Textdaten
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Autor: l.
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Titel: Die stille Allee in Prag
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aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 316–318
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die stille Allee in Prag.


Sie ist ein historischer Boden, diese stille Allee. Man könnte sie die Lieblingspromenade entthronter Monarchen nennen. Es wimmelte in dieser Allee von abgedankten Kaisern und Kaiserinnen, von weggejagten Königen und verbannten Prinzen, von vertriebenen Großherzogen und Kurfürsten, soweit auf dem stillen, menschenleeren Hradschin überhaupt von einem Gewimmel die Rede sein kann.

Aber wenn man die Leute schildern will, muß man zuerst das Land zeichnen, – so will ich denn auch vor Allem sagen, was man unter der stillen Allee, im Volksmunde auch die Gimpelallee genannt, versteht. Sie ist eine Doppelreihe von Bäumen, die droben auf dem ganzen Hradschin vom Palais Toscana bis zur alten Königsburg sich hinzieht. Wenn man die Allee in der Richtung gegen die Burg hinabgeht, so hat man zur Rechten das düstere Kloster der Karmeliterinnen, die unter einer so strengen Zucht leben, daß sie sich der Länge nach auf die Erde werfen und das Gesicht auf den Boden drücken müssen, wenn ihnen zufällig im öden Klostergange ein Mann begegnet. An dieses unheimliche Kloster lehnt sich das castellartige Schloß der Schwarzenberg an – ein geradezu granitner Bau, dessen massive Mauern phantastisch bemalt sind. Dieser Feudalburg gegenüber erhebt sich der erzbischöfliche Palast, an welchen sich die Wohnhäuser der Domherren reihen, welche die stille Allee garniren.

Da so gut wie keine Privatleute diesen Stadttheil bewohnen, so ist der große Platz, dessen Mitte die Allee einnimmt, immer leer. Diese Verödung empfahl ihn aber gerade von jeher hervorragenden Persönlichkeiten, die in der Nähe residirten, und bestimmte sie, ihn zu ihrem Lieblingsspaziergange zu erheben.

Keine vierzig Jahre sind es her, daß täglich ein alter Mann die stille Allee stundenlang auf und niederwandelte, umplänkelt von einem rosigen Mädchen von zwanzig Jahren und einem leidend aussehenden etwa vierzehnjährigen Knaben, der ein wenig hinkte. Zuweilen auch geleitete eine Frau in mittleren Jahren den verwittert aussehenden Greis, der immer düster-feierlich dreinschaute. War es denn aber auch ein Wunder, daß er so traurig und verbittert einherschritt? Hatte er doch auf dem schönsten Throne der Christenheit gesessen, hatte er doch ein Land beherrscht, in welchem, einem alten Sprüchworte zufolge, unser Herrgott mit Vorliebe lebt. Oder sagt man nicht von Jemandem, dem es ausgezeichnet geht: er lebt wie unser Herrgott in Frankreich? Und der alte Herr war einmal König von Frankreich gewesen, hatte aber zu viel gebetet, um als solcher sterben zu können. Das Beten setzte er auch im Prager Exil noch fort, denn so oft der Erzbischof in vollem Pomp ein Hochamt celebrirte, saß im Oratorium in einer vergitterten Loge, ein Gebetbuch vor sich, Karl der Zehnte, Exkönig von Frankreich. Und neben ihm saß seine verwittwete Schwiegertochter, die Herzogin von Berry. Die Kinder aber, die ihn auf seinen Spaziergängen begleiteten, waren Mademoiselle von Frankreich, seine Enkelin, und Heinrich von Bourbon, sein Enkel, den man heute den Grafen von Chambord nennt.

Im Jahre 1836 kam Kaiser Ferdinand von Wien nach Prag, um sich daselbst die böhmische Königskrone aufsetzen zu lassen. Es war dies die letzte Königskrönung daselbst, und der neugekrönte König von Böhmen ließ es sich in den glänzenden Septembertagen des Jahres 1836 nicht im Traume beikommen, daß er Karl den Zehnten dereinst in der stillen Allee ablösen würde. Und doch kam es so.

Während bei den Krönungsfesten die Fontainen Wein sprühten und Tausende von Silberzwanzigern unter die jubelnden Massen geworfen wurden, schlich sich ein unheimlicher Geselle bei dem Volke zu Gaste ein, unter welches man Theile im Ganzen gebratener Ochsen und Tausende gebratener Gänse unter freiem Himmel vertheilte, während auf zahllosen Tischen, welche die Hauptplätze der Stadt bedeckten, das Bier auf des Königs Kosten aus den Fässern in die Humpen floß, drei Tage und drei Nächte lang. Dieser unheimliche Gast war die Cholera.

Karl der Zehnte floh vor ihm. An einem trüben Novembertage verließ er die Prager Burg, in welcher er drei Jahre lang [317] gelebt und als er auf die Brücke kam, ließ er nicht weit von der Stelle halten, wo der Sage nach Johann von Nepomuk in die Moldau geworfen worden war, sah sich noch einmal nach dem Hradschin um und sagte mit Thränen in den Augen: „Ich werde dieses schöne Schloß nicht wieder sehen.“ In Budweis erkrankte sein Enkel gefährlich, so daß der ganze Hof vierzehn Tage in einem Wirthshause sich einquartieren mußte. Kaum in Görz angekommen, wurde der König selbst bettlägerig und starb an derselben Krankheit, vor welcher er geflohen.

Zwölf Jahre spazierten nun Domherren und Stiftsdamen ohne fürstliche Gesellschaft in der Gimpelallee umher, bis das Schicksal wieder einen Fürsten ohne Land nach Prag führte. Diesmal war es kein verjagter Monarch, der die Hradschiner Burg bezog, sondern ein Kaiser, der abgedankt hatte. Oder sollen wir sagen: den seine Umgebung gezwungen hatte, abzudanken? Wenigstens ist es Thatsache, daß Kaiser Ferdinand in der ersten Zeit seines Prager Aufenthaltes mit den Fingern auf die Fensterscheiben zu trommeln und dabei vor sich hinzumurmeln pflegte: „Ich hätte es doch nicht thun sollen.“

Die stille Allee hatte wieder ein erlauchtes Publicum. Die Kaiserin besonders wandte sich ihr mit Vorliebe zu. Der menschenfreundliche Kaiser zog es vor, Spazierfahrten nach der transmoldauischen Stadt zu unternehmen, irgendwo auszusteigen und in das lebendigste Gewühl des Straßenlebens unterzutauchen. Die menschenscheue Kaiserin aber fühlte sich nur im düstern Kaisergarten, der einen Bestandtheil der Burg bildet, und in jener melancholischen Allee wohl, in welcher jetzt auch oft breite Jesuitenhüte sichtbar wurden, welche die Häupter italienischer Beichtväter beschatteten. Die Gemahlin Kaiser Ferdinand’s ist eine Italienerin aus dem Hause Savoyen, und daß sie sich als Italienerin fühlt, bewies sie im Jahre 1848, als Radetzky einen Generalstabsofficier mit einer Siegesnachricht an das kaiserliche Hoflager nach Innsbruck sandte. Der Officier berichtete ihr in Specialaudienz, daß der Sieg den Oesterreichern theuer zu stehen gekommen sei. Die Kaiserin richtete sich, als sie von der Bravour hörte, welche die Bataillone ihres Vetters Carlo Alberto entwickelt hatten, stolz auf und sagte mit vor Bewegung zitternder Stimme: „Also haben sich meine Landsleute brav geschlagen?“

Der Italienerin gefiel es so wenig in der Prager Burg, daß sie dieselbe immer mit Wonne verließ, um sich, sobald der Frühling in’s Land kam, nach ihrem Landsitze im Venetianischen zu begeben. Und wenn sie im Spätherbst von ihrer Villeggiatur zurückkehrte, so geschah dies zögernd, als ob sie einer Gefangenschaft entgegen ginge. Fünf, sechs Mal stieg sie, wenn sie die Burg schon in Sicht hatte, aus dem Wagen und setzte sich viertelstundenlang mitten in der Nacht auf die erste beste Bank, welche ihr längs der Chaussee ein Ruheplätzchen bot. Dieses Zögern gab zu manchen spaßigen Zwischenfällen Veranlassung.

Der Polizeicommissär von Bubentsch, der letzten Bahnstation vor Prag, die der Burg viel näher liegt, als die Endstation, weshalb die Kaiserin daselbst den Waggon zu verlassen pflegte, meldete in seinem Bericht, daß die Kaiserin um zwei Uhr Nachts in Bubentsch angelangt sei. Der Commissär vom Hradschiner Bezirk berichtete, daß die Kaiserin nach vier Uhr in der Burg ausgestiegen sei. Die Fahrt vom Bahnhofe zur Burg nimmt aber nur eine Viertelstunde in Anspruch. – Der Polizeidirector wußte sich also lange nicht zu erklären, wie sich die einander scheinbar widersprechenden Rapporte zu einander verhielten, bis sich die Sache endlich aufklärte.

Heute fährt der Kaiser nicht mehr aus, denn er ist alt und gebrechlich geworden, und muß sich auf den Rollstuhl beschränken, in welchem er, um doch die Wohlthat einer Ortsveränderung zu genießen, stundenlang durch die lange Reihe seiner Gemächer hin und her geschoben wird. Dabei setzt er, der, als er noch in vollem Besitze seiner Geisteskräfte war, nie Jemandem etwas zu Leide gethan hatte, seiner Umgebung recht empfindlich zu.

Als er die letzte Ausfahrt in Begleitung eines seiner Leibärzte machte, holte er jeden Augenblick mit der Hand aus. Der Arzt bemächtigte sich aber immer im rechten Augenblicke der letzteren, um ihm scheinbar den Puls zu fühlen. So kam man auf die Brücke zur Johannesstatue. Wieder erhebt der Kaiser die Hand; wieder greift der Arzt nach dem Pulse. „Was haben’s denn mit dem ewigen Pulsgreifen? – So lassen’s mich doch den heiligen Johannes grüßen!“ sagt der Kaiser unwirsch. Der Arzt giebt die Hand frei – patsch! hatte er eine Ohrfeige.

Trotz seiner Gebrechlichkeit hat der zweiundachtzigjährige Mann noch eine große Lust am Leben. In seinen jungen Tagen hatte ihm eine Zigeunerin geweissagt, daß er achtzig Jahre alt werden würde. Nun ist er glücklich darüber, daß er es schon weit über die ihm in Aussicht gestellten achtzig gebracht habe, und es entspinnt sich fast täglich folgendes stereotype Gespräch zwischen ihm und seiner Umgebung:

„Wie alt kann ich also werden?“ fragt der Kaiser.

„Majestät können neunzig, können hundert Jahre alt werden.“

„Hundert Jahre? Und was dann?“

„Es können auch hundertzwanzig werden.“

„Hundertzwanzig, gut, und was dann?“

„Nun, dann werden Majestät sterben.“

„Sterben? Und was dann?“

„Dann werden Sie auf das Glänzendste bestattet werden – man wird machen: bum, bum!“

„Bum, bum!“ wiederholt der Kaiser, nachdenklich vor sich hinsehend.

Während sich der Nestor aller europäischen und auch wohl aller außereuropäischen Monarchen auf diese naive Art mit seinen Cavalieren unterhält – vom Pianospiel, das er einst mit Leidenschaft betrieben, ist jetzt eben so wenig mehr die Rede, wie vom Billardspiel, dem er, als er noch frisch war, auch sehr zugethan gewesen – sucht seine um zehn Jahre jüngere Gemahlin immer noch mit Vorliebe die stille Allee auf. Die Gedanken, welche sie beschäftigen, sind nur auf einen Punkt gerichtet – sie hat den brennenden Wunsch, ihre verstorbene Schwester, welche an den König von Neapel verheirathet gewesen, selig gesprochen zu sehen. Der Seligsprechungsproceß wickelt sich ihr viel zu langsam ab, obgleich von Seite ihrer geistlichen Umgebung Alles gethan wird, ihn zu fördern. Aber Rom läßt sich Zeit; es darf sich mit der Prüfung der Wunder, welche die Seligzusprechende verübt haben muß, nicht übereilen. Und dann ist man auch dem Hause Savoyen nicht besonders grün im Vatican und auch das Haus, in welches die savoyische Princessin, der an der Seligsprechung ihrer Schwester gelegen ist, hineingeheirathet hat, ist in Rom nicht mehr so gut angeschrieben, wie ehedem. Der Unfehlbare mag vielleicht denken: die Savoyerin kann warten.

Und noch andere fürstliche Persönlichkeiten bevölkerten in den letzten Jahren die stille Allee in Prag. Der vertriebene Großherzog von Toscana wurde, als er noch sein Hradschiner Palais bewohnte, ab und zu in derselben gesehen, und auch der Exkurfürst von Hessen ließ sich nicht selten von seinen Isabellen auf den Hradschin hinaufziehen, um da oben zwischen den alten Räumen die Fürstenpromenade entlang zu wandeln, wie man diese Allee mit Fug nennen kann. Er wohnte auf der Kleinseite, dem Palais des Friedländers gerade gegenüber, und hatte daher nicht weit nach dem Hradschin. Sie war interessant genug, die Nachbarschaft des kurfürstlichen Hauses, das in früheren Jahren dem Fürsten Windischgrätz gehört hatte. Gegenüber das alte Wallenstein-Haus, in welchem noch der Schimmel, den der Friedländer geritten, ausgestopft zu sehen ist. Zur Linken das Palais Auersperg, gegenwärtig dem Fürsten Carlos Auersperg, dem ersten Cavalier des Reiches, wie ihn Schmerling zu nennen pflegte, gehörig. Carlos Auersperg war einmal österreichischer Ministerpräsident und ist gegenwärtig Landmarschall von Böhmen, während sein Bruder Adolph Präsident des cisleithanischen Ministeriums ist. Die beiden Fürsten sind ganz verschiedene Charaktere und sehen einander auch gar nicht ähnlich. Carlos sieht wie ein echter Cavalier, Adolph aber wie ein behäbiger Hôtelwirth aus. Carlos ist schon mit fünfunddreißig Jahren ergraut und zwar über Nacht. Im Jahre 1848 erhoben sich die böhmischen Bauern auf seiner Stammherrschaft gegen ihn, und er mußte sich in einem Heuwagen verstecken. Er brachte eine schreckliche Nacht in dem Wagen unter dem Heue zu, und die Bauern stachen wiederholt mit ihren Mistgabeln, die sie in das Heu einbohrten, nach ihm. Als der Morgen Rettung brachte, war das braune Haar des Fürsten schneeweiß geworden.

Zur Linken des kurfürstlichen Palais erhebt sich der Fürstenberg’sche Palast, von einem terrassenförmig bis zur Hradschiner [318] Burg aufsteigenden Garten eingerahmt. Die Fürstin Fürstenberg ist eine ihrer Schönheit wie ihrer Launen wegen bekannte Dame. Diese Launen haben ihrem seligen Gemahle viel Geld gekostet. Einen Pariser Hut, der tausend Franken gekostet, dem Schooßhündchen zum Apportiren hinzuwerfen, war ihr eine Kleinigkeit. Minder kostspielig war ein anderer burlesker Scherz, den sie in Scene setzte. Sie wettete eines Tages mit ihrem Gemahle, daß sie die Gassenstrecke vor ihrem Palais viel besser reinfegen würde als irgend Jemand anderes, und ehe der Fürst es zu hindern vermochte, war sie unten, hatte sich eines Besens bemächtigt und fegte energisch darauf los. Der Fürst besaß in Lana bei Prag einen ausgedehnten, prächtigen Thiergarten, den er bis in seine verborgensten Partien mit Fahrwegen durchsprenkeln ließ, damit seine Gemahlin das Wild vom Wagen aus wegschießen könne. Heute ist die an königliche Pracht und Verschwendung gewöhnte Frau auf eine sehr mäßige Rente angewiesen. Man sah sie im verwichenen Jahre häufig in Baden-Baden in Gesellschaft der Lady Dudley, der gefeierten englischen Schönheit, deren Gemahl ein so sonderbarer Kauz sein soll. Es geht die Sage von dem gebrechlichen Manne, der vierzig Jahre älter als seine Frau und ebenso häßlich wie diese schön ist, daß er in dem Wahne lebe, er würde eines Tages von einem Eichkätzchen entbunden werden. Um dasselbe nun nicht zu verlieren, trägt er den unteren Theil des Körpers in Sackleinewand eingenäht. Es ist das derselbe Lord Dudley, dessen auf zwei Millionen Pfund geschätzter Familienschmuck ein so großes Aufsehen auf der Wiener Weltausstellung erregte. Die Fürstin Fürstenberg ist eine Nichte jenes Generals Khevenhüller, welcher dem Fürsten Windischgrätz bei der Beschießung Prags im Jahre 1848 secundirte. Sein famoses, den Fürsten zur Fortsetzung des Bombardements animirendes Wort: „Noch eine Pille, Durchlaucht!“ ist ein geflügeltes Wort geworden.

Da, wo das Palais Fürstenberg aufhört, fängt eine wahre Mördergrube an. Fast jedes Haus ist dort der Schauplatz einer unheimlichen Mordaffaire gewesen. Hier wurde eine Geldverleiherin von einer Schuldnerin in der grausamsten Weise massacrirt. Daneben klebt ein Häuschen am Felsengemäuer jenes Hohlwegs, den Wallenstein hier durchbrechen ließ, um seine Armee aus der Stadt hinauszuführen. In diesem Häuschen wohnte eine aus drei Personen bestehende Familie, welche ein gewisser Masson insgesammt in einer Nacht umbrachte. Dieser Masson war eine räthselhafte Persönlichkeit. Er hatte unter dem ersten Napoleon in Spanien gedient und besaß einen Abschied vom französischen Divisionscommando in Saragossa, in welchem der eigentliche Name des Verabschiedeten ausradirt und durch den geschickt hingemalten Namen Masson ersetzt war. Wahrscheinlich war er von der französischen Armee desertirt und hatte einen Cameraden umgebracht, um sich seiner Legitimationspapiere zu bemächtigen.

Aber kehren wir von dieser Excursion, die wir in die Nachbarschaft der stillen Allee unternahmen, wieder in diese letztere zurück, um noch einer Persönlichkeit zu gedenken, die sich vor Jahren in derselben zu ergehen pflegte. Dieselbe gehörte weder zu den vertriebenen, noch zu den abgedankten Fürstlichkeiten, sondern zu dem gleichfalls weitverbreiteten Geschlechte der Prätendenten. Seit Jahr und Tag spielt sie drüben im Lande der Kastanien eine prononcirte Rolle, und es ist in ihrem Namen sowie in jenem des Princips, das sie vertritt, in den letzten drei Jahren mehr Blut vergossen worden, als sie je zu verantworten im Stande ist. Der Mann, der als hochaufgeschossener Knabe mit seinem Hofmeister im Anfang der sechsziger Jahre die stille Allee täglich auf und nieder zu wandeln pflegte, ist Don Carlos, der Prätendent von Spanien. Der Enkel jenes Don Carlos, der zehn Jahre lang mit seiner Nichte Isabella um den spanischen Thron kämpfte, bis ihn Espartero zwang, nach einer entscheidenden Niederlage Spanien zu verlassen und in Oesterreich eine Zuflucht zu suchen, wo er unter dem Namen eines Grafen Montemolin lebte und starb, bewohnte Jahre lang mit seinem jüngeren Bruder Alphons das Schloß auf dem Prager Hradschin, und man sah die beiden braunen, schwarzhaarigen und schwarzäugigen Jungen mit ihrem Hofmeister, einem Jesuiten, in einer alterthümlichen Hofequipage, die ganz zu den Grundsätzen paßte, welche ihnen der Jesuit einimpfte, durch die Stadt fahren. Als es in Oesterreich zu tagen begann, gefiel es den Jesuitenschülern nicht mehr recht in Prag – dafür kam bald darauf ein anderer spanischer Alphons als Flüchtling nach Oesterreich, um im Wiener Theresianum, der österreichischen Beamtenabrichtungsanstalt, gedrillt zu werden.
l.