Die sanften Tage (Gedichte von Ludwig Uhland (1815))
Ich bin so hold den sanften Tagen,
Wann in der ersten Frühlingszeit
Der Himmel, blaulich aufgeschlagen,
Zur Erde Glanz und Wärme streut;
Der Hügel schon sich sonnig hebt;
Die Mädchen sich in’s Freie trauen,
Der Kinder Spiel sich neu belebt.
Dann steh’ ich auf dem Berge droben
Die Brust von leisem Drang gehoben,
Der noch zum Wunsche nicht gedeiht.
Ich bin ein Kind und mit dem Spiele
Der heiteren Natur vergnügt,
Ist ganz die Seele eingewiegt.
Ich bin so hold den sanften Tagen,
Wann ihrer mild besonnten Flur
Gerührte Greise Abschied sagen;
Sie prangt nicht mehr mit Blüth’ und Fülle,
All ihre regen Kräfte ruhn,
Sie sammelt sich in süße Stille,
In ihre Tiefen schaut sie nun.
Sie senket ihren stolzen Flug,
Sie lernt ein friedliches Entsagen,
Erinnerung ist ihr genug.
Da ist mir wohl im sanften Schweigen
Es ist mir so, als dürft’ ich steigen
Hinunter in mein stilles Grab.