Textdaten
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Autor: Johannes Proelß
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Titel: Die neue Zeit
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 9
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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DIE NEUE ZEIT.

Hell von des Glühlichts Strahlenfülle
Beglänzt – welch’ neue Bahnen weist,
Aufleuchtend aus der Nebelhülle,
Du neue Zeit, dein Feuergeist?
Der Rede leihst du Blitzesschwingen
Und Sonnenhelligkeit der Nacht,
Lehrst uns den Strömen Kraft entringen,
Die unsre Kraft vertausendfacht.

Was alte Märchen uns berichten
Als Wunderwerk von Riesen, Feen
Und von des Erdgeists flinken Wichten –
Du läßt’s in Wirklichkeit ersteh’n.
Doch wie dein Licht mit Blitzgefunkel
Bis in des Bergwerks Tiefen dringt,
Trifft es auch grellen Scheins das Dunkel,
Wo Armuth mit dem Elend ringt.

Ist’s da ein Wunder, wunderreiche,
Wenn nun an eine Zukunftswelt,
Die aller Träume kühnstem gleiche,
Der Glaube die Gemüther schwellt?
Wenn dir entgegen das Verlangen
Nach einem Erden-Eden glüht,
Darinnen Sorg’ und Noth vergangen
Und allen gleiche Freude blüht!

Siehst du die tausendköpf’ge Menge?
Wie sie von Hoffnungswahn berauscht,
Vergessend ihres Daseins Enge,
Erhitzten Schwärmerworten lauscht,
Die prophezei’n: es naht das Ende
Dem Unterschied von arm und reich,
Die neue Zeit tritt in die Wende!
Es tagt der Gleichheit gold’nes Reich!

Da blickst du rückwärts in die Ferne …
Was soll das Bild: im Dämmergrau
Aufstrebend hoch bis in die Sterne,
Doch ungekrönt, ein Riesenbau –?
Was stellst du vor mein Aug’ die Fabel
Aus Morgenland und Morgenzeit
Von jenem Riesenthurm zu Babel
Und seiner kurzen Herrlichkeit?

Er sollte allen Wohnung geben,
Für gleiches Glück ein Haus, ein Dach,
Zum Himmel trotzig sich erheben,
Ein Bollwerk jedem Ungemach.
Er wuchs … bis ihnen Gott verwirrte
Die Sprache und der Bund zerfiel,
Der Schwarm zerstob und jeder irrte
Entgegen andrem Lebensziel.

Entzweit, versprengt, zog’s hin in Scharen
Gen Süd und Nord, gen Ost und West;
Die Stirne bietend den Gefahren,
Warb jeder um ein eigen Nest.
Doch in der Freiheit eig’nen Strebens
Wie wuchs die Kraft, wie schwoll der Muth!
Welch’ Quellenreichthum neuen Lebens
Und welcher Pläne frische Fluth!

Versteh’ ich, Zeit, dein ernstes Mahnen? …
„Noch ist die Sprache euch verwirrt!
Im Fühlen, Denken, Glauben, Ahnen
Ein jeder andre Pfade irrt!
Und könnt’ ich alle Uebel heilen,
Die eure Einigkeit bedroh’n,
Das Glück – es läßt sich nicht vertheilen
Wie Arbeitskraft und Arbeitslohn.

„Doch haftet auch sein holder Segen
Nicht an des Reichthums kalter Pracht,
Nicht an des Ruhms umdornten Wegen,
An Fürstenthron und Herrschermacht.
Erblüh’n kann auch im kleinsten Heime
Des Erdendaseins höchste Lust –
Es trägt zu seinem Glück die Keime
Der Mensch allein in seiner Brust.

„Die innre Kraft, mit der ihr meistert
Die Elemente der Natur,
Die euch zur Liebesthat begeistert
Empor euch weist auf meine Spur,
Lernt sie im Schutz des Rechts entfalten
Zu jeder Eigenart Gedeih’n –
Dann wird in euch das Glück auch walten
Und euer Glück das aller sein!“

 Johannes Proelß.