liegenden Kulturwert auch für Wissenschaft und Bildung auszubeuten und seine Vertretung in den Akademien zu sichern.

Für diese weitschauenden Gedanken fand Kaiser Wilhelm II. einen schlagenden Ausdruck in der Verleihung akademischer Grade, nämlich des Diplom-Ingenieurs und des Doktor-Ingenieurs an die technischen Hochschulen.

Verleihung akademischer Grade. Berliner Jahrhundertfeier 1899.

Während des letzten Jahrzehnts des vorigen Jahrhunderts war es besonders den chemischen Abteilungen der technischen Hochschulen als beengend und unbillig empfunden worden, daß die größeren wissenschaftlichen Arbeiten, die aus den Laboratorien der technischen Hochschulen hervorgingen, nur von den Universitäten als promotionswürdig anerkannt werden durften, obschon über die fachliche Gleichstellung der Laboratorien wie ihrer Leiter nirgends ein Zweifel bestand. So waren die Studierenden der Chemie, die an einer technischen Hochschule ihre Studien mit einer Doktorarbeit abgeschlossen hatten, doch gezwungen, sich noch an eine Universität zu wenden, um für jene Arbeit den Doktortitel zu erlangen, und die chemische Abteilung [1066] der technischen Hochschule gezwungen, ihre Einrichtungen denen der Universität anzupassen, um diesen Übergang zu erleichtern. Wenn auch dieses Mißverhältnis durch persönliches Entgegenkommen wohl erleichtert wurde, gründliche Abhilfe scheiterte an überlieferter Gewohnheit. Daß der leidige Zustand nicht mit kleinen Mitteln hingefristet wurde, wie es in solchen Fällen gern geschieht, daß hier ein großer Schritt die Schranken brach, das ist dem kaiserlichen Willen zu danken.

Nachdem lange, im Stillen gepflogene Verhandlungen zwischen den deutschen Hochschulen die Sicherheit geliefert hatten, daß die Einzelstaaten in einheitlicher Weise die Angelegenheit zu ordnen gewillt seien, erfolgte bei einem bedeutungsvollen Anlaß die Kundgebung der kaiserlichen Entschließung. Beim Jahrhundertfeste der Berliner technischen Hochschule 1899 wurde den preußischen technischen Hochschulen mit dem Rechte, durch akademische Prüfungen den Titel eines Diplom-Ingenieurs zu verleihen, auch das Promotionsrecht gewährt. Die anderen deutschen Staaten folgten mit im Wesentlichen übereinstimmenden Entschließungen ihrer Monarchen und Regierungen. Eine stärkere Abweichung besteht nur, insofern Bayern den Titel Doktor der technischen Wissenschaften verleiht, der aber durch den Titel Doktor-Ingenieur ersetzbar ist. Auch der sonderbar anmutenden Vorschrift Preußens, daß die technischen akademischen Titel in deutscher Schrift geschrieben werden sollen, haben sich die Bundesstaaten nicht einheitlich angeschlossen. Einheitlich ist vor allem die wichtige Bestimmung, daß der technische Doktor nur nach Erwerbung des Titels Diplomingenieur erreicht werden kann. Nicht wie der Doktor der Universitäten verbürgt der der technischen Hochschulen nur akademische Bildung im allgemeinen bei freier Wahl der Einzelstudien, sondern auch das abgeschlossene Studium eines technischen Faches: Wer Doktor-Ingenieur ist, muß zunächst ein ganzer Techniker sein.

Die Bedeutung dieser Titelverleihung liegt nun sicherlich nicht allein in der Beseitigung der oben betonten Unzuträglichkeiten auf dem Gebiete des Studiums der Chemie, sondern in erster Linie in der nachdrücklichen Bekundung der Stellung, die der Technik im deutschen Geistesleben gebührt. Darin liegt eben das Große dieses Schrittes, daß er mit der Beseitigung gegenwärtiger Mängel der zukünftigen Entwicklung neue Bahnen eröffnet.

Wie dringlich aber die Beseitigung dieser Mängel war, zeigt schon jetzt der Erfolg. Bis zum Ende des Sommersemesters 1912 hatten an den sämtlichen Hochschulen 1624 Promotionen (abgesehen von den Ehrenpromotionen) stattgefunden, die meisten in München, Dresden und Berlin. Etwa die Hälfte dieser Promotionen (864) entfällt auf die chemischen Abteilungen.

Die Diplom-Ingenieur-Prüfung hat sich in so ausgedehntem Maße eingelebt, daß bereits ein weitverzweigter Verein deutscher Diplomingenieure deren Interessen einerseits gegenüber den nicht akademisch gebildeten Technikern vertritt, andererseits gegenüber den Staatsbeamten, die nach der Diplomprüfung die Staatshauptprüfung abgelegt haben.

Innere Auseinandersetzungen.

Während dieser äußeren Erfolge der Entwicklung der technischen Hochschulen hat es ihnen an inneren Spannungen und Auseinandersetzungen nicht gefehlt. Mathematik [1067] und Naturwissenschaften bilden seit der Gründung der Pariser école polytechnique, an deren Plan sich in Deutschland die ersten Schritte der Entwicklung über die Handwerkschule hinaus angeschlossen hatten, den allgemein anerkannten Grundstock technischer Bildung, und solange die theoretischen Wissenschaften in der Durcharbeitung unserer Erfahrungen und in der Anwendung ihrer Lehren auf technische Probleme ihr Genüge finden, sind sie jedenfalls unumgängliche Vorbedingungen wissenschaftlicher Technik. Aber je mehr während des vorigen Jahrhunderts sich die Mathematik der Kritik ihrer Grundlagen zu- und den Anwendungen abwandte, je mehr auch einzelne Mathematiker der technischen Hochschulen ihre Wissenschaft in diesem Sinne vorzutragen versuchten, um so mehr regte sich der Widerspruch technischer Eigenart, die neue Ansprüche auf die bemessene Studiendauer für dringlicher hielt. Der Forderung, jede Wissenschaft, die akademisch betrieben wird, muß um ihrer selbst willen betrieben werden, stellte sich die Forderung gegenüber, daß im Hochschulstudium nach Ablegung der Reifeprüfung alle Studien nur, soweit sie dem fachlichen Ziele zuführen, Berechtigung haben. Sind Mathematik und Naturwissenschaften Grundwissenschaften oder Hilfswissenschaften? lauteten die Stichworte der Parteien. Dem Muster französischen technischen Unterrichts wurde die englische Ausbildung gegenübergestellt, die am längsten an der in Handwerk und Kunst geübten Überlieferung durch den Meister festgehalten hat.

Die radikalste Forderung, Mathematik und Naturwissenschaften gänzlich den Mittelschulen zuzuschieben und auf der Hochschule das etwa weiter Erforderliche nicht als selbstständiges Wissen, sondern nur insoweit es im fachlichen Zusammenhange benötigt wird zu bieten, hat sich nur hinsichtlich der Mathematikprüfungen in den bei den Abteilungen durchführen lassen, die schon bisher geringe Anforderungen an die mathematische Ausbildung stellten, die chemische und teilweise die Hochbauabteilung. Aber zu einer heilsamen Nachprüfung des an der Hochschule vorgetragenen theoretischen Wissens auf seine Brauchbarkeit und seinen Bildungswert für das technische Studium, zu einer Ausscheidung des Entbehrlichen, einer Konzentration auf das technisch Wichtige hat allerdings die Entwicklung hingeführt, die an allen Hochschulen in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts sich allmählich beruhigte. Indessen ist wohl vielfach in Weitblickenden der Wunsch rege geblieben, daß es gelingen möge, die Vorbildung der deutschen akademischen Jugend so zu gestalten, daß sie eher zu den fachlichen Studien gelangt als jetzt, sei es, daß man die gymnasiale Bildungsstufe eher beendet, sei es, daß man die realistischen Fächer in ihr verstärkt auf Kosten der sprachlichen.

Verwendung von Technikern in höheren Verwaltungsstellen.

Zugleich mit der Beschwichtigung dieser Fragen erhob sich eine neue Forderung, die zu lebhaften Auseinandersetzungen führte. Wurde früher der wissenschaftlich gebildete Techniker vorwiegend im Zeichenbureau und im Laboratorium beschäftigt, so waren ihm inzwischen im öffentlichen Dienste wie in Privatstellungen in wachsendem Maße Verwaltungsgeschäfte zugefallen, und kaufmännische Erwägungen entschieden oft mehr als konstruktive Vorteile über den Erfolg technischer Ideen.

[1068] Das gesamte Wirtschaftsleben mit seinen rechtlichen Grundlagen und seinen Handelsbewegungen fordert um so mehr Berücksichtigung in der Ausbildung des Technikers, je mehr sich auch in Deutschland die Überzeugung Bahn bricht, daß von den höheren Verwaltungsstellen technischer Staatsbetriebe und großer Unternehmungen Techniker nicht grundsätzlich ausgeschlossen bleiben dürfen, und je mehr der wirtschaftliche Wettbewerb, besonders der mit dem Auslande, auf die Gewandtheit in der Ausnutzung des Marktes hinausläuft. Wenn die Praxis so oft Jurist, Techniker und Kaufmann am liebsten in einer Person vereinigt sehen möchte, so ist es gewiß wünschenswert, das Zusammenwirken und gegenseitige Verständnis dieser drei Betätigungen bereits in der Ausbildungsart der Studierenden zu berücksichtigen.

Während die deutschen Hochschulen im allgemeinen die Anforderungen, die sie beim Studienabschluß an ihre Studierenden stellen, im Laufe der Zeit aneinander abgeglichen hatten, zeigten sich noch 1908 auf dem Gebiete der wirtschaftlichen und rechtlichen Studien erhebliche Unterschiede. In Dresden z. B. waren sie seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts als Bestandteile des Ingenieurstudiums beachtet worden, in Berlin oder Braunschweig wurden sie nur in verschwindendem Maße berücksichtigt.

Neue Fächer.

Die Fragen der Bemessung des Studiums der exakten und der Verwaltungswissenschaften betreffen die Stellung der Technik im Gesamtbilde der deutschen Kultur. Während sie erörtert wurden, traten auch Fragen hervor, die die Abgrenzung der einzelnen technischen Fächer gegeneinander berühren, wie sie durch die praktische Verwendbarkeit der Techniker bestimmt sind. Bis zum Emporblühen der Elektrotechnik im vorletzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts waren Hochbau und Ingenieurbau, Maschinentechnik und chemische Technik die vier Hauptrichtungen der technischen Hochschulen. An das Ingenieurbauwesen anschließend bildeten einzelne Hochschulen noch Vermessungsingenieure und Kulturingenieure aus, zwischen die mechanisch- und die chemisch-technologische Richtung schalteten einzelne Hochschulen eine auf die Fabrikverwaltung, insbesondere auf die Textilindustrie zielende Ausbildung für Fabrikingenieure ein, – das blieb bis zum Auftreten der Elektrotechnik die Mannigfaltigkeit der Studienrichtungen, wobei von der Behandlung an dieser Stelle selbstverständlich ausgeschlossen bleibt, was gelegentlich administrativ einzelnen technischen Hochschulen angegliedert ist, ohne Technik im engeren Sinne zu sein, wie Arzneiwissenschaft, Bergbau, Landwirtschaft, Forstwesen und Handelswissenschaft. Die schnelle große Entwickelung der Elektrotechnik brach diese Schranken; etwa von 1885 an entstanden teils selbständige, meistens aber den Maschinenabteilungen angegliederte Studienpläne für das neue Fach. Aber andere technische Zweige folgten bald nach: der Schiffsbau und das Schiffsmaschinenwesen, das Eisenhüttenwesen, besonders drängend aber in den letzten Jahren das Städtebauwesen. Nicht allein Berücksichtigung bei den Prüfungen forderten diese neu herangewachsenen Aufgaben der Techniker, vielfach erhoben sie auch den Anspruch, als besondere Studienrichtungen neben den alten anerkannt zu werden. Dem stand nun freilich gegenüber, daß eine höhere akademische Bildung nicht allzu eng auf eine [1069] besondere praktische Aufgabe zugeschnitten sein kann, daß der Studierende vor allem um der theoretischen Befriedigung willen, aber auch um sich zukünftige praktische Verwendbarkeit nach verschiedenen Richtungen zu sichern, auf eine gewisse Vielseitigkeit des geistigen Interesses nicht verzichten sollte, und daß es, selbst wenn die fachliche Teilung sehr weit getrieben würde, doch nicht möglich wäre, sich auf eine besondere praktische Aufgabe, wie sie der Staatsdienst oder die Industrie stellt, ohne diese besondere Praxis auf der Hochschule allein einzuarbeiten. So ist denn das Ergebnis vielfacher Erwägungen, daß es bei der alten Verteilung der technischen Hochschulen blieb, und entweder diesen vier Abteilungen die neu erforderlichen Studienzweige angegliedert wurden oder nur bei den Prüfungen eine beschränkte Wahlfreiheit der Prüfungsfächer den Studierenden zusteht.

Umgestaltung der Unterrichtsmittel. Technische Laboratorien.

Aber auch der technischen Dingen Fernerstehende erkennt, welche mannigfache Umarbeitung in den vorhandenen Unterrichtsmitteln und Unterrichtskräften erforderlich war, um den andrängenden neuen Aufgaben gewachsen zu bleiben. Was ist in diesen 25 Jahren nicht umgestaltet worden in der deutschen Technik und demgemäß in den technischen Hochschulen! Der Hochbau stand unter dem Einflusse eines neuen künstlerischen Strebens, eine neue Baukunst mit neuen Baustoffen und neuen, von Volkskunde und Heimatkunst genährten, ästhetischen Anschauungen verdrängte mit fast jugendlichem Ungestüm den Baustil der vergangenen Jahrzehnte. Der Ingenieurbau stand auf der ganzen Linie des Wasser-, Straßen-, Brücken-, städtischen Tiefbaues unter dem Zeichen des Betons, ebenso wie des beispiellos gestiegenen öffentlichen Verkehrs neuen Aufgaben gegenüber. Das Maschinenwesen gestaltete seine Betriebsweise um unter dem Einflusse der elektrischen Kraftübertragung; erhöhte Präzision und gesteigerte Wirkungsgrade wurden von ihm gefordert, neue Motoren, Werkzeuge und Werkzeugmaschinen drängten sich heran. Die technische Chemie wurde tief innerlich durch die wissenschaftliche Entwickelung der physikalischen Chemie und die Elektrotechnik umgestaltet, und wie die anderen Zweige der Technik alle vom Wettstreit mit dem Auslande vor immer neue und technisch wie wirtschaftlich verfeinerte Aufgaben gestellt, galt es doch vor allem auf diesem Gebiete Deutschlands Weltstellung zu wahren.

Am auffälligsten tritt diese innere, den praktischen Aufgaben folgende Umgestaltung des Hochschulbetriebes äußerlich hervor in den Neubauten für technische Laboratorien, die während der letzten 25 Jahre sich finanziell recht merklich machten. Vor 25 Jahren sah eine technische Hochschule rein äußerlich anders aus wie heute, sie stellte sich als ein Studiengebäude dar, neben dem allenfalls noch, meist als nachträgliche Erweiterungen, ein paar Gebäude für die chemischen Laboratorien und das physikalische Institut errichtet worden waren. Heute ist eine technische Hochschule eine Gesamtheit von Gebäuden, die, sehr verschiedenen Zwecken dienend, sehr verschieden ausgestaltet werden mußten. Da ist ein elektrotechnisches, ein elektrochemisches Institut zu den alten Anlagen hinzugekommen, Maschinenlaboratorien verschiedener Art, Institute für Prüfung [1070] der Baustoffe auf ihre Festigkeitseigenschaften, auch vereinzelt Laboratorien für Wasserbau, Institute für Geodäsie und Photographie oder für Luftschiffahrtsversuche sind als Sonderbauten errichtet worden und bedecken nicht mehr nur einen Bauplatz, sondern ein ansehnliches Gelände.

Aber diese äußeren Erweiterungen sind die Anzeichen des inneren Umbaues. Weil nicht mehr wie früher die Maschine nur am Reißbrett entworfen, sondern in ihren Lebensäußerungen, wie sie sich in den Energieumsätzen während des Betriebes zeigen, studiert werden soll, sind die Maschinenlaboratorien entstanden; die neuen Baustoffe, alle die neuen Ansätze technischer Entwickelung veranlassen Lehrer und Schüler zu vergleichenden experimentellen Studien.

Und gerade in dieser Richtung ergab sich ein schönes Ineinandergreifen des für die innere Entwicklung Erforderlichen und des großherzigen Aktes der Verleihung des Doktortitels. Die schönste Frucht dieses Titels ist die Arbeit, die er wachgerufen hat; eine Reihe von Experimentaluntersuchungen technisch wichtiger Vorgänge ist in der Form von Doktorarbeiten durchgeführt worden, die kaum anders als in jenen, auf wissenschaftliche Ausnutzung angelegten akademischen Instituten unternommen werden konnten.

Besuch der Hochschulen.

Daß der gesamten Kulturentwicklung, die wir hier geschildert haben, in wachsendem Maße die Volkskraft zuströmte, erscheint beinahe selbstverständlich. Die wachsende Zahl der Studierenden der Technik führte zur Begründung zweier neuen technischen Hochschulen in den östlichen Provinzen Preußens, die bisher nur in Berlin-Charlottenburg ihrer Jugend eine Stätte höherer technischer Ausbildung geboten hatten. Im Jahre 1904 wurde die technische Hochschule in Danzig begründet, die einzige neben Berlin, auf der Schiffbau und Schiffsmaschinenbau durch eine besondere Abteilung vertreten ist. Im Jahre 1910 folgte die Gründung einer technischen Hochschule zu Breslau, die zunächst allerdings noch keine Abteilungen für Hochbau und Ingenieurbau besitzt.

Von dem Anwachsen der deutschen technischen Hochschulen gibt die Zusammenstellung der Besuchsziffern ein ungefähres Bild. Während 1890 die Zahl aller ihrer Besucher rund 5000 betrug, waren 1895 schon 10 000, 1900 bereits 15 000 vorhanden. Die Zahl der Vollstudierenden hält sich seit 1900 auf etwa 11 000, und war vorübergehend nahe 13 000. Die besuchtesten Hochschulen sind München und Berlin, in weitem Abstande von ihnen folgen Karlsruhe, Darmstadt, Dresden, Hannover.

Vorbereitung für das höhere Schulamt.

Die Schilderung des technischen Hochschulwesens würde unvollständig sein, wenn nicht auch der Ausbildung gedacht würde, die Lehrer der höheren Schulen an ihnen finden. In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ist mehrfach der Versuch hervorgetreten, an den höheren technischen Lehranstalten auch für die Lehrerbildung zu sorgen. Zunächst handelte es sich darum, Lehrkräfte für technische Schulen aller Art zu bilden und somit an den technischen Hochschulen selbst für den eigenen Nachwuchs zu sorgen, aber auch die Lehrer der realistischen Fächer an den Gymnasien und Realgymnasien [1071] sollten auf diesem Wege die Gelegenheit finden, durch technische Anregungen hindurchgehend, den Sinn für praktische Gesichtspunkte zu gewinnen. Auch mag wohl denen, die nicht allein im Interesse der Lehrerbildung, sondern zur Förderung der Allgemeinbildung aller Studierenden für die Gründung philosophischer und geschichtlicher, volkswirtschaftlicher und rechtlicher Professuren an den technischen Hochschulen eintraten, der – freilich bisher nur mäßig erfüllte – Wunsch vorgeschwebt haben, daß nun auch der Strom technischer Kultur rückwirkend auf die Bahnen der alten Geisteswissenschaften seine induzierende Kraft äußern möchte.

Diese Bestrebungen, die lange Zeit mit bekannten Bedenken zu kämpfen hatten, haben sich vor etwa zehn Jahren allgemein durchgesetzt, insofern in allen Staaten bei der Prüfung für das höhere Schulamt eine bestimmte Zahl an technischen Hochschulen verbrachte Semester auf die erforderliche akademische Studienzeit angerechnet werden, z. B. in Preußen drei, in Württemberg sechs Semester. Aber Bayern und Sachsen sind auf diesem Wege weiter vorgeschritten. In den technischen Hochschulen dieser Staaten kann das gesamte Studium bestimmter realistischer Fächer für das höhere Lehramt schon seit langer Zeit durchgeführt werden. Bayern hat sogar seinen Doktor der technischen Wissenschaften von Anfang an nicht allein den technischen Fachabteilungen, sondern auch der für das Lehramt vorbildenden allgemeinen Abteilung verliehen, während in Sachsen erst seit 1912 dieser Titel an der allgemeinen Abteilung der Dresdener Hochschule erworben werden kann. Auch in diesen Fortschritten prägt sich derselbe Gedanke aus, der der gesamten Entwickelung der technischen Hochschulen in den letzten 25 Jahren eigen ist, die Überzeugung von dem Werte wissenschaftlicher Technik für unsere gesamte Kultur. Kennzeichnend ist in dieser Hinsicht eine Wendung, die noch kurz vor 1900 sich Geltung zu verschaffen suchte. Damals ist gelegentlich das tönende Wort geprägt worden, die technischen Hochschulen möchten für das Gros der Techniker sorgen, die wissenschaftlichen Führer aber, die Offiziere der Technik, sollten an den Universitäten ausgebildet werden. Die seitdem verflossene Zeit hat dafür gesorgt, daß wohl auch auf der Seite derer, von denen dies Wort stammt, kein Zweifel mehr darüber besteht: Die technischen Hochschulen werden die Offiziere der Technik selbst ausbilden, oder sie werden ihren Hochschulanspruch preisgeben. In der Festigung dieser Ansprüche technischer Kultur unseres Volkes haben sich bei aller Verschiedenheit im einzelnen alle die in zahlreichen Tagungen und Beschlüssen einig erwiesen, denen die Entwicklung der Technik obliegt, die Hochschulprofessoren ebenso wie die einstigen und die jungen Studierenden, allen voran die mächtigen Vereine der deutschen Ingenieure und Architekten.