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Autor: F. J.
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Titel: Die schönste Nase
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 20–21, S. 281–284, 293–298
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[281]
Die schönste Nase.
Von F. J.


In einer Vorlesung über Phrenologie und Physiognomik hörte ich von dem Professor einst folgenden Satz aufstellen:

„– Jeder Mensch wird mit gewissen Grundformen des Kopfes und besonders des Gesichtes geboren, die ihm von der Natur als unabweisbares Geschenk mit auf die Welt gegeben werden. Für diese kann er nichts. Zu verantworten hat er es aber – mittelbar seine Eltern und Erzieher – wie diese Grundzüge sich später ausbilden. Erst die Neigungen und Leidenschaften, die Tugenden oder Laster, die ihn beherrschen, bilden und formen im Laufe der Zeit die Gesichtszüge des Menschen.“ –

So sagte der Professor und suchte dem Häuflein seiner Zuhörer die Wahrheit dieses Satzes an einer großen Menge von Schädeln, Büsten und Portraits zu beweisen. Mit Geschick hatte er auch eine Kopfschablone angefertigt, welche, aus einzelnen Theilen zusammengefügt, je nach Wunsch verändert werden konnte. Bald wurde dem Kopfe eine flache, niedrige, bald eine hohe, gewölbte Stirn gegeben. Nasen, von dem sogenannten Wolkenriecher bis zu der über den Mund hinabreichenden, wechselten mit eben so mannichfaltigen Mündern und Kiefern.

Auf diese Weise gab der Professor einem Gesichte, je nach der Zusammensetzung, jeden ihm beliebigen Ausdruck. Zugleich stellte er aber auch, wie er sagte, „unmögliche“ Gesichter zusammen und demonstrirte nicht ohne Glück, daß eine so und so geformte Stirn mit einer so und so gestalteten Nase und derartigen Lippen niemals vereint vorgekommen wären und daß eine solche Vereinigung auch ganz unmöglich erscheine, weil immer einer dieser Gesichtstheile auf Eigenschaften und Fähigkeiten hinweise, die, nach dem Baue der andern zu schließen, völlig in Abrede gestellt werden müßten.

Ein solches nach Aussage des Professors absolut unmögliches Gesicht trug der Studiosus juris et cameralium, Ernst Günther in Breslau in der Woche, sowie an Festtagen öffentlich zur Schau. Er that sogar ganz unbefangen mit diesem Gesichte, obgleich ihm dessen Eigenthümlichkeiten eben so bekannt waren, wie jedem Anderen, und verspottete es oft noch mehr, als seine Bekannten und Freunde, die es keineswegs daran fehlen ließen.

Günther hatte fast gar keine Stirn, man müßte denn die schmale, zwischen buschigen Augenbrauen und dichten, struppigen Haupthaaren hinlaufende Bahn mit diesem Namen beehren wollen! Viel – das heißt der Masse nach – Gehirn konnte hinter dieser fast concaven Fläche nicht verborgen sein, darum mußte es durchaus besserer Qualität sein, denn was Verstand und Witz betraf, so nahm Günther es mit Jedem auf, der den bewußten Kasten mit der vielversprechendsten Wölbung besaß und hinter diesem die größtmögliche Masse weicher Substanz bergen mochte. Hatte man einmal das Glück, Günther’s Augen zu erblicken, so sah man aus dem Blitze derselben sogleich, weß Geistes Kind man vor sich hatte. Dies Glück wurde Einem aber selten zu Theil, denn jene Augen lagen tief im Kopfe, waren sehr klein und wurden durch schwere Augenlider halb verdeckt.

Ich komme nun zur Nase, diesem wichtigen und interessanten Vorbau des menschlichen Antlitzes. Wo aber nehme ich Worte her, um Günther’s Nase, die Nase aller Nasen, geschichtlich treu zu beschreiben?

Ganz Breslau war voll von dieser Nase, sowohl bildlich, als räumlich! – und die liebe Straßenjugend rief, sobald Günther sich sehen ließ: „Die Nas’ kummt, die Nas’ kummt!“ Aber nur der ältere Theil des hoffnungsvollen Nachwuchses besaß diese Kühnheit. Die Kinder unter acht Jahren und besonders die kleinen Mädchen gaben in Angst und Schrecken Fersengeld, sobald sie nur von weitem die Nase kommen sahen. Was für ein Gedicht hätte der Besinger von Wahl’s Nase machen müssen, hätte er erst Günther’s Nase gekannt!

Nicht sowohl die außerordentliche Dicke und Lange derselben, nicht ihre überkühne Biegung machte sie so berühmt; es war vielmehr die Art und Weise, wie sie sich bergab senkte. Anfangs ging das Nasenbein gerade aus, sehr bald aber erachtete es den geraden Weg nicht als den besten, sondern bog sich ganz bedeutend nach der rechten Seite. Aber auch diese Richtung schien ihr nicht zu behagen, darum lenkte sie ganz allmählich wieder nach links, warf sich aber, nach der Spitze hin, plötzlich und überraschend wieder nach der rechten Seite zurück. Wenn man, von der Stirn ausgehend, in senkrechter Richtung über Günther’s Antlitz eine Linie gezogen hätte, würde dieselbe nicht auf dem Nasenrücken entlang gelaufen sein, sondern diesen zwei Mal, oben an der Wurzel und unten an der Spitze geschnitten haben. Ob Günther – ich folge hierbei meinem Professor – mit dieser eigenthümlichen Nasengestalt zur Welt gekommen, oder ob dieselbe später durch seine Schuld und durch die ihm innewohnenden Eigenschaften so wunderbar entwickelt worden war, vermag ich nicht zu entscheiden, da der Träger des Pisa-Thurmes über dessen Entstehungsart hartnäckiges Stillschweigen beobachtete. Mir kam es stets vor, als sei Günthers Gesicht ein aus Guttapercha geformtes, auf dem man mit den Fingern künstliche Unförmlichkeiten hervorbringt, und ich erwartete oftmals, ob sich nicht auch bei Günther, wie bei diesem, die ursprüngliche Form langsam von selbst wieder herstellen werde. Aber es blieb, wie es war, und es steht zu befürchten, daß es ewig so bleiben wird!

[282] Ueber Günther’s Oberlippe etwas zu sagen, ist schwer, da auch nicht eine Spur davon vorhanden war. Um für diesen Mangel zu entschädigen, hatte Mutter Natur die untere Partie des Gesichts desto verschwenderischer bedacht und die Gestalt des Unterkiefers durch Länge und Schwere der Nase würdig gebildet.

Es läßt sich wohl ohne Uebertreibung sagen, Günther war nicht schön mit diesen „unmöglichen“ Formen. Man könnte sogar weitergehen und behaupten, er war häßlich, sehr häßlich, so häßlich, daß es wirklich seiner vielen außergewöhnlich guten Eigenschaften bedurfte, um ihn in der Gesellschaft zu leiden. Er war aber in derselben nicht nur gelitten, sondern sogar gesucht und gefeiert. Selbst der hohe und gewöhnlich sehr exclusive schlesische Adel sah ihn außerordentlich gern in seinen Kreisen, und da Günther im Besitz eines bedeutenden Vermögens war, das er, nach dem Tode seiner Eltern frühzeitig mündig gesprochen, selbstständig verwaltete, so befand er sich auch in der Lage, mit den jungen Edelleuten der Provinz auf gleichem Fuße zu leben.

So viel über den ersten Helden dieser Erzählung, die deren zwei aufzuweisen hat.

In einer der weniger lebhaften Seitenstraßen Breslau’s befand sich das Schnitt- und Kurzwaaren-Geschäft des Jakob Eli Lissauer. Bei ihm war Alles zu kaufen, dessen man in der Haus-, Hof-, Garten- und Küchenwirthschaft nur irgend bedarf. Nebenbei war Lissauer nicht abgeneigt, mit jungen Leuten, die sich in Geldverlegenheit befanden, kleine Geschäftchen zu machen, und man muß es ihm zum Ruhme nachsagen, er nahm christlichere Procente, als viele seiner christlichen Nachbarn, und war überhaupt ein braver, reeller Mann. Nur Geschäfte wollte er machen um jeden Preis und er versäumte nichts, was zur Erfüllung dieses Zweckes führen konnte. Daher kam es auch, daß sein Laden und sein Name auf der Breslauer Universität sehr bekannt war und, je nachdem geborgt oder zurückgezahlt werden mußte, einen guten oder fatalen Klang hatte.

Lissauer war einige zwanzig Jahre alt, hielt ungemein auf sich und seine Toilette und war wegen seiner Schönheit bei den Mädchen der Nachbarschaft förmlich berühmt. Die Mädchen seines Stammes aber, die Sarah’s, Lea’s und die Judith’s, waren ganz hingerissen und bezaubert von dem schönen Jakob Eli. Welche Mühe gaben sie sich, ihn in ihr Netz zu ziehen! Lissauer’s Herz hatte aber bisher keine Entscheidung getroffen, obwohl es schien, daß die Rahel Liepmann mit ihren blitzenden, schwarzen Augen den Sieg über den Spröden davontragen würde. Nur wollte Meyer Liepmann, der Vater, die Passion seiner Rahel nicht eben gut heißen, denn er war reich, sehr reich, und Lissauer, wenn auch voller Gaben und Talente „für’s Geschäft“, wenn auch schön und begehrt, doch immer nur ein kleiner Anfänger.

Schön war er aber in der That. Er besaß die herrlichsten schwarzbraunen Haare, eine freie, edelgeformte Stirn, große, funkelnde Augen und eine Nase – o, eine Nase, wie sie in so schönen und reinen Linien sonst nur in der Antike vorkommt. Maler und Bildhauer benutzten sie gern als Vorbild bei ihren Arbeiten und zahlten willig eine höhere Vergnügung für diese Abkonterfeiung, denn in ganz Breslau war nicht eine zweite Nase von so tadellosem Ebenmaße aufzutreiben. Ja, das war eine Nase! O, Du armer Günther, wenn mir Deine Nase dabei einfällt!

Günther und Lissauer waren gute Freunde. Ich will damit nicht sagen, daß sie sich besuchten und zum Abendessen einluden, aber wenn sie sich begegneten, versäumte Günther niemals zu sagen: „Guten Morgen, Herr Lissauer. Wie gehen die Geschäfte?“ worauf Jakob Eli die stehende Redensart erwiderte: „Danke bestens, Herr Baron“ – Barone waren die Studenten alle in Lissauer’s Augen – „man muß immer zufrieden sein!“

Dann gingen Beide lächelnd weiter, Lissauer wohl gar mit leisem Kopfschütteln vor sich hinmurmelnd: „Soll mir Gott, – ’s ist doch ’ne schändliche Visage! Jakob Eli, danke dem Gott deiner Väter, daß du nicht aussiehst, wie der!“ Dabei blieb er auch wohl an dem nächsten Schaufenster stehen, warf einen zufriedenen Blick auf seine Gestalt, deren Spiegelbild die großen Scheiben zurückstrahlten, zupfte die Vatermörder ein wenig in die Höhe und schritt stolz und vergnügt weiter.

Einmal vor langer Zeit hatte Lissauer Günther in seiner Behausung aufgesucht und ihn um seine Vermittelung bei einer Zahlungsangelegenheit gebeten. Durch Günther’s bereitwilligen Beistand war diese Angelegenheit zur Zufriedenheit aller Theile geordnet worden und Lissauer’s gute Meinung von Günther stieg seit diesem Tage bis zur höchsten Verehrung, um so mehr, da dieser niemals eine Gegengefälligkeit verlangt hatte. Noch nie war Günther bei Lissauer gewesen, um so erstaunter war Letzterer, als er den Studiosus plötzlich in der Dämmerstunde eines Herbsttages bei sich eintreten sah. Bestürzt riß er an der Schürze, die er zur Conservirung seines Anzuges im Laden zu tragen pflegte, und gelangte endlich unter unaufhörlichen Dienern und Kratzfüßen zu dem glücklichen Resultate, dieselbe zu entfernen.

„Herr Baron, womit kann ich dienen? Welche Ehre, daß Sie mich auch einmal besuchen! Befehlen Sie über mich!“ stammelte er, während die zwei kleinen Lehrlinge mit den blaurothen Händen nicht wußten, ob sie ebenfalls Verbeugung machen oder über den „Nasenmann“ lachen sollten. In ihrer Ungewißheit standen sie mit offenem Munde da.

„Guten Morgen, Herr Lissauer,“ rief Günther. „Nun, wie gehen die Geschäfte?“

„Nu, man muß immer zufrieden sein, Herr Baron! Was verschafft mir die Ehre Ihres Besuches?“

„Ich möchte Sie in einer wichtigen Angelegenheit ein Viertelstündchen unter vier Augen sprechen.“

„Belieben der Herr Baron nur dahinein in mein Comptoir zu spazieren, ich stehe zu Befehl.“

Günther ging voran. Händereibend und unter fortwährenden Verbeugungen und erfreuten Ausrufungen folgte ihm Lissauer in das kleine Hinterstübchen, zog die Thür fest hinter sich zu und schob die Gardinen vor den Glasfenstern derselben dicht zusammen. Wer aber erfahren möchte, was Günther zu diesem Besuch bei Jakob Eli bewog, der muß zuvor einen Rückblick thun.


Im Hotel zur „goldnen Gans“ in Breslau wurden eines Abends große Vorbereitungen zu einem Souper gemacht, mit welchem Graf Neurode eine gegen den Grafen von Clarenstein verlorene Wette zu bezahlen hatte.

Vier der nähern Freunde und Studiengenossen beider Herren, und unter diesen auch Günther, waren zu dem Festmahl eingeladen worden. Günther verkehrte, wie bereits erwähnt ist, vielfach mit der Aristokratie. Er war jedoch kein Anhängsel derselben, kein privilegirter bürgerlicher Spaßmacher, wie es deren genug gibt, die für ein gutes Abendessen und für die Ehre, sich öffentlich mit so vornehmen Leuten zeigen zu dürfen, sich Alles gefallen lassen. Im Gegentheil, meistens war es Günther, der seine Genossen mit schonungslosem Witz und beißender Satire geißelte. An Schärfe des Verstandes kam ihm keiner gleich, und da er ein heiterer, liebenswürdiger Gesellschafter war, so unternahmen seine Bekannten selten etwas, ohne ihn zur Theilnahme aufzufordern.

Einer der heute Eingeladenen – Baron Posen – war ein noch ganz junges Herrchen und hatte erst vor Kurzem die Universität bezogen. Auch sein Busenfreund, Graf Mellin, war kaum des Schulzwanges und des moralisirenden Hofmeisters ledig, – und Beiden schmeckte die Freiheit des Studentenlebens doppelt süß. Vor keinem leichtsinnigen Streiche scheuten sie zurück, sobald derselbe ihnen Unterhaltung versprach, aber sie verbanden mit jugendlichem Uebermuthe einen liebenswürdigen Charakter, und hatten mehrfache Proben eines guten Herzens gegeben. Posen war ein hübscher Jüngling, aber er hielt sich auch für unwiderstehlich. In geringerem Maße galt Beides von Mellin, doch legte dieser ein großes Gewicht auf seine hohe Geburt und seinen Reichthum. Beide hatten sich – wie man zu sagen pflegt – die Hörner noch nicht abgelaufen, doch sollte ihnen im Umgange mit Günther die beste Gelegenheit dazu werden. Der sechste Tischgenosse beim heutigen Abendessen war der Baron von Leitmersdorf, ebenfalls Student, ebenfalls sehr jung und ebenfalls der Sohn wohlhabender Eltern.

Graf Neurode war der Erste auf dem Platze. Als Festgeber mußte er vor dem Erscheinen seiner Gäste noch einen Blick auf die Zurüstungen werfen und sich überzeugen, ob Alles nach seiner Anordnung ausgeführt sei. Nach und nach stellten die jungen Leute sich ein, nur Günther fehlte zuletzt noch. Als man ihn aber eine halbe Stunde nach der zur Versammlung festgesetzten Zeit vergeblich erwartet hatte, wurde man ungeduldig und gab einem Kellner den Auftrag, den Saumseligen „lebendig oder todt“ herbeizuschaffen. Kaum aber war der Bote entsandt, als Günther eintrat. Man empfing ihn mit lauten Acclamationen und vielen Scheltworten, aber er ließ sich durch nichts aus seiner Ruhe bringen. Ohne auf alle Ausrufungen zu achten, die ihn umschwirrten, schritt er auf [283] Neurode zu, machte ihm eine komisch-ceremoniöse Verbeugung und sagte:

„Graf, Gönner, Freund, verzeiht, wenn ich Eurer huldreichen Einladung nicht pünktlichst nachkam. Ich habe auf dem Wege hierher eine unvermuthete Abhaltung gehabt. Wie hätte ich sonst Euch und die übrigen hohen Grafen und Herrn so ungebührlich lange warten lassen!“

Er machte den lachenden Freunden bei diesen Worten eine ernste Verbeugung, während er prüfende Blicke auf die reichbesetzte Tafel warf.

„Gewiß hat er ein Liebesabenteuer gehabt,“ rief Posen, „ein Rendez-vous! Oho, so kommt man hinter seine Schliche. Günther, sagen Sie geschwind, wo die Göttliche wohnt und wie sie heißt.“

Günther blickte den Sprecher mit einem ironischen Lächeln an, das die Heiterkeit der übrigen Herren sehr erhöhte; dann sagte er:

„Ich will Euch die Geschichte meines Abenteuers nicht vorenthalten. Ihr sollt sie Alle hören, aber nicht jetzt bei nüchternem Magen, sondern wenn wir erst einige Gläser Sekt getrunken haben.“

Der Wirth meldete jetzt, es sei angerichtet, und in der heitersten Stimmung schickte man sich an, den aufgetischten Speisen und Getränken die schuldige Ehre anzuthun. Die Unterhaltung riß nicht ab. Ein Scherz jagte den andern und Neckereien jeglicher Art gingen herüber und hinüber.

Als man beim Nachtisch angelangt war, wurde Günther von allen Seiten bestürmt, sein Abenteuer zum Besten zu geben, und er begann bei andächtiger Ruhe seiner Zuhörer:

„Meine Herren und Lords, – unsere höchst ehrenwerthe Gesellschaft hier kommt mir wie eine ständische Versammlung vor. Ihr seid die vielmögenden Grafen und Herren, – ich bin vom Hause der Gemeinen ein bescheidenes Mitglied.

„Denkt Euch nun, Ihr Lords und Herren, ich sei Vertreter des Unterhauses und beauftragt, einen von diesem angenommenen Beschluß Ihnen vorzutragen und Ihrer Berathung, respective Annahme unterzubreiten.“

„Wo soll das hinaus!“ erscholl es im Kreise der Zuhörer. „Zur Sache! Zur Sache!“

„Ich bin bei der Sache, Mylords; Sie werden es sogleich hören. Mein dem hohen Hause vorzulegender Gesetzentwurf muß doch erst von mir begründet und erörtert werden, ehe Sie zur Berathung desselben schreiten können. Und zur Begründung meines Antrages will ich folgende Geschichte erzählen.“

„Hört, hört!“ rief man jetzt, und Günther begann auf’s Neue:

„Als ich durch die Kreuzgasse schritt, um mich zu dieser ehrenwerthen Versammlung zu begeben, hörte ich einen fürchterlichen Lärm, der aus einer daselbst befindlichen Tischlerwerkstatt hervordrang. Zwei Männer zankten heftig mit einander, ein Weib kreischte, und die Begleitung zu diesem unmelodischen Terzett bildete das vielkehlige Wehgeheul der lieben Kinder.

„Ich stand einen Augenblick still und verfolgte den Gang dieser unauflöslichen Dissonanzen – da öffnete sich plötzlich die Thür und ein zornerhitzter Mann trat heraus, der mit Stentorstimme ausrief: „Und ich sage Euch zum letzten Male, es bleibt dabei! Ich lasse Euch auspfänden und auf die Straße werfen!“ Dabei schlug er die Thür so heftig hinter sich zu, daß sie in ihren Angeln zitterte, und ging die Straße hinunter. Drinnen im Hause aber hatte das Schreien nachgelassen, und nur leises Weinen und Schluchzen ließ sich noch vernehmen.

„Dem edlen Triebe meines schönen Herzens folgend, – meine Herren Lords, ich rede hier nicht als Einzelner, sondern als Repräsentant des Unterhauses, daher hege ich keine Scheu vor diesem lobenden Ausspruch und muß den Präsidenten dringend ersuchen, die Lacher zur Ordnung zu verweisen! – Also ich sagte: dem edlen Triebe meines schönen Herzens folgend, trat ich ein in die Hütte der Armuth und fand eine von Kummer und Sorgen heimgesuchte Familie, bestehend aus Vater, Mutter und sechs Kindern – weniger haben arme Leute nie, auch gehören sechs unmündige Kinder nothwendiger Weise zu jeder rührenden Familiengeschichte!

„Erstaunt, theilweise sogar mit den Zeichen der Angst und des Schreckens blickten die sechzehn Augen mich an und mochten zuerst glauben, ihr Quälgeist, der geldverlangende und drohende Hauswirth sei noch einmal zurückgekehrt. Als aber die spärliche Beleuchtung der Stube ihnen gestattete, meine Züge zu erkennen, da wichen die Kinder entsetzt vor mir zurück und riefen: „O Jesses, o Jesses, die Nas’ kummt! Nun ist Alles aus!““

Ein fröhliches Gelächter unterbrach diese mit schwermüthigem Tonfall gesprochenen Worte, und Posen rief:

„Ja, Günther, es war auch sehr unvorsichtig, daß Sie sich dieser unglücklichen, so gar nicht auf Ihren Anblick vorbereiteten Familie zeigten. Die Aermsten hätten den Tod vor Schreck haben können!“

„Ja wohl, ja wohl,“ seufzte Günther, „daran ist aber meine jugendliche Hitze Schuld, die mich die möglichen Folgen eines Schrittes kaum bedenken läßt. – Wären Sie nur an meiner Seite gewesen, edler Freund, Sie hätten mich zurückgehalten und wären selbst hineingegangen, in der beruhigenden Ueberzeugung, daß sich vor Ihnen Niemand fürchten kann!“

Jetzt waren die Lacher völlig auf Günther’s Seite, der, während Posen sich erröthend auf die Lippen biß, ruhig fortfuhr:

„Alles geht vorüber, also auch der Schreck jener Menschen vor meiner Erscheinung. Die Kinder hörten auf zu heulen, und die Eltern fragten, was zu meinen Diensten stände. Ich erwiderte: ich selbst, nämlich zu den ihrigen, sie sollten mir nur mittheilen, um was es sich handle. Da erfuhr ich denn unter einem neuen Ausbruch von Verzweiflung und obligatem sechsstimmigen Accompagnement, daß sie bei der theuren Zeit – natürlich ganz ohne ihre Schuld – in’s Unglück gekommen und dem Wirthe die Jahresmiethe mit dreißig Thalern schuldig geblieben waren, und daß sie um dieser Thatsache willen an die Luft gesetzt werden sollten. Kurz und gut – ich ging wieder fort, bestellte mir aber das älteste Tischlerkind hierher und denke, es wird schon draußen warten. Das Unterhaus hat nämlich den Beschluß gefaßt, und zwar einstimmig, meine Herren Lords, die für die Reparatur des alten, baufälligen Gemäuers, vulgo Familie, nöthige Summe zu bewilligen, und trägt hiermit darauf an, daß das Oberhaus sich diesen Beschluß ebenfalls aneigne.

„Ich habe nichts weiter zu sagen, behalte mir aber vor, Ihnen einige Berechnungen über Champagnerfeste und dergleichen vorzulegen, wenn sich ein Einwand gegen den Beschluß des Unterhauses erheben sollte!“

Hiermit griff Günther zur Börse und legte ein Goldstück auf den vor ihm stehenden Teller, den er sodann seinem Nachbar hinhielt. Seinem Beispiel folgen Alle unter Lachen und Bravorufen.

„Ruft das Kind herein!“ befahl Günther dem Kellner, als der Teller die Runde gemacht hatte und reich gefüllt wieder vor ihm stand. Bald darauf trat ein zwölf- oder dreizehnjähriges, ärmlich gekleidetes Mädchen ein, das in höchster Verlegenheit an der Thür stehen blieb und nicht aufzublicken wagte.

„Tritt näher, Du ältester Sproß einer armen, aber unglücklichen Familie,“ rief Günther ihr zu, „und höre, was das hohe Haus in seiner Weisheit beschlossen hat.

„Nach einer glänzenden Rede des sehr ehrenwerthen Sprechers des Unterhauses, in welcher er klar dargethan hat, daß Ihr unbegreiflicher Weise von der Natur und ihren Reizen nichts wissen wollt – weine nicht, kleiner Rebeller, sonst komme ich aus dem Zusammenhange! – nach diesem Allen hat man beschlossen, Eurer weichlichen Vorliebe für eine warme Stube Vorschub zu leisten und Eurem verkannten Wohlthäter, dem Hauswirthe, die Miethe zu zahlen!

„Nun aber aufgehört mit Weinen! Thränen kann diese hohe Versammlung nicht vertragen. Was? Hände küssen? – Fort fort, mein Kind! .... Doch zuvor die Schürze aufgehalten. So! Das ist für das schreiende Sextett zu Hause, um ihnen die Münder zu stopfen!“

Damit schüttete Günther das Confect von den Schalen in die Schürze des kleinen Mädchens und schob das erschreckte und verwunderte Kind sanft zur Thüre hinaus.

„Ihr habt eine eigenthümliche Manier, wohlzuthun, Günther,“ sagte Neurode. „Mir that das arme Kind ordentlich leid, wenn Ihr es so hart anfuhrt!“

„Seine Worte erschreckten das Kind nicht halb so sehr, als seine Nase,“ rief Mellin. „Sahet Ihr nicht, welche Blicke voll Angst und Entsetzen sie auf dieselbe warf?“

„Ja, die Nase hat schon viel Unheil angerichtet!“ seufzte Posen. „Es ist gewissermaßen eine Rücksichtslosigkeit gegen das Publicum, eine solche Nase zu tragen.“

Günther trank ruhig sein Glas Wein aus, dann sagte er: [284] „Meine Nase, meine Nase und immer wieder meine Nase! Ihr reitet nun doch schon lange genug auf diesem Steckenpferde!“

„Groß genug, um darauf zu reiten, ist sie auch!“ rief Clarenstein, „und ordnungsmäßig gesattelt ebenfalls.“

„Und doch behaupte ich,“ nahm Günther gleichmüthig das Wort und schaute sich im ganzen Kreise um, „und doch behaupte ich, daß ich die schönste und wohlgebildetste Nase von Euch Allen, ja von ganz Breslau besitze!“

„Hoho!“ lachte Posen. „Das wäre!“

„Geben Sie uns den Beweis Ihrer Behauptung,“ sagte Leitmersdorf, „denn diesmal können und werden Sie nicht verlangen, daß wir Ihnen auf’s Wort glauben.“

„Den Beweis?“ fragte Günther ruhig, während alle Anderen sich vor Lachen schüttelten. „Gut, ich werde Ihnen den Beweis liefern! Aber mich dünkt, der Gegenstand wäre wohl einer Wette Werth.“

„Ich halte sie,“ rief Posen, und Mellin bildete sein Echo. „Ein Souper, wie heute Abend, sei der Preis.“

„Topp, es gilt!“ sagte Günther. „Ein Souper ist schon etwas, und unter Umständen sogar etwas Gutes. Aber bei der Erhabenheit des Gegenstandes, der zu dieser Wette Veranlassung gibt, scheint es mir nicht genug zu sein.“

„Ich halte noch extra zwanzig Friedrichsd’or!“ rief Posen.

„Ich auch!“ schloß sich Mellin an, und auch Leitmersdorf, Neurode und Clarenstein erklärten, daß sie die gleiche Summe halten wollten.

„Fünfmal zwanzig macht hundert,“ rechnete Günther. „Hm, das ginge schon. – Nun gut, Ihr Herren, ich gehe die Wette ein und halte sie gegen Euch Alle. Uebermorgen Abend zu dieser Stunde und hier im Zimmer werde ich den verlangten oder bezweifelten Beweis liefern. Das Souper wollen wir sogleich bestellen, – wer die Kosten trägt, das wird sich nachher entscheiden.“

„Aber wir begehen an Euch einen Straßenraub, Günther,“ lachte Neurode, „da es unzweifelhaft ist, daß ihr die ganze Zeche bezahlen müßt. Ihr müßt die Goldfüchse hoch aufgethürmt im Kasten liegen haben!“

„Ei bewahre,“ erwiderte Günther zuversichtlich. „Ich will sie erst aufthürmen, denn Euere hundert Friedrichsd’or sind mir sicher. – Indeß, wenn Euch die Wette leid wird, so sei es Euch gestattet, sie jetzt noch rückgängig zu machen!“

„Nein, nein,“ rief es von allen Seiten, „die Sache ist abgemacht! Aber wer soll Schiedsrichter sein?“

„Jede Partei wählt den ihrigen,“ sagte Günther, „und ich für meinen Theil den Maler Richter.“

Ein in Breslau lebender, anerkannter Bildhauer wurde zum Schiedsrichter der Gegenpartei erwählt und man beschloß, außerdem noch einen Juristen hinzuzuziehen, der darüber wachen solle, daß Alles auf gesetzlichem Wege zugehe. Der Vorschlag, zu diesem Amte den Assessor Ebert aufzufordern, fand den allgemeinsten Beifall.

„Wohlan, so werden diese drei Herren zum Souper auf übermorgen eingeladen,“ sagte Günther. „Aber ich denke, wir lassen unsere Wette bis dahin nicht unter das Publicum kommen und theilen auch den Herrn Schiedsrichtern vorher nicht mit, um was es sich handelt.“

„Einverstanden!“ hieß es. „Es gibt einen köstlichen Spaß!“

In der ausgelassensten Heiterkeit blieb die kleine Gesellschaft noch lange beisammen. Als sie sich aber auflöste, erscholl von allen Seiten der fröhliche Ruf: „Also übermorgen folgt die Fortsetzung des heutigen Abends und die Entscheidung unserer Wette!“


Es war in der Dämmerstunde des folgenden Tages, als Günther, wie bereits oben erzählt ist, bei Lissauer eintrat.

Als sie sich in dem kleinen Hinterstübchen allein befanden, entstand eine Pause, während welcher Günther mit seinen grauen Schlitzaugen Lissauer scharf anblickte, so daß dieser verlegen die Blicke niederschlug, sie aber doch von Zeit zu Zeit wieder mit sichtlichster Spannung auf seinen Besuch heftete.

Endlich begann Günther das Gespräch.

„Herr Lissauer,“ sagte er, „ich habe Ihnen ein gutes, ja ein ausgezeichnet gutes Geschäft vorzuschlagen. Es handelt sich um einen reinen Gewinn von fünfhundert Thaler Gold, ohne daß Ihnen die geringste Möglichkeit eines Verlustes oder nur eine Mühwaltung daraus erwächst. Ich denke, Sie werden darauf eingehen.“

„O, Herr Baron,“ rief Lissauer, dessen ganzes Gesicht strahlte, „dacht’ ich doch Wunders, was ich würde zu hören bekommen, weil Sie aussahen so ernst. Fragen Sie doch nicht erst, ob ich das Geschäft will machen! Sagen Sie mir, wo es liegt, das Geld, und wie ich es kann verdienen.“

„Sie haben nur nöthig, sich zu bücken, um es aufzunehmen. Nein, nein, nicht buchstäblich genommen! Wenn das Geld hier unter dem Tische läge, würden Sie es ja wissen,“ sagte Günther lächelnd, als Lissauer bei seiner vergleichenden Redeweise sich unwillkürlich bückte. „Nur Ihre Namensunterschrift kostet es Sie,“ fuhr Günther fort, „dann aber spaziert die genannte Summe sofort in Ihre Tasche.“

Ein wenig bedenklich geworden, erwiderte Lissauer: „Namensunterschrift! Nu, wir müssen sehen, was es gilt, denn der Herr Baron wissen so gut als ich, daß die Namensunterschrift unter wenige Worte, auf einem ganz kleinen Stückehen Papier, kann oft sein sehr kostbar; ja, daß es kann gehen an Kopf und Kragen.“

„Sie haben nichts zu befürchten, Herr Lissauer. Es handelt sich hier zwischen uns um ein regelmäßiges kaufmännisches Geschäft. Ich kaufe Ihnen etwas ab und verlange nicht einmal, diesen erkauften Gegenstand mit mir zu nehmen. Im Gegentheil, Sie bleiben für alle Zeiten der Nutznießer desselben, Sie sollen mir nur eine schriftliche Anerkennung geben, daß ich der Besitzer bin.“

„Wenn’s weiter nichts ist, Herr Baron, so stehe ich ganz zu Diensten. Gott, so nennen Sie es doch nur, was es ist, das Sie von mir kaufen wollen! Hab’ ich doch im ganzen Laden nicht einen einzigen Artikel, der 500 Thaler Gold Werth wäre, und das Haus hier ist nicht mein Eigenthum. Also machen Sie gefälligst ein Ende, wenn Sie nicht ganz und gar zu scherzen belieben. Nu, sagen Sie, was ist es, was soll ich verkaufen?“

„Wenn Sie mich doch nur zu Worte kommen ließen, Herr Lissauer! So hören Sie denn! – Sehen Sie mich einmal an; recht gerade in das Gesicht. So! Was halten Sie von meiner Physiognomie? Sprechen Sie ganz offen.“

„Nu, Herr Baron – sie ist – wenn auch – obgleich – Angenehmer Ausdruck!“ rief er zuletzt, froh, endlich ein Wort gefunden zu haben, und schnappte nach Luft.

„Ein angenehmer Ausdruck! Hm, hm! Aber sagen Sie, worin liegt der? In der Stirn? In den Augen? Oder etwa in der Nase?“

„In der Nase nicht,“ fiel Lissauer schnell ein, entsetzt über diese Voraussetzung. „Das heißt,“ setzte er zögernd hinzu – „nein, Herr Baron, in der Nase doch wohl nicht. – Es muß so im Ganzen liegen.“

„Also in der Nase nicht, meinen Sie, Herr Lissauer! Nun, ich will Ihnen, da wir so ganz unter uns sind, offen gestehen, daß auch ich stark daran zweifle, ob meine Nase es ist, die mir den „angenehmen Ausdruck“ verleiht; ja, ich muß sogar nach einigen von meinen Freunden gemachten Andeutungen glauben, daß sie wenig Reize besitzt. Jeder Mensch hält aber etwas auf sein Aeußeres und möchte es so wohlgestaltet als möglich sehen. Ich bin daher meiner Nase recht herzlich satt und gehe schon seit einiger Zeit mit dem Vorsatz um, mich in den Besitz einer schöneren zu bringen. Was meinen Sie, Herr Lissauer, wenn zum Beispiele statt meiner die Ihrige in meinem Gesichte säße?“

Jakob Eli sprang vom Stuhle auf. „Also belieben der Herr Baron doch nur zu scherzen!“ sagte er enttäuscht und kleinlaut. „Wissen Sie auch, daß ich mit einem Capital von 500 Thalern vergrößern könnte mein Geschäft, und daß der alte Meyer Liepmann mir dann seine Tochter Rahel würde geben zur Frau, mit einer ausgezeichneten Ausstattung von ihrer seligen Mutter, der Lea Kohn? Und mit baarem Gelde auch noch und neuem Credit bei der ganzen Kaufmannschaft. O, was haben Sie für Hoffnungen angeregt in meinem armen Herzen!“

„Ich scherze keineswegs!“ nahm Günther ruhig das Wort, als der Redestrom Jakob Eli’s einen Augenblick stockte, „und ich sage Ihnen noch einmal, daß es nur Ihrer Namensunterschrift bedarf, um Ihnen 500 Thaler Gold, Rahel Liepmann mit seliger Ausstattung und Credit zu gewinnen. Damit ich’s kurz mache, erkläre ich kurz und gut: Herr Lissauer, ich wünsche Ihre Nase zu besitzen!“

Lissauer griff in höchster Angst nach diesem seinem schönsten Gesichtsschmuck, als wollte er sich überzeugen, ob diese auch noch vorhanden wäre, und stöhnte: „Meine Nase – meine Nase und ich –“ dann sank er wie vernichtet auf seinen Stuhl zurück.

[293] „Sie haben vergessen, was ich Ihnen zuvor sagte,“ tröstete Günther. „Bedenken Sie doch: Sie bleiben ja Ihr Leben lang der Nutznießer jenes Kleinodes, und selbst nach Ihrem Tode erhebe ich nicht die geringsten Ansprüche auf den wirklichen Besitz desselben. Ich bedarf Ihrer Nase nur auf dem Papier! Ihre Unterschrift genügt zu dem Beweise, daß Ihre Nase durch Kauf die meinige geworden ist. Wir machen einen vollständigen Contract über unser Geschäft und ich gestatte Ihnen, sich so viel zu verclausuliren, als es Ihnen irgend wünschenswerth erscheint. Herr Lissauer, das ist doch ein anständiges Anerbieten!“

In die geängstigte Seele des armen Jakob Eli drängte sich ein neuer Hoffnungsstrahl. Wiederholt schnellte er von seinem Sitze auf und rief:

„Auf dem Papier? Auf dem Papier nur? Und Sie wollen ihr nichts thun, wollen sie nicht verletzen, nicht verstümmeln? Sie wollen ihr mit Ihren Händen nicht einmal ankommen und nicht dulden, daß ein Anderer es thut?“

„Davor haben Sie sich selbst zu schützen, Herr Lissauer! Aber ich verspreche Ihnen, daß ich Ihre Nase nicht berühren will, daß ich auch Niemand damit beauftragen werde. – Ist Ihnen das genug? Bedenken Sie: hundert Friedrichsd’or sind doch keine Kleinigkeit!“

„Nein, keine Kleinigkeit! Helf’ mir Gott, ein recht hübsches Capitälchen! Wissen Sie was, Herr Baron, wenn Sie mir Alles schriftlich geben … wo ist das Papier?“

„Ich will den Contract erst aufsetzen. Bis morgen früh haben Sie Zeit, sich die Sache zu überlegen. Um acht Uhr erwarte ich Sie, und dann wollen wir zum Notar gehen, um es gerichtlich zu machen.“

„Was? Zum Notar … wegen der Nase? … Aber, Herr Baron, Sie nehmen es doch auf in Ihrem Schein wegen des Anrührens und Beschädigens und daß ich sie weiter darf tragen, wie ich sie immer hab’ getragen?“

„Ei freilich, freilich! Es liegt ja in meinem Interesse, ein solches mir gehöriges Cabinetsstück nach besten Kräften zu behüten und zu beschützen. Also morgen früh acht Uhr erwarte ich Sie! Das Geld liegt bereit und wird Ihnen, nach Ihrer Unterschrift, sofort ausgezahlt.“

Damit erhob sich Günther und schickte sich zum Fortgehen an. Lissauer begleitete ihn unter vielen Verbeugungen bis unter die Ladenthüre. Hier aber kam ihm plötzlich noch ein Gedanke.

„Herr Baron,“ flüsterte er, „noch Eins! Ich vergaß, wenn Sie die Sache vor den Notar bringen, so entstehen Kosten. Wer muß die bezahlen?“

„Ich … Ich bezahle Alles. Sie haben gar keine Unkosten!“ rief Günther, halb ärgerlich, halb belustigt über die Vorsicht des Kaufmanns, und entfernte sich eilenden Schrittes.

Lissauer aber kehrte sinnend in seinen Laden zurück und blieb den ganzen Abend hindurch ein nicht zu lösendes Räthsel für seine kleinen Lehrlinge, da er, was noch nie vorgekommen, die Schürze wieder vorzubinden vergaß und – sogar zum eigenen Nachtheile! – die unerhörtesten Mißgriffe beim Abwiegen und Messen beging.

Sobald die Stunde zum Feierabend geschlagen hatte, ließ er den Laden schließen, schickte die kleinen Lehrlinge nach Hause, ehe sie noch aufgeräumt hatten, und eilte spornstreichs zum alten Meyer Liepmann. Dort blieb er mehrere Stunden und kehrte dann entschlossen und beruhigt in seine einsame Wohnung zurück.

Noch vor der festgesetzten Stunde fand er sich am nächsten Morgen bei Günther ein und erklärte, daß er bereit sei, den Willen des Herrn Barons zu erfüllen. Als er das Gemach wieder verließ, strahlte sein Gesicht vor Freude. In der Hand hielt er ein Beutelchen mit Gold.



Am Abend desselben Tages versammelte sich die uns bereits bekannte Gesellschaft abermals im Hotel zur goldenen Gans. Auch die drei zu Schiedsrichtern erwählten Herren stellten sich pünktlich ein. Zur festgesetzten Stunde nahm das Souper seinen Anfang, doch zeigte sich in dem kleinen Kreise heute eine gewisse Gezwungenheit. Günther allein war ganz der Alte: unbefangen, ruhig und bei jedem Worte mit einem Witze schlagbereit. Er schien es gar nicht zu bemerken, daß die Stimmung seiner Freunde heute von der seinigen abwich. Mit unvergleichlichem Humor erzählte er den drei Schiedsrichtern kleine Scenen aus seinem Studentenleben in Bonn und gedachte mit keinem Worte der Wette, deren Entscheidung heute erfolgen sollte, während dieselbe die Gemüther der übrigen Anwesenden fast ausschließlich beschäftigte.

„Wenn wir nur wenigstens die Geldwette rückgängig machen könnten.“ sagte Graf Mellin leise zu seinem Tischnachbar, dem Baron Leitmersdorf. „Ich habe vollständige Gewissensbisse, seit ich weiß, daß er die parirten hundert Friedrichsd’or gar nicht liegen hat, und daß er schon bei Lissauer war, um sich diese Summe zu verschaffen.“

„Wie?“ sagte Posen, ebenfalls mit halber Stimme. „Bei Lissauer ist er gewesen?“

„Ja wohl,“ nahm Graf Neurode das Wort, „gestern Abend [294] hat er eine lange Unterredung mit ihm gehabt und heute früh ist Lissauer bei ihm gewesen, wahrscheinlich um ihm das Geld zu bringen.“

„Er muß also die Wette verloren geben,“ flüsterte Posen.

„Er konnte sie überhaupt nur in der Champagnerlaune vorschlagen!“ sagte Leitmersdorf.

„Und wir sie nur in solcher Stimmung halten,“ versetzte Graf Clarenstein. „Mir fängt die Sache auch an drückend zu werden.“

„Wißt Ihr, wir wollen unsern Gewinn allmählich im Spiel wieder an ihn verlieren,“ sagte Mellin.

„Ja, das ist ein guter Gedanke, so soll es sein,“ stimmten Alle ein, und nun wieder erheitert und unbefangen, nahm die Unterhaltung einen anderen Charakter an und ward allgemein und lebhaft geführt.

Als der Nachtisch aufgetragen und die Dienerschaft entfernt worden war, nahm Neurode das Wort. Er erinnerte daran, daß nun der Zeitpunkt zur Entscheidung der Wette gekommen sei, und forderte Günther auf, den Herren Schiedsrichtern die Sachlage klar zu machen.

Günther erhob sich.

„Ich bitte, mir einen Augenblick Aufmerksamkeit zu schenken, meine Herren!“ sagte er. „Es handelt sich in der Angelegenheit, in welcher wir Sie ersuchten, das Richteramt zu übernehmen, um einen Schönheitsstreit. Verpflichten Sie sich, meine Herren, Ihr Urtheil nach bestem Wissen und Gewissen abzulegen?“

Die drei Herren, angesteckt von dem ernsten, gewichtigen Tone, den Günther bei dieser Frage annahm, machten ihre Zusage eben so laut und feierlich.

„Nun wohlan,“ fuhr Günther fort, „so komme ich zur Sache. – Meine Herren, als wir vorgestern hier versammelt waren, wurden von Seiten dieser meiner ehrenwerthen Commilitonen Zweifel an der Schönheit meiner Nase erhoben.“

Ein schallendes und anhaltendes Gelächter der drei Schiedsrichter unterbrach seinen Vortrag, doch fuhr er nach einer kleinen Pause mit unerschütterlichem Ernste fort:

„Sie werden begreifen, meine Herren, daß dieser Zweifel mich eben so sehr kränkte, als verdroß. Um ihn aber für immer zu beseitigen, erbot ich mich, den Beweis zu liefern, daß ich demungeachtet eine Nase besäße, die schöner sei, als die schönste Nase dieser meiner Gegner, ja selbst schöner, als sonst irgend eine Nase in ganz Breslau! War es so, meine Herren?“

„Ja wohl, ja wohl,“ ertönte es lachend von allen Seiten.

„Nun denn,“ nahm Günther abermals das Wort, „so werden Sie, meine Herren Schiedsrichter, die Gewogenheit haben, sich in ein Nebenzimmer zurückzuziehen und nach reiflicher Ueberlegung die Entscheidung über diese Streitsache zu fällen. Zur Vermeidung von Mißverständnissen wiederhole ich noch einmal die Frage, welche Ihr Urtheil mit Ja oder Nein beantworten wird: „Ist die Nase, welche mir angehört, schöner, als die Nasen dieser Herren; ist sie schöner, als die sämmtlicher Einwohner Breslau’s?“ – Es hat Niemand gegen diese Fragestellung etwas eingewendet,“ fuhr er nach einer Pause der Erwartung fort, während welcher er sich fragend im Kreise umgeblickt hatte. „So bitte ich denn die Herren Schiedsrichter, ihre Pflicht zu thun.“

Ehe aber dieselben das Zimmer verließen, überreichte ihnen Günther mit ruhiger Würde ein zusammengefaltetes Papier, dessen Inhalt ihnen, wie er sagte, von Nutzen sein werde.

Während jetzt die ganze Gesellschaft sich von der Tafel erhob und gruppenweise zu zweien und dreien beisammen stand, ging Günther mit großen Schritten auf und ab.

Plötzlich erscholl aus dem Nebenzimmer ein wahrhaft homerisches Gelächter. Verwundert blickten die Gegner Günther’s sich an, – dieser aber schien gar nichts gehört zu haben.

Nach wenigen Augenblicken öffnete sich die Thür des Berathungszimmers und die drei Schiedsrichter, mit mühsam angenommenem Ernst, traten mit feierlichen Schritten herein.

„Meine Herren,“ hub der zum Sprecher ernannte Assessor Ebert an, „auf die uns von Ihnen vorgelegte Frage, ob die dem Studiosus Günther zugehörige Nase schöner sei, als die der übrigen Anwesenden und als die sämmtlicher übrigen Breslauer, haben wir nach weislicher Ueberlegung und ernster Berathung folgende Antwort zu geben:

„Nach unserem besten Wissen und Willen: Ja, sie ist schöner! – Wir erklären einstimmig: Günther hat die Wette gewonnen.“ Ein lautes Durcheinander von Stimmen unterbrach den Berichterstatter, der erst um Stille bitten mußte, um fortfahren zu können. „Die Gründe, welche dies unser Urtheil bestimmt haben,“ begann er von Neuem, „sind in diesem Documente enthalten, das in aller Form Rechtens ausgestellt ist. Ich werde mir erlauben, den Inhalt desselben hiermit zur allgemeinen Kenntniß zu bringen. Ich bitte um Aufmerksamkeit!“

Diese Bitte war unnöthig, denn außer Günther, der lächelnd die verdutzten Mienen seiner Gegner überflog, waren Alle jetzt auf das Aeußerste gespannt.

Assessor Ebert las:

„Vor dem unterzeichneten, bei dem hiesigen Stadtgerichte beglaubigten Notar, welcher die beiden Instrumental-Zeugen, und zwar den Schuhmachermeister Johann Gottfried Müller und den Schneidermeister Friedrich Christian Köhler dazugezogen hatte, erschienen heute

„1) Der stud. jur. et cam. Herr Heinrich Ernst Günther,

„2) Der Kauf- und Handelsmann Jakob Eli Lissauer.

„Letztere Beide erklärten auf Befragen, daß sie zu den genannten Instrumental-Zeugen in keinerlei verwandtschaftlichem Verhältnisse standen etc. etc.

„Die Herren p. Günther und Lissauer haben folgendes Kaufgeschäft untereinander verabredet und beschlossen.

„Der Kaufmann Lissauer hat an den Herrn p. Günther seine Nase für die Summe von 100 Friedrichsd’or – in Worten: Hundert Friedrichsd’or – erb- und eigenthümlich verkauft, und zwar unter nachstehenden Bedingungen:

„1) Herr p. Günther tritt sofort in den unbestrittenen Besitz des Kaufobjectes, dergestalt jedoch, daß dem p. Lissauer die Nutznießung der Nase für seine Lebenszeit verbleibt.

„2) Für diese Nutznießung zahlt Herr p. Lissauer dem eigentlichen, rechtmäßigen Besitzer der Nase einen jährlichen, unablösbaren Zins von 2½ Sgr., zahlbar am ersten Juni jeden Jahres praenumerando.

„3) Herr Lissauer verpflichtet sich, am ersten Tage jeden Monats dem Eigenthümer der Nase sich vorzustellen, damit dieser sich von dem guten und ordnungsmäßigen Zustande derselben überzeugen kann. Außerdem ist der Herr Käufer berechtigt, so oft er will, Special-Revisionen des Kaufgegenstandes vorzunehmen, muß sich jedoch zu diesem Behufe in die Behausung des Herrn Lissauer begeben.

„4) Der Herr Käufer verspricht dagegen ausdrücklich, stets und für alle Zeiten den Gegenstand des Kaufes weder an einen Dritten zu überlassen, noch zu verringern, noch ihm überhaupt Schaden zuzufügen, unter welchem Titel und in welcher Weise dies auch immer der Fall sein möchte. Er will sich vielmehr ernstlich bemühen, diese, nunmehr seine Nase, zu schützen, zu erhalten und zu bewahren, jeden Nachtheil aber, der ihr durch Menschen oder Dinge zugefügt werden könnte, nach besten Kräften abzuwenden.

„5) Die Nase bleibt auch bei etwaigem Ableben des Käufers Eigenthum der Erben desselben und ist an diese der jährliche Zins regelmäßig zu bezahlen.

„6) Die Erben hingegen sollen niemals die Herausgabe des bezahlten Capitals verlangen dürfen.

„7) Beim Ableben des p. Lissauer jedoch hören alle und jede Ansprüche des Käufers oder dessen Erben wegen Entschädigung vollständig auf.

„So geschehen etc. etc. etc.“

Die Vorlesung dieses sonderbaren Actenstückes war schon mehrfach durch Lachen unterbrochen worden; nach ihrer Beendigung aber erscholl ein so unaufhaltsames und kräftiges Gelächter, daß die Vorübergehenden auf der Straße stehen blieben und verwundert aufblickten. Die jungen Leute waren überzeugt, einen so ausgezeichneten Scherz nicht zu theuer bezahlt zu haben.


Nur wenige Tage vergingen und ganz Breslau kannte die lustige Geschichte von dem Nasenhandel, und wer nicht ein unverbesserlicher Hypochonder war, belachte sie aus vollem Herzen. Günther war der Held des Tages geworden. Durchreisende, denen die Gastwirthe nicht verfehlten, das neueste Ereigniß in ihrer Stadt mitzutheilen, ruhten nicht eher, bis sie den Studenten erblickt hatten, der, mit einer Monsternase versehen, doch im Besitz einer unvergleichlich schönen war. Die Scherze und Wortspiele über diese Thatsache rissen nicht ab, und wo sich Günther blicken ließ, wünschte [295] man ihm Glück zur gewonnenen Wette und zu seinem köstlichen Einfalle. Diese Art von Berühmtheit, zu der er gelangt, war nun freilich dem jungen Manne wenig angenehm; doch ertrug er ihre unvermeidlichen Folgen mit gewohntem Gleichmuth, in der Ueberzeugung, daß die durch ihn hervorgerufene Aufregung sich bald legen werde.

Allein nicht nur Günther war durch seinen Scherz eine allgemein bekannte Persönlichkeit geworden, auch Jakob Eli wurde zum Gegenstande der öffentlichen Aufmerksamkeit. Jedermann beeilte sich, seinen Laden aufzusuchen, um unter dem Vorwande eines kleinen Einkaufes den schönen Juden zu betrachten, der nur noch der Nutznießer seiner eigenen Nase war. Lissauer wußte diesen Umstand klug zu benutzen. Mit dem redlich verdienten Capital etablirte er ein elegantes Modewaaren-Geschäft in der Ohlauer Straße, und nun wurde sein Magazin nicht leer von neugierigen Käufern und besonders Käuferinnen, die zu den reichsten und vornehmsten der Stadt zählten.

So kam es, daß Lissauer’s Wohlstand von Tag zu Tag wuchs, und nun zögerte der alte Meyer Liepmann nicht länger, ihm die Hand seiner Rahel zu bewilligen.

Nach der Bestimmung des Contractes stellte sich Lissauer pünktlich an jedem Ersten eines Monates bei Günther ein, um diesem seine Nase vorzustellen. Auch heute, am ersten Januar, war Lissauer zu diesem Behufe nach der Behausung des Studenten geeilt. Er fand aber Günther in ungewöhnlich ernster, nachdenklicher Stimmung. Die Tischlerfamilie nämlich, welche durch Günther’s Hülfe und Verwendung damals aus großer Noth errettet worden und seitdem sichtlich in bessere Verhältnisse gekommen war, hatte durch den plötzlichen Tod des Vaters ein abermaliger, härterer Schlag getroffen. Die Wittwe war eben bei Günther gewesen und ihre Verzweiflung hatte sein weiches Herz ergriffen. Er sann hin und her, wie den Armen am besten und ausdauerndsten zu helfen sein mochte, als ein bescheidenes Klopfen an seiner Thür sich hören ließ und auf Günther’s zerstreutes „Herein“ Freund Lissauer eintrat. Bei seinem Anblick stutzte Günther; ein Lächeln flog über seine Züge, und indem er murmelte: „Ja, das kann helfen, das wird gehen!“ ging er auf Lissauer zu und bot ihm die Hand.

„Nun, wie gehen die Geschäfte?“ fragte er freundlich.

„Danke, danke, Herr Baron, – ich kann wirklich sagen, daß ich allen Grund habe, zufrieden zu sein. Mein Laden wird gar nicht mehr leer. Alle die vornehmen Damen kommen und kaufen von meinen Artikeln. Es ist eine wahre Freude, zu sehen alle die schönen Equipagen mit den adligen Wappen, die vor meiner Thür stehen.“

„So, so, das ist mir lieb zu hören!“

„Ja, Herr Baron, ich muß gestehen, – das Nasengeschaft war sehr gut für mich, denn es hat den Grund zu meinem immer zunehmenden Wohlstande gelegt. Ohne dasselbe hätte ich auch die Rahel nicht zur Frau bekommen. Gott, Herr Baron, wenn Sie wüßten, was für eine Ausstattung sie mitgebracht hat! Und der alte Meyer Liepmann ist alt. Wenn er stirbt – Gott erhalte ihm ’s Leben! – aber wenn er stirbt, so ist das Testament schon fertig; ich hab’s gelesen.“

„Es ist hübsch, daß Sie so dankbar anerkennen, wie viel Gutes ich Ihnen durch den Kauf Ihrer Nase mittelbar erwiesen habe. Sie werden mir deshalb auch gewiß eine kleine Bitte nicht abschlagen?“

„Herr Baron, seien Sie versichert, daß ich Alles thun werde, was in meiner Macht steht, um Ihre Bitte zu erfüllen.“

„Das ist brav gesprochen. Ich habe mich nicht in Ihnen getäuscht. Sehen Sie, Lissauer, da ist in der Kreuzgasse ein armer Tischler gestorben, der hat eine Frau und sechs Kinder in der größten Noth zurückgelassen. Wenn Sie für diese Familie doch etwas thun wollten! Aber etwas Großes, Nobles, Anständiges!“

Lissauer rieb sich verlegen die Hände.

„Wissen Sie was, Herr Baron,“ sagte er endlich, „ich werde sammeln bei meinen Kunden. Es sind lauter reiche und vornehme Damen mit weichen Herzen, sie werden gewiß für die arme Familie etwas geben. Ich werde eine Büchse hinhängen mit einer schönen rührenden Umschrift und…“

„Aber Sie selbst, Herr Lissauer! Werden Sie denn aus eigenen Mitteln gar nichts zu dieser Sammlung beisteuern?“

„Ei freilich, freilich; und damit Sie sehen, daß ich mich nicht lumpen lasse … Aber sagen Sie, kommt es in die Zeitung?“

„Wozu das?“

„Also nicht in die Zeitung? … Nun, damit Sie sehen, daß ich kein Knicker, daß ich généreux bin … Gar zu viel kann ich nicht herausnehmen aus dem Geschäft! Wenn Sie wüßten, wie theuer jetzt Alles ist, was man kaufen muß!“

„Eben weil jetzt Alles so theuer ist, muß die arme Familie auch ordentlich unterstützt werden.“

„Gewiß, gewiß! O, der Herr Baron haben ein sehr mitleidiges Herz! … Nun, ich werde geben … ich will bezahlen … einen Thaler will ich geben! Aber nun sagen Sie auch nicht, daß ich ein Knauser bin!“

„Einen Thaler! Wirklich einen ganzen Thaler? – Nun, Herr Lissauer, lassen Sie nur gut sein,“ fuhr Günther schnell fort, als er sah, daß der Jude sprechen wollte; „wir werden über die Sache später noch einmal reden. Aber bitte, bleiben Sie noch einen Augenblick hier. Ich habe da soeben eine Entdeckung gemacht, die mich sehr erschreckt hat. Sagen Sie einmal, Herr Lissauer …. ei, das ist ja fürchterlich! …. Herr, Sie haben ja einen Pickel auf meiner Nase!“

„Soll mir Gott!“ rief Lissauer und fuhr mit der Hand nach der Nase, „soll mir Gott, das ein Pickel? Ist es doch nur ein ganz kleines Pickelchen!“

„Aus einem Pickelchen wird aber ein Pickel, wenn man es nicht in Acht nimmt! Ich kann unmöglich dulden, daß mein theuer erkauftes Eigenthum durch Vernachlässigung leide, darum haben Sie gewiß die Gefälligkeit, ein Pflaster auf dies Pickelchen zu legen, damit jedem weiteren Unheil vorgebeugt wird.“

„Ich ein Pflaster auf meine Nase legen! – Was sollen die vornehmen Damen denken, wenn sie bei mir kaufen und ich habe ein Pflaster auf der Nase? – Sie belieben doch gewiß nur zu scherzen, Herr Baron?“

„Keineswegs!“ sagte Günther ernst. „Wie steht es doch in unserm Contracte? „„Sondern, daß er selbst nach besten Kräften dahin streben will, diese, nunmehr seine Nase, zu schützen, zu erhalten und zu bewahren; jeden Nachtheil von ihr abzuwenden““ u. s. w. u. s. w.“

„Ach ja, das steht darin; aber …“

„Kein „Aber“. Ich habe, wie Sie wissen, nicht allein das Recht, sondern sogar die Verpflichtung, für diese meine Nase zu sorgen!“

„Bedenken Sie doch, Herr Baron! Um Moses willen … Ich beschwöre Sie!“

„Entweder legen Sie sogleich gutwillig ein Pflaster auf jenes Pickelchen, oder ich verklage Sie wegen Nichterfüllung unseres Contractes. Aber ich sage Ihnen, das macht Ihnen Kosten, viele Kosten.“

„Nu, Herr Baron, wenn Sie es absolut verlangen … Aber es kann doch sein ein kleines Pflaster? Gott, das Pickelchen ist ja auch so klein.“

„Ich selbst werde Ihnen in der uneigennützigsten Weise das Nöthige in erforderlicher Größe liefern,“ erwiderte Günther, holte ein schwarzes Pflaster aus dem Schrank hervor und klebte es, trotz Lissauers wiederholten Sträubens und Bittens, ruhig auf dessen Nase.

„Nun noch Eins, Herr Lissauer,“ sagte er dabei. „Ich bemerkte neulich, daß sie baumwollene Taschentücher führen. Das muß ich mir verbitten. Sie reizen und erhitzen durch dieselben meine Nase in ungebührlicher Weise. Von heute an werden Sie sich der seidnen Taschentücher bedienen.“

Lächelnd zog Lissauer ein großes rothseidenes Tuch aus der Tasche. „Ist das Baumwolle, Herr Baron?“ fragte er mit triumphirender Miene.

„Allerdings nein!“ entgegnete Günther. „Aber Sie tragen dies eine seidene Tuch nur an Sonn- und Festtagen oder wenn Sie ausgehen. Ich aber verlange, daß Sie stets und zum wirklichen Gebrauch sich solcher Tücher bedienen.“

„Was? Im Geschäft und im Hause, wenn ich ganz allein bin mit der Rahel, da soll ich mich putzen? Soll so unerhörten Luxus treiben. O, Herr Baron, da muß ich ja ein armer Mann werden.“

„Sich sollen Sie nicht mit Seide putzen, aber meine Nase. Ich verlange es, und führen Sie trotzdem nach wie vor baumwollene Schnupftücher, so verklage ich Sie.“

„Sein Sie doch nicht immer gleich bei der Hand mit dem Verklagen! Hören Sie, Herr Baron, sein Sie barmherzig!“

„Zu schützen, zu bewahren, zu erhalten; jeden Nachtheil aber von ihr abzuwenden!“ declamirte Günther. „Ich bin es meiner theuren Nase schuldig, auf meinem Verlangen zu bestehen.“

[296] „Erbarmen Sie sich, Herr Baron! Einen Tag um den andern will ich ein seidenes Tuch nehmen.“

„Einen Tag wie den andern. Wollen Sie oder wollen Sie nicht? Machen Sie’s kurz. Ja oder nein?“

„Nun denn, ja, ja!“ seufzte der geängstigte Lissauer und war froh, daß ihn Günther nicht länger festhielt, als er sich eiligst empfahl, sondern ihm nur nachrief:

„Ich werde mich so oft als möglich überzeugen, ob Sie auch alle Bedingungen unseres Contractes erfüllen.“

Seines schwarzen Pflasters wegen schlich sich Lissauer durch die abgelegensten Gassen nach seiner Wohnung. Den Verkauf im Magazin überließ er aber aus eben demselben Grunde mehrere Tage seiner Rahel und seinen Handlungslehrlingen.

Günther hielt Wort. Er kam fast täglich zu Lissauer, um seine Controle zu üben. Eines Tages, als er sich ebenfalls bei dem Juden befand, zog dieser mit dem seidenen Taschentuch zugleich einen Gegenstand heraus, der klappernd zur Erde fiel.

„Ei, was ist denn das?“ rief Günther. „Eine Tabacksdose? Ich glaube gar, Sie schnupfen, Herr Lissauer!“

„Nur sehr, sehr wenig, Herr Baron; und immer nur eine ganz billige Sorte.“

„Um so schlimmer, wenn Sie so abscheuliches Zeug in meine schöne Nase stopfen! Treiben Sie das schon lange? Wie konnten Sie es mir verheimlichen? Wollen Sie mich denn mit Gewalt dazu bringen, daß ich Sie verklage? – Aber ich will noch einmal Nachsicht haben und es bei der Beschlagnahme dieser Dose bewenden lassen, wenn Sie mir Ihr Ehrenwort geben wollen, das häßliche und meiner theuren Nase so schädliche Laster des Schnupfens sofort und für alle Zeiten abzulegen.“

„Ja, ja, ich will nicht mehr schnupfen!“ rief Lissauer schnell. „Wenn Sie glauben, daß es könnte nachtheilig sein für meine Nase, will ich es gern lassen!“

„Für Ihre Nase nicht, Herr Lissauer; denn Sie werden sich erinnern, daß Sie ein solches Glied nur noch dem Namen nach besitzen.“

„Nun ja doch,“ sagte Lissauer, gezwungen lächelnd, „es bleibt sich im Grunde gleich! Wenn ich nicht mehr schnupfe, mache ich doch eine kleine Ersparniß und kann dafür ab und zu ein Schlückchen Bier mehr trinken.“

„Oho, Sie trinken Bier? Trinken Sie vielleicht auch Branntwein?“

„Nur ein ganz kleines Schnäpschen zum Frühstück?“

„Ist es denn möglich!“ rief Günther, die Arme gen Himmel hebend. „Er trinkt Bier, er trinkt Schnaps! – Aber denken Sie denn gar nicht an meine Nase, Sie gewissenloser Mensch? Glauben Sie, ich hätte nur darum 500 Thaler Gold für dieselbe bezahlt, damit Sie durch allerhand Laster und Untugenden sie zu Grunde richten könnten? Nein, mein Herr, diesem Treiben muß ein Ziel gesetzt werden! Bedenken Sie, daß Sie nur der Verwalter fremden Eigenthums sind, und daß ich Sie jeden Augenblick zur Rechenschaft ziehen kann.“

„Liebster, bester Herr Baron, machen Sie doch nicht so viel Aufheben wegen der Paar Tropfen Bier oder Schnaps! Sie können mir doch nicht alle kleinen, unschuldigen Genüsse verwehren!“

„Klein und unschuldig nennen Sie das? – Aber was soll ich mich mit Ihnen streiten? Wollen Sie gehorchen oder nicht?“

„Herr Baron, ich will das Schnäpschen fortlassen; aber ein Glas Bier, nur zuweilen ein Glas Bier, werden Sie mir doch erlauben.“

„„Jeden Nachtheil aber, der ihr durch andere Menschen oder Dinge – merken Sie auf, Herr Lissauer, durch Dinge – ihr zugefügt werden könnte, so gut er es vermag, abzuwenden.““ So steht es geschrieben, und ich wäre strafbar, wollte ich aus übergroßer Gutmüthigkeit auch nur einen Zoll breit nachgeben.“

„Herr Baron, ich werde mich wahrhaftigen Gott nicht beklagen, wenn Sie in diesem Punkte den Schein verletzen.“

„Wenn Sie mir erst die Erlaubniß geben, vom Contract abzuweichen, dann haben Sie das Spiel verloren, Herr Lissauer, denn dann überlasse ich Ihre Nase sofort einem guten Freunde. Ich bin ihrer, nach all den Vorgängen, recht herzlich satt geworden. Ist Ihnen das genehm, so sagen Sie es frei heraus.“

„Nein, nein, um Moses willen, verkaufen Sie die Nase nicht. Wer weiß, in welche Hände sie dann käme! Aber, Herr Baron, wenn Sie mir das Bier verbieten, was soll ich trinken, wenn ich zusammenkomme mit meinen Freunden im rothen Affen?“

„Milch oder Zuckerwasser; allenfalls etwas Limonade!“

„Nu, Herr Baron, hören Sie auf; seien Sie gut! Ich will die ganze Woche nichts trinken, aber am Schabbes Abend erlauben Sie mir wohl ein Seidelchen.“

„Auch nicht einen Schluck! Uebrigens verbiete ich Ihnen ganz und gar den Besuch des rothen Affen. Dort ist neulich erst eine Schlägerei gewesen, bei der es blaue Augen und blutige Nasen gegeben hat, Himmel, wenn ich bedenke, welcher Gefahr mein kostbares Eigenthum ausgesetzt gewesen war!“

„Soll mir Gott, sind wir doch lauter anständige Leute, ruhige, friedliche Bürger. Nur wie die Herren Studenten neulich Scandal anfingen –“

„Was? Nun sind wohl gar die Studenten Schuld, wenn meiner Nase Gefahr droht! Nun ist das Maß voll; leben Sie wohl, Herr Lissauer!“

„Warten Sie doch noch einen Augenblick. Wo wollen Sie denn hin, Herr Baron?“

„Zum Rechtsanwalt.“

„Nein, gehen Sie nicht, Herf Baron. Bleiben Sie hier, bleiben Sie hier. Ich will ja Alles versprechen, was Sie haben wollen.“

„Sie werden also von heute an weder schnupfen, noch Bier und Schnaps trinken, und niemals wieder den rothen Affen besuchen?“

„Nein, nein, nichts von alledem will ich wieder thun!“

„Gut, Herr Lissauer. Aber bedenken Sie, daß ich beim ersten Rückfall ohne Gnade die Sache bei den Gerichten anhängig machen werde. – Noch Eins – rauchen Sie?“

„Nein, ich kann’s nicht vertragen!“ antwortete der Gefragte sehr schnell und froh darüber, daß ihm das doch nicht erst verboten zu werden brauchte.

„Sie rauchen nicht? Hm, das ist schade, sehr schade! – Sie sollten es thun, Herr Lissauer. Eine kleine derartige Erwärmung würde meiner Nase sehr dienlich sein. Rauchen Sie, Herr Lissauer! Geld sollen die Cigarren Ihnen nicht kosten; ich verpflichte mich, Ihren Bedarf unentgeltlich zu liefern. Nicht wahr, Sie werden rauchen?“

„Herr Baron, ich kann nicht. Es wird mir ganz krank und übelig darnach.“

„O, das gibt sich bald. Versuchen Sie es nur. Hier sind einige Cigarren, – ganz leichte Sorte. Daran können Sie sich üben. Und wenn Sie sich übermorgen früh, am 1. Februar, zur Nasencontrole bei mir einfinden, dann gebe ich Ihnen eine etwas stärkere. Adieu, Herr Lissauer. Leben Sie recht wohl, hüten Sie meine Nase vor Erkältung, schonen Sie dieselbe so viel als möglich und rauchen Sie, rauchen Sie!“

Am Morgen des ersten Februar beschaute Lissauer seine Nase sorgsam im kleinen Rasirspiegel, athmete leicht auf, als er an ihrem Aussehen auch nicht das Geringste auszusetzen fand, und begab sich auf den Weg zu Günther. Es war starkes Frostwetter, und obgleich er sich das seidene Schnupftuch vor Mund und Nase gehalten hatte, war die Letztere doch etwas geröthet, als er bei Günther eintrat.

Entsetzt zerrte ihn dieser sogleich vor einen Spiegel.

„Mein Gott, wie sehen Sie aus!“ rief er dabei. „Unglückliches Menschenkind, was haben Sie mit meiner Nase, meiner schönen Nase gemacht!“

Lissauer starrte erschreckt seine geröthete Nasenspitze an.

„Kann ich doch nichts dafür,“ stammelte er. „Ist doch die Kälte heute so groß!“

Günther ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab.

„Das muß anders werden! Das Eigenthum eines Andern darf dieser Mensch nicht mehr derartig behandeln. Aber zum Glück weiß ich Rath.“ Er ging zum Schrank, nahm ein weichgepolstertes seidenes Säckchen heraus, das mit zwei langen Bändern versehen war.

„Herr Lissauer,“ sagte er fest und bestimmt, „Sie werden so gefällig sein, fortan zum Schutze meiner Nase, sobald das Quecksilber im Thermometer unter Null-Grad gesunken ist, dies kleine Futteral zu tragen.“

„Das soll ich tragen?“ rief Lissauer, den alle Farbe, bis auf die in der Nasenspitze, verlassen hatte. „Auf der Straße soll ich das tragen?“

„Auf der Straße und im Geschäft“ entgegnete Günther ruhig. „Denn in Ihrem Laden entsteht bei jedem Oeffnen der Thür ein fataler, schädlicher Luftstrom.“

[297] „Und wenn Sie mich morden, Herr Baron, das Ding trage ich nicht.“

„Morden werde ich Sie nicht, wenn Sie es verweigern, aber verklagen und Schadenersatz fordern; noch ein ganz hübsches Sümmchen außer dem Kaufgelde sollen Sie mir zurückzahlen.“

„Herr Baron, Sie wollen mich ruiniren!“

„Nein, Sie ruiniren mich, wenn Sie meine Nase erfrieren lassen. – Leben Sie wohl; ich muß arbeiten. Sie werden bald mehr von mir hören.“

„Einziger, liebster, bester Herr Baron, ist es denn wirklich Ihr bitterer Ernst, daß ich soll die Nase stecken in solch ein grausames Futteral?“ stöhnte Lissauer und drehte den fraglichen Gegenstand in seinen Händen hin und her. „Wollen Sie denn, daß die Straßenjungen von ganz Breslau hinter mir herlaufen, daß alle Welt mit Fingern auf mich zeigt?“

„Ich will gar nichts, als daß meine Nase geschont wird. Sie wissen, es steht im Contracte: „jeden Nachtheil aber“ –“

„Ja, ja, ich kenne den Schein, den bösen! Aber es steht nichts darin von solchem schrecklichen Nasenpaletot. Herr Baron, ich kann das Ding nicht tragen am hellen lichten Tage; aber wenn Sie darauf bestehen, will ich es des Abends vorbinden, wenn ich ausgehe.“

„Ei, was denken Sie, Herr Lissauer! Abends werden Sie bei kaltem Wetter gar nicht ausgehen.“

„Gar nicht ausgehen!“ stotterte Lissauer.

„Nein, gar nicht. Ich bin mir diese Rücksicht schuldig. Danken Sie es mir, daß ich dies Verbot nicht auch auf den Tag ausdehne.“

Jetzt war Lissauer’s Pein auf den Gipfel gestiegen. „Das lasse ich mir nicht gefallen!“ schrie er. „Ich werde Sie verklagen. Wegen Störung meines Geschäftsbetriebes werde ich Sie verklagen.“

„Thun Sie das,“ sagte Günther ruhig. „Unsere beiderseitigen Klagen werden einen hübschen Proceß geben.“

Lissauer kämpfte mit einem schweren Entschluß. Plötzlich aber schien ihm ein Hoffnungsstrahl zu leuchten. Er trat an Günther heran, tippte schmeichelnd auf dessen Arm und sagte mit dem wohlgefälligsten Lächeln: „Hören Sie, Herr Baron – wissen Sie, daß ich alle die Cigarren geraucht habe, die Sie mir neulich verehrten.“

„Wie die Sachen jetzt stehen, kann das zu nichts helfen,“ rief Günther ärgerlich, aber Lissauer fuhr fort:

„Es ist mir zwar ganz übelig danach geworden; aber Sie sollten doch sehen, daß ich Alles thue, um Sie zufrieden zu stellen. – Sie sprachen neulich von einer schwereren Sorte, Herr Baron. Wollen Sie mir die Ehre anthun, mir zu erlauben, daß ich davon gleich eine darf rauchen?“

Kaum das Kopfnicken Günthers abwartend, stürzte er auf eine offenstehende Cigarrenkiste zu, nahm eine Cigarre heraus, zündete sie an und begann mit triumphirenden Blicken zu rauchen.

„Schmeckt Sie Ihnen, Herr Lissauer?“

„Ausgezeichnet, Herr Baron. Wahrhaftig ausgezeichnet.“

„Das freut mich! Sie beweisen Geschmack! Es ist eine echte Manilla von der kräftigsten Sorte. Meinen Freunden ist sie zu stark und wahrscheinlich auch meinen, Wichsier, denn von dieser Sorte fehlte niemals eine.“

Lissauer paffte fürchterlich, mit wahrer Todesverachtung.

„Sie ist mir gar nicht zu stark!“ rief er mit süßsaurer Miene. „Was meinen Sie, Herr Baron, wenn ich immer auf der Straße mit der brennenden Cigarre ginge? Es wärmt doch gar zu angenehm die Nase. Und dann lassen wir das häßliche Futteral hier fort.“

„Nichts da, Herr Lissauer. Die Nase hat schon gelitten, jetzt würde die Cigarre gar nichts mehr nützen.“

Lissauer richtete die flehendsten Blicke auf seinen Peiniger und sog und sog an seiner Manilla, daß sie dunkle Rauchwolken verbreitete. „Ich bin ja ein armer, geschlagener Mann,“ rief er dabei. „So lassen Sie sich doch erweichen, Herr Baron!“

„Entweder Futteral – oder Proceß,“ sagte Günther. „Das ist mein letztes Wort.“

Lissauer ward todtenbleich. Die Angst und das Rauchen hatten das Ihrige gethan. Die Cigarre entsank seinen Händen, und halb bewußtlos fiel er selbst auf einen Stuhl. Günther trat an ihn heran und band ihm das verhängnißvolle Futteral über die Nase; – er duldete es machtlos. Plötzlich aber sprang er auf, riß mit einem kräftigen Ruck das verhaßte Ding ab, griff nach seinem Hute und stürzte zur Thür hinaus. Nach einer halben Stunde war er wieder da, athemlos und erschöpft.

„Hier haben Sie Ihr Geld,“ rief er und hielt Günther einen gefüllten Beutel entgegen. „Es ist die ganze Kaufsumme. Zählen Sie nach, und dann geben Sie mir meinen Schein wieder, meinen Schein, damit die Sache ein Ende hat.“

„Sie möchten den Kauf rückgängig machen, Herr Lissauer?“ fragte Günther. „Wenn ich aber nun nicht wollte?“

„O, Sie werden wollen! Sie müssen wollen, Herr Baron, wenn Sie mich nicht todt wollen sehen zu Ihren Füßen.“

„Nun denn, Lissauer, wenn Sie darauf bestehen, so sei es. Hier nehmen Sie den Contract. Ich werde Ihnen sogleich eine Quittung über das zurückerstattete Geld ausstellen. Aber zuvor lassen Sie mich noch einmal meine Nase, mein schönes, theures Besitzthum betrachten. Man trennt sich nicht so leicht von kostbaren Gütern.“

Lissauer duldete schweigend, daß Günther lange seine Blicke auf die vielbesprochene Nase richtete und ihn selbst dabei hin und her drehte. Endlich wandte sich Günther von ihm ab und dem Schreibtische zu. Er schrieb:

„Ich bekenne hiermit, daß ich die Summe von hundert Friedrichsd’or von Herrn J. E. Lissauer zurückerhalen habe und daß nun weder ich, noch meine Erben Ansprüche auf die Nase des gedachten Herrn zu erheben haben.“

„Ist es so recht, Herr Lissauer?“

[298] „Ja wohl, ganz gut und recht! Gedankt sei dem Gott meiner Väter, daß der schreckliche Schein wieder in meinen Händen ist!“

„Aber, Herr Lissauer,“ rief Günther, der die Goldstücke nachzählte, „einige dieser Füchse sind gewaltig leicht!“

„Muß man sie doch nehmen, wie man sie bekommt,“ sagte Lissauer entschuldigend.

„Die ich Ihnen gab, waren alle vollwichtig!“

„Ach, so lassen Sie doch die Kleinigkeit, Herr Baron. Sind auch ein paar Goldstücke zu leicht, ist doch meine Angst zu schwer gewesen.“

Günther lachte und strich das Geld ein.

„Ihre nähere Bekanntschaft ist mir sehr schätzenswerth gewesen,“ sagte er. „Bitte, besuchen Sie mich zuweilen, Herr Lissauer, wenn wir auch in keiner geschäftlichen Verbindung mehr stehen!“

„Sie sind gar zu gütig, Herr Baron.“

„Kann ich Ihnen noch mit einer Manilla aufwarten?“

„Sprechen Sie mir nicht mehr von Manilla!“ rief Lissauer schaudernd. „Ich habe gedacht, es würde sein mein Tod, so schwirrte es mir im Kopfe und vor den Ohren. Leben Sie wohl, Herr Baron, und wenn Sie einmal etwas brauchen in Damenartikeln oder Sie sind in einer kleinen Verlegenheit – nu, so ’was kann ja vorkommen! – dann beehren Sie mich. Sie kennen ja mein Geschäft.“ Damit empfahl er sich.

Günther glaubte, seinen Gegnern bei der Nasenwette einen Schadenersatz schuldig zu sein. Er lud sie Alle, sowie auch die drei Schiedsrichter, zu einem Souper nach der goldenen Gans und schilderte ihnen bei dieser Gelegenheit die Auftritte, welche er mit dem „Nutznießer seiner eigenen Nase“ durchlebt hatte. Sein Vorschlag, die zurückgezahlte Kaufsumme zum Besten der unglücklichen Tischlerfamilie zu verwenden, fand allgemeinen Beifall und ward schon am nächsten Tage zur That.

Günther und seine Freunde sind längst würdige Hausväter und zum Theil ernste Staatsdiener, doch lachen sie noch heute gern über die lustige Geschichte mit der erkauften Nase. Lissauer’s Modewaaren-Magazin aber ist immer noch auf der Ohlauer Straße und erfreut sich des lebhaftesten Zuspruches.